Der wissenschaftliche Sozialismus steht auf drei Säulen: dem dialektischen Materialismus, dem historischen Materialismus und der marxistischen Ökonomie. Heute widmen wir uns der materialistischen Dialektik. Sie ist gleichermaßen die objektiv als auch die subjektiv, eine große und allmächtige Waffe in den Händen der Wissenschaften, mehr noch in denen der Arbeiterklasse, aber so allgewaltig sie auch daherkommt, auch sie hat mal klein angefangen. Gehen wir diesen Spuren nach.
In seiner Studie über Ludwig Feuerbach entwickelt Friedrich Engels 1886, dass und wie er in jungen Jahren zusammen mit Marx die idealistische Begriffsdialektik in eine materialistische umdrehte und dass die so entwickelte materialistische Dialektik seit Jahren ihr bestes Arbeitsmittel und ihre schärfste Waffe war.1
Die einfachste und unvollständigste Art, der Ansatz, dialektische Prozesse subjektiv widerzuspiegeln, ist das Denken in Gegensatzpaaren, wie sie in der Objektivität der uns umgebenden Welt gegeben sind, denn jedes Ding geht mit seinem Gegenteil schwanger. Aus sich wiederholenden Erfahrungsvorgängen an gewissen konkret vorhandenen annährend festen Größen der uns umgebenden dualen Welt verdichten sich abstrakt-wissenschaftlich verwertbare Gegensatzpaare wie etwa Lohnarbeit und Kapital, Proletariat und Bourgeoisie, die Verstärkun von Not und Elend auf der einen und unermesslichen Reichtums auf der anderen Seite, Revolution und Konterrevolution … Es wird hier zwar auch noch subjektiv gedacht, aber dieses subjektive Denken spiegelt bereits nur objektive Prozesse wider.
Etwas anderes ist es, wenn ein Kleinkind zum ersten Mal sein ‘Ich‘ bemerkt und ‘ich‘ zu sich selbst sagt. Hier ist noch alles subjektiv und reflexiv eingehüllt. Bliebe es so eingehüllt, gäbe es für ihn keinen Lernprozess bis hin zu wissenschaftlichen Objektivationen von Natur- und Gesellschaftsprozessen. Am Endzündungsfocus pädagogisch-wissenschaftlicher Entwicklung bereits fordert Dialektik ihren Tribut, eins muss sich in zwei Teilen: Das Bewusstsein als solches muss etwas von sich unterscheiden, einen anderen Menschen oder einen Gegenstand, und es muss dies tun, um sich in dieser Relation auf sich zu beziehen, dass es noch etwas anderes als es selbst gibt, dass eine Doppelheit der Welt vorliegt. So erst kommt, salopp formuliert, Dialektik in Gange.
Es gibt Gegensatzpaare und Gegensatzpaare: Gegensatzpaare qualitativ verschiedener Art in der Natur und in der Gesellschaft. Hitze und Kälte wird es geben, solange es Materie gibt; den Gegensatz Proletariat und Bourgeoisie wird es fundamental bis zur proletarischen Revolution geben, nach dieser wird der traditionelle Bürgerkrieg neue Formen annehmen und noch für längere Zeit akut bleiben, aber dieser gesellschaftliche Gegensatz wird nicht auf ewig in der Welt, die nicht nur der Natur, sondern auch der Gesellschaft gegenüber kognitiv als sich bewegende Materie zu erfassen ist, bleiben.
Wir sehen aus den objektiven Gegensatzpaaren, Entwicklung ist ein ihr gegenteiliger Prozess wie im Krieg Defensive und Offensive zwei nicht voneinander zu trennende Bewegungsformen sind. Es entwickelt sich nichts, was nicht es aufhebend durch sein Gegenteil entzündet worden ist. Proletariat und Bourgeoisie verweisen untrennbar aufeinander nur in der Vorgeschichte der Menschheit, im beginnenden Sozialismus werden beide Klassen im Ansatz durch einen revolutionären Akt in einen wechselseitigen Aufhebungsprozess geschleudert, dessen Staat und Demokratie mehr und mehr absterbenden Charakter annimmt. Der Aufhebungsprozess ist bei der Bourgeoisie kürzer als beim Proletariat, das auch noch den Gegensatz zum Bauern aufzuheben hat.
Es wurde noch erst oberflächlich gesagt, dass die Entwicklung ein ihr gegenteiliger Prozess ist. Daraus aber ist der Stoff, aus dem die dialektischen Gesetze sich entfalten: Einheit und Kampf der Gegensätze, Umschlag von Quantität in Qualität, sonst gäbe es keine Entwicklung, und Negation der Negation, sonst gäbe es keine Höherentwicklung, die doch vor aller Augen liegt, zum Beispiel wie aus einem Samen eine essbare Pflanze wird. Fruchtbare Anregungen für die Entfaltung der materialistischen Dialektik gab der sozialistische Utopist Fourier, der in der Entwicklung des Universums eine auf- und absteigende Linie zugleich sah.
Das dialektische Arbeitsmittel hat den Vorteil, dass sich mit ihm wirkliche, reziprok aufeinander einwirkende und vorwärtstreibende Zusammenhänge und Übergänge adäquat abbilden. Der dialektisch denkende Revolutionär verfügt dadurch bereits über eine geistige Überlegenheit über den in der Regel einseitig schwarz-weiß denkenden Konterrevolutionär. Aber hier liegt zugleich eine große Gefahr: Revolutionäre halten sich in falschen Situationen zu viel mit Kopfarbeit auf, anstatt gegenüber Konterrevolutionären von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.
Es steht aufeinander verweisenden Revolutionären und Konterevolutionären keineswegs frei, zu denken, was sie wollen, wie es Idealisten und Regierungsideologen vorgaukeln. Sie verbreiten eine ideologische Pseudofreiheit, um den Lohnsklaven nur umso fester ausbeuten zu können. “Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird. Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist in seiner eignen Lebenssituation wie in der ganzen Organisation der heutigen bürgerlichen Gesellschaft sinnfällig, unwiderruflich vorgezeichnet.“2 Marx und Engels halten die Zielvorstellung in der Fantasie selbst des ganzen Proletariats ohne Einsicht in seine augenblicklich gegebene, brutal-situative Faktizität für irrelevant. Die harten Fakten der Gegenwart schreiben den geschichtlichen Weg und das Ziel der Bewegung vor, dass Freiheit jenseits vorliegender Vorgeschichte liegt. Revolutionäre und Konterrevolutionäre sind auf Grund ihrer Stellung im Produktionsprozess und ihrer Klassenpositionen auf fortschreitendes und beharrendes Denken vergattert. “Seit Dezennien ist die Geschichte der Industrie und des Handels nur die Geschichte der Empörung der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse, gegen die Eigentumsverhältnisse, welche die Lebensbedingungen der Bourgeoisie und ihrer Herrschaft sind.“3 Hier sind in der Dialektik von Revolution und Konterrevolution die Denkfelder und Denkoperationen vorgegeben: Fortschrittliche Weiterentwicklung der Produktivkräfte und konservatives Beharren auf historisch überholte Produktionsverhältnisse.
Das Gegenteil dialektischen Entwicklungsdenkens ist das auf sich selbst fixierende Denken. Es ist der Grundirrtum der metaphysischen (hier anti-dialektischen) Denkweise, den je erreichten Erkenntnis- und Wissensstand als final zu deformieren. Schon Francis Bacon unterlegte seiner ideologiekritischen Abhandlung über die Idole als Ansatzpunkt wissenschaftlicher Durchleuchtung den weitverbreiteten Irrtum, dass als Fixes gedacht wird, was genuin flüssig ist. Hieran hapert es also auch heute noch und deshalb muss dialektisches Denken tief in die Massen eindringen, auf dass sich der Kapitalismus als das erweise, was er seinem Sein gemäß tatsächlich ist: Eine historisch vorübergehende, längst überflüssige ökonomische Gesellschaftsformation. Eine verschwindend kleine Minderheit von Parasiten ist nicht stärker als die dialektische Allgewalt.
1 Friedrich Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Werke, Band 21, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 293.
2 Karl Marx, Friedrich Engels: Die Heilige Familie, Werke Band2, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 38.
3 Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 467.
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