Kollektive Austrittserklärung von 80 Genossen
Warum wir uns entschieden haben, aus der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) und der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) auszutreten
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Genossinnen und Genossen,
hiermit erklären wir unseren politisch motivierten, kollektiven Austritt aus SDAJ und DKP. Es handelt sich hierbei um einen Entschluss von Genossinnen und Genossen aus der SDAJ, die als folgerichtigen Schritt auch die DKP verlassen. Wir sind in der Mehrheit langjährige Mitglieder, die in allen Gliederungsebenen des Jugendverbandes – vom Gruppen- bis zum Bundesvorstandsmitglied – und in Grundorganisationen der Partei auf einen Bruch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen hinwirkten. Weil wir diesem Ziel treu bleiben wollen, müssen wir die Treue mit beiden Organisationen brechen.Die Klärung wichtigster Grundsatzfragen innerhalb der Organisationen und die Entwicklung einer revolutionären Praxis war zu unserem großen Bedauern nicht mehr möglich.
Wir haben uns die Entscheidung zum Austritt aus den beiden Organisationen nicht leicht gemacht und alles versucht, um eine revolutionäre Ausrichtung herbeizuführen. Viele dürften nun auch über den Zeitpunkt dieses Schrittes überrascht sein. Deshalb wollen wir im Folgenden ausführlich unsere Gründe für den Austritt, seinen Zeitpunkt und die notwendige Gleichzeitigkeit des Austritts aus beiden Organisationen darlegen, sowie einige Ideen skizzieren, wie es nach dem Austritt weitergehen kann. Wir hoffen damit nach dem ersten Schock, der Wut und der Enttäuschung auf Verständnis zu stoßen, auch wenn eine große Mehrheit unsere Einschätzungen nicht teilen wird. Die Auseinandersetzungen, die uns schließlich zu diesem Schritt geführt haben, laufen schon seit einer ganzen Weile und finden ihre Pendants in den Strategiedebatten innerhalb der internationalen kommunistischen Bewegung.
Ein gutes Vierteljahrhundert nach dem Sieg der Konterrevolution in Europa, nach der Zerstörung einer Reihe kommunistischer Parteien durch den rechten Opportunismus, befinden wir uns in einer Phase des Rückgangs kommunistischer Organisierung in der BRD und in einer tiefen ideologischen Krise. Wir sind schlecht aufgestellt, das dürfte kaum bestritten werden. Wir sind der Auffassung, dass in dieser Phase ein politischer Klärungsprozess in Verbindung mit der Entwicklung einer politischen Praxis, die an der Lage und am Interesse der Arbeiterklasse ausgerichtet ist, nicht nur dringend notwendig ist, um zu einer Bewegung mit Masseneinfluss zu erstarken, sondern geradezu eine Überlebensnotwendigkeit für die kommunistische Bewegung darstellt. Am Ende dieses Prozesses muss ein Programm stehen, in dem eine revolutionäre, den heutigen Verhältnissen angemessene Strategie als Grundlage des Aufbaus der kommunistischen Partei in Deutschland dargelegt ist.
Die Weigerung, die notwendigen grundsätzlichen Diskussionen strukturiert zu führen, wie wir es in beiden Organisationen erleben, kann nicht länger akzeptiert werden.
Ein blindes Festhalten an alten Konzepten, ein traditionalistisches Nachahmen überholter Orientierungen und eine unsachgemäße Überschätzung der eigenen Relevanz darf es im Wiederaufbau der kommunistischen Bewegung nicht geben.
Sonst würde unser politischer Vorschlag unglaubwürdig werden, wir würden unsere Fehler und Schwächen nicht analysieren und beheben und wie bisher nur wenige Menschen inspirieren können, den Weg mit uns gemeinsam zu gehen. Mit dem jüngsten Austritt der Parteirechten, die sich um die Bezirksorganisation Südbayern gruppieren, beweist sich, dass dieser zentristische Kurs noch nicht einmal dem vom Parteivorstand erklärten Ziel gerecht wird, die Partei auf Kosten der inhaltlichen Klarheit zusammenzuhalten. Wer uns entgegnet, dass sich mit dem Austritt der Parteirechten in Südbayern die Ausgangslage in der Partei grundlegend verändert hat, der irrt: Die Weigerung zur kritischen Überprüfung der antimonopolistischen Strategie ist keinesfalls auf die Parteirechten beschränkt – es ist die Mehrheit der Partei und ihr Parteivorstand, die sich dieser Notwendigkeit verwehren. Dies wurde im August vorgelegten Leitantrag zum XXII. Parteitag noch einmal besonders deutlich, hierzu an späterer Stelle mehr.
Inhaltlichen Dissens sehen wir insbesondere:
• in der Strategie- und Machtfrage (Staatsverständnis) und ihrer Praxisrelevanz,
• in der Einschätzung der Zusammensetzung und des Bewusstseins der Arbeiterklasse und wie man unter diesen Bedingungen agitiert,
• in der angemessenen Organisationsform zur Überwindung dieser Verhältnisse
• im Verständnis und Zugang zur eigenen Geschichte,
• in den Einschätzungen des Imperialismus und der
• Positionierung innerhalb der kommunistischen Weltbewegung.
Unsere praktische Perspektive liegt auf einem bundesweiten Klärungsprozess, der sowohl eine kollektive solidarische Diskussion als auch erste Ansätze einer flexiblen Praxis zur Massenverankerung ermöglicht. Mit diesem Prozess sollen die Voraussetzungen für die Gründung einer revolutionären Kommunistischen Partei und ihrer Massenorganisationen geschaffen werden.
Wir wissen, dass auch wenn wir das alles klären, und unserem besten Wissen nach unsere Ausrichtung und Organisation dahingehend anpassen, uns ein Sieg noch lange nicht gewiss ist. Denn unsere Gegner – Kapital und Staat – sind stark und wir sind schwach: die gesellschaftlichen Verhältnisse haben wir aktuell nicht in der Hand. Wir wissen aber auch, dass – gerade weil es nicht so bleiben darf – uns nichts anderes bleibt, als es trotz alledem mit größtmöglicher Klarheit zu versuchen und bauen dabei auf unsere Erkenntnisse und unsere Entschlossenheit.
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1. Die revolutionären Strategie und das Staatsverständnis
Strategie bedeutet für uns Kommunistinnen und Kommunisten die Klärung der Frage mit wem (revolutionäres Subjekt: Arbeiterklasse und ihre Verbündeten), über welchen Weg (Reform und/oder Revolution) und welches Ziel (Sozialismus/Kommunismus) erreicht werden soll. Damit stellt sie die Grundlage und den „roten Faden“ unseres politischen Handels und Willens dar und sollte allen Teilen unserer Bewegung bekannt sein.
Sie wird in der kommunistischen Bewegung unterschiedlich behandelt. Es liegen ihr unterschiedliche Analysen und Begriffe vom bürgerlichen Staat und seiner Beziehung zum Monopolkapital zugrunde; die Allgemeingültigkeit und Reichweite strategischer Erwägungen wird sehr unterschiedlich gesetzt. Zur Frage steht dabei inwieweit eine Strategie bei gleicher Zwecksetzung für die verschiedenen nationalen Kontexte unterschiedlich sein kann, wenn es doch darin nicht um taktische Fragen, sondern um die Grundkoordinaten unseres Handels geht. Das Vorliegen dieser unterschiedlichen Verständnisse erschwert ungemein die notwendige Auseinandersetzung, weshalb es essentiell ist, Analyse und strategische Überlegungen stärker zu trennen.
Wir kritisieren hier vorrangig die strategische Ausrichtung der Partei, meinen damit aber auch die der SDAJ. Auch wenn in ihren Dokumenten die Strategie der DKP keine explizite Erwähnung findet, ist sie doch implizit Grundlage des Zukunftspapiers (s.u.) und drückt sich in der Praxis des Jugendverbands aus. Diese vermeintliche Unklarheit der SDAJ in der Strategiefrage hat auch einige von uns jahrelang in der Illusion gewiegt, es stünden auch möglicherweise andere Orientierungen dahinter als sie in der Partei vorherrschen. Dieser Zweifel ist nun ausgeräumt: sie soll mittels des Satzungsantrags und der Handlungsorientierung auf dem Bundeskongress im Frühjahr 2018 ohne vorherige Debatte festgeschrieben werden.
Die DKP verfolgt in ihrem Programm von 2006 unserer Ansicht nach eine fatale reformistische Strategie zum Sozialismus. Sie folgt der Vorstellung, dass eine „Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt“ (S.9 )1 schon im Kapitalismus, vor dem Sieg der proletarischen Revolution möglich und notwendig ist. In dieser Phase sollen – ohne dass die Herrschaft des Kapitals und ihrer Verwaltung durch den bürgerlichen Staat gebrochen wurde – schon „antimonopolistisch-demokratische Umgestaltungen“ gegen das Monopolkapital umgesetzt werden. Und weiter: „Dieser Kampf kann in antimonopolistische Übergänge einmünden. Voraussetzung dafür (!) ist, dass der antimonopolistische Block über so viel außerparlamentarische Kraft und parlamentarischen Einfluss verfügt, dass er eine die gemeinsamen Interessen vertretende Regierung bilden kann.“. Der Eintritt der kommunistischen Partei in eine „antimonopolistische“ Koalitionsregierung auf dem Boden des bürgerlichen Staates wird damit zum Bestandteil des Wegs zum Sozialismus erklärt. Diese Regierung der „antimonopolistischen Umwälzung“ wird verstanden als „eine Periode des revolutionären Kampfes, in der noch Elemente des Kapitalismus und schon Keimformen des Sozialismus vorhanden sind. Zunächst werden noch die Elemente des Alten überwiegen, im Klassenkampf aber werden mehr und mehr die Wesenselemente der neuen Gesellschaft das Übergewicht erlangen müssen“ (S.10 ). In sehr klaren Worten wird hier konkretisiert, wie man sich eine „revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse“ (S.14 ) vorstellt: Als Periode des schrittweisen Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, der bewerkstelligt wird von einem Regierungsbündnis unter Einschluss der Kommunisten (und natürlich mit der Unterstützung außerparlamentarischer Kämpfe). Das Programm von 2006 ist nicht, wie oft behauptet wird, nur aufgrund eines „Kompromisses“ mit dem rechten Parteiflügel so reformistisch geraten. Es befindet sich in direkter Kontinuität zu dem Parteiprogramm von 1978. In diesem heißt es mit unmissverständlicher Klarheit: „Unter einer antimonopolistischen Demokratie versteht die DKP eine Periode grundlegender Umgestaltungen, in der die Arbeiterklasse und die anderen demokratischen Kräfte über so viel politische Kraft und parlamentarischen Einfluß verfügen, daß sie eine ihre gemeinsamen Interessen vertretende Koalitionsregierung bilden können. (…) Im Zuge einer solchen Entwicklung würde eine von der Arbeiterklasse und den anderen demokratischen Kräften getragene antimonopolistisch-demokratische Staatsmacht geschaffen. (…) Die DKP erstrebt diese grundlegenden Umgestaltungen auf der Basis der demokratischen Prinzipien und Rechte des Grundgesetzes.“ Die theoretische Grundlage für diese Vorstellungen liefert die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus.
Deutlicher könnten die Vorstellung eines friedlichen Übergangs zum Sozialismus im Rahmen der bestehenden bürgerlichen Institutionen und die Vorstellung einer Zwischenphase zwischen Kapitalismus und Sozialismus („antimonopolistisch-demokratische Staatsmacht“) nicht formuliert sein. Die Ähnlichkeit zu Transformationsvorstellungen ist frappierend und nicht zufällig; der Kampf gerichtet auf die Herbeiführung eines revolutionären Bruchs wird ersetzt durch den ewigen Versuch, bessere Kampfbedingungen herzustellen.
Eine solche Vorstellung widerspricht unseren Erkenntnissen über den Kapitalismus bzw. Imperialismus, den bürgerlichen Staat und die sozialistische Revolution. Aus einer marxistischen Staatsanalyse und Erfahrungen aus der Geschichte geht hervor, dass die Teilnahme an Regierungen im Kapitalismus in der Regel gleichbedeutend ist mit der Mitverwaltung des Kapitalismus statt seiner Abschaffung. Das folgt aus seinem Charakter als Klassenstaat und Gewaltmonopolist, der die möglichst idealen Akkumulationsbedingungen nach innen und außen für das Kapital herstellen muss. Das bürgerliche Recht, einschließlich des Grundgesetzes, garantiert das Privateigentum, setzt uns als Warenbesitzer miteinander in Konkurrenz und regelt die daraus entstehenden Konflikte rechtlich und beschwichtigt somit den Klassenkampf, um die kapitalistische Produktion am Laufen zu halten. Der Staat ist also kein neutrales Gebilde, sondern untrennbar an diesen Zweck gebunden. Die Arbeiterklasse kann daher den Staat nicht einfach übernehmen und in ihrem Sinne transformieren, sondern nur abschaffen mitsamt seines Rechtssystems und seiner Institutionen. Lenin hatte zurecht die Frage der Staatsmacht als die Grundfrage der sozialistischen Revolution bezeichnet – die Frage, von der abhängt, ob eine Strategie revolutionär ist oder nicht.
In der Diskussion wurde trotz der glasklaren Eindeutigkeit der beiden Programme immer wieder versucht, die zentrale Frage der Strategiediskussion – nämlich reformistische oder revolutionäre Strategie – zu vernebeln oder zu unterbinden. Argumente, weshalb solche Vorstellungen eines friedlichen Übergangs in den Sozialismus realistisch sein sollen, vermissen wir weitestgehend. Wir betrachten sie per se als eine reformistische Strategie, die es nicht mit der staatlichen Gewalt aufnimmt. Es findet zudem keine Reflexion darüber statt, inwiefern eine Strategie, die das Produkt einer bestimmten Kräftekonstellation in der Welt (der Realsozialismus existierte noch!) darstellt, für heute Gültigkeit besitzen kann.
Eine explizite Darlegung dieser Strategie findet sich im Zukunftspapier der SDAJ nicht. Allerdings sind verschiedene Formulierungen des Papiers durch Vorstellungen der Antimonopolistischen Strategie (AMS) merklich beeinflusst. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: 1) Die illusorischen Forderungen wie „Abschaffung der Geheimdienste und des gesamten Repressionsapparates“ (S.34), was die Möglichkeit nahelegt, der bürgerliche Staat könne seinen repressiven Charakter verlieren und sei friedlich zu überwinden. 2) Die Berufung auf die „demokratischen Kräfte“ (S.34) verwischt zudem jede Unterscheidung zwischen bürgerlicher und proletarischer Demokratie.
Prinzipiell teilen wir die notwendige Deckungsgleichheit der Strategie zwischen Jugendverband und Partei und sind überzeugt, dass die Strategiefrage auf Ebene der KP geklärt sein muss, um einen revolutionären Jugendverband zu ermöglichen. Denn selbst wenn die SDAJ eine inhaltliche Klarheit über ihre Ausrichtung in unserem Sinne hätte, würde das den Mangel einer fehlenden revolutionären KP nicht beheben – organisatorisch und theoretisch ist die SDAJ abhängig von der DKP. Zudem hat der Bundesvorstand im Oktober 2016 entschieden, dass die Strategiefrage ausschließlich in der DKP geführt werden soll. Dort allerdings gibt es keinerlei Aussicht auf eine Klärung in unserem Sinne, da die ernsthafte Debatte darum frühzeitig beendet und durch kosmetische „Aktualisierungen“ der Strategie ersetzt wurde.
Relevanz der Strategiefrage für die politische Praxis
Natürlich handelt es sich bei der Strategiediskussion nicht um eine abstrakte Theoriefrage. Die falsche Analyse und Strategie schlägt sich systematisch in einer falschen Praxis nieder. Das Festhalten an der opportunistischen Praxis selbst ist oftmals auch Grund für die Degradierung der Theorie zur Praxisrechtfertigung. Ohne hier ausführlich zu argumentieren, wollen wir unsere wesentlichen Kritikpunkte skizzieren:
1. Sie schlägt sich nieder in einer verengten Priorisierung von Institutionen, die im Kern bürgerlich sind – wie die Gewerkschaften, betriebliche Interessenvertretung, Schülervertretung usw. – und die nicht ohne Grund in der bürgerlichen Demokratie erlaubt sind: Sie resultieren in Einbindung, halten die Illusion der Mitbestimmung aufrecht und sorgen auch dafür, dass die Lohnabhängigen sich hier überhaupt noch reproduzieren können statt ganz vor die Hunde zu gehen. Dass sie gleichzeitig auch Errungenschaften darstellen, die von der Arbeiterklasse erkämpft werden mussten, steht zu diesem Zweck nicht im Widerspruch. Auch wir streben die Arbeit in diesen Organen an, wollen uns aber keinem Mittel versperren, welches die Selbstaktivität der Betroffenen und die Entstehung von revolutionärem Klassenbewusstsein zu befördern in der Lage ist. Das muss das wesentliche Kriterium sein, an dem wir unsere Arbeit messen. Wir sehen die Gewerkschaftsführungen nicht als Bündnispartner, sondern als politische Gegen-spieler, mit denen wir zwangsläufig konfrontiert sind, wenn wir die Spielräume nutzen wollen, die in den DGB-Gewerkschaften zur Selbstorganisierung der Arbeiterschaft noch bestehen. Es geht also nicht um einen Austritt aus den Gewerkschaften, wie uns manche vorwerfen, sondern um eine andere Art der Arbeit in ihnen.
2. Gleichzeitig halten wir diese Institutionen als Kampforgane der Arbeiterklasse für unzureichend. Sie müssen ergänzt werden durch Formen der Organisierung im Stadtteil, in den Betrieben und Branchen, unter den Arbeitslosen, Massenarbeit an Schulen und Hochschulen sowie flexible und vielfältige Vorfeldstrukturen. Wir wollen unseren „Nachwuchs“ schwerpunktmäßig aus den Klassenkämpfen heraus gewinnen und nicht nur diejenigen erreichen, die sowieso schon „links“ politisiert sind, die aus unpolitischen Gründen oder zufällig zu uns stoßen – auch wenn jede Person, die sich ernsthaft für den Kommunismus und seine Erkämpfung begeistert, ein Zugewinn ist. Doch nur in Tuchfühlung mit den Massen können wir für unsere Kämpfe und Agitation wirksame Schlagrichtungen entwickeln und aus ihren Reihen neue GenossInnen gewinnen. Dieser Anspruch besteht zwar auch in SDAJ und DKP – eine Offenheit andere Formen der Organisierung auszuprobieren, vermissen wir aber schmerzlich.
3. Das Festhalten an Bündnissen mit anderen „fortschrittlichen“ oder „demokratischen“ Kräften behindert eine konsequente Kritik und Bekämpfung dieser Kräfte, die in Wirklichkeit jeder emanzipatorischen Bestrebung der Arbeiterklasse feindlich gegenüber stehen. Es schafft Illusionen in den Charakter dieser Kräfte. Gerade im Bereich Antifaschismus verhindert die Orientierung auf einen ‚demokratischen antifaschistischen Grundkonsens’, der auch staatstragende Parteien mit einschließen soll, die Verbreitung der Erkenntnis, dass der Faschismus lediglich eine Form bürgerlicher Herrschaft ist und die faschistische Ideologie nur eine Spielart bürgerlicher Ideologie ist.. Zudem verhindert die Fokussierung auf Bündnisse mit anderen politischen Parteien und deren Jugendorganisationen ein Herantreten an den Großteil der Arbeiterklasse, der mit diesen Parteien organisatorisch nicht verbunden ist und sie oftmals mehr oder weniger vehement ablehnt.2
Auch das soziale Bündnis mit sogenannten nicht-monopolistischen Schichten wirft Fragen auf: welchen Gegensatz sollten kleine Kapitalisten mit großen haben, außer dass sie in der Konkurrenz unterliegen, welche Gemeinsamkeiten die Belegschaft im kleinen Betrieb mit ihrem Ausbeuter? Die meisten Reformforderungen schaden bei Durchsetzung mehr den kleinen und mittleren Unternehmen als den großen Konzernen, sollen wir diese Kämpfe um mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen deshalb unterlassen? Wie kann man gegen Ausbeutung und das Profitprinzip per se agitieren und für seine Kritik einstehen, wenn man im gleichen Atemzug nicht die kleinen Unternehmen verschrecken will, deren Grundlage aber doch das kapitalistische Wirtschaften ist?
Es zeigt sich also auch in der Praxis, dass die AMS nicht etwa Antimonopolismus als Ausdruck einer antikapitalistischen Orientierung zu Zeiten des Monopolkapitalismus bedeutet, sondern nicht mit einer konsequenten antikapitalistischen Orientierung vereinbar ist.
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2. Die Analyse der Arbeiterklasse in Deutschland
Auch hier können wir keine fertige Analyse anbieten, sondern nur darauf hinweisen, dass eine wissenschaftliche Analyse der Arbeiterklasse und ihres Denkens in Deutschland eine dringende Aufgabe ist, die wir als Grundlage unserer Massenarbeit im Proletariat leisten müssen. In DKP und SDAJ wird eine solche Analyse nur äußerst widerwillig erneuert, es bleibt bei irreführenden Proklamationen über den Bewusstseinszustand der Klasse.
Die Einschätzung etwa, dass ein Großteil der Arbeiterklasse sozialpartnerschaftliches Bewusstsein hätte und an die Sozialdemokratie angebunden sei, ist fraglich. Der Herrschaftsapparat agiert und integriert komplexer und flexibler. Gerade das Verhältnis der verschiedenen Parteien zueinander kann ihm als Stütze dienen, weil es eine Wahlmöglichkeit suggeriert, die keine ist. Auch gibt es eine Vielzahl von anderen Mechanismen der Einbindung, die bei abnehmender parteipolitischer Bindung der Arbeiterklasse an Bedeutung gewinnen. Dazu können klassische Staatsapparate wie das Schulwesen gehören, aber auch die Massenmedien und Praktiken der Alltagskultur und nicht zuletzt der disziplinierende Charakter des Lohnsystems selbst.
Es fehlt die detaillierte Erfassung des Zusammenhangs von den veränderten Beschäftigungsverhältnissen auf der einen, und dem heutigen Denken der Lohnabhängigen auf der anderen Seite, das mindestens auch von Leistungsgerechtigkeitsvorstellungen, Ohnmacht und Unsicherheit, Standortnationalismus und Rassismus geprägt ist. Unterschiede in der Lebenslage und im Bewusstseinsstand verschiedener Schichten der Arbeiterklasse, z.B. zwischen Kernbelegschaften der Industrie und der prekären, zu großen Teilen migrantischen Unterschicht bleiben mit der unhinterfragten Orientierung auf das Industrieproletariat unbeachtet. Der gesellschaftliche Status von Studierenden wird gleichzeitig tendenziell überschätzt – möglicherweise ein Überbleibsel aus Zeiten, in denen sie tatsächlich in der Mehrheit eine deutlich von der Arbeiterklasse abweichende Lebenslage aufwiesen. Eine Orientierung auf die Arbeiterjugend sollte daher die Universitäten nicht leichtfertig ausklammern, selbst wenn diese nicht den primären Ort der Organisierung der Klasse ausmachen.
Aus diesem Mangel an Analyse folgen Konzepte für das Herangehen an die Massen, die nicht tragfähig sind. Mit dem Bewusstseinsstand gerade der am meisten unterdrückten Teile der Klasse beschäftigen sich SDAJ und DKP kaum ernsthaft, entsprechend schwach sind alle Ansätze, um diese Teile zu erreichen. Aus taktischer Überlegung auf die Organisierung in Schlüsselindustrien und Logistik zu setzen, also dort, wo wir die Gegner empfindlich treffen könnten, halten wir für richtig, aber sie reicht nicht aus, um die gesamte Breite der Arbeiterklasse zu erreichen. Auch wenn alternative Praxiserfahrungen dünn gesät sind, weil wir uns stets entsprechend unserer Möglichkeiten an den zentralen Beschlüssen orientiert haben, bauen wir auf Erfahrungen aus Stadtteilarbeit und unser er Betriebs- und Agitationserfahrung, die zeigt, dass Arbeitslose, Migranten, Einzelpersonen bis hin zu Teilen ganzer Belegschaften weitaus empfänglicher für eine grundsätzliche Kapitalismuskritik und Kritik am Lohnsystem und Staat sind als gemeinhin in SDAJ und DKP angenommen. Gleichzeitig machen wir uns keine Illusionen darüber, dass bürgerliche, reaktionäre oder reformistische Bewusstseinsinhalte in der Arbeiterklasse überwiegen.
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3. Agitation unter Bedingungen der ideologischen Schwäche der Arbeiterklasse
Diesen oben geschilderten Bewusstseinsstand müssen wir in unserer Agitation natürlich berücksichtigen; unsere Inhalte und Erkenntnisse dürfen wir ihm jedoch nicht anpassen.
Die falsche Einschätzung des Bewusstseinsstands und die reformistische Strategie schlagen sich in falschen Parolen und unzureichender Agitation und Propaganda nieder. Öffentliche Materialien von SDAJ und DKP tendieren dazu, Forderungen aufzustellen, die im Kapitalismus nicht realisierbar sind und schüren damit Illusionen in die Reformierbarkeit des kapitalistischen Staates und verkennen seinen Charakter. Ganz deutlich wird das im Sofortprogramm der DKP zur Bundestagswahl 2017: z.B. die Forderung „Erhöhung der Spitzensteuer für höchste Einkommen von Personen und Unternehmen – Wiedereinführung der Vermögens- und Erbschaftssteuer“. Die Hoffnung, dass der Staat das so gewonnene Geld in unserem Sinne einsetzt, verweist auf den Staatsidealismus in der DKP. In der SDAJ werden klassische „linke“ Forderungen und Slogans unreflektiert übernommen, um an aufkeimenden Protesten anzudocken – die notwendige Kritik an ihnen ist somit erstickt.
Wir alle verzweifeln manchmal im Angesicht des kaum vorhandenen Klassenbewusstseins, der ausgeprägten Staatsgläubigkeit und dem Nationalismus der großen Mehrheit der Arbeiterklasse in Deutschland. Gerade dann ist aber die Gefahr groß, in einem bloßen Anknüpfen an dieses Bewusstsein die eigenen Inhalte zu verwässern. In so einer Ausgangslage ist es unablässig, dass SympathisantInnen mit bisherigen Illusionen brechen. Aufgabe der Kommunisten ist es, der Arbeiterklasse den Klassenstandpunkt zu vermitteln – dass man dabei auch schrittweise vorgehen muss, und die Leute auf ihren Standpunkten ‘abgeholt’ werden müssen, ist unbestritten. Uns stört aber, dass die SDAJ die Popularität von Agitationsmitteln der Klarheit und der Erklärung vorzieht. Wenn wir Leute gewinnen wollen für den Klassenkampf gegen die hiesigen gesellschaftlichen Verhältnisse, für einen revolutionären Bruch, muss auch die ganze Agitation, muss jede Parole, langfristig auf diesen Zweck ausgerichtet sein und müssen den Parolen entsprechende Kämpfe tatsächlich geführt werden, die in diesem Sinne ein Angebot darzustellen in der Lage sind.
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4. Die revolutionäre Organisationsform
Wir denken, dass die Frage der revolutionären Organisationsform mit der Strategiefrage untrennbar zusammenhängt und sich aus dieser ableitet. Wie wir uns organisieren müssen, hängt allem anderen voran davon ab, welchen Zweck wir uns setzen (revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse). Mit welchen konkreten Formen wir uns aufstellen und mit welchen der Massen- und Bündnisarbeit wir in die Breite wirken können, hängt davon ab, wie wir den Gegner und seine konkrete Herrschaftsform, Klassenlage und Bewusstseinsstand einschätzen. Auch wenn die genauen Formen einer kommunistischen Organisation in Deutschland erst noch ausdiskutiert, erprobt und gefunden werden muss, scheint es uns offensichtlich, dass die revolutionäre Arbeiterbewegung gerade unter den Bedingungen des heutigen Kapitalismus/ Imperialismus nur um den Kern einer kommunistischen Kaderpartei wiederaufgebaut werden kann: ohne eine große Zahl an kommunistischen Kadern können wir nicht im kommunistischen Sinne auf Massen wirken. Wir halten daher die kritische Auseinandersetzung mit Konzepten, welche die leninistische Theorie der Kaderorganisation durch Vorstellungen einer Massenorganisation ersetzt haben, für dringend erforderlich. Letztlich lehnen sie sich an Praktiken des bürgerlichen Parteienlebens an und sind zurückzuweisen.
In der SDAJ wurde die Diskussion über die Organisationsform in das Korsett einer Satzungsdiskussion gepresst, bei der die Strategiefrage explizit ausgeklammert wurde. Wir haben mit dem „Alternativen Satzungsantrag“ versucht, diese Frage wieder auf die Tagesordnung zu setzen, was aber aufgrund der erwähnten Verengung kaum möglich war und am Schluss mangelhaft geblieben ist. Wir verstehen daher das Unverständnis gerade junger Genossinnen und Genossen unserer wiederholten Einforderung nach anstrengenden Debatten gegenüber und hoffen jenes in Zukunft ausräumen zu können.
Die Kontroverse um die Organisationsform wurde in der SDAJ-Debatte viel zu oft auf die Frage der Mitgliederaufnahme beschränkt. Das hat uns gezeigt, dass der Kern der Kontroverse von zahlreichen GenossInnen nicht verstanden wurde – das mag auch an der Komplexität des Themas oder Mängeln unserer Argumentation, aber allem voran an der Verhinderung der offenen Debatte gelegen haben. Die Frage der Mitgliederaufnahme war für uns immer nur eine von mehreren nachgeordneten Problemen, die sich aus einer Grundproblematik ableitet: der Charakter einer revolutionären Organisation. Brauchen wir eine Kaderorganisation, eine Massenorganisation oder einen Zwitterverband als „Dialektik aus Kader- und Massenorganisation in einem Verband“, wie es in SDAJ und DKP die Einschätzung der Mehrheit ist? Die Auseinandersetzung mit dem Charakter des Staates, aber auch generell die Anforderungen des Klassenkampfes und der Entwicklung von Klassenbewusstsein führen uns zu dem Schluss, dass die KP nur eine Kaderorganisation sein kann. Gerade zum jetzigen Zeitpunkt – einer Situation massiver Schwäche – scheint es uns entscheidend, als erste und wichtigste Aufgabe Personen zu gewinnen, die sich voll unserem politischen Zweck anschließen und bereit sind, sich zu kommunistischen Kadern zu entwickeln.
Das bedeutet nicht, dass wir uns eine Partei aus fehlerlosen Personen vorstellen. Es bedeutet aber, dass für die Mitglieder der Klassenkampf der zentrale Stellenwert in ihrem Leben ist (ohne deshalb andere Aspekte des Lebens zu verdrängen).
Der Aufbau von Massenbewegungen, die durch die Kommunisten geführt werden, setzt voraus, dass die Kommunisten sich intensiv und langfristig theoretisch mit Theorie und Geschichte unserer Bewegung auseinandersetzen, in der Lage sind, die aktuellen Verhältnisse im Kollektiv zu analysieren, und ebenso intensiv Ansätze zur Arbeit mit den Massen entwickeln. Dieses Organisationsverständnis setzt allerdings im Konkreten eine ganz andere Organisationspraxis voraus: Eine viel intensivere und bundesweit koordinierte Bildungsarbeit; ein seriöseres Auftreten als Revolutionäre statt als Mitmachverein, der linke Identität und Zugehörigkeit stiftet; eine sorgfältige und vorsichtige Politik der Mitgliederaufnahme, die Leute erst dann aufnimmt, wenn sie bereit sind und wissen, worauf sie sich einlassen und unser Ziel und unsere grundsätzliche Orientierung teilen, statt SympathisantInnen vorzeitig einzubinden und der Verbandsdisziplin unterzuordnen; als Voraussetzung dafür eine viel intensivere politische Arbeit mit unserem Umfeld, eine Beschäftigung mit ihren Problemen und Fragen und Entwicklung einer gemeinsamen Praxis; ein Verständnis davon, dass Ernsthaftigkeit und Disziplin die Voraussetzung für politische Erfolge sind.
Damit wollen wir uns nicht nur vor dem Zugriff des Staates schützen und vor Personen, die der Organisation schaden könnten. Es geht viel grundsätzlicher um unsere Schlagkräftigkeit, Arbeits- und Diskussionsfähigkeit und Außenwirkung. Wir wollen bereits an unser Umfeld signalisieren: Wir sind ein ernsthaftes politisches Angebot, das sich zum revolutionären Sturz dieses Systems und zum Aufbau einer neuen Gesellschaft gebildet hat. Man kann bei uns mitmachen, aber nicht voraussetzungslos. Und wenn man dazu (noch) nicht bereit ist, kann man trotzdem an unserer Seite aktiv werden.
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5. Eine kritische Aneignung der eigenen Geschichte
Nicht nur wird immer noch von Teilen der Bewegung, nicht zuletzt in der DKP, die eigene Geschichte mit Sichtweisen des Klassenfeindes reflektiert und Begriffe bürgerlicher Wissenschaft in das eigene Denken integriert – man denke an die Diskussion um den sogenannten „Stalinismus“ oder das Verständnis von Neoliberalismus oder Faschismus als grundlegend andere Herrschaftsformen, die mit der bürgerlichen Demokratie nur rudimentär verwandt seien. Es gibt auch die entgegengesetzte Tendenz, sich unkritisch positiv – also traditionalistisch – auf bestimmte Teile der Geschichte zu beziehen und frühere Erfahrungen für die heutige Zeit zu verabsolutieren. So werden bestimmte Momente kommunistischer Geschichte als fixe Bezugspunkte gesetzt, die nicht mehr infrage gestellt werden, während andere Erfahrungen ausgeblendet werden. Diese Selektion, die nie explizit begründet wurde, ist oftmals Ausdruck eines politischen Willens, nicht einer Analyse. Und vor allem wird nicht mehr ernsthaft diskutiert, a) ob die damals getroffenen Einschätzungen richtig waren, und b) ob sie für unsere heutige Situation noch zutreffend und relevant sind.
Da die Aufarbeitung der Geschichte unter uns ungenügend kollektiv diskutiert wurde, wollen wir nur erwähnen, an welchen Bezugspunkten wir mindestens zweifeln:
• Unverrückbarer Bezugspunkt der DKP-Mehrheit ist der VII. Weltkongress der Komintern und die darauf beschlossenen „Lehren“ aus dem Faschismus, die Volksfrontpolitik und die sogenannte Dimitroff-These.
• Auch die „sozialistische Warenproduktion“, die mit wesentlichen Kategorien kapitalistischer Produktion wie dem Wertgesetz nicht gebrochen hat, wird nicht offen in ihren historischen Auswirkungen diskutiert und problematisiert, sondern von der Mehrheit der DKP als notwendiges Prinzip anerkannt.
Es fehlen zugegebenermaßen in der kommunistischen Bewegung in Deutschland die notwendigen wissenschaftlichen Kapazitäten und die Infrastruktur, um die Geschichte der Bewegung, die heutige Lagebestimmung und die Gültigkeit bestimmter Theorien wirklich tiefgreifend zu erforschen – der Vorwurf lautet also nicht, dass das bislang unzureichend geschieht. Die Konsequenz aus diesem Mangel kann aber nur sein, offen mit unbeantworteten Fragen umzugehen – und keineswegs, „heilige Kühe“ zu hüten und jeden Angriff auf die alten, liebgewonnen Weisheiten dogmatisch abzuschmettern.
Schon die Gründung und die Entwicklung von DKP und SDAJ sind aus unserer Sicht Produkt taktischer Überlegungen in der kommunistischen Weltbewegung und somit auch stark von dem dort grassierenden Revisionismus geprägt gewesen. Doch bereits diese Einschätzung stößt in beiden Organisationen auf wütenden Widerstand. Die reformistischen Programme von 1978 und 2006 werden immer wieder als marxistisch-leninistisch und „im Kern“ revolutionär bezeichnet. Ein solch verklärender Blick auf die eigene Vergangenheit verunmöglicht eine Neuorientierung in der Gegenwart.
Generell herrscht aus unserer Sicht in breiten Teilen der DKP und SDAJ ein dogmatisches Wissenschaftsverständnis vor, das wir kritisieren. Zu oft werden Argumente durch die Zitate von Klassikern ersetzt; zu oft verunmöglicht die Stimmungsmache gegen angeblichen „Linksradikalismus“ eine offene, kritische Auseinandersetzung. Ein solches Verhalten, ein solcher Traditionalismus, ist immer, aber besonders in der aktuellen Krisenphase, extrem schädlich für unsere Bewegung.
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6. Der heutige Imperialismus
Aktuell stehen verschiedene Auffassungen darüber, wie die heutigen Verhältnisse des globalen Kapitalismus zu analysieren sind, gegeneinander. Nach einer Lesart, die auch in der SDAJ und DKP vorherrscht, ist der Imperialismus vor allem als politökonomische Dominanz einer relativ kleinen Gruppe westlicher Staaten zu verstehen, die sich den Großteil der restlichen Welt unterwerfen. Afrika, Lateinamerika und viele Länder Asiens, manchmal sogar europäische Länder Osteuropas oder Griechenland und Portugal, sind demnach einfach abhängige Staaten. Dabei beruft man sich auf Lenins Unterscheidung zwischen unterdrückenden und unterdrückten Nationen. Vielen Vertretern dieser Deutung gelten die Rivalen der USA und EU, hauptsächlich Russland und China, nicht als imperialistisch. Im aktuellen Leitantrag der DKP3 werden sie sogar als objektiv antiimperialistisch und friedensfördernd charakterisiert, da sie dem westlichen Vormachtstreben Widerstand leisten (Z.487ff). Erst recht gelte das für Staaten, die in Opposition zur Vorherrschaft der NATO-Mächte stehen, z.B. Syrien, Iran, Venezuela.
An dieser Analyse drängen sich starke Zweifel auf, von denen wir nur drei grob skizzieren, da in der SDAJ eine Schulung im Imperialismusverständnis kaum stattfindet und auch bei uns unterentwickelt ist:
1. inwiefern ist es sinnvoll vom Imperialismus als „Eigenschaft“ einiger Führungsmächte zu sprechen, wenn doch gerade seine weltweite Durchsetzung kennzeichnend ist? Gerade weil doch die zunehmende Internationalisierung der Produktionsbeziehungen in alle Ecken der Welt eindringt, sind auch alle kapitalistischen Länder Teil desselben imperialistischen Weltsystems, wenn auch auf der Grundlage extrem ungleicher Entwicklungen und Durchsetzungsmittel.
2. Kann es fortschrittlich sein, auf dem Boden des Kapitalismus um die wirtschaftliche Unabhängigkeit des eigenen Nationalstaats zu kämpfen, ohne diese Frage mit der revolutionären Überwindung des Kapitalismus zu verbinden? Oder ist das unter den Bedingungen des heutigen Weltmarkts und der Staatenkonkurrenz im imperialistischen Weltsystem sowieso eine Illusion?
3. Inwiefern sollte es für uns in irgendeiner Form notwendig und gewinnbringend sein, uns im Sinne der „Ausnutzung innerimperialistischer Widersprüche“ mit Solidarisierungen auf eine Seite zwischenimperialistischer Konflikte zu schlagen? Die genannten Staaten haben zwar einen partiellen Interessengegensatz gegenüber den derzeit führungsstärksten hegemonialen Staaten wie allen voran den USA, aber sie verlassen dabei nicht den Boden der kapitalistischen Weltordnung, den sie beinahe ausnahmslos befürworten. Subjektiv ideologisch verbindet uns in den allermeisten Fällen nichts mit ihnen.
Diese Zweifel endlich auszuräumen wollen wir uns zur Aufgabe machen!
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7. Internationalismus – Positionierung in der kommunistischen Weltbewegung
Wir glauben, dass es in der Verantwortung jeder kommunistischen Partei liegt, sich unabhängig von ihrer Größe und ihrem Einfluss in die Grundsatzdiskussionen auf internationaler Ebene einzubringen. Wir sind schließlich Teil derselben internationalistischen Bewegung und leben in derselben Welt und Epoche. Ohne Kritik und Selbstkritik der kommunistischen Parteien und die Suche nach einer gemeinsamen Analyse und Strategie bleibt der ausgerufene Internationalismus nur Anspruch. Die hochgehaltenen Leitsätze wie „Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker der Erde vereinigt Euch“ waren damals Ausdruck einer Weltstrategie und eines universalen Anspruchs. Beides droht verloren zu gehen, ohne die Bereitschaft sich auf eine offene Debatte um eine Neuausrichtung einzulassen.
In der sehr geschwächten Weltbewegung stehen sich derzeit zwei Lager gegenüber, die um die richtige Einschätzung der Weltlage und des Entwicklungsstadiums und der entsprechenden Strategie streiten. Die DKP sucht gleichzeitig gute Beziehungen zu beiden Lagern. Diese demonstrierte Vermittlerrolle zwischen sich widersprechenden Einschätzungen und Positionen bremst den Klärungsprozess auf internationaler Ebene, da als Basis der „Vermittlung“ vehement eine offene inhaltliche Diskussion über diese Fragen vermieden und eine Einmischung in ‚nationale’ Angelegenheit kritisiert wird. Vor diesem Hintergrund bleibt der mit unserer Hilfe durchgesetzte, auf dem letzten Parteitag beschlossene Rückzug aus der Europäischen Linkspartei (ELP) eine Farce. Um die Parteirechten nicht zu verschrecken, wurde betont, dass alle bilateralen Kontakte (also auch zu den Parteien der ELP) ohnehin genauso beibehalten werden. Der Bundesvorstand der SDAJ schlägt in seinem Antrag zur Handlungsorientierung nun eine deutliche Priorisierung des politisch pluralen WBDJ gegenüber der kommunistischen Austauschplattform MECYO (Meeting of European Communist Youth Organisations) vor. Diesen Rückzug lehnen wir ab.
II. Warum wir diese Fragen nur außerhalb klären können
Wir mussten im Verlauf dieser Auseinandersetzungen leider feststellen, dass weder in der SDAJ noch in der DKP eine solche Klärung möglich ist. Wir haben dafür viel Energie aufgewendet und sicherlich auch einigen Genossinnen und Genossen die Nerven geraubt. Dass ein solcher Konflikt derartige Belastungen bedeutet, tut uns ausdrücklich leid. – Wir hoffen jedoch auf Euer Verständnis, dass wir die SDAJ als politische Kampforganisation betrachtet und danach gehandelt haben – wozu auch der offene Meinungsstreit gehört – worunter unserer großen Befürchtung nach Freundschaften leiden (werden), auch wenn wir das nach unseren Möglichkeiten verhindern wollen.
In der DKP stellen wir eine klare Minderheit dar. Die große Mehrheit ist mit den von uns kritisierten Orientierungen politisch aufgewachsen und nicht bereit, sie grundsätzlich infrage zu stellen. Trotz allen Verständnisses und Respekts für die jahrzehntelange Arbeit ist ein solches Festhalten an den alten, nicht mehr hinterfragten Leitlinien abzulehnen. Die Parteiführung arbeitet einer Klärung zudem bewusst und massiv entgegen, wobei sie sich auf die Mehrheit der Mitglieder berufen kann. Nach dem 20. Parteitag 2013 war ein Ruck durch die Partei gegangen, man erwartete die Rückkehr zu einem marxistisch-leninistischen Selbstverständnis und einer entsprechenden Praxis. Auch viele von uns teilten diese Hoffnung, die sich aber als Trugbild und inhaltsleere Begrifflichkeit erwiesen hat. Darüber gibt nicht zuletzt der aktuelle Leitantrag Auskunft, der keinen Bruch mit dem Revisionismus vornimmt und die grundlegende Diskussion über die Strategie verhindert.
Die Parteiführung will erklärtermaßen die Partei zusammenhalten, auch auf Kosten inhaltlicher Klarheit und Einheit. Dem widersprechen nicht die Beschlüsse zur Auflösung der Bezirksorganisation Südbayern und der Antrag an den Parteitag zur Unvereinbarkeit mit dem „Netzwerk kommunistische Politik“. Dabei handelt es sich um taktische Schritte, die nichts daran ändern, dass es a) in der Strategiefrage keine konsequente Auseinandersetzung mit dem Opportunismus gibt und b) der Bruch mit der Masse des rechten Parteiflügels nicht gewollt ist. Ausschlüsse wird es wenn dann nur vereinzelt geben und das den rechten Transformationsvorstellungen ähnliche Programm der Zentristen wird keine Revidierung erfahren. Und trotz dieses versöhnlerischen Kurses droht die Parteirechte nun ganz ohne Druck selbst auszutreten. Damit ist leider in der wesentlichen Strategiefrage nichts gewonnen.
Kontroversen in der Strategiefrage gab es seit 1989/90 immer wieder. Die Geschichte dieser Diskussionen zeigt, dass eine Klärung in der DKP unmöglich war. Eine linke Opposition befand sich immer in der Minderheit, verlor damit die entscheidenden Abstimmungen und musste sich der Mehrheit fügen. Die Einbindung von Teilen der Parteilinken durch den Zentrismus, die Resignation vieler und die Alterung der Mitgliederbasis führten dazu, dass die linke Minderheit immer unbedeutender wurde4. Man ließ sich durch die vermeintliche Alternativlosigkeit davon abhalten, eine Alternative selbst aufzubauen. Aus den Fehlern dieser früheren Parteilinken wollen wir lernen und sehen daher zum organisatorischen Bruch keine Alternative mehr.
Zuletzt wurde die Diskussion Anfang des Jahres 2016 wieder angestoßen. Allerdings lief sie effektiv in der ganzen Partei nur einige Monate lang, bevor sie faktisch abgewürgt wurde. Der Leitantrag des PV und die zugehörige Erklärung von Köbele/Brenner5 machten klar, dass es keine Veränderung der Strategie geben werde. Köbele erteilt allen Bestrebungen, mit den bisherigen strategischen Konzepten der DKP zu brechen, „eine Absage, weil wir ausgehend von einer Analyse der Entwicklung des Imperialismus überzeugt sind, dass die grundsätzliche strategische Orientierung, die die DKP seit 1968 verfolgt und die bereits zuvor die Arbeit der KPD prägte, richtig ist“6. Auch in früheren Dokumenten war diese Grundhaltung schon bekräftigt worden: Hier und da diskutieren geht in Ordnung, aber das Ergebnis wird auf keinen Fall ein Bruch mit der bisherigen Strategie sein. Angesichts des anhaltenden Niedergangs der Partei finden wir die ständige Betonung der Richtigkeit der bisherigen Strategie besonders schwer nachvollziehbar.
In der Konsequenz dieser Einschätzung sind im August 2017 fünf uns nahestehende Genossinnen und Genossen der Parteigruppe Frankfurt ausgetreten.7
In der SDAJ stellen wir eine bedeutende Minderheit dar, bleiben aber dennoch eine klare Minderheit ohne Aussicht auf eine Umkehrung der Mehrheitsverhältnisse. Erstens bringt eine Weiterführung der Diskussion keine Bewegung und keine neuen Ergebnisse mehr. Denn die entgegen gesetzten Positionen der beiden Flügel miteinander zu vereinbaren oder einen fruchtbaren Kompromiss dazwischen zu finden, ist auch sachlich nicht möglich. Das fehlende tragfähige Konzept zur Kaderentwicklung in der SDAJ verhindert die notwendigen Diskussionen, weil der politische Bildungsstand und Erfahrungsschatz der Mitglieder selbst auf der höchsten Leitungsebene oftmals nicht ausreicht, um diese wirklich nachvollziehen zu können. Dies ist natürlich nicht die individuelle Schuld dieser GenossInnen, sondern Ergebnis struktureller Probleme wie dem Prinzip, dass Leitungsgremien möglichst ‚repräsentativ’ besetzt sein müssten und dem fehlgeleiteten Anspruch Massen- und Kaderverband zugleich sein zu wollen (s.o.). Als Resultat wurden jedoch die Diskussionen zunehmend als lästig und unnötig empfunden – man warf uns vor, durch „abstrakte Diskussionen“ Praxis zu behindern – man begriff die Tragweite der Kritik nicht. Dabei ging es uns ja auch um eine Kritik an der Praxis der SDAJ, deren Eignung die gesellschaftlichen Verhältnisse umzustürzen wir grundsätzlich bezweifeln. Die Fronten waren nach sehr wenigen Bundesvorstandssitzungen völlig verhärtet – Arbeitskonferenzen und andere Diskussionsräume wurden vehement abgelehnt. Das zeigt: Die SDAJ-Geschäftsführung wünscht eine wirklich offene Diskussion auch nicht, sondern verhindert diese gegebenenfalls administrativ. Sie nimmt damit einen organisatorischen Bruch in Kauf, statt durch eine offene Debatte den Verband ideologisch und praktisch weiterzuentwickeln.
Zweitens ist es unmöglich, SDAJ und DKP als getrennte Organisationen zu betrachten. Tatsächlich übernimmt die SDAJ implizit und mittlerweile auch explizit die Strategie der Partei (s.o.). Diese Tatsache zeigt deutlich, dass die SDAJ der Jugendverband der DKP ist, beim gleichzeitigen Schein der politischen und organisatorischen Unabhängigkeit. Die Idee, die Probleme innerhalb der SDAJ lösen zu können und die Parteifrage dabei auszuklammern, ist daher ein Trugschluss und auch gar nicht wünschenswert. Abgesichert wird dieses nicht legitimierte Verhältnis durch den engen Austausch der Bundesgeschäftsführung der SDAJ mit dem Sekretariat und Vorsitz der Partei. Das lässt sich auch anhand des Eingreifens in die Satzungsdebatte der SDAJ mit einem Beitrag von Patrik Köbele im Leitungsrundbrief Extra#3 aufzeigen, in dem dieser sehr klar für die BuVo-Mehrheit Stellung bezieht, ohne dass die Antimonopolistische Strategie als die Strategie der SDAJ je breit diskutiert worden wäre, geschweige denn auf einem Bundeskongress festgelegt wurde. Dass Geschäftsführung und Bundesvorstand ihre Entscheidungsbefugnisse derart überdehnen und die Mitglieder in diese weitreichenden Beschlüsse nicht einbeziehen, ist für uns ein Grund mehr zu der Einschätzung, dass die wesentliche Ausrichtung ohnehin feststeht und unverrückbar ist.
SDAJ und DKP bilden eine Art eigenes soziales Milieu – das erschwert einen kritischen Umgang mit der eigenen Theorie und Praxis. Viele SDAJler sind schon familiär an die DKP gebunden oder empfinden die Organisationen in gewissem Sinne als ihr soziales Umfeld. Das wird dann zum Problem, wenn eine Kritik am Verband als Angriff auf das Umfeld und der eigenen Person verstanden wird, statt die Argumente zu prüfen.
Zudem gibt es auch außerhalb der SDAJ ein Potenzial an jungen Leuten, dass wir für die kommunistische Bewegung und ihrer Neuausrichtung gewinnen müssten. Das können wir jedoch nur durch einen umfangreichen inhaltlichen Klärungsprozess, in dem wir Interessierte integrieren wollen, eine richtige Massenarbeit aufbauen und indem wir mit einem konsequenten kommunistischen Organisationsangebot ausstrahlen.
Wir sind davon überzeugt, dass ein Verbleib unsere Kapazitäten in einer nicht zu rechtfertigenden Weise binden würde, wir aber gerade in den nächsten Jahren all unsere Kraft brauchen. Wir sind zudem der Ansicht, dass wir in der SDAJ/DKP nur noch als Fraktion sinnvoll arbeiten könnten. Ein solches Vorgehen widerspricht unserem Organisationsverständnis und würde zu unnötigen Konflikten führen. Wir können uns nicht mehr guten Gewissens einer Disziplin unterordnen, deren Einschätzung und Handlungsvorschläge wir nicht teilen, auch wenn wir prinzipiell viel von der Einheit in Analyse und Aktion halten.
Alles in allem sind wir aus diesen Gründen der Auffassung, dass unser Verbleib in den Organisationsstrukturen der SDAJ und DKP sich nicht mehr rechtfertigen lässt und unser Austritt für alle zu einiger Entlastung führen wird.
III. Warum zu dem jetzigen Zeitpunkt?
Manche werden uns fragen: Warum tretet ihr schon vor dem SDAJ-Bundeskongress und dem DKP-Parteitag aus? Warum habt ihr nicht noch zumindest das Ergebnis dieser beiden Kongresse im Frühjahr 2018 abgewartet? Schließlich habt ihr doch mit viel Mühe einen eigenen Satzungsantrag ausgearbeitet. Die Frage ist nachvollziehbar.
Die derzeitigen Strategien gegen uns reichen von Isolierung unserer Position bis hin zu offenen Ausschlussdrohungen. Unsere Standpunkte sollen so systematisch delegitimiert und herausgedrängt werden. Zu diesem Schritt fühlen wir uns also frühzeitig genötigt.
Wir mussten zu der Einsicht gelangen, dass der Bundeskongress in keiner Weise ergebnisoffen und – seinem Charakter nach – auch keine Diskussionstribüne ist. Ob wir in der SDAJ eine Perspektive sehen, hängt von diesem Kongress nicht ab, weil ein Großteil der oben skizzierten Grundsatzfragen gar nicht zur Debatte steht. Dass der von uns gestellte Satzungsantrag keine reale Chance auf eine Zweidrittelmehrheit hat, ist offensichtlich, die damit angestrebte Debatte um den Charakter des Verbandes ist jetzt unbefriedigend beendet worden. Wir halten es hingegen für realistisch, dass auch der Antrag der BuVo-Mehrheit an der notwendigen Zweidrittelmehrheit scheitern könnte. Damit wäre eine Pattsituation geschaffen, die keiner Seite nützt und die wir vermeiden wollen. Wir haben kein Interesse daran, der SDAJ durch eine Blockadehaltung zu schaden. Wenn die Mehrheit wünscht, einen Verband nach den Grundlinien des BuVo-Antrags zu entwickeln, wollen wir sie nicht daran hindern. Hinzu kommt, dass sich auch in der vorgeschlagenen Handlungsorientierung die undiskutierte strategische Orientierung der SDAJ ausdrückt. Eine Diskussion darum haben wir initiiert, sie wurde aber systematisch abgelehnt oder ignoriert.
Wir sehen uns gezwungen, dieser Arbeitsbasis eine Absage zu erteilen. Auf dieser Basis ist es nur ehrlich, die notwendig gewordene Spaltung – darum handelt es sich de facto – nicht über einen so langen Zeitraum hinauszuzögern. Die Unzufriedenheit über den aktuellen Zustand ist bei einem beträchtlichen Teil der Mitglieder schon so ausgereift, dass es schädlich wäre, sich weitere Monate lang einer fruchtlosen Auseinandersetzung hinzugeben, dessen Endergebnis sowieso schon feststeht.
In den vergangenen Monaten zeigte sich eine panische Angst davor, die Kontrolle über die Diskussion zu verlieren (d.h. vor allem die Angst davor, dass sich junge GenossInnen an der Basis eigene Gedanken machen und unsere Argumente plausibel finden könnten), die sich in einem Kontrollwahn und Autoritarismus ausdrückte: Kein SDAJ-Event mehr, auf dem nicht die Mitglieder der Geschäftsführung penibel darauf geachtet hätten, dass niemals die falschen Leute miteinander in Diskussion geraten, ohne dass ein GF-Mitglied dabei säße. Bekannte Vertreter der Minderheitenposition wurden immer konsequenter von bedeutenden Aufgaben ausgeschlossen, insbesondere wenn die „Gefahr“ bestand, dass sie über ihre Funktion inhaltlichen Einfluss nehmen könnten. Darüber hinaus gab es in der Vergangenheit immer wieder massive Diffamierungskampagnen gegen einzelne GuG und Gruppen, die man einer abweichenden Meinung verdächtigt hat. Die Tolerierung des Gegenantrags für die Satzung der SDAJ war vordergründig ein begrüßenswertes Zugeständnis – eine offene Diskussion über Charakter und Zweck der Organisation wurden so jedoch von Beginn an formalisiert, verengt und bspw. auf dem Gruppenleitungstreffen autoritär gelenkt. Damit ist die Situation in der SDAJ in vieler Hinsicht ein Spiegelbild derjenigen in der DKP.
Der Austritt einiger der Parteirechten kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem unsere Austrittsüberlegungen schon weit gegoren sind. Nach erneuter Analyse und Austausch schätzen wir ein, dass sich dadurch der Charakter der DKP nicht verändert.
Wir sehen stattdessen, dass die andauernde Konfrontation die Fronten verhärtet, auf beiden Seiten Frust und Verärgerung über die jeweils andere Seite erzeugt, zu repressiven Maßnahmen führt und schließlich beide Seiten in ihrer Praxis hemmt. Wir sind daher überzeugt, dass eine Spaltung letztlich im Interesse beider Seiten liegt. Eine vermeidbare Schädigung wollen wir Euch ersparen und daher den Austritt schon zum jetzigen Zeitpunkt vollziehen. Im Moment sehen wir ein Zeitfenster, in dem bei vielen GenossInnen die Motivation da ist, sich inhaltlich mit den zentralen Diskussionen zu beschäftigen und bei vielen auch die Bereitschaft, einen neuen Aufbau zu wagen. Diesen Schwung wollen und werden wir nutzen. Wir können nicht zulassen, dass durch ein Zögern unsererseits die Diskussionen im Sande verlaufen, Frustration überwiegt und Leute individuell den Verband verlassen oder durch Einbindungstaktiken wieder integriert werden.
IV. Wie weiter?
Selbstverständlich beginnt für uns mit unserem Austritt ein neues Kapitel kommunistischer Organisierung. Wir werden in den nächsten Monaten und Jahren eine inhaltliche Klärung forcieren und neue Formen revolutionärer Praxis entwickeln. Beides sind Voraussetzungen für das Ziel, eine kommunistische Partei in Deutschland aufzubauen, die den hohen Anforderungen des Klassenkampfes und unserem Willen mit diesen Verhältnissen zu brechen entspricht.
Wir sind uns voll bewusst, dass wir nicht die ersten sind, die mit einem solchen Anspruch antreten; dass wir allerdings die ersten wären, die Erfolg hätten. Deshalb werden wir bei der Kritik der Praxis von SDAJ und DKP nicht stehen bleiben, sondern uns ebenfalls kritisch mit den Erfahrungen der diversen gescheiterten Aufbauprozesse, von den K-Gruppen bis zu den diversen „roten“ autonomen und linksintellektuellen Gruppen beschäftigen. Ihre Fehler zu wiederholen liegt nicht in unserem Interesse – einen Austausch zu organisieren aber wohl. Schon jetzt können wir sagen, dass wir 1) eine inhaltliche Klärung der aufgeworfenen Grundsatzfragen und die Entwicklung einer revolutionären Praxis in und mit den Massen für die Voraussetzung einer Neugründung der KP in Deutschland halten; und dass wir 3) konsequent und prioritär auf die Organisierung der Klasse orientieren wollen.
Wie der Prozess des praktischen Aufbaus und der inhaltlichen Klärung vonstatten gehen wird, dafür werden wir in den kommenden Monaten gemeinsam Schritte gehen und Vorschläge machen (voraussichtlich auf dieser Homepage: www.wieweiter.net).
Natürlich wird all das ein Kampf, den man gewinnen oder verlieren kann. Die Voraussetzungen für den Erfolg und überhaupt jeglicher kommunistischer Aktivität in einem der aggressivsten imperialistischen Staaten mit ausgefeilter Herrschaftstechnik sind denkbar schlecht. Aber wir denken, dass wir aus den Fehlern der DKP und SDAJ einige wichtige Lehren gezogen haben und außerdem einen Grundstock an fähigen und entschlossenen GenossInnen versammelt haben. Daher hegen wir trotzdem die Hoffnung, einen aussichtsreichen Weg einzuschlagen. Wir wollen uns nicht vom Scheitern früherer Versuche abhalten lassen, es erneut zu versuchen – ein „Weiter so!“ ist keine Alternative.
Wir rechnen damit, dass es in der DKP und SDAJ Kräfte geben wird, die uns ohne jede Zurückhaltung als „Ultralinke“, „Linkssektierer“, „Linksradikale“ und Ähnliches diffamieren werden. Diese Vorwürfe entbehren jeglicher argumentativen Grundlage, wie der Verlauf der Diskussion bisher gezeigt hat. Konsequenterweise müssten diejenigen, die sie lauthals erheben, dann auch viele andere kommunistische Parteien auf internationaler Ebene als „linksradikal“ bezeichnen. Auch wir selbst benutzen manchmal solche Stempel, um die Richtung der Kritik in einem Begriff zu fassen. Die gehäufte Benutzung solcher Eingruppierungen zum Zwecke der Verunglimpfung jedweder Abweichung ohne Argumentation ist für uns jedoch ein abzulehnender politischer Stil. Wir werden unser Bestes geben, in dieser Trennung einen sachlichen Ton zu wahren.
Wir gehen zwar davon aus, dass nach dem Ausscheiden des größten Teils der Linksopposition die opportunistische Entwicklung von DKP und SDAJ sich nicht abschwächen, sondern nach einem kurzen verbalradikalen Aufbäumen verschlimmern wird. Dennoch sehen wir nach wie vor Gemeinsamkeiten in weltanschaulichen und konkreten politischen Fragen. Wir sind deshalb auch bereit, mit allen Interessierten in Diskussion zu bleiben, unabhängig von ihrer Organisationszugehörigkeit. Entscheidend ist für uns die Bereitschaft zur offenen Debatte auf Basis von Argumenten.
Wir verstehen die DKP und SDAJ und ihre Mitglieder keinesfalls als politische Gegner und möchten ein solidarisches Verhältnis pflegen. Wir wollen nicht die unselige Tradition der K-Gruppen fortsetzen, die einen Großteil ihrer Energie auf die Kritik am Revisionismus verwandten. Unser Feind sind die Bourgeoisie und der bürgerliche Staat, unser Feind sind der Imperialismus und die politischen Kräfte, die ihn verwalten. Wo wir im Kampf gegen diesen gemeinsamen Feind zusammenarbeiten werden können, wird sich in Zukunft zeigen. Wir sind überzeugt, dass ideologischer und praktischer Wiederaufbau der kommunistischen Bewegung in Deutschland noch am Anfang stehen, aber dass es einen neuen Anfang braucht.
Wir verabschieden uns schweren Herzens,
80 ehemalige Mitglieder der SDAJ und DKP aus:
Berlin, Dortmund, Essen, Frankfurt, Gießen, Göttingen, Jena/Weimar, Leipzig, Mannheim, Marburg, Regensburg, Schwarzwald, Stuttgart und Tübingen.
24. November 2017
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Quelle: »wie weiter.net“