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Das Jahr des Sports 1976

Das Jahr des Sports 1976

Sportverlag Berlin 1976

S. 135-137

Der Mann, der nie ein Double brauchte

Volker Kluge

Das Sporttreiben eines Schauspielers mag nicht sonderlich aufregend sein, einfach deshalb, weil auch Fernfahrer, Kellner, Buchhalter oder Verkehrspolizisten - und viele andere - sich sportlich betätigen können. Und es erfordert wohl auch nicht des Autoritätsbeweises durch die antiken Griechen, die ihr Ideal in einem Menschen sahen, der in "zweierlei Hinsicht schön ist", um einen erstrebenswerten Zustand zu beschreiben.

Wenn hier von Dean Reed, von Geburt US-Amerikaner und heute in der DDR lebend, die Rede ist, dann einfach deshalb, weil es in der Natur der Sache liegt, dass am Drum und Dran eines Schauspiel-Lebens stets eine größere Gruppe von Menschen Anteil nimmt.

Dean Reed, 36jährig und ein ebenso leidenschaftlicher Kämpfer für Frieden und soziale Gerechtigkeit wie Schauspieler, hat in seinem Leben stets eine besondere Beziehung zum Sport gehabt, wenn er auch zu bedenken gibt, dass er im Grunde nur als einer der sogenannen sportlichen Normalverbraucher durch die Welt wandelt. An einen organisiert betriebenen Sport sei ohnehin angesichts der zahlreichen Reisen kaum zu denken, was Reed ein wenig bedauert, "und mein unmittelbarster Kontakt", so erzählt er, "besteht noch darin, dass ich jeden Morgen nach dem Aufstehen mein Gymnastik-Programm absolviere und gelegentlich auch einige Runden im Wald drehe."

Muss ein Schauspieler denn sportlich sein? Zumindest - das ist die einfachste Antwort - schadet es nichts, auch wenn er nicht vom Publikum danach beurteilt wird, wie schnell er die 100 m laufen oder schwimmen kann. Doch ein durchtrainierter Mime, und nicht nur er, hat wohl vor allem mehr Zutrauen zur eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit, was sich nicht unbedingt im Salto vorwärts ausdrücken muss. Gesund zu sein und unbeschadet arbeiten zu können, oder aber einfach nur Spaß zu haben... Auch das kann Reed dem Sport abgewinnen. Und die jugendliche Figur hat sich der 36jährige noch dazu bewahrt.

Von den sportlichen Fähigkeiten eines Dean Reed wussten natürlich auch die Autoren und Regisseure, und Dean Reed meint heute, dass aus diesem Grunde wohl auch die eine oder andere seiner Rollen, die er zu spielen hatte, etwas sportlich angelegt war. "Doch dafür war ich stets dankbar", meint Reed, "denn so konnte ich meine Fähigkeiten wirklich voll entfalten."

Dean Reed ist auf einer Ranch im USA-Staat Colorado geboren worden, und so ist er als ein wetterfester Junge aufgewachsen. Pferde zum Beispiel, für einen Großstadtmenschen fast eine Attraktion, waren seine Spielkameraden, und es ist nicht verwunderlich, dass er auch heute dem Rodeo, dem Cowboy-Spiel hoch zu Ross, noch einen großen Reiz abgewinnt. Und tatsächlich beherrscht er diesen Sport besonderer Art recht meisterhaft, und mancher seiner Filme ist durch dieses Faible noch zu zusätzlichen Effekten gekommen. "Obwohl", so gibt Reed zu bedenken, "sehr leicht die Gefahr besteht, auf einen bestimmten Typ festgelegt zu werden." Der tolle Reiter aus Wild-West...

Als Student der Colorado-Universität - einstmals studierte er dort Mineralogie - galt der damals 20jährige als begabter Turner und Leichtatleth. "Einmal war ich Fünfter der Universitätsmeisterschaften an den Ringen, doch sowohl das Turnen als auch die Meilenzeiten, die ich damals schaffte, nehmen sich gegenüber dem Niveau der Olympiateilnehmer mehr als bescheiden aus." So Reed.

Insbesondere dieser Begeisterung für den Meilenlauf ist es wohl zuzuschreiben, dass sich Reed - es war 1956, und er war als 21jähriger für jeden Ulk zu haben - auf eine Wette einließ, die er heute als irrsinnig bezeichnet. "Ich wettete", so lautet der Bericht Dean Reeds, "mit einem gewissen William Smith, dass ich ihn in einem 'Marathonlauf' über 110 Meilen, also etwa 180 Kilometer, schlagen würde. Ich sollte laufen, und er würde auf einem Maultier reiten. Diese komische Wette, es ging um 25 Cent, ist rasch bekannt geworden. Die Strecke verlief von Genesis nach Lake City und zurück - in einer Höhe von 8.000 Fuß, also etwa 2.600 Meter. Alle vier Stunden wurde der Wettkampf unterbrochen, damit wir uns erholen konnten. Der Abstand zwischen dem Maultier und mir wurde nun genau ermittelt und das Rennen später von den gleichen Positionen wieder aufgenommen. Viele amerikanische Rundfunksender berichteten ständig über den neuesten Stand dieses kuriosen Rennens, und auch die Zeitungen haben darüber berichtet.

Wir beide waren schließlich am Ende unserer Kräfte. Auf den letzten Kilometern lag das Maultier vorn, doch es gelang mir, das Langohr mit einem mörderischen Finish auf dem letzten Teil der Strecke zu überholen und es noch um drei Minuten zu distanzieren. Und zwar lief ich die letzten 18 Kilometer hintereinander durch, was schließlich selbst einem Maultier zuviel wurde. Als ich an ihm vorbeizog, hatte es einen Schwächeanfall. Ich aber bekam erst im Ziel einen Kollaps. Zweiundzwanzig Stunden hatte ich für diesen Lauf gebraucht. Im Ziel bekam ich dann meine 25 Cent, ehrlich erlaufen. Und das war doch ein guter Preis, oder...?"

Dean Reed gibt zu, dass bei diesem Lauf natürlich eine gehörige Portion studentischer Übermut im Spiel gewesen ist, dass es ihn aber auch gereizt habe, seine körperliche Leistungsfähigkeit zu testen. Als Schauspieler jedenfalls sei das in ernsthaften Momenten des öfteren auf ihn zugekommen, und schließlich sei er heute auch ein bisschen stolz darauf, sagen zu können, dass es in seinen Filmen nichts gab, was er nicht konnte...

So musste Reed 1964 fürs argentinische Fernsehen mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug springen, und in Italien wurde ein Film gedreht, in dem er sich von einem Felsen auf ein vorbeigaloppierendes Pferd zu schwingen hatte. "Später allerdings", so erzählt Reed lachend, "war ich von diesem Film etwas enttäuscht, denn gerade auf diese eine Stelle hatte ich mir etwas eingebildet, und dabei trug ich eine Maske. Natürlich glaubten alle, dass das ein Double erledigt hatte. Und nur meine Familie, die während der Dreharbeiten an jedem Abend meine blauen Flecke sah und die verbogenen Glieder massierte, wusste, dass es anders war."

Dean Reed hat als Schauspieler nie ein Double gebraucht, weil es in seinen Filmen nichts gab, was er nicht auch sich selbst zugetraut hätte. Als Reed allerdings seinen ersten Streifen in der DDR drehte, das von Wera und Claus Küchenmeister frei nach Eichendorff verfilmte "Leben eines Taugenichts", wollte die DEFA ihren Hauptdarsteller schonen. Und so gab die Direktion die Anweisung, dass statt Reed ein Bergsteiger den Turm einer Burg hinabzusteigen hatte. In dieser Nacht, als die Szene gedreht wurde, war es derart kalt, dass der Bergsteiger sich nicht hinuntertraute, weil er der Meinung war, dass ihm bei dieser Kälte die Hände derart klamm würden und dass die Absturzgefahr einfach zu groß sei. Und wenn er sich hinunterlassen würde, dann keineswegs in der eleganten Art, wie es sich die DEFA hatte einfallen lassen. Er müsste sich wenigstens mit den Füßen an der Mauer abstützen. Dean Reed schließlich, der gern jeden Drehtag maximal ausgenützt hätte, überzeugte am Ende die Produzenten, dass er es dann doch lieber allein mache. Und am Ende ist er beinahe genau so lässig von der Burg hinabgeschwebt, wie die Regieanweisung einstmals in die Schreibmaschine getippt wurde.

"Ein Schauspieler, der nur spielt, nicht aber auch die Verantwortung aufbringt, sich körperlich zu entwickeln, bleibt am Ende ebenso arm wie solche Menschen, die ihre Muskeln über alles stellen und nicht glauben, dass Denken gleichfalls trainierbar ist." Das zumindest ist die Meinung von Dean Reed, der stets versucht hat, beides miteinander in Einklang zu bringen. Er war ein Sportler, der individuelle Disziplinen bevorzugte, "weil ich bei Mannschaftssportarten", wie er sagt, "immer ein bisschen das Gefühl habe, nur gegen andere zu kämpfen. Als Schauspieler halte ich es am liebsten so, zu spüren, dass ich selbst mein härtester Gegner bin - beim Lauf zum Beispiel. Dass ich mich am Ende selbst bezwinge, dieses Gefühl macht mich glücklich."

Gut auszusehen, widerstandsfähig zu sein, um tolle Abenteuer auf der Leinwand zu bestehen, das - so sagt Reed - sei allerdings nur die eine Seite der Medaille, und bei weitem nicht die wichtigste. Denn viele ehemals berühmte Sportler hatten sich in der Filmbranche schon versucht, manche auch - so der neuenfache Schwimm-Olympiasieger Mark Spitz - in der Hoffnung, dass der berühmte Name ein bisschen mitklingt. Dass es am Ende nur ganz wenigen gelang, auch im Film Niveauvolles zu leisten, führt Reed darauf zurück, dass es der Sportler gewohnt ist, sich vor allem auf die körperliche Anstrengung zu konzentrieren. "Der Schauspieler aber", sagt er, "muss sich mehr auf seine Gefühle besinnen. So muss er auch auf Kommando hin weinen können, etwas, wofür sich ein anderer vielleicht schämen würde."

Wäre aus dem sportbegeisterten Schauspieler Dean Reed, einem engagierten Künstler, dem jüngsten Mitglied des Weltfriedensrates, vielleicht gar noch ein Olympiasieger geworden, wenn er nur mehr trainiert hätte? Dean Reed allerdings weist solche Fragen von sich. "Denn ich habe in meinem Leben sehr viel getan, und - obwohl ich den Sport sehr liebe - ich wusste, dass er zu guter Letzt den ganzen Menschen fordert. Und für diese Entscheidung, das eine zu tun und dafür das andere zu lassen, fehlte mir am Ende wohl die ganz große Leidenschaft..."

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Letzte Änderung: 2017-06-29