Junge Welt 11./12.11.1972

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Dean Reed, Schauspieler, Sänger, Sportler:

Der Mann brauchte nie ein Double

Der ungewöhnliche Marathonlauf über 180 km für 25 Cent/Der Sprung vom Felsen auf das galoppierende Pferd/"Dass ich mich selbst bezwang, machte mich am Ende glücklich"/Im August 1973 wieder in Berlin

In seinem 34jährigen Leben hat der Schauspieler und Sänger Dean Reed an Gutem und Bösem alles kennengelernt - Liebe und Hass, Jubel und Ovationen, Hunger und Armut, Pfiffe und Kerker. Auf einer Ranch in Colorado (USA) aufgewachsen, wurde er mit 20 Jahren einer der meistgefeierten Rock-'n'-Roll-Sänger Amerikas. Eine seiner Schallplatten wurde 1959 in Südamerika Rock-'n'-Roll-Verkaufsschlager Nummer eins. Für die Hauptrolle in dem Film "Guadalajara" erhielt er 1964 den ersten Preis beim Filmfestival in Acapulco (Mexiko). Als umjubelter Sänger und Schauspieler entwickelte sich Dean Reed auch zu einem leidenschaftlichen Kämpfer für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Heute ist Dean Reed Mitglied des Weltfriedensrates. Die DEFA gewann ihn für die Hauptrolle in dem Film "Aus dem Leben eines Taugenichts" von Wera und Claus Küchenmeister frei nach Eichendorff. Im Grunde seines Herzens ist Dean Reed aber auch ein begeisterter Sportler - und das sieht man jeder seiner Aktionen in seinen Filmen an. Unser Sportredakteur Volker Kluge unterhielt sich mit dem Künster u n d Sportler Dean Reed.

Unterscheidet sich die Rolle des "Taugenichts" von Ihren frühreren?

Ganz sicher. Ich spielte bisher in zwölf Filmen, doch zum ersten Mal durfte ich keinen Helden spielen, der alles kann und immer gewinnt. Der Taugenichts hat etwa das Alter von 20 Jahren, ich bin jetzt vierunddreißig. Ich musste also zurückdenken in eine Zeit, als ich von Colorado, wo ich auf einer Ranch aufwuchs, in die Großstadt, nach Hollywood ging - als ich genauso unerfahren war wie der Taugenichts bei Eichendorff. Doch am schwersten von allem war, dass ich bei den Dreharbeiten zum ersten Mal kein Wort von dem verstand, was die anderen Darsteller sagten, da sie polnisch, deutsch oder rumänisch sprachen, ich aber nur englisch, italienisch und spanisch. Ich glaube aber, es war die schönste und zugleich schwerste Rolle, die man mir bisher übertrug.

Erforderte dieser Film von Ihnen besondere Fähigkeiten?

Ja, beispielsweise eine, die ich nicht besaß: Ich sollte auf einer Geige spielen. Ich habe das deshalb in einer Woche gelernt, und die ganze Zeit träumte ich davon, dass ich am letzten Drehtag die Geige meinem Geigenlehrer über den Kopf schlagen werde ... Ich hoffte nicht, dass es eine Stradivari war. Apropos Stradivari: Ein Teil des Filmes wurde in Rumänien gedreht. Ich purzelte einen Abhang hinunter, hatte aber die Geige im Rucksack, die in ein Dutzend Stücke zerbrach. Als wir die Einzelteile zusammensuchten, fanden wir in der Geige einen Zettel mit der Aufschrift "Stradivari". Vielleicht war es auch nur ein Spaßvogel, aber die umstehenden rumänischen Schauspieler und Filmleute machten große Augen und sagten schmunzelnd: "Ja, ja, die DEFA, die muss ein Geld haben."

Sie waren früher ein sehr guter Sportler. Nutzt Ihnen das bei den Dreharbeiten?

Von meinen sportlichen Fähigkeiten wussten natürlich auch die Autoren und der Regisseur. Deshalb haben Wera und Klaus Küchenmeister den Taugenichts im Film sicherlich auch etwas sportlicher gemacht, als er in Wirklichkeit war. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar, denn so konnte ich mich wirklich voll entfalten.

Welche sportlichen Interessen haben Sie?

Ich war ein aktiver Leichtatleth und Turner. Als ich 1955 mein Studium an der Universität von Colorado begann, trainierte ich vor allem den Meilenlauf. Ich getraue mich aber nicht, da Sie sicherlich jetzt so kurz nach den Olympischen Spielen noch die dort erreichten Ergebnisse im Ohr haben, meine Zeiten zu sagen, obwohl die damals sicherlich nicht so schlecht waren. Ansonsten war ich ein begeisterter Turner, Fünfter der Universitätsmeisterschaften im Ringeturnen. 1958, damals war ich im zweiten Studienjahr und 20 Jahre alt, wurde ich zum Präsidenten des Turnverbandes der Universität gewählt. Ich war bis heute der jüngste Präsident des Verbandes.

Man sagt Ihnen einen geradezu unglaublichen Marathonlauf nach...

Es war 1959, ich war 21 und lief für mein Leben gern die Meile. Da habe ich mich auf eine irrsinnige Wette eingelassen. Ich wettete mit einem gewissen William Smith, dass ich ihn in einem Marathonlauf über 110 Meilen, also etwa 180 km, schlagen würde. Ich sollte laufen und er auf einem Maultier reiten. Diese komische Wette, es ging um 25 Cent (etwa eine Mark/d. Red.), ist in der Tat in die Geschichte eingegangen. Die Strecke verlief von Genesis nach Lake City und zurück in einer Höhe von 8.000 Fuß (etwa 2.600 Meter). Die Regeln waren so, dass alle vier Stunden der Wettkampf unterbrochen wurde, damit wir uns erholen konnten. Der Abstand zwischen dem Maultier und mir wurde nun genau ermittelt und das Rennen dann an dieser Stelle wieder aufgenommen. Die amerikanischen Rundfunksender blendeten in ihre Sendungen ständig den neuesten Stand zwischen uns beiden Kontrahenten ein, auch die Zeitungen haben darüber berichtet. Wir waren beide am Ende unserer Kräfte. Auf den letzten Kilometern war das Maultier vorn, doch es gelang mir, das Langohr mit einem mörderischen Finish auf dem letzten Teilstück der Strecke im Ziel noch um drei Minuten zu distanzieren. Und zwar lief ich die letzten 18 km hintereinander durch, war dem Maultier schließlich zuviel wurde. Als ich an ihm vorbeizog, bekam es einen Schwächeanfall; ich hatte meinen Kollaps erst im Ziel. 22 Stunden habe ich für meinen Lauf gebraucht. Im Ziel bekam ich meine 25 Cent, das war doch ein guter Preis oder...?

Die meisten Ihrer Filme sind Western? Da wird geritten, geschossen, gestürzt und gekämpft. Kommen Ihnen da Ihre körperlichen Fähigkeiten entgegen?

Ja, ohne diese könnte ich das nicht. Jeder dieser Knochen, die Sie vor sich sehen, war schon einmal gebrochen. Das ist das Risiko, wenn man einen spannenden Film machen will. Als Kind war mein Traum immer Rodeo, das Cowboy-Spiel. Später habe ich es selbst gemacht. Dazu braucht man natürlich Kraft, Gewandheit und Geschicklichkeit. In meinen Filmen gibt es nichts, was es nicht gibit: 1964 musste ich fürs Fernsehen in Argentinien mit dem Fallschirm aus dem Flugzeug springen, in Italien machte ich einen Film, wo ich von einem Felsen auf ein galoppierendes Pferd sprang. Als ich den Film dann später sah, war ich schwer enttäuscht. Ich trug eine Maske bei diesem Husarenstück, und es hätte durchaus auch mein Double sein können. Und alle glaubten auch, dass es ein Double war. Nur meine Frau weiß genau, dass ich dort heruntersprang. Denn sie zählte jeden Abend meine blauen Flecken und verbogenen Glieder. Ich habe in meinem Leben noch nie ein Double gebraucht.

Hat der Taugenichts ähnliche Husarenstücke zu bestehen?

Ja, natürlich. Allerdings war es eine Anweisung der Direktion der DEFA, dass das ein Double erledigt. Wir haben in Rumänien auf einer Burg gedreht, wo ich mich in der Nacht von einem Turm nur mit den Händen herabzuseilen hatte. Der Befehl lautete: Reed nicht, Double an die Front. Es war ein Bergsteiger, der das machen sollte. In jener Nacht war es eiskalt, und der Bergsteiger sagte, dass das nicht so ginge, da die Hände klamm würden und die Absturzgefahr zu groß wäre. Und wenn schon, dann müsse er mit den Füßen an dem Seil bremsen. Da habe ich zur DEFA gesagt, dass ich das doch lieber gleich selber mache, und habe mich dort auch ohne zu bremsen abgeseilt.

Glauben Sie, dass Sie auch ein Weltklasse-Sportler hätten werden können?

Ich glaube es kaum. Ich habe in meinem Leben sehr viel getan, und ich wusste, dass der Sport auf die Dauer nur den ganzen Menschen gebrauchen konnte. Und für diese Entscheidung, das eine zu tun und dafür möglicherweise anderes zu lassen, fehlte mir am Ende die Leidenschaft.

Haben Sie heute zum Sport noch eine Beziehung?

Da ich sehr viel unterwegs bin, komme ich natürlich nicht dazu, organisiert Sport zu treiben oder das Sportgeschehen zu verfolgen. Mein unmittelbarster Kontakt besteht darin, dass ich jeden Morgen nach dem Aufstehen mein Gymnastik-Programm absolviere.

Der siebenfache Schwimm-Olympiasieger Mark Spitz hat jetzt ein Filmangebot angenommen. Wie denken Sie über seine Chancen auf künstlerischen Erfolg?

Vor Spitz haben das bereits viele andere getan, ich erinnere nur an Johnny Weissmüller, Rafer Johnson, Don Bragg und andere. Viele haben es versucht, aber nur wenigen ist am Ende etwas gelungen, da die Tatsache, einen guten Namen zu haben, nur die eine Seite der Medaille ist. Ein Sportler ist es gewohnt, sich vor allem auf seine körperlichen Anstrengungen zu konzentrieren, ein Schauspieler muss sich aber vor allem auf seine Gefühle konzentrieren. Ein Sportler würde es kaum fertigbringen, auf Kommando - weil es nötig ist - hemmungslos zu weinen. Ein Schauspieler aber muss das können. Ein Schauspieler, der nur spielt, nicht aber auch die Verantwortung aufbringt, sich körperlich zu entwickeln, bleibt am Ende ebenso arm wie solche Menschen, die ihre Muskeln über alles stellen und nicht glauben, dass Denken gleichfalls trainierbar ist.

Welche Sportarten lieben Sie?

Ich bevorzuge Einzelsportarten. Bei den Mannschaftssportarten hatte ich persönlich immer ein bisschen das Gefühl, dass ich nur gegen andere kämpfe. Beim Laufen aber spürte ich irgendwie, dass mein härtester Gegner vor allem ich selbst war. Dass ich mich selbst bezwang, das machte mich am Ende glücklich.

Uns ist bekannt, dass Sie den Freiheitskampf Vietnams unterstützen...

Ein Künstler hat viele Möglichkeiten, für eine gute Sache einzutreten und für sie zu kämpfen. Er kann Filme machen, die das Gewissen in Aufruhr bringen, und mit seinen vielseitigen Mitteln mitwirken, das Gute im Menschen zu fördern und ihn zum Kampf für dieses Gute aufzurufen. Und er muss auch bereit sein, für einen solchen Kampf mit seiner eigenen Person einzustehen und Beispiel zu sein. Ich helfe mit allen meinen künstlerischen, menschlichen Mitteln und auch materiell einem Volk, das für eine gute Sache - nämlich für Frieden und Freiheit - kämpft und viele Opfer bringt.

Wann werden wir Sie in der DDR wiedersehen?

Sehr bald schon, nämlich im August 1973. Da werde ich zu den Weltfestspielen hier sein. Was meine Pläne angeht, so weiß ich nur das eine: Ich werde 24 Stunden pro Tag arbeiten, um möglichst nichts zu versäumen und mit vielen jungen Leuten zu sprechen.

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Letzte Änderung: 2007-03-30