René Beder
Thälmann Büste aus Zelluloid
Erinnerungen an die Dreharbeiten des Zweiteilers „Ernst Thälmann“ (1986)
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Lange nach dem Krieg, im Jahre 1985, drehten wir u. a. auch in Görlitz einen zweiteiligen Film über das Leben Ernst Thälmanns. Zu seinem 100. Geburtstag wurde er ausgestrahlt. Ich war Aufnahmeleiter und den Auftrag sollte eigentlich das staatsnahe Fernsehen übernehmen, aber die gaben ihn aus Einsicht in die eigene Inkompetenz an die DEFA weiter. Überhaupt wurde gern in Görlitz gedreht, weil noch soviel stand. Der Krieg hatte viele Gebäude verschont, aber die Zeit nach dem Krieg war nicht ungefährlicher für die Gemäuer.
An einem freien Nachmittag trafen wir einen alten Mann. Der sagte zu uns in Abwandlung eines berühmten Hitler-Zitats: Gebt uns vierzig Jahre und ihr werdet Görlitz nicht wieder erkennen. Wir erschraken über so viel Wut und Ohnmacht, wo die jetzigen Volkslenker nicht besser weg kamen als die davor. Aber auch unsere Volkslenker hatten nichts begriffen von dem, was die Kinder an Marxismus schon in der Schule lernten. Da war zum Beispiel Bert Brechts Gedicht von den Teppichwebern von Kujan Bulak. Dort wurde das Geld, dass für eine Lenin-Büste ausgegeben werden sollte, für Petroleum ausgegeben um einen Sumpf aus zu brennen und trocken zu legen, von dem die giftigen Mücken kamen. Jeder verstand dieses Gedicht. Und besonders den Satz: So haben sie Lenin geehrt…indem sie ihn verstanden…
Wir werkelten also an der Thälmann Büste aus Zelluloid und haben ihm auch damit keine Ehre erwiesen. Denn unser Film, kostete jede Menge Geld und jede Menge Westgeld dazu: 20 Millionen Ostmark und 20 Millionen D-Mark. Das war eine ungeheure Menge Geld. Aber wenn es um die Sache ging hatte keiner den Mut von Einsparungen zu reden. Da ließ sich die Partei- und Staatsführung nicht lumpen. Und das wussten die Verantwortlichen bei der DEFA natürlich für sich zu nutzen. Für einen Thälmann-Film braucht man neue Kameras aus dem „goldenen Westen“, von Arnold & Richter in München, sagten sie. Und für einen Thälmann-Film braucht man dann auch das passende Filmmaterial von Kodak sagten sie auch. Sie bekamen was sie wollten. Ohne, dass einer mit der Wimper gezuckt hätte. Und obwohl alle wussten, dass genau dieses Geld der real existierenden Volkswirtschaft fehlte. Was auch wieder für den Film ein Vorteil sein konnte, denn wir drehten in einer volkseigenen Görlitzer Eisengießerei einige Szenen aus den Dreißiger Jahren und mussten rein gar nichts verändern.
Wir waren mit unserem Film zwischen die Fronten geraten. Denn es gab im ZK der SED, das der eigentliche Auftraggeber des Werkes war, einige, denen ging schon diese Variante der Erzählung zu weit. Plötzlich waren auf den Tribünen wieder Genossen von damals zu sehen, die zwischendurch von den Fotografien verschwunden waren. Plötzlich saßen auch diese Genossen, wie Ernst Schneller, die es eigentlich nie gab, wieder mit Thälmann an einem Tisch im Karl Liebknecht Haus in Berlin und sprachen mit ihm, über all das, was da kommen sollte. Anderen wieder, ging der Film nicht weit genug. Die wollten mehr Wahrheit, mehr Kritik, mehr Auseinandersetzung. So kam es, dass eines Tages besonders aufwändig hergestellte Szenen im Kopierwerk „verdarben“. Die mussten dann noch einmal gedreht werden. Nicht ganz so aufwändig. Ging auch. Aber seitdem kam das Material vom Drehort direkt in den Tresor vom Kopierwerk. Und von dort nur mit dem Chef höchstpersönlich ins Chemikalien-Bad. In Görlitz blieb alles beim Alten. So lange es konnte. Bald konnte es nicht mehr. Wir kennen die Geschichte. Die Hotels Haus des Handwerks und Monopol in denen unser Drehstab wohnte, in denen war in den 90ern schon seit Jahren kein Mensch mehr. Damals aber war das Haus des Handwerks der Inbegriff von Vorkriegs-Charme. Riesige Badewannen und ein Tanzboden aus Glas, der von unten beleuchtet war. Ausgelassen waren die Stunden nach Drehschluss.
Nur die Taxi-Fahrer am Bahnhof gegenüber trübten eines Tages meine Stimmung. Eine junge Schauspielerin sicher auch um ihren Protest gegen diesen ideologisch-propagandistisch motivierten Film kundzutun – verpasste ihren Zug im Erzgebirge, um am nächsten Tag bei uns nicht wie geplant erscheinen zu können. An der Rezeption wurde ihre Nachricht entgegen genommen. Als ich schon in schönster Abendstimmung, nach einigem Meißner Wein, dort vor bei kam, sagte die Rezeptionistin zu mir: Da war ein Anruf. Ich rief zurück.
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Über den Autor: René Beder 1963 geboren in Bad Muskau geboren und in Cottbus aufgewachsen, macht Anfang der 80er Jahre ein Volontariat bei der DEFA. Als Regieassistent und Aufnahmeleiter arbeitet er dann Mitte der 80er Jahre unter bekannten Regisseuren wie Bernhard Wicki. 1990 nimmt er ein Studium der Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte auf. Kurz vor Abschluss nehmen die Dinge dann ihren Lauf, viele Angebote locken wieder praktisch zu arbeiten, zum Beispiel als Creative Consultant für “Kinder, Kader, Kommandeure” (Dokumentarfilm), eine Kissel/Wesnigk Filmproduktion. 1996 ist er Mitbegründer des ersten Berliner Stoffentwicklungsbüros. 1998 bekommt er den Bremer Dokumentarfilm Drehbuch-Förderpreis für “Charlotto, Paul und Ich” (Dokumentarfilm). Nach einigen Film-Produktionen im Dokumentarfilmbereich sieht sich René Beder nach neuen Herausforderungen um und bewirbt sich um die Teilnahme am 1-jährigen TV-Producer-Programm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Nach einem Ausflug ins Serienschreiben mit einer Ausbildung zum Storyliner bei der Grundy wird er Dozent für Dramaturgie- und Filmgeschichte am mediencollege in Dresden. Während dieser Zeit produziert er den vielfach preisgekrönten und für den Deutschen Kurzfilmpreis nominierten Film „Zur Zeit verstorben“ von Thomas Wendrich. René Beder arbeitet als Dozent, als Autor für Film und Verlage und als Produzent und Regisseur für Dokumentarfilme.
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Anmerkung der Redaktion:
Zum Inhalt des Filmes: Ernst Thälmann (1886-1944) war von 1924 bis 1933 Mitglied des Deutschen Reichstags und von 1925 bis 1933 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Der Film schilderte auf Basis der Geschichtsschreibung der SED Ereignisse im Leben Thälmanns im Zeitraum vom 1. Mai 1929 (“Berliner Blutmai”) bis zum 7. Februar 1933, dem Tag der illegalen Tagung des Zentralkomitees der KPD in Ziegenhals. Jener Zeitraum war im speziellen durch den Kampf der Kommunisten gegen den aufkommenden Faschismus geprägt. Thälmann hat gesagt: “Wer Hitler wählt, wählt den Krieg”. In sofern waren die Aktivitäten der Kommunisten gegen die Nazis auch immer gegen die Vorbereitung eines Weltkriegs gerichtet. Allerdings sollte sich zeigen, dass die Kommunisten unter der Führung Thälmanns allein nicht in der Lagen waren, die Faschisten in die Schranken zu weisen. Die Verhinderung der Machtergreifung Hitlers hätte nur durch eine Einheitsfront aller demokratischen Kräfte, insbesondere mit der SPD erfolgen können.
Die Autoren des Films beabsichtigten, “einen eindeutig politischen Film” zu machen, das heißt, einen wahrhaftigen, historischen Film von brennender Aktualität, der über dramatische Entscheidungssituationen erzählt.” (Zitat aus: “FF dabei”, Nr. 6/1986, Seite 6).
Ernst Thälmann wurde am 3. März 1933 von den Nazis verhaftet und nach elf Jahren Einzelhaft im August 1944 auf direkten Befehl Hitlers erschossen.