Nico Diener
Lieb Vaterland magst ruhig sein
Udo Jürgens Song von 1971 ist aktueller denn je!
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„Lieb Vaterland wofür soll ich dir danken? Für die Versicherungspaläste oder Banken? Und für Kasernen für die teure Wehr wo tausend Schulen fehlen tausend Lehrer und noch mehr!“
Als „Troubadour der milden Mitte“ wurde Udo Jürgens bisweilen bezeichnet. Damit war es allerdings schlagartig vorbei, als er mit dem Lied „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“ vor sein Publikum trat. Wie politisch durfte ein westdeutscher Schlagersänger, dessen Aufgabe es doch war zu unterhalten, sein? Und das zur Zeit als der Aufbruch der Studenten und Schüler gegen den „Muff von tausend Jahren unter den Talaren“ gerade im Abklingen war. Biedermann und Biederfrau nahmen es zur Kenntnis und spekulierten bis hin zur Frage, wieviel ihm wohl das MfS der DDR dafür gezahlt hätte. Der westdeutsche Michel nahm es dennoch gelassen und lies sich sebst von den Versen „Lieb Vaterland, wofür soll ich dir danken / für Versicherungspaläste oder Banken“ nicht ermuntern den Hintern vom Sessel zu bewegen und endlich einmal mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Die fortschrittliche und kämpfende Jugend hatte zu der Zeit andere singende Ideale und nahmen Udo Jürgens Anklage kaum zur Kenntnis.
Aber sie war richtig und man könnte sie ebenso gut auf heute übertragen. Jeder Vers passt wie die Faust aufs Auge! Wir können auch heute noch Udo Jürgends für dieses aufrüttelnde Lied danken und es verbreiten. Seine politischen Lieder schrieb Udo Jürgens übrigens in der Regel gemeinsam mit dem Hausautor des Düsseldorfer Kom(m)ödchens, Eckart Hachfeld. „Lieb Vaterland“ produzierte Ralph Siegel und Eckart Hachfeld schrieb gemeinsam mit Udo Jürgens den Text.
Interessant ist eine eigene Anmoderation von Jürgens, bei einer Live-Veranstaltung in den 70ern.:
„ (…) Um das nächste Lied hat es viel zu viele Diskussionen meiner Meinung nach gegeben, aber wenn ich es weglassen würde, dann könnten sie mit Recht sagen auf der Bühne da traut er sich eben nicht und außerdem, wer a sagt, der muss auch b sagen und wie die Diskussionen um dieses Lied auch gewesen sein mögen – heute Abend hier – bei Ihnen singe ich es erst recht.“
Und noch mehr haben wir dem Udo zu verdanken: Karl-Eduard von Schnitzler widmete fast eine ganze Sendung von „Der Schwarze Kanal“ diesem Lied. Darin analysiert er volltrefflich die Umstände unter und in denen das Lied entstanden ist und betont dabei immer wieder das seine Kritik sich nicht an Jürgens richtet, des zweifellos aufrichtig hinter dem Text stand und ihn in vortrefflicher Weise darbietet. Ich habe diesem Artikel ein Video der Sendung vom 12.04.1974 angefügt und bitte Euch, Euch diese Analyse nicht entgehen zu lassen.
Nun aber endlich zum Lied, mit der Bitte, es weiter zu verbreiten. Viel Freude und neuen Mut für die künftigen Kämpfe, wünsche ich Euch beim zuhören.
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Lieb Vaterland
Der Schwarze Kanal vom 12. April 1974
Ehrliche Worte
Mehr über Udo Jürgens und seiner Lebenseinstellung
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Vaterland wird abgebrannt und es ist ein Stiefvater für alle Proletarier. Ich kann nur verächtlich Danke sagen für die verkorkste Einheit mit Arbeitslosigkeit, Armut, Diebstahl des Volkseigentums, Mißachtung von Lebensleistungen und der Würde vieler Menschen, für Kriegseinsätze in aller Welt und der Unterwürfigkeit gegenüber der selbsternannten Schutzmacht. Auch in den alten Bundesländern hat „lieb Vaterland“ ausgeliebt, denn es war immer schon das Vaterland der Bonzen und Schmarotzer, der alten und neuen Faschisten und keine Heimat für Humanisten. Was ich mir wünsche ist ein „Elternland“ mit solidarischer Hand die nicht los läßt wenn mal einer stolpert oder hinfällt. Ein „Elternland“ gleichwohl auch Kinder- und Seniorenland. Doch das werden die Egoisten als Träger dieses falschen Vaterlandes nie begreifen. Ein gutes „Elternland“ reicht auch anderen Eltern die Hand und nicht die Waffen zum morden.
Udo hat in seinen Songs immer versucht, die Menschen zu erreichen und achzurütteln. Leider sind die Menschen oftmals so, dass sie sich das anhören, aber selbst ja ganz anders sind. Und am Ende kommt dann so ein Kommentar, wie der von Kalle Schulze zustande, der nix kapiert hat, wie Zusammenleben funktioniert. Mit rummeckern und sonst nix tun, ist noch kein gescheiter Staat entstanden. Unser Vaterland braucht Hilfe und Unterstützung, so wie viele Menschen, die in die Jahre gekommen sind und alleine nicht mehr zurecht kommen. Es ist unser aller Aufgabe mitanzupacken – leider haben das die meisten vergessen oder verdrängt. Wenn nicht so viele Bürger Jahrzehntelang nix gesagt haben, erwarten sie jetzt, das unsere Politiker wissen, wo der Schuh drückt. Wer tut denn aktiv was für sein Land? Wer packt an, wenn es not tut. Nö, lasst mal die anderen machen. Hauptsache mir geht es gut. Und wenn es mir nicht so gut geht, dann mecker ich eben und bin unzufrieden. Wie sollen wir stolz auf unser Land sein, wenn unser Land nicht stolz auf uns sein kann. Hört einfach besser zu, wenn Menschen wie Udo Euch die Welt erklären.
Schrecklich, allein die Bezeichnung Vaterland, insofern gehe ich hundert prozentig d’accord mit der Formulierung „Elternland“. Erst wenn Menschheit endlich begriffen hat, daß Grenzen alles zerstörend sind, die tatsächlichen zwischen Ländern und die in unseren Köpfen, dementsprechend mit echter Toleranz einander begegnen, ohne jene stetig ständige Ausbeutung, nach der sich alles richtet, Politik, die Wirtschaft, das Zusammenleben, haben wir eine Chance auf echten Frieden, eben mit dem Ende jener ungerechten Verteilung. Udo Jürgens war seiner Zeit voraus und auch nicht, denn er ergriff genauso das Wort wie vor ihm andere, denken wir an Tucholsky oder Borchert, um nur zwei zu benennen. Heute wünsche ich mir mehr Grönemeyers, die aufstehen und sagen, was Sache ist: Nie wieder Faschismus, den Rechten keinen Millimeter!
Lieber Nico!
Dankeschön für das Lied, das ich nicht kannte, muß ich ehrlicher Weise zugeben. Eine bessere Analyse und Kritik als die von Karl-Eduard würde mir wohl kaum gelingen. Gut also, daß Du sie dem Lied beigesellt hast. Vielleicht könnte man zwei andere Lieder dazutun: „Ja, dieses Deutschland meine ich“ von Franz Josef Degenhardt https://www.youtube.com/watch?v=wiV9m7FK1sA und das „Lied vom Vaterland“ von Reinhold Andert https://www.youtube.com/watch?v=A6wg-EvBStw
Zwei Lieder, die zu einem gewichtigen Teil aus Träumen gemacht sind. Und das ist etwas anderes als die Spekulation, wieviel Geld man mit ihnen scheffeln könnte.
Danke für diese Erinnerung, lieber Nico! Das Lied hat Udo Jürgens uns damals aus der Seele geschrieben. Und wenn ich jetzt den Schnitzler- Kommentar höre und sehe (was mir damals gar nicht in den Sinn kam, vielleicht auch im Westen nicht so üblich war), dann drängt sich mir die Frage auf, ob zur damaligen Zeit eine Wiedervereinigung nicht glückvoller gewesen wäre – denn in den 1970er Jahren war der „Wohlstand“ ähnlich gewichtet in Ost wie West … Müßig! Ich bin froh, dass es 1989 gegeben hat – doch hatte ich so sehr gehofft, dass wir beide „Vaterländer“ zu einem wunderbar blühenden „Eltern- und Familienland“ vereinigt erleben könnten … Tja, war so nicht. Dennoch: Bitte schaut nach VORNE und holt zusammen nach, was damals versäumt wurde durch die kapitalistische Ãœbernahmeaktion. Nichts mehr „gegeneinander“ – nur noch MITEINANDER …
ich habe dieses wunderschöne Lied genügend kommentiert. Könnt ihr ja gern schauen.