Frank Burkhard
Dürfen darf man alles – ?
Die Kurt Tucholsky-Gesellschaft tagte in Leipzig zum Thema Satire
Frank Burkhard
Kurz vor Weihnachten 1919 fragte sich Theobald Tiger alias Kurt Tucholsky: „Was schenke ich dem kleinen Michel zu diesem kalten Weihnachtsfest?“ Und nachdem er den Nachttopf auf Rollen und das Puppenkrematorium verwarf, kam er darauf: „Ein neues gescheites Reichsgericht – das hat er noch nicht. Das hat er noch nicht!“
Kurt Tucholsky Gesellschaft, Plakat zur Tagung
Das frühere Reichsgericht in Leipzig, das jahrzehntelang als Dimitroff-Museum diente und inzwischen das Bundesverwaltungsgericht beherbergt, war einer der Schauplätze der Jahrestagung der Kurt Tucholsky-Gesellschaft, die unter dem Motto „Dürfen darf man alles“ Möglichkeiten und Grenzen der Satire behandelte. In Leipzig hatte 1931 auch der berüchtigte Weltbühne-Prozess stattgefunden, bei dem der Journalist Walter Kreiser und der Herausgeber Carl von Ossietzky wegen angeblichen Verrats von Militärgeheimnissen zu je 18 Monaten Haft verurteilt wurden. Von diesem spektakulären Strafverfahren, das bis heute als Musterbeispiel politischer Justiz in der Weimarer Republik gilt, war bei der anekdotengespickten Führung durch das Haus allerdings nicht die Rede, und schon gar nicht von dem Ponton-Prozess zum Veltheimer Fährunglück, der die Pressefreiheit 1928 mit Füßen trat. Bernd Brüntrup, Mindener Rechtsanwalt, hielt dazu einen bemerkenswerten Vortrag.
Vor 30 Jahren war die Kurt Tucholsky Gesellschaft von Anhängern des Autors aus BRD, DDR, der Schweiz und Großbritannien in Weiler im Allgäu gegründet worden. Der heutige Vorsitzende der literarischen Vereinigung, Dr. Ian King aus London, war am Anfang dabei und leitete nun die Jubiläumstagung, die in Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig über die Bühne ging. Sie hatte zuweilen etwas von jugendlichem Elan. Dazu trugen die Vorträge von Studentinnen und Studenten bei, die satirische Wirkungslinien von Tucholsky bis in die Gegenwart aufzeigten. So hatte die Hip-Hop-Gruppe Advanced Chemistry Tucholskys medienkritisches Gedicht „An das Publikum“ adaptiert, und den Text vorsichtig verändert. Oder Rainald Grebe, der mit seinem Song „Oben“ („Oben, Ich bin oben. Ist das schön. Von oben, Runter zu sehen.“) zumindest thematisch an Tiger-Tucholskys Couplet „Raffke“ von 1922 anknüpft: „Und macht ihrs doll – ick mache immer Dollar! Ick knie mir rin, ick knie mir richtig rin!“
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Auch die Musikstudenten Max Dollinger (Bariton) und Wolfgang Geiger (Piano) trugen Tucholskys Chansons mit der Musik von Eisler oder auch Nelson nur fast pur vor. Doch die Puristen unter den Teilnehmern verziehen gern, dass beispielsweise im Lied von den Feldfrüchten der einstige SPD-Vorsitzende Hermann Müller durch Andrea Nahles ersetzt wurde. Dass mit dem in der gleichen Zeile genannten „Hilferlieschen“ der einstige Vorwärts-Herausgeber Hilferding gemeint war, wissen nur noch Eingeweihte.
Ignaz Wrobel, den Kurt Tucholsky bemühte, wenn es um ernste Dinge ging, die auch eine gewisse Verbissenheit verlangten, schrieb 1929 in der Weltbühne über einen Künstler, dem Berlin dieser Tage eine große Ausstellung widmet: George Grosz. Der berühmte gesellschaftskritische Karikaturist hatte 1928 die Zeichnung „Christus am Kreuz mit Gasmaske“ veröffentlicht. In der Zeit der deutschen Wiederbewaffnung schrieb er darunter „Maul halten und weiterdienen“. Das wurde ihm unter § 166 als Gotteslästerung ausgelegt. Wrobel schrieb anlässlich des Prozesses: „Denn eine Landeskirche, die im Kriege so jämmerlich versagt hat, die die Jugend eines ganzen Landes in das Schlachten hineinsegnete; eine Kirche, die kein Wort gegen den Staatsmord fand, sondern ihn im Gegenteil noch propagierte: eine solche Institution hat allen Anlass, still zu schweigen, wenn aufgezeigt werden soll, wer hier schändet.“
Tucholsky selbst, aber auch Kunstschaffende wie Walter Hasenclever, Kurt Weill und Frans Masereel mussten sich in jenen Jahren wegen des § 166 verantworten. Künstlerische Überhöhung und Satire wollten nicht verstanden oder zumindest nicht als solche gewürdigt werden. Dass es auch zahlreiche Freisprüche nach einem Instanzendurchlauf gab, soll nicht verschwiegen werden. „Was darf Satire? Alles.“, wird Tucholsky oft verkürzend zitiert. Er hat aber auch eine Grenze nach oben, „Buddha“, und eine Grenze nach unten gezogen – „die herrschenden faschistischen Mächte“. Er fügte hinzu: „Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen.“
Zu der schwierigen Frage, ob Satire nun wirklich alles dürfe, gab der Leipziger Jura-Professor Kurt Faßbender einige wichtige Hinweise. Er erinnerte an den wohl noch nicht ganz ausgestandenen Fall Böhmermann und dessen Schmähgedicht auf Erdogan. Mag man zur Qualität des Textes stehen, wie man will, so erfüllt er schon allein deshalb den Kunstbegriff, weil er in Reimform verfasst wurde und letztlich von der Meinungsfreiheit gedeckt sei.
Tucholskys Verbindung zum Tagungsort Leipzig ist relativ gering. Soweit bekannt, war er nur einmal, am 29.11.1929, zu einer Lesung hier. Eine Aufführung seines einzigen Theaterstücks „Christoph Kolumbus“, das er zusammen mit Walter Hasenclever geschrieben hatte und im September 1932 im Leipziger Schauspielhaus uraufgeführt wurde, hat er wohl nicht besucht. Als Peter Panter hatte er das Motto der Tagung geliefert: „Dürfen darf man alles“, und ergänzte den Satz mit „Man muß es nur können“. Der allgemeine Eindruck der Teilnehmer war: Wie in dieser Leipziger Tagung ausgehend von der Vergangenheit in die Gegenwart gedacht wurde, war durchaus gekonnt!
Bilder, Videos und Bildunterschriften wurden von der Redaktion AmericanRebel hinzugefügt.
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