So starb Victor Jara

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Neues Leben 1983, Miguel Cebezas

Ein Augenzeugenbericht

Am 11. September ging Victor im Stadion auf das Feld hinunter und kam in die Nähe einer der Türen, durch die neue Gefangene hereingebracht wurden. Dort stieß er mit dem Kommandeur des Gefangenenlagers zusammen. Der Kommandeur sah ihn an und deutete die Handbewegung eines Gitarristen an. Victor nickte bejahend mit dem Kopf, lächelte offen und traurig. Der Offizier lächelte selbstzufrieden, als ob er sich zu seiner Entdeckung gratulierte.

Victor Jara mit seinen Töchtern Manuela und Amanda

Victor Jara mit seinen Töchtern Manuela und Amanda

Er rief vier Soldaten und befahl ihnen, Victor dort festzuhalten. Dann ließ er einen Tisch bringen und ihn in die Mitte des Stadions setzen, damit alle sehen konnten, was gleich darauf geschah. Victor wurde an den Tisch geführt und mußte seine Hände darauf legen. In den Händen des Offiziers ("Ich habe zwei hübsche Kinder und ein glückliches Familienleben", erklärte er Tage später der ausländischen Presse gegenüber) erhob sich blitzschnell ein Beil.

Mit einem einzigen Hieb hackte er Victors Finger von der linken und mit einem zweiten die von der rechten Hand. Die Finger fielen auf den Holzboden, sie zitterten und bewegten sich noch, während Victors Körper schwer zu Boden fiel. Aus den Kehlen von sechstausend Gefangenen erhob sich ein kollektiver Aufschrei.

Und dann sahen diese zwölftausend Augen, wie der gleiche Offizier sich über den zu Boden gestürzten Körper des Sängers und Schauspielers Victor Jara warf und auf ihn einzuschlagen begann, wobei er schrie: "Und jetzt sing, du Dreckskerl, sing!" Keiner von denen, die ihn aus der Nähe sahen, wird je das Gesicht des Offiziers vergessen, mit dem Beil in der Hand und zerzausten Haar über der Stirn. Es war das Gesicht des entfesselten tierischen Hasses.

Und während Victor geschlagen wurde, tropfte aus seinen Händen das Blut, und sein Gesicht verfärbte sich schnell violett. Ganz unerwartet erhob Victor sich mühsam auf seine Füße und wandte sich mit blicklosen Augen zu den Rängen des Stadions. Mit zitternden Knien torkelte er vorwärts, die verstümmelten Hände wie ein Schlafwandler nach vorn gestreckt. Als er an die Stelle kam, wo die Ränge an das Spielfeld stoßen, herrschte Totenstille.

Und dann hörte man ihn rufen: "Gut, Genossen, laßt uns Senor Commandante den Gefallen tun!" Er stützte sich für einen Augenblick ab, dann erhob er seine blutenden Hände und begann mit entschlossener Stimme die Hymne der Unidad Popular zu singen, und alle sangen mit.

Während die sechstausend Stimmen sangen, dirigierte Victor mit seinen verstümmelten Händen. Auf seinem Gesicht lag ein offenes und entspanntes Lächeln, und seine Augen leuchteten.

Dieser Anblick war zuviel für die Militärs. Eine Salve, und Victors Körper begann nach vorn zu fallen, als ob er sich ganz langsam und tief vor seinen Genossen verneigte. Dann fiel er auf die Seite und blieb dort liegen. Es folgten noch viele Salven aus den Läufen der Maschinengewehre, doch waren diese auf die Ränge mit den Menschen gerichtet, die mit Victor gesungen hatten. Wie eine Lawine stürzten die Körper herunter, von Kugeln durchsiebt, und rollten auf das Spielfeld.

Die Schreie der Verletzten waren schrecklich. Aber Victor hörte sie nicht mehr. Er war tot.

(Übersetzung von Karin Schweder-Schreiner)

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Letzte Änderung: 2006-01-29