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Die Verteidigung der Oktoberrevolution, insbesondere ihrer militanten Seite, gegen pseudowissenschaftliche Angriffe des Zentristen Kautsky trieb Trotzki in den Extremismus der Militarisierung der Arbeit, den Lenin noch als bürokratische Projektmacherei korrigieren konnte.

Wir wissen, dass der freie Arbeiter im Imperialismus eine Fiktion ist, dass der einzelne Arbeiter zwar dem einzelnen sogenannten Arbeitgeber entlaufen kann, nicht aber der Kapitalistenklasse. Doch hören wir Trotzki selbst: „Unsere wirtschaftlichen und zusammen mit ihnen auch unsere gewerkschaftlichen Produktionsorganisationen haben das Recht, von ihren Mitgliedern all die Selbstverleugnung und Disziplin zu verlangen, die bisher nur die Armee gefordert hat … Der Arbeiterstaat hält sich für berechtigt, jeden Arbeiter auf den Platz zustellen, wo seine Arbeit notwendig ist … Die Arbeiterklasse muss unter der Leitung ihres Vortrupps sich selbst auf den Grundlagen des Sozialismus neu erziehen“. (Leo Trotzki, Terrorismus und Kommunismus, (Anti-Kautsky), Verlag Olle & Wolter, Prinkipo Edition, Berlin, o.J.,117ff.). Lenin wies Trotzkis Gleichstellung der industriellen Produktion mit einer militärischen Front zurück und bezeichnete sie als einen elementaren Fehler. („Sonderbar, dass eine so elementare Frage, die zum Abc gehört, erneut behandelt werden muss“ (Lenin, Noch einmal über die Gewerkschaften und die Fehler Trotzkis und Bucharins, Werke, Band 32, Dietz Verlag Berlin, 1960,73). Er pochte auf das Primat der Politik, dass die Gewerkschaft eine ‚Schule des Kommunismus‘ sei, und diesen schlichten Sachverhalt hatte Trotzki übersehen.

 Durch das Attentat der linken Sozialrevolutionärin Fanny Kaplan am 30. August 1918 begann der allmähliche körperliche und seelische Verfall Lenins, der sechs Jahre später nach mehreren Schlaganfällen an den Folgen des Attentates am 21. Januar 1924 starb. Es gab nun keine dominierende Korrekturhand der Oktoberrevolution mehr, wie sie meisterhaft, Nachhilfe in Sachen Dialektik erteilend, in der Anfang Januar 1921 geschriebenen Broschüre „Noch einmal über die Gewerkschaften und die Fehler Trotzkis und Bucharins“ zum Vorschein kam, u.a. mit dem Vorwurf an beide, „Thesen zu schreiben, ohne die Tatsachen studiert zu haben“ (Lenin, Noch einmal über die Gewerkschaften und die Fehler Trotzkis und Bucharins, Werke Band 32, Dietz Verlag Berlin, 1960,79), sondern fünf Jahre Diadochenkämpfe mit bizarren Verläufen. Ausgerechnet der Mann, der die besten Karten in der Hand hielt, war am Ende der Verlierer, wurde im Februar 1929 aus der Sowjetunion ausgewiesen und starb am 21. August 1940 ebenfalls durch ein Attentat (mit einem Eispickel) in Mexiko. Den Befehl zur Ermordung Trotzkis soll Stalin gegeben haben, bewiesen ist das bis heute nicht. Neuere Untersuchungen (B. Bland) verweisen auf Spuren, die zum FBI und seiner Kooperation mit trotzkistischen Gegnern Trotzkis in den USA führen, da Trotzki im Falle eines militärischen Überfalls durch Nazideutschland die Trotzkisten gegen den trotzkistischen Mainstream zum gemeinsamen Kampf gegen die Wehrmacht aufrufen wollte.

Zur historischen Einordnung Trotzkis ist unbedingt eine erhellende Überlegung von Marx aus dem 18. Brumaire des Louis Bonaparte über den Unterschied zwischen bürgerlichen und proletarischen Revolutionen heranzuziehen: „Bürgerliche Revolutionen, wie die des achtzehnten Jahrhunderts, stürmen rascher von Erfolg zu Erfolg, ihre dramatischen Effekte überbieten sich, Menschen und Dinge scheinen in Feuerbrillanten gefasst, die Ekstase ist der Geist jedes Tages; aber sie sind kurzlebig, bald haben sie ihren Höhepunkt erreicht, und ein langer Katzenjammer erfasst die Gesellschaft, ehe sie die Resultate ihrer Drang- und Sturmperiode nüchtern sich aneignen lernt. Proletarische Revolutionen dagegen, wie die des neunzehnten Jahrhunderts, kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eignen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegenüber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht….“ (Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, Werke, Band 8, Dietz Verlag Berlin, 1960,116).  Menschen und Dinge scheinen in Feuerbrillanten gefasst … hier wäre Trotzki aufgeblüht und zum Leitstern am revolutionären Firmament geworden, die qualvolle proletarische Zickzackrevolution lag seiner temperamentvollen Mentalität nicht. Trotz seiner intellektuellen Brillanz erlitt er Schiffbruch. Es setzte sich ein Mann durch, der in der ersten Liste der Volkskommissare noch an letzte Stelle stand und von dem seine Tochter sagte, er hatte die riesige Geduld der armen Leute. Damit war Stalin für eine proletarische Revolution geeicht. (Wie in Deutschland die graue Maus Walter Ulbricht). In der ersten Phase der Oktoberrevolution ist sein Name mit der Entrussifizierung des riesigen Gebietes verbunden, also mit der Gleichberechtigung der Nationen, die wieder in ihrer Muttersprache die Zungen bewegen können. Das trägt nicht unerheblich zur Popularität des Mannes bei, den die Völker später liebevoll ‚Väterchen‘ nennen werden. Kein Bolschewik hatte nach der Oktoberrevolution eine größere Breitenwirkung erreicht. Zwar stellt jede Revolution, die einen Fortschritt in der Emanzipation der Menschheit darstellt, schwierigere Aufgaben als die vorhergehende, engere, aber sie vereinfacht auch gesellschaftliche Zusammenhänge, vereinheitlicht, schafft Privilegien ab und kehrt mit einem eisernen Besen. Beides, das Komplexe und das Einfache, das sich durchdringt, muss der Revolutionär beherrschen, will er den Puls der Völker fühlen. 1928 wird Stalin in der ‚Prawda‘ zum ersten Mal ‚Führer‘ genannt. Ab 1929 hielt er das Steuer des Schiffes der Revolution fest in seiner Hand und führte es durch das verheerende ‚Kap Horn des zweiten Weltkrieges‘. „Da vorn liegt Kap Horn und nun heißt es auf Gott vertrauen …“, sagen die Seeleute bangend zu sich, die zum ersten Mal die riskante Umschiffung Südamerikas wagen müssen. Das Steuerrad ließ Stalin erst in seiner Todesstunde los, sein Schatten fällt auf die Weltpolitik bis in unsere Tage. Trotzki dagegen sah in Stalin nur die hervorragendste Mittelmäßigkeit der Partei, vor großen Problemen ziehe er sich zurück (Vergleiche Leo Trotzki, Geschichte der russischen Revolution, Oktoberrevolution, Mehring Verlag, Essen, 2010,440). Als Stalin im Moskauer ‚Haus der Gewerkschaft‘ aufgebahrt war, erwies sich der Trupnaja-Platz als zu klein für die fünf Millionen Menschen, die von ihm Abschied nehmen wollten. Über 1. 500 wurden, wie der Zeuge Georges Bortoli berichtet, an Hauswänden und Laternenpfählen zu Tode gequetscht.

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