Sascha Iwanow
Der revisionistische Untergang des Sozialismus in der DDR
Rezension des Buches: Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker. Funktionsmechanismen der SED-Diktatur in Konfliktsituationen 1962 bis 1972. Von Monika Kaiser
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Vor Wochen fiel mir das oben genannt Buch in die Hände. Das mich der Revisionismus der DDR interessiert, und ich die Bücher von Peter Przybylski: Tatort Politbüro, Die Akte Honecker, Bd. 1 und 2, Berlin 1991/92 schon gelesen hatte, lieh ich es mir aus und begann es zu lesen. Was ich da las, fast die Rezension von Stephan Bollinger sehr gut zusammen.
Um Menschen, die sich auch Klarheit über den Untergang des Sozialismus in der DDR und der Welt verschaffen wollen, veröffentliche ich hier die Rezension dieses bemerkenswerten Buches und empfehle es zu lesen.
„Walter Ulbricht als »aufgeklärter Absolutist« und Reformer, der von seinem dogmatischen Kronprinzen Honecker in langem und hinterhältigem Machtkampf letztendlich politisch kaltgestellt und gestürzt wird – das ist das Fazit des exzellent recherchierten Buches Monika Kaisers. Obzwar die Titel etwas irritierend den Verkaufsabsichten des Verlages angepaßt sind, umreißen sie doch wichtige Aspekte.
Kaiser legt Fakten und Argumente dar – ähnlich einigen anderen neuen Arbeiten – »für eine gewisse Neubewertung des ›alten Ulbricht‹ und der Spätphase seiner Herrschaft‹« (S. 16). Das betrifft zum einen den engeren Prozeß des Machtwechsels, genauer des von Honecker mit Unterstützung einer reformfeindlichen Fraktion im SED-Politbüro und bei ständiger Rückversicherung bei den Moskauer Geistesverwandten um Breshnew organisierten Prozesses der zunehmenden Ausschaltung Ulbrichts und seinen schließlichen Sturz. Dabei macht K. »eine Art Doppelherrschaft zwischen Ulbricht und Honecker« seitdem »Kahlschlag«-Plenum im Dezember 1965 aus (S. 55). Dabei ist sie jedoch unentschieden, ob der wirtschaftliche Bruch (noch verklausuliert) hier entscheidend war oder die Rücknahme der jugend- und kulturpolitischen Neuerungen. Sie liefert für beides Argumente, auch wenn sie den Tod Erich Apels wohl zu sehr mystifiziert. Eine politische Kaltstellung ist nach ihrer Darstellung wahrscheinlich, eine Attentatsvariante (gar des KGB) scheint weit hergeholt (S. 126). Da allerdings die durch Moskau erzwungene wirtschaftspolitische Neuorientierung mit den jugend- und kulturfeindlichen Vorstößen der Honecker-Gruppe zeitgleich lief, ging es den Reformfeinden wohl um eine »Klärung« auf beiden Gebieten. Allein Apels Freitod verhinderte eine offene Korrektur der Wirtschaftspolitik, verdeckt wurde sie jedoch eingeleitet. Auf jeden Fall nutzt die ostdeutsche Autorin den Machtwechsel als »Focus«, um »die politischen Entscheidungsprozesse« und das Funktionieren »der SED-Diktatur auf der Herrschaftsebene« genauer zu erforschen (S. 20). Zum anderen die Untersuchung von tatsächlichen oder vermeintlichen, möglicherweise gar inszenierten Krisen in der DDR, die durch die SED-Führung zu meistern waren und die – so Kaiser – von Honecker instrumentalisiert wurden, um den ihm unliebsamen Reformkurs auszubremsen und schließlich abzubrechen.
Eigentlich liegt mit dem Buch eine weitreichende DDR-Geschichte für die Zeit vom Mauerbau bis zum Etablieren der Honecker-Ära vor. Das ist die Zeit des weitgehendsten DDR-Reformversuchs des sowjetischen Sozialismusmodells. Der beständige Hinweis von Kaiser, daß Ulbricht »nur« einem »systemimmanenten Horizont« für die Reformen (S.152) verpflichtet war oder daß er der Illusion eines Beispiels für den Westen anhing, dürfte seine Leistung nur wenig schmälern. Ulbricht schien bis Beginn der sechziger Jahre den stalinistischen Politikertyp zu verkörpern. Mit allen Mitteln sorgte er dafür, daß die DDR als der zweite, der »sozialistische deutsche Arbeiter- und Bauern-Staat« entstehen und sich behaupten konnte. Bemerkenswert – sein vorherrschendes Bild korrigierend – ist, daß er nun in eine andere Rolle schlüpfte. Nach Mauerbau und Ende der »Abstimmung mit den Füßen« suchte er nach Wegen, um »seinen «Sozialismus attraktiver und im Sinne einer »nationalen Mission der DDR« auch für die Bundesrepublik zum Vorbild gesellschaftlichen Wandels zu machen. Dabei war er in Anwendung eines Lenin-Wortes »überzeugt, daß nichts und niemand die SED-Herrschaft stürzen könne außer: die eigenen Fehler« (S.38). Anschaulich belegt K. den Weg dieser Reform »von oben« seit 1962. Sie zeigt die Wechselwirkung zu den parallelen Diskussionen in der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten, schließlich die Pionierrolle der DDR in der ersten Hälfte der sechziger Jahre. Die neue Wirtschaftspolitik mit Zuwendung zur Selbständigkeit der Betriebe und zum Gewinn als einer Zentralkategorie sowie die von ihr als »liberal« apostrophierte Kultur- und Jugendpolitik werden vielfach auf neu erschlossene Archivdokumente gestützt dargestellt. Hervorzuheben ist die Untersuchung des Schicksals der Jugendkommission und ihres Vorsitzenden Kurt Turba, der von Ulbricht in bewußter Konkurrenz zu Honecker als zuständigem Sekretär eingesetzt wurde. Gleichzeitig werden die Intrigen Honeckers und der ihn Unterstützenden im Vorfeld des 11. Plenums 1965 deutlich, eine selbstinszenierte Krise. Vorkommnisse bei Jugendlichen und abweichendes, aber pro-DDR-kritisches Agieren von Künstlern wurden zur Bedrohung hochstilisiert, die die Sicherheits- und Machtfanatiker in der SED-Führung für einen Kurswechsel nutzten.
Leider nur an der Konkurrenzsituation Politbüro/Sekretariat zum »Strategischen Arbeitskreis« Ulbrichts und der Rolle des Staatsrates werden Fragen eines möglicherweise abweichenden Demokratiekonzepts des patriarchalen »Übervaters« des NÖS diskutiert. Mit seiner Formel vom »sozialistischen Rechtsstaat«, der breiten Diskussion nicht allein der Verfassung von 1968, sondern auch wichtiger Gesetze, dem Rechtspflegeerlaß von 1964 u.a. waren offenkundig bewußt Ausweitungen der sozialistischen, durchaus weiter gelenkten Demokratie verbunden, die noch näher zu untersuchen wären.
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