Ohne die persönlichen Gefühle zu schmälern – denn jede und jeder hat das Recht, die eignen Helden, oder gar keine, zu wählen – sehe ich Gründe, warum die Erinnerung an Dean Reed nicht nur gerechtfertigt, sondern höchst relevant bleibt.
Denn Dean stand für manche Prinzipien, die genauso vonnöten sind wie damals. Ja, wenn man voller Sorge manche laute, raue Stimmen hört und manche Medien liest oder anschaut, merkt man, sie seien dringender denn je.
Denn ganz besonders zu schätzen war Deans Internationalismus oder, einfacher gesagt, seine Überzeugung, dass Menschen aller Nationalitäten seine Brüder und Schwestern waren. Dieses Gefühl der Solidarität mit Menschen aller Länder und Nationalitäten war für einen ziemlichen Cowboy-Typ aus Colorado gar nicht selbstverständlich. Colorado galt zwar immer als ein herrlicher Bundesstaat, für manche gar der herrlichste. Und heute ist er dafür bekannt, als erster der fünfzig US-Staaten, der Marijuana legalisierte. Doch als Dean dort aufwuchs war Colorado einer der isoliertesten, von fortschrittlichen Ideen am entferntesten in einem Lande, wo überhaupt Gefühle der Weltoffenheit, Solidarität und des Fortschritts es bei Gott nicht immer leicht hatten! Oder haben!
Durch sein Singen kam Dean aus dem abgeschiedenen Colorado zu mutigen Menschen in Kalifornien, dann nach Chile, Peru und Argentinien, wo er von der Armut erfuhr, von Unterdrückung von Millionen, und lernte auch, gerade diese Menschen zu befreunden.
Doch nahm er nicht nur Anteil an ihren Leiden sondern auch an ihren Kämpfen, für Salvador Allende in Chile, gegen die Diktatur in Argentinien, für die Urbewohner Brasiliens. Er blieb mit ihnen bis zum Lebensende verbunden, und für sie kampfbereit. Er filmte in Italien, in Mexiko und Spanien – und wurde überall mit den arbeitenden Menschen verbunden. Das brachte ihm nicht nur Freunde, auch bei manchen einflussreichen Persönlichkeiten aus seiner Heimat. Mehrmals musste er weiter ziehen.
Er konnte sein Blickfeld ausbreiten, auch dann in dem „Osten“; er kam und blieb in der DDR, in Ostberlin, auch durch zwei Ehen motiviert, dazu eine Tochter und ein Adoptivsohn. Er wurde in anderen osteuropäischen Ländern gejubelt, bewundert und beliebt, vor allem in der Sowjetunion.
Hier wohl beim Weltfestival der Jugend lernte er Yasser Arafat kennen, reiste nach dem Libanon und befreundete sich mit Vertretern des palästinensisches Volkes, lernte von ihren Leiden. Passend zu seiner ganzen Denkweise lehnte er jeglichen Muslimenhass, auch Antisemitismus, und das Herab schauen auf amerikanischen Urbewohner und deren Unterdrückung etwa im Kampf bei Wounded Knee. Er bekämpfte sämtliche Abarten des Hasses gegen irgendwelche Völker.
Bei allen solchen Beziehungen ging es Dean nicht allein um Kennenlernen und Freundschaft, sondern eben um den Einsatz für Menschenrechte, das Engagement für die „Underdogs“ der Welt, die Ärmsten, die Unterdrückten. Das gehört zu seinem Vermächtnis.
Ja, ein bisschen Romantiker war er immer, und ein Showman. Manche Kenntnisse, Gewohnheiten und Züge von Hollywood streifte er nicht ab, setzte er sie aber stets für gute Sachen ein; das Schrubben der verschmutzten USA-Fahne während des Vietnamkriegs, ein kalkuliertes Sich-Kidnappen-Lassen um die enthaltener Löhne von italienischen Filmarbeitern zu durchsetzen, das Singen verbotener Freiheitsliedern bei Bergleuten in Pinochets Chile. Dazu aber auch die zärtliche aber entschlossene Verteidigung eines ärmlichen aber kecken kleinen Mädchens in einem rumänischen Bergdrehort. Snobs hasste und trotzte er immer. Und zu Show-Business gehörte eben für ihn neben dem Ablehnen von allen Doubles auch das Suchen nach medienwirksamen Einfällen, Tricks, die auf Amerikanisch Gimmicks heißen.
Heute, Jahre später, kann man über Manches noch lächeln. Doch sind nicht solche Gimmicks so nötig heute wie je zuvor, um den Nebel der Medien mal durchzubrechen? Können Linke sie nicht ebenfalls ideenreich gebrauchen, wie es Dean immer versuchte?
Und bleibt sein Einsatz für die Underdogs, die Unterdrückten nicht brennend aktuell? Die hart arbeitenden, so oft leidenden Menschen in Lateinamerika, die endlich im Kampf um Gerechtigkeit, um Leben, voranzukommen schienen, werden wieder – in Haiti und Guatemala, in Argentinien und Brasilien, vor allem in Venezuela wieder zurückgedrängt und von alten Mächten bedroht. Und werden nicht Hunderttausende mit Waffengewalt, Brand und Landminen aus Myanmar vertrieben, nur weil sie Muslimen sind? Hungern und sterben nicht Hunderttausende in immer noch quasi-kolonisierten Ländern von Afrika, dann durch Waffengewalt oder Hunger getrieben, ihr Leben auf dem Meer zu riskieren? Und die Kinder von Jemen; merken nicht viel, viel zu wenige, wie sie von Bomben, Hunger und Cholera massenweise getötet werden? Und wessen Waffen dabei sind?
Und leiden nicht – noch wie zu Deans Zeiten – palästinensische Menschen, die von ihren Straßen, Wasserquellen, Olivenhainen und von ihrem Land vertrieben werden? Ich brauche nicht lange zu überlegen, was Dean zu alldem gesagt hätte – und Mögliches getan.
Die Gefahren für die Welt – jetzt durch Bedrohungen durch Feuer, Dürre, Sturm und Flut unheimlich verschärft – werden keinesfalls weniger groß, auch mit verheerenden Konflikten gleich hier in östlichen Europa bedroht, die vernichtende Nuklearfolgen haben können. Menschen, die sich einsetzen, in Rammstein, Hamburg, oder auf den Straßen von Berlin, tun mehr Not denn je!
Ich will schließlich daran erinnern, dass Dean stets ein gewisses Ziel im Herzen hatte. Er glaubte fest; um Hunger, Krieg und Elend endlich zu verbannen musste sehr tief verändert werden, vor allem die Herrschaft einer kleinen Anzahl von Milliardären, die schon über die Hälfte des Weltvermögens in ihren Schlössern, auf ihren Jachten oder auf entfernten Inseln und geschützten Alpentresore zu Billionen fest gebündelt halten. Dieses Verändern hieß für ihn Sozialismus.
Dean war nie ein humorloser Fanatiker. Er lachte gern und liebte es, andere zum Lachen zu bringen, und wenn auch dabei man ab und zu an Hollywood erinnert wurde – warum nicht?
Ein blinder Fanatiker war er auch nicht. Er merkte kritisch was ihm in Berlin, in Moskau, in Warschau oder Prag missfiel. Und er hatte ein scharfes Auge. In seinen letzten Jahren wurde er wohl melancholisch, als er merkte, wie schwierig der Weg war, und wie vielen Schlaglöcher es gab. Doch – wir wissen es von seiner letzten Schrift, er blieb diesem Traum immer treu. Trotz alledem!
Ja, Dean Reed ist schon lange her von uns gegangen. Doch sein ungewöhnliches, mit Hellem und Dunklem gekennzeichnetes Leben hat vielen von uns bereichert, und hat noch heute sehr viel zu sagen. An seinem Geist gilt es zu denken. Wir brauchen ihn immer!“