Intro.de 26.10.2004

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Dean Reed

Ein Cowboy im Plaste-Paradies

Stefan Ernsting, Der Rote Elvis, Kiepenheuer, 380 S., EUR 22,50

Intro 26.10.2004

Im Westen ist er bis heute völlig unbekannt, in der DDR dagegen kannte ihn jedes Kind: Dean Reed war der vielleicht einzige Ami, den die DDR-Bürger je live zu Gesicht bekommen haben. In den DDR-Western spielte er den feschen Cowboy, der als einziger Jeans aus dem Westen trug, als Sänger trat er in Shows wie "Ein Kessel Buntes" auf und ließ die Frauen dahinschmelzen. Aber wie kommt ein Landei aus Colorado in die DDR? Für genau diese Frage hat sich in den letzten Jahren auch der Westen zu interessieren begonnen. Unter dem Titel "Der Rote Elvis" ist gerade eine große Dean-Reed-Biografie beim Kiepenheuer-Verlag erschienen, geschrieben von einem lupenreinen Wessi, Stefan Ernsting, einigen vielleicht noch als Autor des seligen Gags&Gore-Fanzines bekannt. Parallel hierzu entstand ein Dokumentarfilm zu Dean Reed, der 2005 in ausgewählte Kinos kommen wird. Und sogar Hollywood hat den vielleicht einzigen kommunistischen Cowboy der Welt inzwischen als Filmstoff entdeckt.

intro.de 26.10.2004

Was macht Dean Reed überhaupt so interessant? Die Filme, in denen er mitgespielt hat? - Nicht wirklich. Seine Musik? - Um Himmels willen. Die strotzt nur so vor Schmalz und in Schlagerkitsch getränktem Sozialismus-Pathos. Schon auf den ersten Seiten seines Buches merkt Ernsting an, dass Dean Reed es nie geschafft habe, "die eigene künstlerische Mittelmäßigkeit zu überwinden." Im Gespräch erklärt er: "Reed hatte ja Reisefreiheit, war oft im Westen und hat sicher mitbekommen, was dort alles musikalisch passiert ist. Aber es hat ihn nicht interessiert. Er war völlig in seiner fröhlichen Fünfziger-Jahre-Blase gefangen. Seine Lieblingsmusiker waren Kenny Rogers und John Denver. Daran hat sich nie etwas geändert."

Der Künstler Dean Reed ist nicht besonders faszinierend, sehr wohl aber sein Leben. Man mag es als Kuriosum bezeichnen, doch genau darin liegt der Stoff begründet, nach dem sich Hollywood die Finger leckt - von Dean Reeds ausgedehnten Touren in die russische Provinz, wo er selbst noch am "hintersten Uralzipfel" seine SED-geprüften Country-Schnulzen zum Besten gab, bis hin zu seinem ungeklärten Tod: In Juni 1986 fand man seine Leiche im Zeuthener See. Der Tote war trotz glühendheißer Temperaturen mit zwei Jacken ins Wasser gestiegen. Die DDR-Medien gaben den Tod des guten Schwimmers als tragischen Unfall aus, in der Sunday Times wurde dagegen die Frage gestellt: "US-Popstar von 'DDR'-Geheimdienst ertränkt?" Doch welches Interesse hätte der Geheimdienst am Tod einer seiner linientreusten Künstler haben sollen? Ein inzwischen veröffentlichter Abschiedsbrief legt nahe, dass es sich um einen aus privaten Gründen verübten Selbstmord handelte. Dem bis zum Lebensende überzeugten Kommunisten ist so zumindest die Wiedervereinigung erspart geblieben - und mit ihr eine Zukunft als abgehalfterter Entertainer auf vom HL-Markt veranstalteten Parkplatz-Festen. Der "jugendfreie Elvis" hatte sich in den USA eher erfolglos als Schauspieler und Musiker versucht, bevor er 1971 im Rahmen des Leipziger Dokumentarfilmfestes in der DDR eintraf, wo man Reed bereits wegen seines politischen Engagements in Chile und Argentinien kannte. In den 1950ern war Reed noch ein ganz normaler US-Jugendlicher, ein Elvis- und Western-Fan, doch eine Tour durch Südamerika hatte ihn schlagartig politisiert: "Seine Reisen durch Chile und das restliche Südamerika führten ihm vor Augen, dass es Menschen gab, die in bitterster Armut lebten, während in Kalifornien jedes Haus eine Klimaanlage betreiben konnte." Fortan war sein politisches Engagement in den USA - etwa gegen den Vietnamkrieg - wesentlich gewagter als seine künstlerische Leistung. Doch genau diese Mischung aus spießigem Schlager und ungetrübter kommunistischer Überzeugung, die Reed in den USA keinen Blumentopf einbringen sollte, war geradezu auf die DDR-Mentalität zugeschnitten. Reed wurde dort zum amerikanischen Superstar zurechtgebogen, der seinem Land den Rücken kehrte, obwohl er "eine Nr. 2 in den US-Charts" hatte. In Wahrheit handelte es sich dabei lediglich um die Top 50 eines kleinen Senders aus Denver, Colorado. Kurzum: Die DDR machte aus Dean Reed einen Mythos, und Dean Reed spielte mit. Immerhin sah er gut aus. "You're the most beautiful man in the world", sprach ihn seine spätere Frau Wiebke auf dem Leipziger Filmfest an. Es war der einzige englische Satz, den sie kannte. Und er sollte Wirkung zeigen. Ein gutes Jahr später war er es, der Wiebke in Moskau bei Kaviar einen Heiratsantrag machte. Die Liebe mag ein Grund für Reed gewesen sein, in der DDR zu bleiben, ein anderer war, dass seine Überzeugung ganz dem SED-Kurs entsprach. Gesinnungs-Schlager wie "Wir Sagen Ja" von 1973 passten in den Kurs eines Staates, für den jegliches musikalisches Experiment einen Ausdruck "westlicher Dekadenz" darstellte. Obwohl Dean Reed erheblichen Einfluss auf die Kulturbehörden der DDR hatte, setzte er sich nicht für den damals neu entstandenen Rock-Underground in der DDR ein. Reeds aus Colorado importierter Konservatismus entsprach ganz der DDR-Auffassung von Kunst und macht nachträglich deutlich, dass es mitten im Kalten Krieg kaum einen mentalen Unterschied zwischen Rednecks und Staatssozialisten gegeben hat. Beim Besuch einer Ausstellung moderner Kunst in Leningrad war Reed regelrecht explodiert: "Das ist doch Schmiererei. Jedes Kind könnte so was malen", hatte er ausgerufen und das Museum verlassen, um vor lauter Wut über diesen "Landesverrat" ohne Mantel durch die Stadt zu stapfen. Spätestens an dieser Stelle kommen einem die Zeilen eines Songs von Knarf Rellöm in den Sinn: "Das war kein Sozialismus - das war Spießerkram." Ein Heuchler ist Dean Reed jedoch nie gewesen. Sein Leben folgte ganz dem Glauben an die "eine Lehre". Nur so erklären sich auch seine Statements über Marxismus-Leninismus als einziger "menschlicher Philosophie", die Walter Ulbricht nicht salbungsvoller hinbekommen hätte: "Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Kommunisten, so schwer und opferreich ihr Kampf mitunter ist, stets heiter, optimistisch sind."

Peter Ernstings Buch über Dean Reed zeigt Widersprüche auf und idealisiert nichts. Distanz ist seine Stärke. "Nun ja", gesteht Ernsting lachend ein, "es gab ja auch nichts zu idealisieren." Umso erstaunter war er selbst, als anlässlich der Neueröffnung des Palastes der Republik die Veranstalter bei ihm anklingelten. Sie wollten wissen, ob er ihnen ein Dean-Reed-Double für die Feierlichkeiten vermitteln könne.

Dean Reed und Hollywood

Nachdem bereits Martin Scorsese, Blake Edwards und Police-Drummer Steward Copeland zeitweise über eine Verfilmung nachdachten, hat sich nun Tom Hanks der Geschichte angenommen. Sein Regiedebüt wird voraussichtlich unter dem Titel "Comrade Rockstar" anlaufen, produziert von Steven Spielberg. Die Firma Dreamworks hat sich hierzu alle Exklusivrechte an Aussagen von Zeitzeugen gesichert.

DDR-Rock-Underground

Unter Honecker war es Anfang der Siebziger zu einer gewissen musikalischen Liberalisierung gekommen. Landeseigener Rock wurde in Auflagen bis zu 250.000 Stück verkauft. Dank eines Open-Air-Konzerts in Altenburg kam es 1976 zur Zäsur: Nach einer Auseinandersetzung zwischen "Gammlern" und Polizei beschloss die SED, die Verbreitung von Rockmusik wieder stärker zu kontrollieren.

Stefan Ernsting Der Rote Elvis Kiepenheuer, 380 S., EUR 22,50

Martin Büsser

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Letzte Änderung: 2006-11-19