Zum Gerichtsurteil gegen die Führer
der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung
Erklärung der Kommunistischen Partei Spaniens – Marxisten-Leninisten (PCE – ML)
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der die Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu langen Haftstrafen verurteilte, widerspiegelt das repressive Wesen des monarchistischen Regimes. Wenn der Präsident der jetzigen Regierung darauf beharrt, die Ansicht zu verbreiten, dass Spanien ein Beispiel von Recht und Ordnung sei, in dem Gleichheit vor Recht gehe und die Unabhängigkeit der Justiz herrsche, so ist es in Wahrheit so, dass der Urteilsspruch des Obersten Gerichtshofs eindeutig politisch ist. Die rechtlichen Argumente sind nur der Versuch, eine offensichtliche Tatsache zu verschleiern: Was verurteilt und unterdrückt wird, ist die Ausübung eines demokratischen Rechts, des Rechts auf Selbstbestimmung, das in zahlreichen Dokumenten der Vereinten Nationen enthalten ist.
Dieses Urteil, das durch die Schaffung eines tiefen Grabens zu Katalonien weitreichende politische Konsequenzen haben wird, stellt einen qualitativen Sprung bei der fortschreitenden Verschlechterung und Begrenzung der bürgerlichen Rechte und demokratischen Freiheiten in unserem Land dar. Spanien ist keine Demokratie. Es existiert ein künstliches Parlament, eine scheinbar demokratische Fassade, hinter der die Macht der Oligarchie steht, die außerhalb der und gegen die Interessen des Volkes regiert. Die Monarchie, Hinterlassenschaft Francos, ist nichts anderes als der Schlüssel zu einem korrupten System, das in den Jahren des sogenannten demokratischen Übergangs geschaffen wurde.
Wie andere strukturelle Probleme in Spanien kann die nationale Frage nicht im Rahmen des bestehenden konstitutionellen und politischen Rahmen gelöst werden. Die Rechte gefällt sich in einem falschen Patriotismus, der Steuerbetrug, das Verbergen von Kapital in Steueroasen und eine außer Kontrolle geratene Korruption bemäntelt. Spanien ist ihr Besitztum. Ihre Verteidigung von Spaniens Einheit ist nichts als die Verteidigung ihrer Klasseninteressen. Aber die institutionelle Linke bietet auch keine Lösungen an, weil ihr politischer Horizont von der 1978er-Verfassung begrenzt ist.
Die Brandreden von Ciudadanos, Vox und auch der Volkspartei (PP) gegen das katalanische Volk zeigen eine gefährliche Drift in der spanischen Rechten, ein Abgleiten in den offenen Faschismus oder in Richtung pro-faschistischer Positionen. Es ist notwendig, diese Positionen anzuprangern und zu bekämpfen. Der spanische Nationalismus versucht nur, durch das Schüren von Hass und Zwietracht, die Arbeiter zu spalten.
Das katalanische Bevölkerung hat das Recht, seine politische Zukunft frei zu wählen. Die PCE-ML verteidigt das Recht auf Selbstbestimmung der Nationen, das durch ein Referendum mit allen gesetzlichen Garantien ausgeübt wird. Aber diese demokratische Ausübung kann innerhalb der aktuellen politischen und verfassungsmäßigen Ordnung nicht verwirklicht werden. Es stimmt nicht, dass, wie die monarchistischen Politiker behaupten, im Rahmen der Verfassung alle Rechte verteidigt und alle Forderungen erhoben werden können, so lang sie friedlich zum Ausdruck gebracht werden. Die Repression, wie sie sich in Katalonien vollzieht, ist das offensichtlichste Indiz dafür, dass es nicht so ist.
Nur ein politischer Bruch mit der Monarchie, nur die Proklamation der föderativen Volksrepublik wird es den historischen Nationalitäten erlauben, über ihre Beziehungen in ganz Spanien zu entscheiden. Lasst uns die Volkseinheit schmieden, welche einem Regime, dass eine Million Spanier zu Arbeitslosigkeit und Armut verdammt, dass ihre Freiheiten verletzt und die nationale Souveränität durch Unterordnung unseres Landes unter den US-Imperialismus verpfändet, ein Ende setzt.
Die Kommunistische Partei Spaniens – Marxisten-Leninisten (PCE – ML) missbilligt dieses Urteil, das nur darauf abzielt, die demokratischen Rechte zu unterdrücken; sie fordert Freiheit für die katalanischen politischen Gefangenen und prangert die Unterdrückung an, welche der monarchistische Staat in Katalonien ausübt.
15. Oktober 2019
Exekutivkomitee der Kommunistischen Partei Spaniens – Marxisten-Leninisten (PCE – ML)
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Um dem geneigten Leser die Schubladisierung des Autors von vornherein zu erleichtern: Ich bin links. Immer schon und links von mir gibt es nicht mehr viele. Genau deswegen ist mir die Einordnung dieses Artikels wichtig.
Es ist unerträglich zu beobachten, wie oft rechte Parteien selbst bei sehr unterschiedlichen Auffassungen an einem Strang ziehen, während die Linke wieder und immer wieder in der Lage ist sich selbst zu zerfleddern, weil sie nicht in der Lage ist, Ideologie von Politik zu unterscheiden. Diese Phänomen liegt auch hier zugrunde.
Dieser Text müsste – nach den vielen schiefen Darstellungen des Katalonien-Konflikts in deutschen Medien – jetzt sieben Meter lang werden. Um niemandem eine solche Wall of text umhängen zu müssen, beschränke ich mich auf ganz wenige Fakten.
Fakt 1
In der Summe aller Zahlungen fliesst mehr Geld von Madrid nach Barcelona als von Barcelona nach Madrid.
Fakt 2
Katalonien hat deutlich mehr Autonomierechte in Spanien als Bayern in Deutschland.
Alle Parolen "Spanien raubt uns aus" oder "unsere Rechte werden geknechtet", die in Katalonien mit schöner Regelmässigkeit erscheinen, entbehren jeder faktischen Grundlage.
Was bleibt also?
Es bleibt die Jahrzehnte lange Hetze einer regionalistischen/nationalistischen Clique in Katalonien, die ausschliesslich eins zum Ziel hat: die wirtschaftliche Bereicherung genau dieser Clique. Über Jahrzehnte wurde die Bevölkerung indoktriniert, indem man Spanien als Feind definiert und die Opferrolle pflegt.
Es bleibt ausserdem das Versagen mehrerer spanischer Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten, die dieses Problem lieber auf die lange Bank schoben als es aktiv anzugehen. Dafür nur ein einziges Beispiel von hunderten: Stellen Sie sich vor, die bayrische Landesregierung würde heute festlegen, dass Bayrisch ab sofort die einzige Unterrichtssprache in allen Fächern an bayrischen Schulen wäre und Deutsch nur noch ein paar Stunden pro Woche als Fremdsprache gelehrt würde. Klingt skurril? Genau das aber ist schon vor etlichen Jahren in Katalonien passiert. Wer seitdem zum Beispiel aus irgendeiner anderen Region Spaniens von seiner Firma nach Katalonien versetzt wurde, musste mit ansehen, wie seine Kinder in der Schule nur deswegen schlechte Noten bekamen, weil sie die Sprache nicht beherrschten und Spanisch nicht ausreichte. Solche Dinge darf eine Zentralregierung nicht einfach laufen lassen – weder in Berlin noch in Madrid. Wer Regionalisten oder Nationalisten ständig den kleinen Finger reicht, wird immer erleben, dass sie nicht nur die ganze Hand nehmen sondern beide.
Der Artikel ist in sehr wenigen Punkten zutreffend, aber wenigstens in diesem: Die spanische Verfassung lässt ebenso wenig wie die deutsche und viele andere zu, dass sich eine Region mittels Referendum abspaltet. Das ist allein durch eine Verfassungsänderung möglich – schwierig aber nicht unmöglich.
Und jetzt zur Praxis und der geradezu lächerlichen Aufforderung in dem Artikel dort oben: "Lasst uns die Volkseinheit schmieden …"
Nach Jahrzehnte langer Indoktrination ist die Bevölkerung in Katalonien in der Tat gespalten. Niemand weiss genau, ob 51 Prozent eine Unabhängigkeit befürworten oder doch nur 49 Prozent. Lassen wir das also auch hier unbeantwortet. Aber ich hätte dann schon gern gewusst, was mit derjenigen Hälfte in Katalonien ist, die sich unbedingt als Spanier begreifen und das unbedingt auch bleiben wollen. Siedeln wir dann ein paar Millionen um?
Noch eine Frage: In den Regionen Barcelona und Tarragona (als Kunstwort inzwischen "Tabarnia" genannt), ist die weit überwiegende Mehrheit für einen Verbleib Kataloniens im spanischen Staat. Sollten wir jetzt ein Unabhängigkeits-Referendum zulassen und falls 51 Prozent für die Unabhängigkeit Kataloniens stimmen (das war auch in Grossbritannien sehr erfolgreich und hat für echte Harmonie gesorgt, das nur nebenbei), organisieren wir dann für Tabarnia gleich danach ein Referendum, weil die Selbstbestimmung der Völker dafür sorgt, dass wir ihnen eine Abspaltung von Katalonien nicht verweigern dürfen?
Mehr Fragen: Jedem in Deutschland dürfte die baskische Terror-Organisation ETA noch im Ohr klingen (das einzige Bundesland Spaniens, das noch mehr Autonomierechte hat als Katalonien). Wenn wir Katalonien die Unabhängigkeit zugestehen, müssen wir das gleich danach auch den Basken, den Galiziern und den Canarios erlauben, wo es ebensolche verstrahlte Regionalisten gibt, die sich als "Volk" sehen Oder nicht?
Jeder, der ein Referendum befürwortet, das nicht verfassungsgemäss ist, muss (!) eine Unabhängigkeit Bayerns oder Hessens von Deutschland ebenso befürworten, wenn diese Forderung erhoben wird. Ich will diese Idee niemandem ausreden, frage mich aber schon, ob die Anforderungen unserer Zeit eher grössere oder eher kleinere Einheiten verlangen. Ob es – abgesehen vom juristischen Rahmen – nützlich oder schädlich ist, wenn morgen Katalonien, Pais Baskenland, Galizien, Venezien und Südtirol, Padanien und Sardinien als neue Staaten entstehen, wenn Flamen und Wallonen ihren eigenen Staat bilden, weil ja (schiefes Zitat, aber das steht da so) "Das katalanische Bevölkerung hat das Recht, seine politische Zukunft frei zu wählen", dann auch jedes andere … die anderen Beispiel spare ich mir an dieser Stelle.
Solange nicht wenige Linke Ideologie vor Politik setzen, wird es nichts mit der Umsetzung sozialistischer Vorstellungen. Reisst euch endlich mal zusammen und verteidigt nicht ausschliesslich ideologisch fundierte Hirngespinste sondern macht endlich Politik!