Premiere des Films "El Cantor" |
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am 11.12.1977 im Berliner Filmtheater KOSMOS
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Er sieht aus wie ein Vater, der mit seinen Kindern spazierengeht. Die Jungen und Mädchen haben erst etwas beklommen von der Bühne ins Publikum geblickt. Mit acht, zehn, zwölf Jahren ist man nicht gewöhnt, dass einen tausend Augenpaare ansehen. Das ist etwas anderes, als vor der Kamera sich selbst zu spielen. Die Kinder sind kleine Chilenen, die in einem Film mitgewirkt haben, der dem Kampf ihres Volkes gewidmet ist. Doch bald verlieren die Kinder ihre Hemmungen. Denn der Mann neben ihnen lässt sie vergessen, dass sie auf einer Bühne stehen. Er ist genauso natürlich wie in den Tagen, als er mit ihnen gefilmt hat. Er ist ihr großer Freund. Dieser Dezembertag des Jahres 1977 ist ein besonderer Tag für Dean Reed. Sein Film "El Cantor" hat Premiere. Er hat für diesen Film des Fernsehens der DDR gemeinsam mit Wolfgang Ebeling das Drehbuch geschrieben, hat die männliche Hauptrolle gespielt und Regie geführt. Das war eine anstrengende Arbeit, aber daran denkt Dean in diesen Minuten nicht. Denn der Film, den er gemacht hat, ist für ihn mehr als ein Film. Er ist für ihn ein Tribut, den er einem toten Freund zollt. Er erzählt die Geschichte eines Sängers der Revolution, der für seine Ideale gestorben ist. Er ist dem von den chilenischen Faschisten ermordeten Sänger Victor Jara gewidmet. Dieser Film soll kein Denkmal sein. Kein Denkmal zumindest, zu dem man aufblickt, das man pietätvoll betrachtet, vor dem man ehrfürchtig erschauert. Deans Absicht ist es, das Bild eines Menschen zu zeichnen, der geliebt und gehasst hat, traurig war und voller Freude, ernst und heiter. Denn das ist seine Überzeugung: wahrhaft menschlich sein kann nur ein Mensch, der in allem, was er denkt, fühlt und tut, ganz einfach und natürlich ist. So ein Mensch war für ihn Victor Jara, und deshalb verehrt er ihn nicht nur, sondern liebt ihn. Die Kinder, die in Deans Film mitspielen und die er nun dem Premierenpublikum vorstellt, haben das sehr gut verstanden. Ihre Gefühle sind ehrlich und stark. Dean erzählt den Menschen im Saal von einem Brauch, den Chiles Revolutionäre gepflegt haben, als sie sich nach dem Wahlsieg Dr. Allendes Tag für Tag mit der Reaktion auseinandersetzen mussten. "Ein Lied ist damals auf allen Versammlungen erklungen", sagt er. "Es heißt: Wer nicht springt, ist ein Faschist!" Eigentlich ist das kein richtiges Lied, sondern eine Parole, die rhythmisch skandiert wird. Doch wenn Hunderte und Tausende Chilenen in diesen Chor einfielen, bekamen die Worte Feuer, Temperament, ja Musikalität. Das rührte daher, dass sie eine allen verständliche Wahrheit verkündeten. Wer in Chile nicht springen konnte, das waren nur die Reichen, die genug zu essen hatten. Dean und die Kinder haben sich an den Händen gefasst. Sie springen im Takt in die Höhe. "Wer nicht springt, ist ein Faschist!" klingt es von der Bühne des Berliner Filmtheaters "Kosmos". Bald schallt es von allen Plätzen: "Wer nicht springt, ist ein Faschist." Für die Männer und Frauen im Saal ist das ungewohnt. Eine solche Form des Klassenkampfes haben sie noch nicht kennengelernt. Hier braucht niemand zu hungern, hier essen die Menschen gut, ja, zu gut manchmal. Doch daran denkt in diesem Augenblick keiner. Jeder springt, und das Kino dröhnt und zittert von dem Gestampfe. "Wer nicht springt, ist ein Faschist!" Die kleinen Chilenen auf der Bühne sind ausgelassen, lachen, freuen sich. So Schreckliches diese Emigrantenkinder auch erlebt haben, sie sind nicht mutlos geworden. Dean Reed, Aus meinem Leben. Aufgeschrieben von Hans-Dieter Bräuer; 2. aktualisierte und erweiterte Auflage; Edition Peters, Leipzig/Dresden 1984; S. 80 f |
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