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Rezension über ein eigenes Buch

crossing the river

Ist es ungehörig, die eigene Autobiographie zu rezensieren? Jedenfalls ist es ungewöhnlich. Ich wage es dennoch, weil das Buch nicht nur eigene Erlebnisse schildert, sondern relevante Probleme der Gegenwart aus dem Blickwinkel eines Amerikaners darstellt, der Aufstieg wie Untergang der DDR erlebt hat und darüber seinen Landsleuten in den USA erzählen will. Und auch deswegen, weil das Buch bisher nicht in Deutsch erschienen ist.

Zuerst muß ich allerdings erklären, wieso ein Junge aus gutem jüdischem Heim in New York 1952 in den Resten seiner US-Army-Uniform bei Linz über die Donau schwamm und sich in die Hände der Sowjetarmee begab, die ihn dann in die DDR brachte. Heute wissen nämlich nur wenige Menschen etwas von den nordamerikanischen Kommunisten in den 1930er Jahren. Während der Krise waren sie führend daran beteiligt, Arbeitslosenverbände und kämpferische, demokratische Industriegewerkschaften zu mobilisieren. Sie standen vorn im Kampf um Altersrente, Arbeitslosenversicherung und Arbeitszeitverkürzung auf 40 Stunden, ja, um das Recht, überhaupt in eine Gewerkschaft einzutreten. Auch im Kampf gegen Rassismus ging die KP voran, sogar im blutigen Süden. Ihre Zeitung war die treibende Kraft, als darum gerungen wurde, in den Baseball-Oberligen Barrieren gegen Afroamerikaner abzureißen.

Mich als politisch frühreifen Schüler beeindruckte stark, daß Kommunisten sich 1936-39 mutig für Spanien einsetzten, oft mit dem Leben, als die Republik und ihre demokratisch gewählte Regierung von Franco, Hitler und Mussolini angegriffen und von allen Ländern außer Mexiko und der UdSSR verraten wurden - womit für die Faschisten der Weg nach Warschau, Paris, Coventry und Auschwitz frei war. In der Allianz von USA und UdSSR gegen Nazi-Deutschland konnten die nordamerikanischen Kommunisten zeitweilig starken Einfluß nehmen. Als dann der Kalte Krieg begann, gehörte ich zu dem immer kleiner werdenden Kreis derer, die Kommunisten blieben - was unerwünscht, wenn nicht gar ungesund war. Am Ende landete ich buchstäblich im kalten Wasser. Und kurz danach in der DDR.

Da wurden manche Träume und Glaubenssätze auf schwere Proben gestellt. Auf meinem Weg von der Arbeit in einer Fabrik über das Studium an der Leipziger Fakultät für Journalistik (ich bin der Einzige, der sowohl an der Harvard- als auch an der Karl-Marx-Universität studiert hat) in die Ostberliner Medienwelt mußte ich feststellen, daß es auch im sozialistischen Staate mehr als genügend Dogmatiker, Heuchler, prinzipienlose Streber und einfache Dummköpfe gab, häufig gerade dort, wo sie großen Schaden anrichten konnten. Wie oft raufte ich mir die dünner werdenden Haare bei Fehlentscheidungen, unnötigen Härten und langweiligen Reden in der Tagespresse oder der »Aktuellen Kamera«. In meinem Buch aber schrieb ich und erzählte es meinen Landsleuten während der langen Lesereise, warum ich, ohne je unkritisch zu sein, der DDR immer treu blieb und warum ich bedauerte, daß die DDR geschlagen wurde - nur zum Teil durch die eigenen Schwächen und Fehler oder gar die des Sozialismus.

Meine Position ruhte auf drei Haupteinsichten. Sobald ich über die Westgrenze blickte, sah ich, daß die Landschaft nur so schwirrte von Globkes und Lübkes, Kiesingers und Filbingers, Tausenden von Richtern, Diplomaten, Generalen, Ministern, Staatssekretären und Wirtschaftsbossen aus dem Dritten Reich, darunter beispielsweise Generalleutnant Trautloft, der Guernica bombardiert hatte. Meinerseits der Elbe dagegen fand ich andere Verhältnisse, wo ich auch hinkam: Der Dekan meiner Fakultät (Hermann Budzislawski, zeitweilig Herausgeber der Weltbühne); meine Professoren; der Chef bei meiner ersten Stelle, Walter Czollek, Chef des Verlags Volk und Welt, wo ich meine erste Stelle erhielt; der Chef des Rundfunks, wo ich später arbeitete, Gerhard Eisler; der Präsident der Akademie der Künste, meiner letzten festen Arbeitsstelle, Konrad Wolf - alle waren sie Antifaschisten (oft auch, wie ich, "säkulare" Juden). Theater, Bücher, Film und Leben in der DDR reflektierten diese Verhältnisse. Auch wenn ich mit manchen stritt, war ich froh, daß sie 1933-1945 auf der richtigen Seite gestanden hatten. Unbelehrbare Nazis hielten wohlweislich die Schnauze.

Meine zweite Einsicht: Während die Herren in Bonn jeden schmutzigen Diktator in der Welt, von Verwoerd in Apartheid-Südafrika bis Pinochet in Chile, mit Geld, Handel und Prestige überhäuften, vorausgesetzt, auch Washington war dafür, unterstützte die DDR den African National Congress, Allende und etliche um ihre Befreiung kämpfende Völker von Algerien, Palästina und Vietnam bis El Salvador und Nikaragua.

Und drittens: Trotz ewiger Knappheit, trotz immer neuen Ärgernisse und ­ Fehlentscheidungen schaffte es die DDR, ihren Bürgern Erstaunliches zu bieten. Krippen, Kindergärten, Ganztagschulen und Sommerferienlager für alle Kinder, unentgeltliche Hochschulbildung mit Stipendien. Sämtliche ärztliche Kosten wurden übernommen, Exmittierungen waren verboten. Über allem stand die Verheißung, die damals wenig geschätzt wurde, heutzutage desto mehr: Arbeit für alle! Nicht immer so produktiv? Geschenkt! Nicht immer durchorganisiert? Gewiß! Doch konnte jeder und jede eine Stelle finden und unter Kollegen arbeiten, niemand saß bedrückt zu Hause zwischen den Stempelgängen.

Verklärte Ansichten? Ich gebe zu, mein Buch hat eine Tendenz. Ich fand es schwierig, sie Lesern zu vermitteln, die mit der DDR nur zwei Begriffe assoziierten: Mauer und Stasi (vielleicht auch gedopte Sportler). Ich wollte zeigen, daß für die meisten Menschen in der DDR das Leben viele normale Seiten hatte, wie ich bei Besuchen in fast allen Ecken des Landes feststellte - nicht als Privilegierter oder Tourist (ich war wohl der einzige Amerikaner der Welt, der Trabant fuhr). Engagiert für den Sozialismus war ich immer, blauäugig oder gar blind jedoch nie, und so zeige ich in meinem Buch auch Schattenseiten der DDR.

Die Reise führte zu Buchhandlungen, Sendern, Hochschulen. Die Fragen und Kommentare, die ich zu hören bekam, waren selten feindselig, eher neugierig. Eine ganz andere Sorge drängte sich immer wieder in die Diskussion: Können wir Bush loswerden? Als ich von den Schwierigkeiten vieler Ostdeutscher sprach, sich auf dem "Freien Markt" zurechtzufinden und zu behaupten, nickten sie über die erkannten Ähnlichkeiten. In nicht wenigen Augen, oder bilde ich mir das nur ein, las ich die fast wehmütige Frage: "Werden wir es jemals schaffen, ein menschlicheres Land je erreichen, auch was die Arbeit betrifft, was die Armut betrifft, was Krankenversicherung, horrende Hochschulkosten und schließlich den Frieden betrifft?" Ich bleibe Optimist, trotz alledem.

© Victor Grossman

Erschienen in Ossietzky 15/2004 zurück/back

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Letzte Änderung: 2010-01-31