Vorläufer der Bürgerlichen Aufklärung: Der Skeptiker Perre Bayle

Perre Bayle (1647 bis 1707), zeitgenössische Darstellug

Heinz Ahlreip – 24 April 2024

Heinz Ahlreip

Die sich von theologischer Bevormundung emanzipierende Naturwissenschaft wurde eine mächtige Waffe im Kampf des Diesseits gegen das Jenseits, klassenmäßig formuliert: Der aufstrebenden Bourgeoisie gegen den absackenden Feudaladel. Viele in der Tradition vom Himmel und Erde-Assoziationsbefürworter Albertus Magnus, 1206 in Lauingen geboren, gestorben 1280 in Köln, stehende philosophische Kollegen verbogen sich jedoch nach rechts zur Gleichrangigkeits‘theorie‘ zwischen Glauben und Wissen, was darauf hinauslief, dass die christliche Offenbarung als übernatürlich anzusehen sei, nicht als widernatürlich. Spekulative Assoziationen mit subjektiv-willkürlichen Durchsetzungen rangieren gleichwertig neben objektiv zu verbindenden Tatsachenbezügen. Einer Trennung von Staat und Kirche braucht so nicht das Wort geredet zu werden. Ein Beispiel hierfür geben die Okkasionalisten, etwa Geulincx und Malebranche ab, Gott greife bei Gelegenheit ein, sollte es im menschlichen Erkenntnisprozess nicht zu einer Übereinstimmung von subjektiven Begriff und Objekt kommen. Das war unwissenschaftlich genug.

Die Unvereinbarkeit von Wissen und Glauben stand ab 1450 mit dem Aufgehen der Renaissance auf der Tagesordnung, die perspektivisch im Zuge einer späteren proletarischen Emanzipation revolutionärer Handarbeiter gegen konterrevolutionäre Kopfarbeiter erstere zu lebenslanger, möglichst kollektiver Lernbereitschaft anhalten wird. 1682 beginnt der in der Tradition Montaignes stehende Skeptiker Pierre Bayle mit seinem ‘Brief über den Kometen‘ seinen erfolgreichen Feldzug gegen Aberglauben und Vorurteile. Alle seine Werke wird Bayle anonym publizieren. 1695 und 1697 erscheint in zwei Bänden sein Hauptwerk, das ‘Historische und Kritische Wörterbuch‘, das durchaus als eine Art Vorläufer der Enzyklopädie Diderots bezeichnet werden kann, die 54 Jahre später Bayles Hauptwerk ablösend ab 1751 zu erscheinen begann, denn Bayle unternimmt in der Absicht der Reinigung des für ihn anliegenden Denkens von Intoleranz und Vorurteilen nichts Geringeres als eine kritische Sichtung des Gesamtwissens seiner Zeit auf mittelalterlichen Residuen hin. Diderot hatte ein Kollektiv vor Bayle lag eine Mammutaufgabe. Er geht im Ansatz dialektisch vor, stellt als autoritativ anerkannte Meinung gegen Meinung, um wie Descartes Autoritätshörigkeit überhaupt anzukreiden, vor allem aber, um wie vor ihm schon Bacon die abgrundtiefe Widersprüchlichkeit zwischen Ratio und Religion zu denunzieren. Sollten sich für Bacon Wissen und Glauben nicht ins Gehege kommen, damit religiöse Menschen keine Atheisten werden und Wissenschaftler keine Fantasten, so geht Bayle, in philosophiegeschichtlicher Chronologie ein Ausläufervertreter des radikalen cartesianischen Zweifels und ein Vorläufer des radikalen französischen Materialismus über den kompromissbereiten englischen Experimentalmaterialismus hinaus.

Philosophie war im Mittelalter heruntergekommen zur Magd der Theologie, jetzt arbeitet die skeptische Philosophie der Metaphysik und zugleich auch noch dem nichtdialektischem, mechanischem Denken und der scholastischen Spekulation mit letztendlich atheistischen und dialektischen Konsequenzen entgegen. Der Mensch erniedrige sich nicht durch den Atheismus, sondern durch eine jenseitige Primärorientierung. Bayle versuchte die religiöse Frage irdisch zu lösen, da in Gesellschaften, in denen Ausbeutung und Anarchie der Produktion vorliegen und daher wenig von dem in Erfüllung geht, was man sich produktiv vorgenommen hat, haben die Menschen Zukunftsangst und verfallen aus dieser von Pfaffen ausgenutzten Unzulänglichkeit einer Religion. Durch diese in sich logische, aber sich nicht in die soziale Ausbeutung vertiefende Überlegung wird Bayle zum Urvater der Priestertrugstheorie, die breit in die französische Aufklärung ausstrahlte, Religion als Machwerk von Kopfarbeitern zu Kopfarbeitern. Nicht eine Zukunftsangst, sondern monotoner kapitalistischer Fabrikterror im tagtäglichen Arbeits- und Abnutzungsprozess liegt heute Religionen zugrunde. Die Religion ist auch immer Protestation gegen soziales Elend.

Trotz verfehlten Ansatzes hat Bayle Zukünftiges vorgeformt: Die Trennung von Staat und Kirche und damit verbunden ein mögliches sinnhaft-gerechtes Zusammenleben von Atheisten untereinander, dass nach der katholischen Kirche als ein nur unmoralisch verlaufendes statthaben konnte. Voltaire wird noch weitergehen: Nicht bloß Abtrennung der Kirche vom politischen Gemeinwesen, sondern ihre Zerquetschung. Der Kampf gegen die Sekte der Fanatiker gegen die Jesuiten war das Lebenselixier Voltaires. Der Name Bayle steht für die skeptische Auflösung der Metaphysik. 

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