Wissenschaftsgeschichtliche Skizzen

Gruppe RoterMorgen, nach einer Vorlage von Heinz Ahlreip

Die bürgerliche Emanzipationsbewegung gegen die “Diktatur des Papstes“ im Spätfeudalismus ist laut Friedrich Engels als “die größte Revolution, die die Erde bis dahin erlebt hatte“, bezeichnet. Der Übergang vom Spätfeudalismus, in dem die katholische Kirche zu dem größten Feudalherrn emüprstieg und die Bibel immer noch das Schlüsselbuch war, zum Frühkapitalismus, ist näher dadurch zu bezeichnen, dass auf Grund der Entwicklung der Produktivkräfte, insbesondere durch die Verbreitung der Buchdruckerkunst, ersterer anfing, obsolet zu werden. 

Das menschliche Denken hob an, religiöse Fragen in weltliche aufzulösen, weltimmanent zu denken, zugleich aber eine rationale Ordnung am Planetenhimmel einzustimmen und von der Erkennbarkeit unserer Welt und anderer Planeten auszugehen. Aufklärer entweihten den heiligen Geist zu einem profanen, die Erde sei seine Heimat. Jegliche theologische Spekulation wurde einer Prüfung unterzogen und geerdet, war auch aus Angst oder aus Gründen der Tarnung das Wort Gott und Gottes Wort noch wohlklingend besetzt worden, denn ein Angriff auf die Religion entsprach einem Angriff auf den Staat und seiner Verfassung, auf beides stand die Todesstrafe, je schwärzer katholisch das Land eingefärbt war. Intensiv gingen helle Köpfe an den Nachweis, dass der menschliche Geist keinen übernatürlichen Ursprung haben kann. Jetzt komme es darauf an, die Schätze, die die Menschheit jahrhundertelang in den Himmel geschleudert hatte, auf die Erde zurückzuholen. Ist man erst einmal so weit fortgeschritten, dass sich der Geist keine Materie bilden kann, dann ist nur auf dem umgekehrten Weg Klärung in Aussicht: Der Geist ist die entwickelteste Form der Materie und der Mensch ist keineswegs die Krönung einer höheren, unbegreiflichen Schöpfung. Man sieht, schon früh weist Dialektik aus, dass es zwischen Geist und Materie, dass es überhaupt keinen dritten Weg geben kann.

Diese Entwicklung musste zu einer Gewichtszunahme der Naturwissenschaften im Wissenschaftsbetrieb führen, sie standen in der Pflicht der Erdung und lieferten Disziplin für Disziplin Material zum Beleg einer wissenschaftlichen Weltanschauung. Von allen französischen Materialisten, Atheisten und Aufklärern war es Diderot, der am tiefsten in die Materie des Übergangs von anorganischer Materie in organische eindrang. 1774 erschienen seine ‘Elemente der Physiologie‘ nach der langen Dominanz eines mathematisch ausgerichteten mechanischen Materialismus fast schon eine Erlösung, von ihm die Worte “Gärung im Weltall“ zu vernehmen. Dialektisches Denken zeichnete sich ab, denn ohne einen Umschlag von Quantität in Qualität war der Übergang von einer anorganischen Form der Materie in eine andere organische nicht plausibel darzulegen.  Überwältigt wie die Durchschnittsbürger von den für sie kolossalen Ereignissen der französischen Revolution und dem Russlandfeldzug Napoleons zwang der “Weltgeist“ in Hegels Schreibhand die Worte: ‘Wir stehen in einer entscheidenden Phase der Weltgeschichte und sind in einer Gärung begriffen, in der der Weltgeist einen Ruck getan, alle bisherigen Vorstellungen, die Bande der Welt, sind in sich zusammengesunken wie Traumbilder im Augenblick des Erwachsens‘. Hand in Hand mit der Emanzipation der Völker, geht der Niedergang der Geisteswissenschaften, der Abbau des Überbaus einher. Eine der großen Leistungen von Marx und Engels bestand im 19. Jahrhundert darin, dass sie auch die Geschichte, die Geschichte der Gesellschaften und ihr Gegenwartsmilieu, die bürgerliche Gesellschaft, dem wissenschaftlich-dialektischen Materialismus unterwarfen. Heraus kam der wissenschaftliche Nachweis, dass die ökonomische Gesellschaftsformation des Kapitalismus widerspruchsbedingt, eine historisch vorübergehende ist bzw. nur sein kann. Beide Wissenschaftler läuteten somit die Todesglocke der bürgerlichen Geschichtsphilosophie ein.

Es ist kurz die wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung des Ablebens der Theologie und des Aufkommens neuer Lebensbestimmungen zu skizzieren. Rousseau war es, der 1743 in Venedig nach dem Studium Machiavellis und dem der Geschichte der Republik Venedigs erkannte, dass in Zukunft das Schicksal der Menschheit von der Politik bestimmt sein wird wie bisher von Metaphysik und Religion. Für den großen Jakobiner Jean-Paul Marat war die Wissenschaft von der Politik die wichtigste aller wissenschaftlichen Disziplinen. Noch Napoleon diktierte in seinen letzten Lebensjahren, er starb am 5. Mai 1821, sechs Jahre nach Waterloo, seinem General Coulaincuort auf St. Helena: ‘Die Politik ist unser Schicksal‘. Erst der am 5. Mai 1818 geborene Kommunist Karl Marx legte mit der Ökonomie, aus der Politik sich ableitet, eine neue Mutterdisziplin zugrunde und der von Marx zu Recht verstoßene utopische Frühkommunist Wilhelm Weitling sah im Kommunismus die Humanmedizin als die Sonne der Wissenschaften heraufziehen. Diese Überlegung hat etwas für sich:  Weniger Arbeitsunfälle im Sozialismus und Kliniken, von denen frühere Generationen nur träumen konnten. Die Skizze verliefe dann von der inhumanen Sklavenreligion, in der der Mensch von vornherein ein Sündenkrüppel ist, zum atheistischen Humanismus.

Schon heute müssen fortschrittliche gesellschaftliche Kräfte darauf hinwirken, aus Krankenhäusern jegliche religiöse Symbolik zu entfernen, denn was soll man von Ärzten halten, die zur Heilung anhalten, sich an die Vogelscheuche eines Heilands anzulehnen. Es ist immens, was sich in den Krankenhäusern der BRD für ein faules Pfaffenpack herumtreibt. In einer vom Kapital dominierten Gesellschaft steht der Mensch nicht im Mittelpunkt und bürgerliche Universitäten bringen als Regelfall geldfixierte Spezialisten hervor, ohne dass diese jemals allseitig gebildete Menschen werden können. Das Zusammenspiel von Kapital und Universität hat den Weg dorthin verrammelt. Und die Folge? Regelmäßig sehen wir am 24. Dezember jedes Jahres Koryphäen auf ihrem Gebiet sich im mittelalterlichen Kirchenschiff in der ersten Reihe infantil-naiv gebären. Das Geld macht uns einseitig und dumm, hatte der junge Marx im Herbst 1843 gesagt, es borniert und sein Wesen ist in wenigen Zügen der Darstellung erschöpft.

Vergleiche Karl Marx, Zur Judenfrage, Werke, Band 1, Dietz Verlag, Berlin, 1960 Seite 375.

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Dieser Artikel fußt auf eine Vorlage von Heinz Ahlreip. Eine Weiterveröffentlichung des Textes ist gemäß einer Creative Commons 4.0 International Lizenz ausdrücklich erwünscht. (Unter gleichen Bedingungen: unkommerziell, Nennung der verlinkten Quelle (»Der Weg zur Partei«) mit Erscheinungsdatum).
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