Marianna Schauzu
Die Flüchtlings-Macher
Mit ihrer widersprüchlichen Politik treibt die EU weite Teile der afrikanischen Bevölkerung zur Migration.
Europa hat es noch immer nicht verstanden: Afrika möchte als gleichberechtigter Partner und nicht als Opfer behandelt werden. Freihandelsabkommen mit den Ländern Afrikas sind scheinheilige Projekte, da sie den Unternehmern der reichen und subventionierten EU-Länder helfen, die afrikanischen Märkte mit ihren günstigen Produkten zu überschwemmen und somit der lokalen Wirtschaft keine Chance lassen. China ist nicht nur ein Vorbild für Afrika, sondern auch der Hauptinvestor, während die EU mit ihrer widersprüchlichen Afrikapolitik große Teile der Bevölkerung zur Migration treibt — und den Kontinent weiter schwächt.
Der Artikel basiert auf einem Vortrag der Autorin zu diesem Thema am 26. Oktober 2018 im MEZ Berlin.
Immer mehr Afrikaner aus Staaten südlich der Sahara verlassen ihre Heimat. Seit 2010 steigen die Zahlen kontinuierlich. 2017 zählte das US-amerikanische Pew Research Center mehr als eine Million afrikanische Flüchtlinge, die sich seit 2010 auf den Weg nach Europa gemacht haben. Umfragen in sechs Subsahara-Ländern ergaben, dass viele — in Ghana bis zu 75 Prozent — den Wunsch hegen, nach Europa oder in die USA auszuwandern. Bis zu 44 Prozent haben konkrete Migrationspläne (1).
Nach Angaben des afrikanischen Instituts Afrobarometer sind es etwa 35 Prozent der in neun afrikanischen Staaten Befragten, die ihr Land verlassen wollen. Die Mehrzahl von ihnen ist 18 bis 35 Jahre alt, durchschnittlich 25 Prozent haben den höchsten Schulabschluss, gefolgt von 20 Prozent mit dem zweithöchsten Abschluss. Das Hauptmotiv für die meisten der Ausreisewilligen ist es, Arbeit zu finden und der Armut zu entkommen. Das Ziel ist für 47 Prozent ein anderes afrikanisches Land. Von denen, die den Kontinent verlassen wollen, hegen 20 Prozent den Wunsch nach Europa und 19 Prozent in die USA auszuwandern (2).
Alle Studien bestätigen, dass diejenigen die auswandern, nicht zu den Ärmsten gehören. Sie kommen vielmehr aus der Mittelschicht, denn sie benötigen ein Minimum an finanzieller Ausstattung, um auf die Reise gehen zu können — ungefähr 2.000 Euro. In vielen afrikanischen Ländern entspricht diese Summe einem Jahreseinkommen.
Über das dadurch entstehende Problem für die Auswandererländer sagt der US-amerikanische Afrikanist und Autor Stephen Smith:
„Es sind gerade die Leute, die politisch in Afrika etwas verändern könnten, die den Weg ins Exil wählen. Deswegen glaube ich auch, dass die Migrationsströme einen realen Verlust für Afrika bedeuten. Die Auswanderer wären in ihrer Heimat nicht nur ökonomisch wichtig, sondern auch politisch“ (3).
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Wer profitiert?
Diesen von Smith beschriebenen „Braindrain“ wird das am 13. Juli 2018 von den Vereinten Nationen vorgelegte „Globale Abkommen zur Förderung der Arbeitsmigration“ noch befördern. Ausgehend von der Überzeugung, dass Migration zur Entwicklung beiträgt und damit die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung erreicht werden, „wenn sie angemessen gemanagt wird“, wie es im Abkommen heißt, sollen sich die Unterzeichner-Staaten verpflichten, „Wege für reguläre Migration so anzupassen, dass Arbeitsmobilität gefördert wird“.
Der Volkswirt und Wirtschaftsjournalist Norbert Häring zitiert dazu den mexikanischen Entwicklungsökonom, UNESCO-Koordinator für Migration und Entwicklung sowie Präsident des Internationalen Netzwerks für Migration und Entwicklung Raul Delgado Wise, der dazu feststellt:
„Wenn man sich die Daten anschaut, ist Migration eine Subventionierung des Nordens durch den Süden“.
Des Weiteren verweist Häring auf eine zusammen mit dem Oxford-Professor Ian Goldin durchgeführte aktuelle Studie der US-Großbank Citigroup, die dieses Verdikt aus Sicht der Industrieländer bestätigt:
„Migranten kommen mit Ausbildung und Erziehung, für die das Ursprungsland bezahlt hat. Sie nehmen weniger Sozialleistungen in Anspruch und bekommen weniger staatliches Geld als Bürger des Landes und sie sind in aller Regel im arbeitsfähigen Alter.“
Immigranten hätten daher bisher schon einen großen Beitrag zur Wohlstandsmehrung in den Industrieländern geleistet. Zwischen einem Fünftel und der Hälfte der Hochqualifizierten in Afrika und Mittelamerika wanderten aus, und das bei einem Anteil der Universitätsabsolventen, der in Sub-Sahara-Afrika ohnehin nur vier Prozent betrage. Norbert Häring zitiert dazu Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), der sich in einem Handelsblatt-Interview dieser Kritik angeschlossen hat:
„Es ist ja nicht so, dass Afrika kein Potenzial hätte. Aber das wird nicht dadurch größer, dass die Tüchtigsten lieber nach Europa fliehen.“
Häring schließt daraus:
„Die Förderung der Arbeitsmigration nach der Façon der im Weltwirtschaftsforum organisierten Großkonzerne, wie sie sich im UN-Migrationsabkommen niederschlägt, schadet sowohl den Arbeitnehmern in den Zielländern als auch den Herkunftsländern der Migranten. Nutznießer sind die Unternehmen und Kapitalbesitzer in den Industrieländern. Linke Parteien, die so etwas mittragen, sind dem Untergang geweiht und haben ihn verdient“ (4).
Das Abkommen zur Förderung der Arbeitsmigration soll am 10./11. Dezember 2018 in Marrakesch unterzeichnet werden. Viele Staaten haben bereits entschieden nicht zu unterzeichnen, darunter die USA, Australien, Israel, Polen, Ungarn und Österreich (5). In der Bundesrepublik wird darüber noch debattiert.
Quellen und Anmerkungen:
(1) At Least a Million Sub-Saharan Africans Moved to Europe Since 2010, Pew Research Center, 22.03.2018; http://www.pewglobal.org/2018/03/22/at-least-a-million-sub-saharan-africans-moved-to-europe-since-2010/
(2) http://www.afrobarometer.org/blogs/african-migration-whos-thinking-going-where
(3) Stephen Smith, Nach Europa — Das junge Afrika auf dem Weg zum alten Kontinent, 2018, Edition FotoTapeta, Berlin. Stephen Smith lehrt African Studies an der Duke University, North Carolina, USA.
(4) Das Migrationsabkommen als letzter Sargnagel für die linken Parteien, Norbert Häring, 24.10.2018; http://norberthaering.de/de/27-german/news/1049-migrationsabkommen-sargnagel
(5) Migrationspakt verliert weiter Unterzeichner, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.11.2018
(6) World Population Prospects 2017, UN Population Division; https://population.un.org/wpp/
(7) Europa steht vor einer riesigen Einwanderungswelle, in: faz.net, 19.06.2018; http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa-steht-vor-einer-riesigen-einwanderungswelle-15646695.html
(8) Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW), Datenreport 2017; https://www.dsw.org/wp-content/uploads/2017/08/Fruchtbarkeitsrate-Jugendliche_DSW-Datenreport_2017.png
(9) Fertilitätsrate nach Weltregionen im Jahr 2018, Statista 2018; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1724/umfrage/weltweite-fertilitaetsrate-nach-kontinenten/
(10) Volker Seitz, Familienplanung darf kein Afrika-Tabu bleiben, 05.07.2017; https://www.achgut.com/artikel/familienplanung_darf_kein_afrika-tabu_bleiben
(11) Zur Bekämpfung von Fluchtursachen gehört auch sexuelle Aufklärung, in: WELT, 17.10.2017; https://www.welt.de/politik/ausland/article169702229/Zur-Bekaempfung-von-Fluchtursachen-gehoert-auch-sexuelle-Aufklaerung.html
(12) Hunger in Afrika, Aktion Deutschland hilft, 07.05.2018; https://www.aktion-deutschland-hilft.de/de/mediathek/infografiken/infografik-hunger-in-afrika/
(13) Die Landwirtschaft könnte Afrikas Hoffnung sein, in: faz.net, 13.01.2017; http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/afrikas-landwirtschaft-muss-produktiver-werden-14604798.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0
(14) Wie kommt der Traktor nach Afrika?, in: faz.net, 05.10.2018; http://www.faz.net/aktuell/race-to-feed-the-world/afrika-vor-herausforderung-motorisierung-fuer-kleinbauer-15794458.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0
(15) Afrikas Bauern zukunftsfähig machen — aber wie?, in: Deutsche Welle (DW), 24.01.2017;
https://www.dw.com/de/afrikas-bauern-zukunftsf%C3%A4hig-machen-aber-wie/a-37250564
(16) Warum Afrika Lebensmittel importiert, in: ProPlanta Agrar-Nachrichten, 04.05.2017;
https://www.proplanta.de/Agrar-Nachrichten/Agrarwirtschaft/Warum-Afrika-Lebensmittel-importiert_article1493893321.html
(17) Strom für Afrika, in: Le Monde diplomatique, 08.02.2018; https://monde-diplomatique.de/artikel/!5480793
(18) Die Renaissance der Eisenbahn in Afrika, in: Deutsche Welle (DW), 18.05.2017; https://www.dw.com/de/die-renaissance-der-eisenbahn-in-afrika/g-38878736
(19) Für China ist Afrika ein Zukunftskontinent, Volker Seitz, in: Achgut, 01.10.2018;
https://www.achgut.com/artikel/fuer_china_ist_afrika_ein_zukunftskontinent
(20) Wird Afrika zur Kornkammer der Erde? in: EURAKTIV.com, 28.08.2017; https://www.euractiv.de/section/landwirtschaft-und-ernahrung/news/wird-afrika-zur-kornkammer-der-erde/
(21) R. Arezki, K. Deininger, H. Selod, The Global Land Rush, in: Finance & Development, Vol. 49, Nr.1, March 2012; https://www.imf.org/external/pubs/ft/fandd/2012/03/arezki.htm
(22) Marshallplan mit Afrika, Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ), Januar 2017; https://www.bmz.de/de/presse/aktuelleMeldungen/2017/januar/170118_pm_006_Marshallplan-mit-Afrika-neue-Partnerschaft-fuer-Entwicklung-Frieden-und-Zukunft/index.jsp
(23) Vgl. Fußnote 15
(24) Agrarpolitik und Agrarförderung — Situationsbericht 2017/18, Deutscher Bauernverband;
https://www.bauernverband.de/41-eu-agrarhaushalt-803647
(25) Vgl. Fußnote 16
(26) Mangos ja, Mangosaft nein — Erpressungen im Kolonialstil, in: Oxi, 24.05.2017; https://oxiblog.de/mangos-ja-mangosaft-nein/
(27) Bilateral agreements with countries outside the EU, European Commission; https://ec.europa.eu/fisheries/cfp/international/agreements_en
(28) Is the EU taking its over-fishing habits to west African waters?, in: The Guardian, 02.12.2012; https://www.theguardian.com/environment/2012/apr/02/eu-fishing-west-africa-mauritania
(29) Overfishing destroying livelihoods, in: Africa Renewal, May-Juli 2017; https://www.un.org/africarenewal/magazine/may-july-2017/overfishing-destroying-livelihoods
(30) Kurzdarstellungen zur Europäischen Union: Afrika, Europäisches Parlament, 10/2018;
http://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/180/afrika
(31) An overview of the EU-ACP countries‘ economic partnership agreements, 03.07.2018; http://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=EPRS_BRI(2018)625102
(32) European Commission: Economic Partnerships, 06.11.2018; http://ec.europa.eu/trade/policy/countries-and-regions/development/economic-partnerships/
(33) UN list of Least Developed Countries; https://unctad.org/en/Pages/ALDC/Least%20Developed%20Countries/UN-list-of-Least-Developed-Countries.aspx (abgerufen am 21.11.2018)
(34) Europäische Kommission, Generalised scheme of preferences, 09.10.2018 http://ec.europa.eu/trade/policy/countries-and-regions/development/generalised-scheme-of-preferences/
(35) Europa erzeugt die Flüchtlinge selbst, in: ZEIT online, 01.08.2016;
https://www.zeit.de/kultur/2016-07/westafrika-freihandelsabkommen-eu-fluechtlinge-hafsat-abiola
(36) Europäische Kommisssion: Lage der Union 2018; https://ec.europa.eu/commission/priorities/state-union-speeches/state-union-2018_de
(37) Europäische Kommission, Factsheets: Stärkung der Partnerschaft mit Afrika; https://ec.europa.eu/commission/priorities/state-union-speeches/state-union-2018/state-union-2018-africa_de (abgerufen am 21.11.2018)
(38) CFTA: A Free Trade Area Is Not The Same As a Free Trade Agreement, in: Agùntáṣǫólò Notes, 26.03.2018; https://aguntasolo.co/cfta-a-free-trade-area-is-not-the-same-as-a-free-trade-agreement-73b34404b299
(39) Kampf gegen Fluchtursachen, in: Handelsblatt, 08.07.2018; https://www.handelsblatt.com/politik/international/kampf-gegen-fluchtursachen-investitionen-gegen-die-flucht-so-sieht-deutschlands-neuer-marshallplan-fuer-afrika-aus/22775644.html?ticket=ST-123629-qBnVBYvzvlfvbzAaAe1f-ap2
(40) Vertreten waren die Länder Ägypten, Äthiopien, Benin, Elfenbeinküste, Ghana, Guinea, Marokko, Ruanda, Senegal, Südafrika, Togo und Tunesien.
(41) Zollfreiheit für Afrika, Interview mit Andreas Eckert, in: web.de Magazine, 21.08.2018;
https://web.de/magazine/politik/zollfreiheit-afrika-sinnvoll-vorschlag-entwicklungsminister-gerd-mueller-33125408
(42) Das neokoloniale Projekt, Jean Feyder, in: Rubikon, 06.07.2018; https://www.rubikon.news/artikel/das-neokoloniale-projekt
(43) Geplündert, Jacques Berthelot, in: Le Monde diplomatique, 09.11.2017; https://monde-diplomatique.de/artikel/!5458244
(44) Mauern gegen die Konkurrenz, in: ZEIT Online, 24.06.1999; https://www.zeit.de/1999/26/199926.biblio-serie_25_.xml
(45) „Die Welt würde erzittern, wenn die im Mittelmeer Sterbenden Weiße und Europäer wären“, in: RT DEUTSCH, 18.11.2018; https://deutsch.rt.com/meinung/79504-welt-wuerde-erzittern-wenn-die-im-mittelmeer-sterbenden-weisse-und-europaeer-waeren/
(46) Vgl. Marianna Schauzu, Landgrabbing: China als neuer Kolonialherr in Afrika?, in: Marxistische Blätter 2_2018, S. 114-121
(47) Teure Almosen für Afrika, in: Deutschlandfunk Kultur, 29.03.2018; https://www.deutschlandfunkkultur.de/entwicklungshilfe-in-der-kritik-teure-almosen-fuer-afrika.979.de.html?dram:article_id=414151
(48) Was China in Afrika mit 60 Milliarden Dollar vorhat, in: faz.net, 03.09.2018; http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/was-china-mit-60-milliarden-dollar-in-afrika-vorhat-15769385.html
(49) Was hinter Chinas Milliardeninvestitionen in Afrika steckt, in: SPIEGEL-Online, 09.09.2018;
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/china-was-hinter-den-milliardeninvestitionen-in-afrika-steckt-a-1227044.html
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Marianna Schauzu ist promovierte Molekulargenetikern. Sie hat auf dem Gebiet der HIV-Forschung sowie der Sicherheitsbewertung von Mikroorganismen und Lebensmitteln gearbeitet und war deutsche Delegierte in Arbeitsgruppen der WHO, FAO, OECD sowie der ISO. Sie veröffentlichte zahlreiche Publikationen zu ihren Arbeitsgebieten in wissenschaftlichen Zeitschriften und ist Mitgründerin des Marx-Engels-Zentrums Berlin.
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Dieser Artikel erschien vor Kurzem auch auf www.Rubicon. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
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