Die Volkskorrespondenz zum Wochenende
Heinz Ahlreip – 5. Februar 2022
105 Jahre Februarrevolution und ihr Einfluss auf die deutsche Arbeiterbewegung
1928 hat Hans Herzfeld in Leipzig ein Buch herausgegeben, das er mit dem Titel versah: `Die deutsche Sozialdemokratie und die Auflösung der nationalen Einheitsfront im Weltkrieg`. Darin wird auf S. 352 (im Anhang) eine am 9. April 1917 unter vier Augen stattgefundene Unterredung zwischen dem zentristischen Sozialdemokraten Haase und dem monarchistischen Chef des Kriegsamtes General Groener wiedergegeben. Zwei Tage zuvor hatte Lenin in Russland seine Aprilthesen verkündigt, in denen er die arbeitenden urbanen und ruralen Massen dazu aufrief, die bürgerlich-demokratische Februarrevolution überzuleiten in eine proletarisch-sozialistische. Darum konnte es in Deutschland in der Vier-Augen-Unterredung zwischen einem General und einem Sozialdemokraten natürlich nicht gehen. Worum ging es an jenem Apriltag? Der General unter dem Kommando von Ludendorff, der jeden Streikenden als Landesverräter bezeichnete, machte dem Sozialdemokraten klar, dass die ständig steigende Produktion von Kriegswaffen oberste Priorität habe. Alle Streiks, insbesondere zum und am 1. Mai, dem Weltfeiertag des internationalen Proletariats sind zu unterbleiben. Er werde von der Schusswaffe Gebrauch machen und Verhaftungen vornehmen lassen. Haase versprach, dafür zu sorgen, dass keine Streiks stattfinden werden. Der Sozialdemokrat bat aber zur Täuschung der Massen, diese Besprechung und sein Versprechen geheim zu halten.
In Russland lag also ein Kurs auf die rote Revolution vor, in Deutschland sorgte die SPD mit ihrem Chefideologen Kautsky für eine konterrevolutionäre Ausrichtung der SPD, und nicht nur sie allein, auch die rechten Gewerkschaftsführer und die meisten Führer der USPD gaben sich volks- und friedensfeindlich. Der USPD-Führer Dittmann ließ verlauten, dass uns der Druck der Massen zuwider sei. (Vergleiche Klaus Mammach, Der Einfluss der russischen Februarrevolution und der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf die deutsche Arbeiterklasse, Dietz Verlag Berlin, 1955,61). Wie war es möglich geworden, dass in dem industriell hochentwickelten Deutschland politisch die Dominanz einer Reaktion vorlag, offene Arbeiteraristokraten wie Dittmann das Wort führten, die sozialdemokratisch ausgerichtete Arbeiterklasse den imperialistischen Krieg in einem irrationalen chauvinistischen Taumel befürwortete, aber gegen den Hauptfeind im eigenen Land unter einem Burgfrieden zu Kreuze kroch; in einem Agrarland mit hoher Analphabeten-Quote die Weichen auf die proletarische Revolution, der tiefsten in der Weltgeschichte, gestellt wurde, also das Schauspiel einer Epochenverkehrung zu goutieren ist? Ganz richtig hatte der linke USPD-Abgeordnete Fleißner am 3. Juli 1917 im sächsischen Landtag feststellen müssen, dass heute Deutschland in politischer Beziehung das reaktionärste Land sei, nicht mehr Russland. Russland sei jetzt zum Vorbild für Deutschland geworden. (Vergleiche: Die Ursachen des Deutschen Zusammenbruchs im Jahr 1918, 5. Band, Berlin 1922,165). In der praktischen Politik wurde diese Weitsicht für Deutschland bitter bestätigt, In Russland eine Höherentwicklung der Weltgeschichte durch Lenin und Stalin, in Deutschland Liebknecht “auf der Flucht erschossen“ und Rosa Luxemburg tot im Landwehrkanal.
Begeben wir uns auf die Ursachenforschung. Im zurückgebliebenen Russland war es Lenin unter schwersten Opfern und Rückschlägen, Verrat durch Spitzel (wie Malinowski), Erschießungen, Verhaftungen und Folterungen gelungen, eine stahlharte Partei mit einem harten Kern von Berufsrevolutionären aufzubauen. Als am 25. Februar 1917 (jul.) durch den vom Krieg verursachten Hunger eine Revolution in Petrograd ausbrach, die den Zarismus stürzte, Generäle verhaftete und politische Gefangene befreite, eine Aktion, die die Bourgeoisie wie so oft in der Geschichte durch die eilends vollzogene Proklamierung einer ‘Regierung zur Rettung der Revolution‘ ausnutzte, war eine revolutionäre Kaderpartei vorhanden, die jedoch mit den rasanten Ereignissen nicht ganz Schritt halten konnte. Die historische Forschung bestätigt das, erst als Lenin im April aus dem Exil zurückkehrte, wurden die Konturen klarer und die politische Orientierung bewusst. Er hatte im Exil die Lage besser erfasst als die Kämpfer vor Ort, ohne Zweifel ein Beweis historischer Größe. “Die Revolution siegte, weil die Arbeiterklasse Vorkämpfer der Revolution war und die Bewegung der Millionenmassen der Bauern im Waffenrock – ‘für Frieden, für Brot, für Freiheit‘ – leitete. Die Hegemonie des Proletariats bedingte den Erfolg der Revolution“ (Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (B), Dietz Verlag Berlin, 1955,221).
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