Im Land der Unidad Popular |
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In diesen ersten Wochen des Jahres 1971 erstrahlt der alte LKW in neuem Glanz. Auf den Brettern rings um die Ladefläche zieht sich ein bunter Fries. Eigenwillig miteinander verwoben wie auf einem Bild von Picasso prangen Gesichter, Leiber, geballte Fäuste, und mittendrin leuchten über dem Blau-Weiß-Rot der Flagge Chiles in großen Lettern die Worte Unidad Popular. Das Auto ist auf seine alten Tage von einem pfiffigen Automechaniker wieder flottgemacht worden und dient nun der CUT, der fortschrittlichen Gewerkschaft, als fahrbarer Agitationswagen. Heute parkt das alte Gefährt an der Scheidelinie zwischen dem Santiago der Reichen und dem Santiago der Armen. Es steht gerade noch auf dem letzten Stück der Asphaltstraße, die sich entlang einer Reihe von Hochhäusern in Richtung Stadtzentrum hinzieht. Auf der anderen Seite wirbelt der Wind Unmengen von Staub auf, der alles mit einem gelbbraunen Schleier bedeckt. Dort beginnt einer der Slums der Hauptstadt. Dort wohnen die Menschen, die auf die Unidad Popular bauen. Das Auto ist zur Tribüne geworden. Es ist von Hunderten von Menschen umringt. Sie sind gekommen, um zu hören, was ihre Regierung für sie tun will. Es ist eine kämpferische Versammlung. Denn die Genossen auf der mobilen Tribüne können keine Versprechungen machen.Sie sagen, dass die Regierung Allende eine zerrüttete Wirtschaft übernommen hat. Sie sagen, dass die Manager der ausländischen Konzerne, die Chile aussaugen, die Produktion sabotieren. Sie sagen, dass die Arbeiter ihren Chefs auf die Finger sehen müssten. Sie sagen, dass sie darauf gefasst sein sollten, sich gegen Überfälle der Rechten zu wehren. Das einzige, was sie versprechen, ist Kampf. Die Leute rings um das Auto sind nicht mit allem einverstanden, was gesagt wird. Zwischenrufe werden laut, Fragen gestellt: Die Versammlung besteht nicht aus Referat und anschließender Diskussion, sondern ist mehr ein Gespräch, ein Erfahrungsaustausch zwischen Gleichgesinnten. Gerade das ist es, was alle optimistisch stimmt. So etwas hat es in Chile noch nie gegeben. Und so singen alle mit, als einer der Männer auf dem Auto zur Gitarre greift und ein Lied anstimmt, das davon spricht, dass alle Compañeros zusammenstehen müssten, um das neue Chile aufzubauen. Dieser Mann ist Dean Reed, ein Gringo zwar, wie die Yankees in Lateinamerika genannt werden, doch für die chilenischen Arbeiter ist er kein Fremder, kein Feind. Die Leute aus den Slums von Santiago wissen, dass Dean in ihr Land gekommen ist, um seine Solidarität zu beweisen. Sie wissen, dass er dafür keinen einzigen Escudo nimmt. Sie wissen, dass er das tut, weil er ihre Sache zu seiner eigenen gemacht hat. Vier Monate lang singt Dean für die Unidad Popular. Die Bühnen, auf denen er steht, haben keine Flitterkulissen und werden nicht von buntem Scheinwerferlicht bestrahlt. Deans Bühnen sind Vehikel wie das vom Schrottplatz geholte ehemalige Müllauto, sind Versammlungsräume in Gewerkschaftshäusern, sind Maschinen, auf die er sich in den Werkhallen stellt, sind Erzloren in den Bergwerken, sind die Flure von Gefängnissen, in die er mit seinen Freunden von der Unidad Popular gegangen ist, weil er und sie wissen, dass die kleinen Diebe, die hier sitzen, meist nur straffällig geworden sind, weil sie bittere Not gelitten haben. Vier Monate ist Dean mehr Agitator als Sänger. Denn was er singt, das ist das in poetische Worte gefasste, in packendem Rhythmus vorgetragene Programm der Unidad Popular. Es sind die Lieder der Revolution, es sind die Lieder des Volkes. Dean Reed, Aus meinem Leben. Aufgeschrieben von Hans-Dieter Bräuer; 2. aktualisierte und erweiterte Auflage; Edition Peters, Leipzig/Dresden 1984; S. 89 ff |
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