Nico Diener
Venceremos
Zum 44. Jahrestag der Ermordung von Víctor Jara
Das Leichenschauhaus von Santiago ist so voll, dass sich die Toten in sämtlichen Räumen des Gebäudes stapeln. Verwesungsgestank liegt über den endlosen Reihen nackter, blutiger Leiber. Seit Beginn des Militärputsches in Chile am 11. September 1973 werden ständig weitere zerschundene Körper eingeliefert. Unter den im ersten Stock abgelegten Toten findet Joan Turner Jara die halbnackte Leiche ihres Mannes. Zwei Tage zuvor, am 16. September, hat man den berühmten Sänger in einem Straßengraben von Santiago entdeckt. Sein Körper ist durchsiebt von 44 Maschinengewehr-Geschossen, seine Hände baumeln nur noch lose an den Handgelenken. Victor Jara hat zu den Ersten gehört, die nach Beginn des Staatsstreichs unter Führung von General Augusto Pinochet und dem Tod von Präsident Salvador Allende verhaftet worden sind. Er ist gefährlich für die Generäle, denn Víctor Jara ist die Stimme des politischen Kampfes für ein demokratisches Chile.
Víctor Jara, Schauspieler, Regisseur, Sänger, Liedermacher und Komponist, war einer der großen Helden Chiles, eine der Lichtgestalten in Lateinamerika, ein Che Guevara mit Gitarre.
Harry Belafonte schrieb über ihn: „Víctor Jara war ein Künstler. Er war einer von uns. Die Trauer über unseren toten Helden macht ihn nicht wieder lebendig. Aber die Erfüllung seines Traumes von einer Welt der Menschlichkeit, der Liebe und des Friedens wird ihn unsterblich machen“.
Víctor Jara war ein fester Bestandteil des chilenischen Volkes, ein Freund aller ausgebeuteten und unterdrückten Menschen der ganzen Welt. Seine Liebes- und Kampflieder machten Mut und schafften Solidarität. Sein unerschütterlicher Drang nach Frieden, Gerechtigkeit, seine Aufrichtigkeit und seine Treue zum chilenischen Volk machten ihn zum innigen, vielleicht sogar besten Freund von Dean Reed. Viele Wege sind sie gemeinsam gegangen. Als die Verbitterung über den grausamen Mord an Víctor langsam in Dean Reeds Herz verklang, gelang es ihm seine Trauer in Stärke zu verwandeln, und er setzte ihm mit seinem Film El Cantor ein bleibendes Denkmal. Wer war dieser stolze Kämpfer?
Víctor Jara wurde im Jahre 1932 als Sohn einer Wäscherin und eines Landarbeiters geboren. Dank seines Talents und seines Willens studierte er trotz der sozialen Schranken an der Universität von Santiago und wurde ein bekannter Schauspieler und Regisseur. Mit der Zeit machte er sich auch als Sänger und Liedermacher einen Namen, zuerst mit traditionellen Liedern, später auch mit eigenen, politischen Chansons. Jara unterstützte nicht nur die Unidad Popular und Salvador Allende im Wahlkampf, er wurde zur Stimme der Hoffnung des chilenischen Volkes auf Freiheit und Gerechtigkeit.
Während des Putsches in Chile im Jahre 1973 wurde Víctor Jara zusammen mit Tausenden Kampfesgenossen in ein provisorisches Internierungslager, das im Nationalstadion von Santiago de Chile errichtet wurde, eingesperrt. Als er sich gegenüber einem Aufseher zu erkennen gab, brach dieser dem Musiker die Finger beider Hände. Er sang trotzdem weiter und wurde schließlich erschossen und sein Leichnam, übersät von Dutzenden Schusswunden, im Stadion verscharrt. Aber ihr Ziel, Víctor Jara zum Schweigen zu bringen, haben die Häscher des Faschismus nicht erreicht. Im Gegenteil, der Geist dieses Verkünders der Menschlichkeit lebt fort, solange man seine Lieder singt und hört.
Victor Jaras letztes Gedicht, geschrieben vor seinem Tod im Nationalstadion von Santiago de Chile im September 1973
Somos cinco milen esta pequeña parte de la ciudad. Somos cinco mil ¿Cuántos seremos en total en las ciudades y en todo el país? Solo aqui diez mil manos siembran y hacen andar las fabricas.¡Cuánta humanidad con hambre, frio, pánico, dolor, presión moral, terror y locura!Seis de los nuestros se perdieron en el espacio de las estrellas.Un muerto, un golpeado como jamas creí se podria golpear a un ser humano. Los otros cuatro quisieron quitarse todos los temores uno saltó al vacio, otro golpeandose la cabeza contra el muro, pero todos con la mirada fija de la muerte.¡Qué espanto causa el rostro del fascismo! Llevan a cabo sus planes con precisión artera Sin importarles nada. La sangre para ellos son medallas. La matanza es acto de heroismo ¿Es este el mundo que creaste, dios mio? ¿Para esto tus siete dias de asombro y trabajo? en estas cuatro murallas solo existe un numero que no progresa, que lentamente querrá más muerte.Pero de pronto me golpea la conciencia y veo esta marea sin latido, pero con el pulso de las máquinas y los militares mostrando su rostro de matrona llena de dulzura. ¿Y Mexico, Cuba y el mundo? ¡Que griten esta ignominia! Somos diez mil manos menos que no producen.¿Cuántos somos en toda la Patria? La sangre del companero Presidente golpea más fuerte que bombas y metrallas Asi golpeará nuestro puño nuevamente.¡Canto que mal me sales Cuando tengo que cantar espanto! Espanto como el que vivo como el que muero, espanto. De verme entre tanto y tantos momentos del infinito en que el silencio y el grito son las metas de este canto. Lo que veo nunca vi, lo que he sentido y que siento hara brotar el momento… |
Es sind fünftausend von uns hier in diesem kleinen Stückchen Stadt. Wir sind fünftausend. Ich wüsste gern, wie viele wir sind in den Städten und im ganzen Land? Hier allein sind zehntausend Hände, die pflanzen und die Fabriken betreiben. Wie viel Menschlichkeit ausgesetzt dem Hunger, der Kälte, der Angst, der Qual, der Unterdrückung, dem Terror, dem Wahnsinn? Sechs von uns sind verloren wie im Weltraum. Einer tot, einer geschlagen, wie ich nie geglaubt hätte, dass ein Menschenwesen geschlagen werden kann. Die anderen vier wollten ihre Qualen beenden – einer sprang ins Nichts, einer schlug den Kopf gegen die Mauer, aber alle mit dem starren Blick des Todes. Was für ein Grauen die Fratze des Faschismus schafft! Sie führen ihre Pläne mit der Präzision von Messern aus. Ihnen ist alles gleich. Für sie ist Blut wie ein Orden, Schlächterei eine Heldentat. O Gott, ist das die Welt, die du geschaffen hast? Dafür deine sieben Tage voll Wundern und Taten? In diesen vier Wänden gibt es nur eine Zahl, die sich nicht vermehrt. Die sich mehr und mehr nach dem Tode sehnt. Aber plötzlich erwacht mein Gewissen und ich sehe diesen Strom ohne Herzklopfen, nur den Rhythmus von Maschinen und die Militärs, die ihre Hebammen-Gesichter aufsetzen, voller Zärtlichkeit. Lasst Mexico, Cuba und die Welt gegen diese Schändlichkeit protestieren! Wir sind zehntausend Hände, die nichts produzieren können. Wie viele von uns im ganzen Land? Das Blut unseres Präsidenten, unseres compañeros, wird kühner kämpfen als Bomben und Maschinengewehre! Auch unsere Faust wird wieder kämpfen. Wie schwer ist das Singen, wenn ich den Schrecken singen muss. Den Schrecken, den ich lebe, den Schrecken, den ich sterbe. Mich selbst unter so vielen sehen und so viele Augenblicke der Unendlichkeit, in denen Schweigen und Schreie das Ende meines Gesanges sind. Was ich sehe, habe ich nie gesehen. Was ich gefühlt habe und was ich fühle, wird den Augenblick erschaffen… |
Quelle der deutschen Übersetzung: „Victor Jara – Chile, mein Land, offen und wild. Sein Leben“, erzählt von Joan Jara, rororo aktuell 5523
Teil 1: Die Unidad Popular de Chile (1970-1973)
Teil 2: Salvador Allende Gossens (1908-1973)
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Übernommen von American Rebel, vom 15. September 2017
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