Bastian Reichardt
Autoritär und ohne dialektischen Anspruch
#aufstehen Die lange angekündigte linke Sammlungsbewegung um Sahra Wagenknecht formiert sich. Die Fronten verhärten sich und Skepsis scheint angebracht. Eine Streitschrift
Die »Bewegung«, die seit wenigen Tagen unter dem Titel #aufstehen in den sozialen Medien und in den Zeitungen diskutiert wird, ist im Vergleich zu anderen Bewegungen untypisch. Sie wurde am Reißbrett von einer Handvoll politischer Akteure entworfen, medial gestaltet und nun in die Öffentlichkeit gebracht. In diesem Sinne ist #aufstehen autoritär. Die »Bewegung« vollzieht sich von oben nach unten – von den Funktionärsbüros auf die Straße. Ob der Schritt vom Engagement der Parlamentarier auf die Straße nachhaltig klappt, muss sich zeigen. Eine gewisse Skepsis ist jedoch angebracht. Denn: Jede autoritäre Politik spielt insofern mit dem Feuer als sie sich als Stimme einer »schweigenden Mehrheit« inszeniert. Das lässt sich bei #aufstehen sehr deutlich beobachten. Die Mär geht ungefähr so: »Es gibt eine Mehrheit in Deutschland, die eine linke Politik befürwortet. Leider ließ sich dies in der Vergangenheit nicht politisch umsetzen. Also brauchen wir ein Forum, das dieser Mehrheit nun eine Stimme gibt.« Richtig ist dahingegen, dass es eine Mehrheit für das konservative und rechte Lager gibt. Nichts anderes zeigt ja die Zusammensetzung des Bundestages, der doch immerhin von der deutschen Bevölkerung gewählt wurde. Wer sich darauf beschränkt, dass eine Mehrheit der Menschen für soziale Gerechtigkeit ist, klammert naiverweise aus, welche Rolle es dabei spielt, wie verschiedenen Angebote der Parteien der Bevölkerung schmackhaft gemacht werden, um den Begriff »soziale Gerechtigkeit« zu füllen. Dies ist die Falle im Denken, man würde für eine »schweigende Mehrheit« sprechen: Wer es nicht schafft, sein Angebot in einem Wahlkampf zu verkaufen, gibt sich nur allzu leicht der Illusion hin, die Bevölkerung stünde dennoch – trotz der nackten Zahlen – auf seiner Seite.
Die »von oben nach unten«-Strategie verfehlt dazu noch einen grundsätzlichen strategischen Punkt marxistischen Gedankenguts – und zwar dass die Parteien und Politiker der allerletzte Kulminationspunkt von Bewegungen sind (und nicht wie hier der Ausgangspunkt). Wie der italienische Marxist Antonio Gramsci dargelegt hat, nimmt die Hegemonie einer Idee ihren Ausgang immer erst in der Zivilgesellschaft, entwickelt sich dort und wird nach langen, schwierigen Prozessen in der Politik übernommen. Sollte die Politik mit einer Situation konfrontiert sein, in der ihre Ideen keine zivilgesellschaftliche Vorherrschaft besitzen, dann bleibt ihr nur der Zwang. Linke Parteien müssen also versuchen, sich auf die Spitze von gesellschaftlichen Bewegungen zu setzen. Sie selbst zu initiieren, geht in die falsche Richtung.
Was die ersten Inhalte von #aufstehen angeht, muss man leider sagen, dass die ersten Unterstützer sich bereits jetzt Gedanken darüber machen sollten, ob es nun schon wieder Zeit ist, abzuspringen. Zwar zeigen die Videos der Website völlig berechtigte Forderungen, von denen Linke sich wünschen würden, sie seien umgesetzt. Jedoch reden die Initiatoren dieser »Bewegung« eine andere Sprache. Insbesondere Lafontaine, Streeck und Stegemann kreisen in ihren Zeitungsartikeln so gut wie ausschließlich um das Thema Migration. Bedient wird immer wieder eine Argumentation, die Linke tunlichst meiden sollten und die aufbaut auf dem Satz »Wir können doch nicht alle aufnehmen«. Dazu setzt die »Bewegung« auf die Frage, wie moralisch hochnäsig Linke eigentlich sind, wenn sie offene Grenzen fordern. Vom letzten Punkt ist auch Wagenknecht nicht ausgenommen, wie ihr Artikel in der Welt vor Kurzem zeigte, in dem ein moralisierender Stil der »No Border, No Nation«-Vertreter angeklagt wurde. Tatsache ist jedoch: Wer andere belehrt, sie sollten im politischen Diskurs nicht moralisieren, der moralisiert eben auch selbst. Die Anklage der Hypermoral ist selbst schon eine moralische Anklage und keine politische.
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