Gastautor Rüdiger Rauls – 1. Februar 2022
Russland geht in die Offensive
Russland hat sehr klare Forderungen für die Sicherung seiner Interessen gestellt. Darin lässt es sich vom Diplomatengewusel und der Meinungsinflation des Westens nicht beirren. Was aber will der Westen? Worum geht es ihm? Was ist sein Ziel?
Russland lässt keine Zweifel gegenüber dem Westen aufkommen, dass es seine Sicherheit garantiert sehen will. Es stellt sich aber die Frage, ob die russische Führung tatsächlich daran glaubt, dass die NATO sich zurückziehen wird aus den Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts? Ist Putin so naiv oder pokert er nur, wohlwissend, dass er viel fordern muss, um viel zu bekommen? Oder aber werden wir gerade Zeuge des Beginns einer neuen Zeitrechnung?
Noch ist nicht klar, wie Russland reagieren wird auf die nichtssagenden und abgedroschenen Angebote des Westens, die sich seit Jahr und Tag wiederholen und in Moskau nur gelangweiltes Gähnen hervorrufen. Aber die russische Führung hat schon deutlich zum Ausdruck gebracht, dass man sich bezüglich seiner Sicherheitsinteressen vom Westen nicht ernstgenommen fühlt. Dennoch prüft man das Angebot noch und wird dann reagieren.
Das hört sich besonnen und selbstbewusst an, aber auch entschlossen. Man weiß, was man will und scheint auch zu wissen, wie man es durchzusetzen beabsichtigt. Aber eines ist klar und wurde von Moskau bisher immer wieder betont: Man will keinen Krieg und arbeitet auch nicht darauf hin. Anscheinend hat Russland andere Mittel, mit denen im Westen niemand rechnet und die außerhalb westlicher Vorstellungskraft liegen.
Aber die Russen scheinen nicht zu bluffen, sonst würden sie nicht immer wieder betonen, keinen Krieg zu wollen. Denn mit ihrer Absage an Kriegsabsichten nehmen sie sich gerade ein starkes Druckmittel gegenüber dem WestenMoskau und der Ukraine. Es ist der Westen, der ständig die Kriegsgefahr beschwört und zunehmend die Lage verschärft mit zusätzlichen militärischen Aufgeboten und Drohungen.
Will man damit einer Gefahr begegnen, von der man selbst nicht so hundertprozentig überzeugt ist, wie immmer wieder den offiziellen Verlautbarungen westlicher Politiker zu entnehmen ist. Einer eingebildeten Gefahr, die zudem von der Gegenseite immer wieder in Abrede gestellt wird? Was also will der Westen erreichen mit seiner seit Wochen heruntergebeteten Litanei: „Putin will Krieg“?
Dass man damit den Erkenntnissen und Darstellungen der Ukraine widerspricht, für deren Sicherheit man vorgibt, all diese Mühen, Gefahren und Konflikte mit Russland auf sich zu nehmen, interessiert den NATO-Westen anscheinend nicht. Deren Verteidigungsminister Resnikow kann keine wesentlichen Veränderung russischer Militärpräsenz innerhalb des letzten Jahres in einem Streifen von 200 Kilometern entlang der gemeinsamen Grenze erkennen. Wie auch immer geartete Vorbereitungen für eine russische Invasion, von denen die NATO-Vertreter ständig schwadronieren, kann der ukrainische Vertreidigungsminister nicht bestätigen (siehe dazu: „Alarm schlagen und beruhigen“ in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.1.22).
Ob sie der Ukraine mit ihrem Kriegsgeschrei nützen, interessiert die Herrschaften (und auch Damen) in Brüssel, Washington und den NATO-Hauptstädten anscheinend nicht. Stattdessen destabilisieren sie das Land noch mehr, weil das Krieggeschrei nur dazu führt, dass Investoren zusammen mit ihrem Geld der Ukraine den Rücken kehren. Warum sollten sie bleiben, wenn das US-Botschaftspersonal schon die Koffer packt?
All das hält die treibenden Kräfte in der NATO zwar nicht davon ab, die militärische Konfrontation zu steigern, offenbart aber auch Widersprüche und Bruchstellen in der westlichen Aufmarsch- Politik. Oder ist das westliche Kriegsgeschrei nichts weiter als die Mund-zu-Mund-Beatmung für die im Koma liegende NATO, deren Hirntod vor längerer Zeit bereits Frankreichs Macron festgestellt hatte? Unübersehbar ist das Bemühen der NATO, Einigkeit zu demonstrieren, jedenfalls wenn man den Worten derer glauben will, die das Bündnis am Leben halten und als eine Garantie für den Weltfrieden darstellen wollen.
In der Zwischenzeit ist China zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht aufgestiegen und einem Innovationstreiber, der dem Westen auf vielen Gebieten enteilt, die er lange Zeit für das eigene Hoheitgebiet gehalten hat. Er war sich sicher, dass ihm auf dem Gebiet von Forschung und Technologie so schnell keiner das Wasser reichen kann. Aber ohne China läuft inzwischen in der Welt und auch im Westen nichts mehr.
Mithilfe von Russland ist der Nahe Osten neu geordnet worden. In den Konflikten der Region tritt es als Vermittler der unterschiedlichen Interessen auf. Es versteht sich mit Israel und mit Syrien, mit den Saudis und mit dem Iran. In diesen Konflikten steht der Westen immer nur auf einer Seite und oftmals auf verlorenem Posten, weil auf der Seite der Verlierer. Ohne Russland wird sich auch die Lage in Libyen nicht beruhigen lassen.
Nach der Niederlage des Westens in Afghanistan droht ihm nun in Mali ein afrikanisches Debakel. Das Land hat zur Lösung seiner inneren Konflikten, die die gesamte Sahel-Zone durchziehen, die Pferde gewechselt. Russische Militärberater ersetzen die westlichen. Überflugrechte werden westlichen Militärtransportern verweigert und dänische Spezialkräfte mussten nach Aufforderung der neuen malischen Führung das Land verlassen (FAZ vom 29.1.22: Dänemark zieht Kräfte ab). Vermutlich sieht der Westen, was sich überall in der Welt zusammenbraut. Teilweise ist er machtlos, was die Vorgänge in der Sahel-Zone deutlich machen. Denn es dürfte unwahrscheinlich sein, dass man ein westliches Strafbatallion nach Mali schicken wird.
Es ist nicht klar, ob der Westen hinter all seinen Misserfolgen Russland und China als Verantwortliche ausgemacht hat. Aber man glaubt, diesen etwas entgegensetzen zu müssen. Jedoch werden Sanktionen immer stumpfer, immer häufiger meutern die Vertreter der eigenen Wirtschaft. Zudem hat Russland sich nach den Krim-Sanktionen auf westliche Finanzsanktionen vorbereitet und seine Verbindungen zum Dollar eingeschränkt.
Vielleicht ist der militärische Druck als das einzige brauchbare Mittel übrig geblieben, das der Westen in seinem Werkzeugkasten noch findet. Aber ob er sich den großen Krieg zutraut, über den nun viele phantasieren, dürfte angesichts der Misserfolge und der Kriegsmüdigkeit der eigenen Bevölkerung sehr zweifelhaft sein.
Aber wer weiß, wie weit der Realitätsverlust fortgeschritten ist. Russland will keinen Krieg. Das ist klar. Aber es ist auch noch nicht zu erkennen, was es stattdessen dem Westen entgegensetzen will. Jedenfalls machen seine Führer den Eindruck, dass sie Pläne haben statt leerer Phrasen für die Zeit nach dem Scheitern der Verhandlungen. Diese Souveräntät unterscheidet sie von der ziellosen Umtriebigkeit im Westen.
Die Zeit arbeitet für Russland und China. Aber eigentlich ist es nicht die Zeit, die für die beiden arbeitet, sondern die Bedürfnisse der meisten Menschen in der Welt nach wirtschaftlichem Wohlergehen, Frieden und einer freundlichen Zukunft für ihre Kinder.
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