Der Zusammenbruch der DDR. Der vorläufige Sieg des Maximalprofits über die materiellen und kulturellen Bedürfnisse des deutschen Volkes

Zum Verständnis des Scheiterns des Revisionismus in Osteuropa und Deutschland empfehmen wir das Buch »Der Zusammenbruch der DDR. Der vorläufige Sieg des Maximalprofits über die materiellen und kulturellen Bedürfnisse des deutschen Volkes« des Genossen Heinz Ahlreip.

Hier die umfassende Einleitung zu dieser 215 Seiten umfassenden Ausarbeitung.
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EINLEITUNG

Als ich die Untersuchung begann, war mir zwar klar, dass man mit der ökonomischen Entwicklung in der UdSSR beginnen müsse, im Laufe der Untersuchung wurde aber immer deutlicher, dass überhaupt ihr Schwerpunkt auf der Ergründung des Zerfalls der Planwirtschaft in der Sowjetunion zu liegen habe. Die SED in der DDR lernte von der Sowjetunion, in der Stalin ab 1956 nicht mehr als Lehrer galt. Ich hoffe, es ist mir gelungen, trotz dieser Gewichtung in der Forschung die DDR, obwohl sie kein souveräner Staat war, dennoch in den Mittelpunkt der Darstellung gestellt zu haben. Ein souveräner Staat kann keine ausländischen Truppen auf seinem Territorium dulden. Es besteht auf Grund dieser Abhängigkeit der kleinen Schwester DDR vom großen Bruder UdSSR bei dieser Thematik immer die Gefahr, dass aus der Analyse des Zusammenbruchs der DDR ein Buch über die Sowjetunion herauskommt. Es ist anfangs auch gleich selbstkritisch anzumerken, dass es 25 Jahre nach dem Zusammenbruch eines Gesellschaftssystems ein Leichtes ist, die tragischen Figuren, die beim Schlussakt auf der politischen Bühne standen, zu kritisieren und ihre Fehler aufzuzeigen. Je größer die Distanz zu dieser historischen Tragödie wird, desto mehr muss man sich die Frage vorlegen, wie man denn selbst in der brennenden Eskalation der Probleme gehandelt hätte? Gewiss nicht fehlerfrei, dies um so mehr, als man den Ausgang, des erst von der Perestroika vollendeten Niedergangs, des osteuropäischen Sozialismus ja gar nicht voraussehen konnte. Der Fall der Mauer kam selbst für die meisten Ost-West-Experten völlig überraschend, selbst nachdem die ungarische Regierung auf Anweisung des Außenministers Gyuala Horn am 2. Mai 1989 begonnen hatte, Grenzbefestigungen abzubauen. Am 21. August rannten 700 DDR-Bürger über die ungarische Grenze nach Österreich. Von den führenden deutschen Politikern der damaligen Zeit ist Franz-Josef Strauß lobend hervorzuheben, er hatte kurz vor seinem Tod ein baldiges Ende der Sowjetunion richtig angezeigt. Vor allem aber ist der indische Journalist Harpal Brar zu nennen, der in der März/April-Ausgabe der Zeitung ‚Lalkar‘ 1990 in London die Folgen der Politik der Perestroika als katastrophal bezeichnete. Die Perestroika werde „in einer völligen Demontage der sozialistischen Planwirtschaft münden und die Errungenschaften der Oktoberrevolution zunichte machen …“ 1. Und zwar sah Brar hellsichtig die drei tragenden ökonomischen Säulen des Sozialismus: Volkseigentum – Volkswirtschaftsplan und staatliches Außenhandelsmonopol, zusammenbrechen. Er sah nüchtern in dem ‚Blendwerk Perestroika‘ mehr als nur eine Modeerscheinung des Sozialismus. Die „marxistischen“ Schwärmer sahen dagegen sogar eine Weiterentwicklung der marxistischen Theorie im Sinne Bucharins, den wohl viele unter den Schwärmern nicht einmal kannten. Weil wieder mal der Konsument umschmeichelt wurde, dem mehr Auswahl an Produkten in Aussicht gestellt worden war, und weil viel vom Abbau der Bürokratie die Rede war. Brar erkannte, dass der verkündete Übergang von vorwiegend bürokratischen zu ökonomischen Leitungsmethoden und von kommandierenden zu demokratischen auf allen Ebenen den Übergang zu Kapitalismus zum Endzweck hatte. 2. Der Zusammenbruch der UdSSR und ihrer Satelliten ist als, man verzeihe mir den Ausdruck, „phänomenal“ zu bezeichnen. Warum? Durch das atomare Wettrüsten im sogenannten kalten Krieg hatte sich eine Vernichtungskapazität angehäuft, die ausgereicht hätte, die ganze Erde vierzig Mal in die Luft zu sprengen. Im Zusammenbruch der einen Kriegspartei fiel indes, außer in Rumänien, kein einziger Schuss. Es erstaunt die Tatsache, welche Unberechenbarkeit dem Krieg selbst am Ende des 20. Jahrhunderts noch innewohnte. Fast alle hatten sich geirrt, sowohl die proletarischen und bürgerlichen Klassen, als auch deren politische Eliten. War es nicht die Oktoberrevolution, sondern der Krieg in seiner Globalität und Totalität, der die politischen Eliten nivellierte? Fand zu Beginn des 19. Jahrhunderts die bürgerliche Revolution in Gestalt des Kaisers Napoleon zwischen der Beresina und dem Njemen ihr Grab, so wiederum in Russland, die proletarische in Gestalt des Generalsekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion Gorbatschow am Ende des zwanzigsten.

Es ist immer leichter, über vollendete Revolutionen, oder über vollendete Konterrevolutionen zu schreiben, als in ersterer Gärung selbst politisch mitzuwirken. Auch ich hatte mich im Juli 1989 geirrt. In einem Artikel für die „Kommune; Forum für Politik, Ökonomie, Kultur“ schrieb ich in der Juli-Ausgabe, dass durch die Perestroika die Zahl der Menschen in der Sowjetunion größer wird, die den Sozialismus unter den Füßen verlieren werden. 3. Das war nicht sehr weitblickend – am Ende waren es alle, und zwar so, dass sich zum Beispiel heute der monatliche Lohn einer Arbeitskraft in Tschechien zur Entlohnung einer vergleichbaren Tätigkeit in Südkorea wie 1 : 3 verhält. Ich hatte also nicht pervers genug gedacht, was dialektisches Denken aber erheischt. Quantität schlug um in Qualität, in einen eigenartigen Kapitalismus. Das internationale Finanzkapital mauerte, investierte nur ganz gering in den sich aus einer Negation der Negation herausgebildeten Kapitalismus, eine Negation der Negation, die durch die Jahre 1917 und 1991 markiert wird. Ein derart verwurzelter Kapitalismus musste natürlich gegenüber dem klassischen seine Eigenarten aufweisen und das Kapital ist dabei eher ängstlich denn tollkühn. Wir können im Zerfallsprozess der Sowjetunion verfolgen, wie sich das Überhandnehmen der Warenproduktion reziprok zur Herausbildung einer Parteienpluralität verhielt. Zeigt das erstere die ökonomische Versklavung der Völker an, so die letztere ihre politische. Alle bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien wollen bzw. müssen die Lohnsklaverei verewigen, die ihre eigene politische Herrschaft impliziert. Der Außenhandel der Sowjetunion mit den Kapitalisten außer den finnischen war immer peripher gewesen, Lenin wurde in der Periode der NEP (Nowaja Ekonomitscheskaja Politika) von ausländischen Investoren im Stich gelassen, während aber der ‚Schwarze Freitag‘ 1929 das ganze kapitalistische Wirtschaftssystem erschütterte, schritt die Sowjetunion kühn zur Kollektivierung der Landwirtschaft voran, die für Solschenyzin, einem Sympathisanten Bucharins, das schwerste Verbrechen in der Geschichte der Sowjetunion darstellte, kein Wunder, war doch Solschenyzin der Sohn des fünftgrößten Großgrundbesitzers vor der Revolution. In dieser Tatsache liegt die Quelle seines literarischen Schaffens, das leichtfertig mit einem Nobelpreis bedacht wurde.

War es relativ leicht, die konterrevolutionäre Physiognomie der Perestroika lange vor dem Ende der Sowjetunion abzulesen, so täuschte ich mich doch in der Befangenheit der Aktualität über das Ausmaß ihrer Wirkungen. Hier spielte einerseits wohl der revolutionäre Mythos mit hinein, der den Gedanken nicht zuließ, dass eine Arbeiterklasse, die in Russland im 20. Jahrhundert  Revolutionen von unten gestaltete (1905, Februarrevolution und Oktoberrevolution 1917), ein totales Wiederaufkommen eines totalen Raubtierkapitalismus zulassen könnte. (Die Kollektivierung der Landwirtschaft 1929 war bekanntlich eine Revolution von oben, die die Beziehungen unter den Bauern veränderte und durch Rationalisierung Arbeitskräfte für die Industrie freisetzte. Die russischen Völker erlebten somit vier Revolutionen in einem Vierteljahrhundert). Es mag Varianten geben, bei Licht besehen ist aber jeder Kapitalismus in seinem innersten Wesen raubtierhaft, inhuman, menschenverachtend, denn er muss die Arbeitsmittel und somit die Lebensquellen monopolisieren und die Völker von ihnen abschneiden. Dann ist es Ideologie, das daraus entstandene Elend als in der Natur des Menschen und in der Natur der Sache liegend zu deuten. Der Kapitalismus ist, mehr als alle ökonomischen Systeme vor ihm, ein barbarisches System, in dem es Reichtum und Kultur nur für eine kleine Minderheit von Asozialen gibt. Andererseits ist es für gewöhnliche Menschen nicht möglich, aus einer aktuellen politischen Situation sich aus ihr herleitende Konturen der weiteren Entwicklung treffsicher herauszufiltern. Das macht den alltäglichen Dilettantismus der Talkshows im Fernsehen aus, in der die Diskrepanz zwischen subjektivem Maßstab und objektiven Ausmaß ganz deutlich zu Tage tritt. Die Wissenschaft, insbesondere die Gesellschaftswissenschaft, aber beinhaltet das Ringen um eine Identität von einem sich mit seinem Wissen ständig ändernden Maßstab und des sich ständig ändernden Ausmaßes seines Erfassens. Man müsste ein Karl Marx sein, der in der lebendigen Tagesgeschichte die Begebenheiten in ihrer Tendenz so klar durchschaute, wie es beispiellos in der Geschichte der politischen Theorie ist und der diesbezüglich mit dem 18. Brumaire des Louis Bonaparte sein Meisterwerk abgeliefert hat. Karl Marx war ein Ausnahmerevolutionär, dessen Name durch die Jahrhunderte fortleben wird und so auch sein Werk. Die Natur- und Gesellschaftswissenschaftler täten heute gut daran, nicht auf die bürgerliche Ideologie hereinzufallen, der gemäß jeder für sich und Gott für uns alle arbeitet, sondern auf einen atheistischen Gesellschaftszustand hinzuwirken, der es erst ermöglicht, in Kollektiven zu wahren Herren ihrer Materie zu werden, gemäß der humanen Maxime, alle für einen, einer für alle. Nietzsche jammerte, dass der Sozialismus das Aufkommen „großer Männer“ verhindere. Er endete in der Irre. Eric Hobsbawm nannte das 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Extreme und man muss sich angesichts des zusammenhängenden Zusammenbruchs der UdSSR und der DDR wirklich fragen, ob es nicht mehr im Zeichen von Nietzsche als im Zeichen von Marx stand?
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Vorbemerkung: RUSSLAND UND DEUTSCHLAND IM KALKÜL LENINS

Russland und Deutschland waren durch den Ersten Weltkrieg in eine Isolation geraten, obwohl sie zwei ganz unterschiedliche Wege gegangen waren. Durch die Oktoberrevolution fand Russland seine eigene Lösung, revolutionär aus dem imperialistischen Krieg auszuscheiden, wurde aber eine „belagerte Festung“; das auf einer politischen Reaktion wie ein dummer Schüler sitzengebliebene Deutschland dagegen wurde zum Spielball der Ententesieger 4., , obwohl ja der „Coup“ auf Gegenseitigkeit zwischen Lenin und dem deutschen Generalstab gelungen war: die militärische Paralyse Russlands. Auf den ersten Blick widersinnigerweise warf der deutsche Stab aber nicht alle Kräfte gen Westen, sondern ging 1918 raubgierig großraumdenkend tiefer in den Osten hinein. Der englische Oberkommandierende, Feldmarschall Haig, sagte nach dem Ersten Weltkrieg, sechs deutsche Divisionen mehr im Westen hätten wohl den Ausschlag zugunsten Deutschlands gebracht. Zirka eine Million deutsche Soldaten verblieben stattdessen im Osten, obwohl sie im Westen dringend im Sinne eines militärischen Generalerfolges gebraucht wurden. Aber die führenden deutschen Industriellen hatten schon ihre, den Donbass und das Baltikum betreffenden, ‚Bestellungen‘ abgegeben. 5. So verschieden die Ergebnisse des ersten Weltkrieges für beide Länder auch waren, Lenin erspürte bereits Anfang 1921 bei der Begründung der NEP eine Art zwillingshafter Verwandtschaft zwischen beiden Ländern: Sozialismus wäre, wenn Russland Deutschland politisch und Deutschland Rußland ökonomisch ergänze. „Die Geschichte (von der niemand, vielleicht außer den menschewistischen Flachköpfen ersten Ranges, erwartet hatte, daß sie uns glatt, ruhig, leicht und einfach den „vollen“ Sozialismus bringen werde) nahm einen so eigenartigen Verlauf, daß sie im Jahr 1918 zwei getrennte Hälften des Sozialismus gebar, eine neben der anderen, wie zwei künftige Küken unter einer Schale des internationalen Imperialismus. Deutschland und Russland verkörpern 1918 am anschaulichsten die materielle Verwirklichung einerseits der ökonomischen, produktionstechnischen, sozialwirtschaftlichen Bedingungen und anderseits der politischen Bedingungen für den Sozialismus“. 6. Kurz: Sozialismus wäre ein Sowjetstaat vom Typus der Pariser Commune plus einer Wirtschaft mit großkapitalistischer Technik und planmäßiger Organisation, noch kürzer: Pariser Commune und deutsche Post, Sowjetmacht und Elektrifizierung. Eine staatliche Organisation, „die Dutzende Millionen Menschen zur strengsten Einhaltung einer einheitlichen Norm in der Erzeugung und Verteilung der Produkte anhält“. 7. Es war das Schicksal der Leninschen Oktoberrevolution, dass der erste Weltkrieg keine eineiigen Zwillinge gebar, in politischer und ökonomischer Hinsicht. Russland war den fortgeschrittenen Ländern politisch voraus, ökonomisch, insbesondere makroökonomisch, hinkte es stark hinterher. Die NEP war gerade der Versuch, dieses spezifische russische Missverhältnis (es gab ja auch noch das umgekehrte spezifisch deutsche) zwischen der Kraft der Politik und den „Kräften“ der Ökonomie unter den Vorzeichen einer zunächst ausbleibenden Weltrevolution so zu gestalten, dass über eine staatskapitalistische Wirtschaft die ökonomischen Grundlagen des Sozialismus errichtet werden konnten – die NEP zeigte immer an, dass die russische Bourgeoisie 1917 nur politisch, nicht ökonomisch besiegt worden war, und dass in einem kleinbäuerlichen Land wie Russland der Kapitalismus eine festere ökonomische Basis hatte als der Kommunismus. Jeder wirtschaftliche Erfolg unter der NEP war auch immer mit einem gewissen kapitalistischem Wachstum behaftet, es wurde bereits von einer „neuen Bourgeoisie“ gesprochen. Ökonomisch waren die Bauern die Gewinner der Revolution und unter ihnen machte sich die gefährliche Tendenz breit, dass der Mittelbauer anfing zu träumen, Kulak zu werden, also Mehrwert über die Ausbeutung unbezahlter Arbeit zu akkumulieren. Und dennoch: Lenins NEP führte am Ende zum Aufbau des Sozialismus, Gorbatschows NEP gab ihm den Gnadenstoß.

War in Deutschland das ökonomische Niveau für den Sozialismus um 1920 vorhanden, nach Lenin sogar vorbildlich, so war zugleich die flachköpfige deutsche Sozialdemokratie, die sich immer weniger auch verbalpolitisch auf Marx und Engels berief, zum Bluthund der Konterrevolution, mit den zu Beginn des ersten Weltkrieges von Rosa Luxemburg ausgesprochenen Worten: zu einem stinkenden Leichnam 8. pervertiert und liquidierte mit den Novemberräten die deutsche Commune. Nach Lenin hing der Sieg der kommunistischen Weltrevolution von den Entwicklungswegen dieser beiden Länder ab. Schon vor der Oktoberrevolution war diese weltgeschichtliche Schlüsselkonjunktion ein elementarer Bestandteil Leninschen Denkens: Es gäbe zwei Wege, das imperialistische Völkergemetzel und zwar weltweit zu beenden: die proletarische Revolution in Russland und Deutschland oder die Soldatenverbrüderung an den Fronten. Zur ersteren wurde zum Beispiel vom Zentralkomitee der SDAPR im Mai 1917 im „Aufruf an die Soldaten aller kriegführenden Länder“ aufgefordert 9. Oder aber: Auf Verbrüderungsmeetings zwischen russischen und deutschen Soldaten müsse gezeigt werden, dass die proletarische Revolution in diesen beiden Ländern die ganze Menschheit sofort aufatmen ließe, der Sieg des Sozialismus in allen Ländern gesichert sei. 10. „Der Russe wird beginnen – der Deutsche vollenden“. Das war die Zuversicht des internationalen Proletariats. Deshalb drang Lenin auch, nachdem das Polen Pilsudskis Anfang März 1920 die Sowjetunion überfallen hatte, darauf, den Gegenstoß bis an die deutsche Grenze zu führen, um mit Deutschland in Berührung zu kommen zwecks Entfachung der Revolution. Im Oktober 1918 hatte Radek noch geschrieben: „Wir schauen auf Deutschland wie auf eine Mutter, die eine Revolution gebiert, und sollten uns die Deutschen nicht dazu zwingen, werden wir nicht die Waffen gegen sie erheben, ehe das Kind nicht geboren ist „. 11. So oder so, ob autonom oder subventioniert, beide Wege endeten in einer Sackgasse, erwiesen nicht, dass nach Russland Deutschland das schwächste Glied in der imperialistischen Kette sei und führten nicht zum deutschen Paradies der Arbeiter und Bauern. Es half auch nichts, dass die kommunistische Partei in Deutschland nach der russischen weltweit die stärkste war. Im Gegenteil: in Deutschland bestätigte sich dann auch auf tragische Weise, was Lenin im Revolutionsjahr 1905 über, wenn man so will, revolutionäre Fehlgeburten dozierte: „Es wäre falsch zu glauben, dass die revolutionären Klassen immer über genügend Kraft verfügen, um einen Umsturz zu bewerkstelligen, wenn dieser auf Grund der gesellschaftlich-ökonomischen Entwicklung vollauf herangereift ist. Nein, die menschliche Gesellschaft ist nicht so vernünftig eingerichtet und nicht so „bequem“ für die fortgeschrittenen Elemente. Der Umsturz kann herangereift sein, allein die Kräfte der revolutionären Schöpfer dieses Umsturzes können sich als ungenügend erweisen, ihn zu bewerkstelligen – dann fault die Gesellschaft, und diese Fäulnis kann Jahrzehnte hindurch dauern“. 12. In Deutschland hatte dann diese Fäulnis eine wirklich braune Farbe angenommen. Fehlten in Deutschland Revolutionserfahrungen? Vom jungen Marx ist die Feststellung überliefert, dass Deutschland nie eine erfolgreiche Revolution, sondern immer nur alle erfolgreichen Konterrevolutionen mitgemacht habe. 13. Dieser Satz ist ein Schlüsselsatz zum Verständnis der Jahre 1933 und 1945. Bereits 1902 hatte Lenin in seinem fundamentalen Buch zur Grundlegung einer marxistischen Partei in Russland die Überlegung erläutert, dass die Geschichte dem russischen Proletariat die revolutionärste Aufgabe weltweit gestellt hätte: die Zerstörung des Bollwerks der europäischen und asiatischen Reaktion. Obwohl Lenin die Bemerkungen von Marx und Engels über das konterrevolutionär verseuchte Deutschland kannte, obwohl er Zeitzeuge des Kapp-Putsches war, vom Marsch Mussolinis im Oktober 1922 auf Rom gehört hatte, einen zweiten Weltkrieg in Europa für nicht ausgeschlossen hielt, konnte er die spezifische deutsche Variante bürgerlicher Reaktion, den deutschen Faschismus, noch nicht erahnen. Aber seine Ahnung, mit der ich meine Vorbemerkung zum Zerfall der DDR beenden möchte, dass man unbedingt Deutschland gewinnen müsse, dass das konterrevolutionär verseuchte Deutschland unbedingt eine rote Farbe annehmen müsse, wurde durch die weitere historische Entwicklung auf tragische Art als in sich stimmig erwiesen. In diesem Kontext ist das Telegramm Stalins zu lesen, dass er aus Anlass der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 nach Ost-Berlin schickte: Die Bildung der Deutschen Demokratischen friedliebenden Republik ist ein Wendepunkt in der Geschichte Europas. Eine DDR neben der friedliebenden Sowjetunion schließe die Möglichkeit neuer Kriege in Europa aus. Dass das Adjektiv ‚friedliebend‘ gleich zweimal, einmal sogar an einer ungewöhnlichen Stelle, verwendet wurde, verdeutlicht den historischen Hintergrund: der zweite Weltkrieg. Durch die DDR wenigstens hatte Deutschland seinen Charakter völlig umgekehrt: aus einem Hort des Krieges sei es nun ein Hort des Friedens geworden. Der Krieg in Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als kalter bestätigte diese Voraussicht Stalins. Mit dem Wegbrechen der Sowjetunion, mit dem der DDR ist der Krieg aus seinem Erholungsschlaf wieder erwacht. Durch den Zweiten Weltkrieg kam in Deutschland der Kommunismus auf eine Art zum Zuge, die keiner vorhergesehen hatte und die ihn unter einen ähnlich ungünstigen Stern aufwachsen ließ wie in Russland: War die russische Gesellschaft am Ende einer 300jährigen Zarenherrschaft noch nicht durchproletarisiert, so stützte sich in Ostberlin die Regierung einer Arbeiterklasse auf eine aus einem Krieg siegreich hervorgegangene Bajonette. Das waren die Ansätze des Kommunismus in Ost- und Mitteleuropa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wobei der zweite nur eine Konsequenz des ersten von 1917 war.

In der NEP-Periode tauchte bereits das Wort von der ’neuen Bourgeoisie‘ auf und auf die NEP berief sich auch die Fleisch gewordene ’neue Bourgeoisie‘ gegen Ende der achtziger Jahre. In der NEP der Perestroika, 1984 veröffentlichte Jewgenij Ambarzumow im ‚Woprossy Istorii“ einen Artikel, in dem er die Leninsche NEP wieder als Leitmotiv einer wirtschaftlichen Erneuerung ausersehen hatte, wurde der Versuch unternommen, den politischen Überbau aus staatskapitalistischen Strukturen an die bereits überwucherte und erstickte sozialistische ökonomische Basis anzupassen. Er wurde von dieser tödlich verschlungen. Dass dies tödlich sein kann, hätte Gorbatschow aus einem Brief von Engels an Conrad Schmidt vom 27. Oktober 1880 entnehmen können. Der frühere Parteisekretär für Landwirtschaftsfragen Gorbatschow, der 1985 als Nachfolger Tschernenkows Generalsekretär einer der mächtigsten Parteien der Welt, der KPdSU mit 19 Millionen Mitglieder wurde, konnte als Reformator daher nur als Doppelzüngler auftreten, „Bewahrer“ und „Erneuerer“ in einem. Zwittergestalten scheitern rasch in der Weltgeschichte, mit kapitalistischen Reformen sollten Widersprüche einer sozialistischen Wirtschaft gelöst werden, in der kapitalistische Strukturen bereits angelegt waren. Die dreifach gestaffelte Politik: Perestroika (Umbau), Uskorenie (Beschleunigung) und Glasnost (Transparenz), die auf den Plenarsitzungen des Zentralkomitees der KPdSU jeweils im Januar und im Juni 1987 angenommen worden war, brachte die subkutanen kapitalistischen Strukturen zum Platzen, eine dreifach gestaffelte Politik, die einen Schritt vorwärts ging, aber zwei zurück. Ein Schritt vorwärts – zwei zurück, das gilt sowohl im Leben von Individuen als auch in der Geschichte von Nationen. „Wir werden nichts an der Sowjetmacht ändern und ihre fundamentalen Prinzipien aufgeben, wir werden nicht annehmen, was uns von einer anderen Ökonomik angeboten wird“, hatte Gorbatschow noch in seinem Hauptbuch „Perestroika“ geschrieben. Was war sein Anliegen? Mag er nun als Reformator bezeichnet werden oder als Revolutionär, für ihn war Perestroika-Glasnost eine ‚Revolution von oben‘, allerdings – eine, die die fundamentalen Prinzipien beibehält!? Er wollte eine Fehlentwicklung korrigieren, die vor allem in der wirtschaftlichen Stagnation des Landes lag. (Das, nebenbei gesagt, unter Stalin aufgeblüht war, 1941 brachte die Sowjetunion zehn Prozent der Weltindustrieproduktion hervor). Die Arbeit habe im realen Sozialismus ihren Achtungsstatus verloren und vor allem viele junge Leute seien nur noch hinter dem Profit her, den es also nach dieser Ausführung bereits gab. Innenpolitisch also eine Besinnung auf die Kardinalkategorie des menschlichen Lebens, außenpolitisch war es der Friede der Menschheit. Außenpolitisch war es ein Irrtum, anzunehmen, der Vietcong hätte dem US-Imperialismus die Zähne gezogen, je populärer Gorbatschow flankiert von seinem Hausökonomen Abel Aganbejan durch seine klassenneutrale Menschheitsbeglückungsphilosophie in imperialistischen Kreisen wurde, desto mehr sank sein Stern in seinem Heimatland. In die außenpolitischen Räume versuchte Gorbatschow ein recht merkwürdiges philosophisches Pulver in die Augen zu streuen. Sein Wunschdenken war, dass wir alle in einer ganzheitlichen Welt gegenseitiger Abhängigkeiten leben. ‚Integral‘ und ‚interdependent‘ waren die Zauberworte, mit denen kardinale Widersprüche der Weltentwicklung entwertet werden sollten, die Zeit nach dem Scheitern der Perestroika hat jeden Erdbewohner die Allgewalt dieser Widersprüche spüren lassen. Hatte Gorbatschow den Falklandkrieg vom April bis Juni 1982 als einen zwischen zwei nichtsozialistischen Staaten übersehen? Philosophisch gedeutet war es ein Rückfall von Marx/Hegel zu Leibniz, der in seiner Monadologie, eine wahre Ode auf die Universalharmonie, jeder Monade Bezüge unterstellte, „ … welche alle anderen ausdrücken, und daß sie also ein lebendiger, immerwährender Spiegel des Universums ist“. 14. Jede drücke das ganze Universum durch die Verknüpfung der gesamten Materie aus. „Und jeder Anteil der Materie kann als ein Garten voller Pflanzen und wie ein Teich voller Fische begriffen werden. Jeder Zweig der Pflanze, jedes Glied des Lebewesens, jeder Tropfen seiner Säfte ist jedoch wiederum ein solcher Garten oder ein solcher Teich“ 15. Rerum novus nascitur ordo. Was näherliegend, als unter dem Damoklesschwert einer thermonuklearen Weltkatastrophe mit Leibniz und im Gegensatz zu Marx und Mao die Notwendigkeit des Überlebens der Menschheit als Universalharmonie anzustreben als das Beste aller möglichen Politik. Nach dem zweiten Weltkrieg sah Gorbatschow überall eine „tiefgreifende Modifikation der Widersprüche, welche die grundlegenden Entwicklungen der Weltwirtschaft und Weltpolitik gewöhnlich bestimmten“. Ich überlasse es dem/der dialektisch sensibilisierten Leser/in, das zu genießen, wenn er er/sie es denn angesichts des Unheils, das mit dieser Modifikation (!) der Widersprüche angerichtet worden ist, kann. Die ‚Modifikation‘ ist hier ganz wichtig, in ihr verbirgt sich die Zerstörung des Marxismus. Man kann Widersprüche nicht modifizieren, zusammenbiegen, ihre Lösung liegt in ihrem Austragen. Gorbatschow aber legte das Schwert aus der Hand und reichte sie dem Erzfeind, der in diesem Augenblick schon der Sieger war. Gorbatschow ging noch weiter, für ihn gehörte wohl zur integralen Welt und zur Modifikation der Widersprüche, dass er die neokoloniale Abhängigkeit der sogenannten dritten von der ersten Welt anerkannte, Reagan rieb sich die Hände: „Wir können mit ihm Geschäfte machen“. War das von Lenin, Dzerschinski und Stalin geschmiedete Schwert erst einmal weggeworfen, so blieben Gorbatschow im Stile utopischer Sozialisten mit seinem „Konzept Abrüstung für Entwicklung“ nur noch Appelle an die Vernunft westlicher Politiker. Es war in der Sowjetunion ein Mann an die Macht gekommen, der mit seiner These einer ‚integralen und interdependenten einheitlichen Welt gegenseitiger Abhängigkeiten und modifizierter Widersprüche‘ hausieren ging und mit dessen Namen der durchschnittliche Zeitungsleser gewöhnlich den Beginn des Zerfalls des real existierenden Sozialismus verbindet. Ich werde den Nachweis führen, dass das keineswegs der Fall ist, dass in der Perestroika, nach Gorbatschow eine „Revolution von oben“, nur die Eiterbeulen der revisionistisch entarteten Kommunistischen Parteien im sogenannten Ostblock zum Platzen gebracht worden waren. Gerade durch Glasnost ist mit aller Deutlichkeit zutage getreten, wie wichtig Lenins Hinweis in „Was tun?“ war, dass der Sieg des Sozialismus primär von dem sozialistischen Bewusstsein der Arbeitermassen abhängig sei, dass also die Idee auch eine materielle Macht sei. Viele „hochgelahrte Marxisten“ fielen damals auf den Perestroikaschwindel rein, erkannten nicht den geballten Sozialdemokratismus, der sich mit Zitaten aus Lenins Werken tarnte. Ist das sozialistische Bewusstsein nicht hochentwickelt und sind die Konturen des Leninismus nicht scharf ausgeprägt, läuft man Spitzbuben hinterher, wenn diese nur eine neue rote Fahne schwenken. Die Dialektik der Geschichte zwingt die Feinde der Marxisten, sich als Marxisten zu verkleiden 16. , es gibt so etwas wie Banditentum hinter der Maske des Leninismus. Es war vielleicht nicht zufällig, dass Gorbatschow gerade gegenüber dem Alt-Nazi und Kommunistenjäger Helmut Schmidt die Katze aus dem Sack ließ: Als Helmut Schmidt ihn auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Meißen fragte, was bei der Perestroika herauskomme, antwortete er : so etwas wie in Schweden. 17. Helmut Schmidt wird schadenfroh in sich hineingelacht und sich seinen Teil dabei gedacht haben.

Es war nicht schwer nachzuweisen, dass die Perestroika sich unter Verwendung einer marxistisch-leninistischen Terminologie dem revolutionären Marxismus diametral entgegenstellte. Schon der Ausdruck ‚Neues Denken‘ ist im marxistischen Kontext sehr problematisch und verrät einen Rückfall in eine idealistische Denkweise. 18. Die Menschen machen Geschichte nicht, um ihr Denken und gemäß diesem die Wirklichkeit neu zu gestalten, sondern um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Das ‚Neue Denken‘ hatte die Zerstörung dialektischen Denkens zum Hauptinhalt und vollendete nur die schweren ideologischen Fehler Chruschtschows. Ab den 60er Jahren wurde die Parole „Umwandlung des Sozialismus in ein Weltsystem“ zum Lieblingsspruch im revisionistischen Umkreis, ohne dass in diesem die schwere konservative Last des Wortes Weltsystem aufstieß. Die finale Zerstörung geschah durch eine vereinfachende formale Darstellung der dialektischen Entwicklungslehre, die auf dem Gebiet der Gesellschaftswissenschaften angeblich eine stetige Höherentwicklung sozialökonomischer und politischer Systeme widerspiegele, ohne Sprünge, ohne Zickzackbewegungen, von der Möglichkeit enormer Rückentwicklungen ganz zu schweigen. 19. Für Gorbatschows Hausphilosophen Jakowlew, einst Botschafter in Kanada, bewiesen alle bekannten Erfahrungen, dass die Geschichte nie und in keiner Richtung den Fortschritt durch Vereinfachung erreiche. „Im Gegenteil, jede spätere Formation, jedes folgende sozialökonomische und politische System waren innerlich komplizierter als die vorangegangenen. Es besteht kein Grund, den Sozialismus und Kommunismus in diesem Sinne als eine Ausnahme zu betrachten“. 20. Es ist einfach zu verstehen, dass in diesem Geschichtsbild, das sich im Zuge der bürgerlichen Aufklärung (siehe Condorcet) nach der Sprengung mittelalterlicher Weltbilder ergeben hatte, für den einfachen Kommunismus in der Zukunft kein Platz mehr sein kann. Für Marx und Engels zeichnete sich ihre Epoche, die Epoche der Bourgeoisie gerade dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze im Gegensatz zu früheren Epochen vereinfacht habe. 21. Die ganze Gesellschaft spalte sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager: Bourgeoisie und Proletariat. Ja und der Marxismus ist selbst aus dieser Lagerspaltung hervorgegangen, hat seine Geburtsstätte in dieser Vereinfachung, die erst die wissenschaftliche Erkenntnis und Lösung der gesellschaftlichen Grundfrage der Herrschaftsfreiheit ermöglichte. Der Fortschritt, der durch Revolutionen in die Welt gebracht wird, führt eine Erleichterung für die bisher Unterdrückten gerade durch eine Vereinfachung herbei, etwa in der Gesetzgebung, durch die Aufhebung eines auswuchernden Privilegiensystems und seine Ersetzung durch eine einzige Norm oder durch eine Vereinfachung des Steuersystems. (Die rechtliche Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern ist auch eine Vereinfachung). Gerade aus dieser Perspektive heraus kritisierte Rousseau das lokal bornierte englische Verwaltungssystem, das ein bunter Flickenteppich war. Es ist einseitig, den Fortschritt nur im Zusammenhang mit einer Strukturpotenzierung zu deuten, die auch in ihm statt hat, aber nicht nur. Der Fortschritt birgt zwei gegenläufige Tendenzen in sich. Um es mit den Worten von Brecht aus seinem „Lob des Kommunismus“ zu sagen: Der Kommunismus ist das Einfache, das so schwer zu machen ist. Vollends phantasierte Gorbatschow auf dem Gebiet der Politik von einem „Gleichgewicht der Vernunft“ zwischen den beiden Gesellschaftssystemen, die die Mauer in Berlin trennte, während Karl Marx von einem „Weltkrieg (kursiv von Marx) zwischen proletarischer Revolution und feudaler Konterrevolution“ 22. sprach. Die endgültige und unmissverständliche Bankrotterklärung der Perestroikaideologie erfolgte dann in einer Abendsitzung der XIX. Unionskonferenz am 1. Juli 1988 in Moskau, und sie verdient, wörtlich wiedergegeben zu werden: „Wir haben viel Zeit dafür aufwenden müssen, die Gesellschaft, in der wir leben, die Vergangenheit, in der viele heutige Erscheinungen wurzeln, die uns umgebende Welt und unsere Wechselbeziehungen zu ihr zu begreifen. All das mußte aufgefaßt werden, damit wir nicht in revolutionären Sprüngen verfahren, die außerordentlich gefährlich sind…“. 23. Und das gab ein Mann von sich, der dem Konservatismus in der Partei und in der Gesellschaft den Kampf angesagt hatte. Die Abkehr vom Marxismus- Leninismus, von der materialistischen Dialektik, von der Revolutionstheorie, die geradezu Sprünge favorisiert, ist hier in aller Deutlichkeit ausgesprochen. (In der bürgerlichen Revolution trat Napoleon am 13. Dezember 1799 (im achten Jahr der Revolution) auf und erklärte die Revolution für beendet: „Die Revolution ist auf die Grundsätze gebracht, von denen sie ausgegangen ist, sie ist beendet“.). Das also war die philosophische Begleitmusik des real existierenden Sozialismus auf seinem Gang ins Grab der Weltgeschichte. In einem Buch des Chefideologen der Perestroika Jakowlew, „Vorwort Einsturz Nachwort“ steht dann auch schwarz auf weiß: „Es ist die Zeit gekommen, um zu sagen, daß der Marxismus von Anfang an utopisch und falsch war.“ 24. Dieses Bekenntnis ist in der Logik der Perestroikaphilosophie völlig zwingend und richtig und ergänzt sich mit Gorbatschows Furcht vor revolutionären Sprüngen. Auf dem Gebiet der Ökonomie lag der Hauptsündenfall in der Änderung der ökonomischen Beziehungen auf dem Lande und in der Stadt. In einem Interview mit dem ‚Morning Star‘, das am 11. Mai 1990 erschien, hatte Gorbatschow auch auf diesem Gebiet die Katze aus dem Sack gelassen: es gehe um die Erneuerung der Eigentumsverhältnisse in ihrer Gesamtheit. Und nur naive Leser konnten noch die Frage aufwerfen: zum Kommunismus oder zum Kapitalismus hin? Im Zuge der Entkollektivierung lag, dass die Anstachelung zur Kleinproduktion und zum Profit die Lösung der Versorgungskrise mit Lebensmitteln bringen sollte. Vergessen war, was Marx und Engels die Bourgeoissozialisten im Manifest in polemischer Absicht ausrufen ließen: „Freier Handel! Im Interesse der arbeitenden Klasse …“. Vergessen war, was Lenin über die Bedeutung der Kleinproduktion im angehenden Sozialismus geschrieben hatte, dass ihm der Untergang drohe, wenn die Bauern auf ihren kleinen Schollen hocken bleiben, dass die kleinbäuerliche Landwirtschaft die größte Gefahr der Konterrevolution in sich birgt, dass die Sowjetmacht nicht lange auf zwei entgegengesetzten Grundlagen (sozialistische Großindustrie, die die Kapitalisten vernichtet, und kleinbäuerliche Einzelwirtschaft, die sie erzeugt) bestehen kann und dass die Kleinproduktion täglich, stündlich, spontan, massenhaft Kapitalismus und die Bourgeoisie erzeugt. Deshalb war ja auch die Ikone des britischen Konservatismus, Margaret Thatcher, so begeistert von der Perestroika: „Ich bin ein überzeugter Verfechter der Perestroika, einer kühnen und verlockenden Idee. Sie führt die Sowjetunion zu größerer Freiheit, sie ebnet den Weg zu Fortschritt und Wohlstand. Ich erachte, daß die Sowjetunion heute eine historische Mission erfüllt“. 25. Was dann politisch real folgte gehört in die skandalöse Chronik der bestialischen Unterdrückung der Völker durch eine sich mafiaähnlich herausbildenden Konterrevolution der Nomenklatura, Glücksritter und Wodkahändler, die Millionen zur Seite legten, während Millionen verarmten. Die Würfel waren gefallen, zu spät merkte Gorbatschow, dass es Ganoven unter den Kooperativmitgliedern gab. „Anstatt, wie erhofft, wenige Jahre nach der ‚Wende‘ auch Urlaubsreisen in die Karibik oder an die Riviera antreten zu können, entfiel für die Mehrheit der Menschen bald wegen Geldmangels sogar die frühere Möglichkeit zum Urlaub auf der Krim, am Balaton oder der bulgarischen Schwarzmeerküste. Wichtigstes Reiseziel wurde der Kolchos, wo Großvater oder Großmutter noch lebten oder man wenigstens jemand kannte, bei dem man die dringendsten Lebensmittel eintauschen konnte“. 26. So Hans Kalt in seinem Buch über das Scheitern des sowjetischen Modells, und Hans Kalt fährt fort: „Es hat in der Wirtschaftsgeschichte noch keine Enteignungsaktion gegen so Viele, von solchem Umfang und so eindeutig zugunsten einer offenkundig kriminellen Minderheit gegeben“. 27. Das Dekadente potenzierte sich, nachdem es seine sozialistische Hülle fortgeschleudert hatte, in hektischer Eile. Die Nomenklatura hatte sich durch die Perestroika hindurch machtpolitisch gehalten. Wenn ein politisches System auseinanderfällt, haben diejenigen bessere Karten, für die das Parteibuch nur ein Karrierebuch war, die sich im alten System zurechtfanden, in dem man Seilschaften geknüpft hatte, als diejenigen, die erst durch den Zerfall politisiert wurden. Diese von der Perestroika gezogenen Frischlinge scheiterten durch die Bank. Stalin, der sich immer bescheiden als „Schüler Lenins“ bezeichnet hatte, bezog als politisch Tätiger nur das magere Gehalt eines Funktionärs der KP, sein ganzer Lebenswandel entsprach den Idealen der Revolution, wie der Volksfreund Marat starb auch er arm. Putin hat 2010 insgesamt 98. 700 Euro verdient, der Ministerpräsident besitzt ein Stück Land, zwei Wohnungen, zwei Garagen, zwei Autos, einen Jeep und einen Wohnwagen …, so die Besitztümerliste der russichen Führung vom März 2011. Nur diese verschwindend kleine asoziale Schicht von Oligarchen trägt den Friedensnobelpreisträger Gorbatschow in Russland in ihrem Herzen und in Deutschland der von der Springerpresse in die Irre geleitete Einheitsspießer, der am Monatsende den Euro abzählen muss. Ähnliches wiederholte sich in der DDR, nur das in ihrem Zerfall die SED-Nomenklatura von der Bereicherungsorgie weitgehend ausgeschlossen war – es waren die Wessies, die zulangten. Putin bezeichnete den Zerfall der Sowjetunion mit ihren ethnischen Explosionen als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Was den Osmanen und Habsburgern als Folge des ersten Weltkrieges an dessen Ende 1918 ereilte, das widerfuhr den Russen erst um 1990 herum. Man vergleiche Gorbatschow mit Lenin. Mit Ehrfurcht verneigen wir uns vor Lenin, der das Schiff Russlands durch die Wirren der Zeit so steuerte, dass das ganze Landmassiv erhalten blieb. Und nun Gorbatschow!? Putin versucht heute, den Zustand vor der geopolitischen Katastrophe wieder herzustellen. Niemand könne laut Putin mit Steinen auf die werfen, die den Sieg über die Wehrmacht ermöglicht haben, er nimmt Stalin davon nicht aus. Man kann von bürgerlichen Historikern und Politikwissenschaftlern nicht erwarten, dass sie sich einmal die Frage wenigstens vorlegen, ob nicht die revisionistische Entartung der KPdSU mit ihrem Tiefpunkt der Gorbatschow‘ schen Perestroika mehr Leid über die Völker gebracht habe als die Hitler‘ sche Wehrmacht? In seinem ‚Gesellschaftsvertrag‘ gibt Rousseau als Kennzeichen einer guten Regierung eine wachsende Geburtenrate an, unter einer guten Regierung lebt man und lässt leben. 1992 überstiegen die Todesfälle in Russland die Geburten um zwölf Prozent, was selbst im deutschen Faschismus mit seinen Konzentrationslagern vor dem Krieg nicht der Fall war. Vielleicht muss man in die Annalen der Weltgeschichte erst das Jahr 1992 als das Todesjahr der Oktoberrevolution eintragen? In der Volksrepublik China kam es dagegen zu einer wahren Bevölkerungsexplosion. Zwischen der Ausrufung der Volksrepublik durch Mao 1949 und seinem Tod 1976 stieg die Zahl der Bevölkerung von 540 Millionen auf 950 Millionen an. Diese Zahlen zeigen an, wie sehr die chinesischen Völker unter den Kriegen und Bürgerkriegen und unter der japanischen Okkupation gelitten haben und wie wohltuend für sie Mao, Frieden und soziale Befreiung waren.

In dem sehr interessanten Artikel „Mit Lenin – Maske gegen den Leninismus, Wie Gorbatschow und Jakowlew die Konterrevolution inszenierten“ im Rotfuchs vom April 2011 führt der Autor Willi Gerns den Zerfall des sowjetischen Sozialismus auf eine Aushöhlung des demokratischen Zentralismus zurück. 28. Aber das ist keine dialektische Erklärung, sondern eine eklektische. Man kann nicht einfach ein sicherlich wichtiges Moment, hier aus der politischen Sphäre, aus dem Prozess herausnehmen und es monokausal als Grund allen Übels hinstellen. Gesellschaftswissenschaft ist etwas mehr als das Lösen eines Kreuzworträtsels. „…daß die Gesellschaft als ein lebendiger, in ständiger Entwicklung begriffener Organismus betrachtet wird (und nicht als etwas mechanisch Verkettetes, das infolgedessen eine beliebige willkürliche Kombination der einzelnen gesellschaftlichen Elemente zuließe) … 29. Als Marxist sollte Gerns doch bitte schön noch ein Moment aus der ökonomischen Basis hinzunehmen, ohne damit aber gleich Dialektiker zu werden. 30. Die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion kann nicht aus der Sphäre der Politik oder aus der Sphäre der Ökonomie allein erklärt werden 31. , auch nicht aus einem Hin- und Herwälzen von Basis- und Überbauursachen. Diese Erklärungsversuche verharren noch unter dem Immanenzschatten der Fetischverblendung, die zu durchbrechen nur vorgegeben wird. Der wissenschaftlichen Erklärungsweise gelingt der Durchbruch von der Erscheinung zum Wesen gesellschaftlicher Prozesse nur mit Hilfe der materialistischen Dialektik, in der als genuine Prozesswissenschaft der innere Zusammenhang der Prozesse in gesetzmäßiger Abhängigkeit widergespiegelt wird. Durch dieses Kriterium allein sind die Marxisten in der Lage, geschichtliche Prozesse mit Bewusstsein, das heißt unter anderem die gesellschaftlichen Folgen ihres geschichtlichen Handelns zu erfassen. Als die Revisionisten um Chruschtschow zum Beispiel 1958 die Auflösung der Maschinen-Traktor-Stationen beschlossen, ein Schritt, vor dem Stalin gewarnt hatte, wussten sie natürlich nicht und machten sich keine Gedanken darüber, zu welchen gesellschaftlichen Folgen diese „Neuerung“ führen werde, sie waren sich dessen nicht bewusst und verstanden nicht, dass diese „Neuerung“ zu einer Umgruppierung der gesellschaftlichen Kräfte führen werde, die mit einem Sieg der Konterrevolution endete. Aber wie gesagt, die MTS sind auch wieder nur ein Glied einer letzthin unendlichen Kette. Gerns sagt: die Aushöhlung des demokratischen Zentralismus, ich sage: die Auflösung der Maschinen Traktor Stationen haben zum Zusammenbruch der Sowjetunion beigetragen. Selbst beides zusammen erklärt noch nicht viel. Im sich entwickelnden Sozialismus muß der Unterschied zwischen den Arbeitern und den Bauern immer mehr aufgehoben werden. Wie stand es damit? Wurde der Gegensatz zwischen Hand- und Kopfarbeit minimalisiert oder vergrößert? Das Letztere ist anzunehmen. Die Herausbildung des Kapitalismus aus dem sowjetischen Sozialismus ist ein so komplexer Prozess, dass vielleicht nur ein Kollektiv von marxistischen Fachwissenschaftlern zu dieser Thematik Essentielles erarbeiten kann. In diesem Kollektiv müsste zum Beispiel auch die Rolle der Religion beim Restaurationsprozess berücksichtigt werden, das Wechselverhältnis zwischen Landwirtschaft und Industrie, Dorf und Stadt, Hand- und Kopfarbeit, die Rolle der Intelligenz, der Bürokratie … usw. Insbesondere die Arbeitsteilung von Hand- und Kopfarbeit, denn diese Arbeitsteilung ist die Grundlage der Klassenteilung. 32. Es ist dann auch der Untertitel von Willi Gerns Aufsatz: „Mit Lenin-Maske gegen den Leninismus: Wie Gorbatschow und Jakowlew die Konterrevolution inszenierten“ kritisch zu hinterfragen: Inwieweit können Konterrevolutionäre erfolgreich inszenieren? Und von dieser Fragestellung her kommt man schon auf die weitere: die Verbindung dieser Sowjetfeinde zum imperialistischen Ausland? Gorbatschow und Jakowlew hätten inszeniert! Und in ihrem Sinne sogar erfolgreich inszeniert! Werden sie dadurch nicht zu großen historischen Figuren? Ich möchte zu dieser Thematik die Aufmerksamkeit auf die Schrift von Karl Marx: „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ lenken, in der er die Bedingungen für den Machtantritt des konterrevolutionären Militärdiktators Louis Bonaparte analysierte. Viele Zeitgenossen von Marx glaubten, dieser kleine Napoleon habe erfolgreich inszeniert, unter anderem auch Victor Hugo in seinem Buch: „Napoleon le Petit“, während Marx eine ganz andere Herangehensweise hatte: Hugo merke nicht, dass er Bonaparte groß statt klein mache, indem er ihm eine persönliche Gewalt der Initiative zuschreibt, wie sie „beispiellos in der Weltgeschichte dastehen würde.“ 33. Im achtzehnten Brumaire leitet Marx dann auch den Machtantritt des kleinen Napoleon aus einer ökonomischen Krise ab. Der Klassenkampf in Frankreich habe Umstände und Verhältnisse geschaffen, „welche einer mittelmäßigen und grotesken Personage das Spiel der Heldenrolle ermöglichen“ 34., konnte. Mittelmäßige und groteske Personage – trifft das nicht auch auf Gorbatschow, Jakowlew und Konsorten zu? 1990 rühmte sich Jakowlew, dass er schon ein Jahrzehnt lang nicht mehr von der Arbeiterklasse und vom Sozialismus/Kommunismus gesprochen habe. Gibt es andererseits nach der Niederlage, an der sie alle mitwirkten, einen Grund zur Resignation? In seinem Fundamentalwerk „Staat und Revolution“ hat Lenin am Beispiel des Fortbestehens des bürgerlichen Rechts im Sozialismus darauf aufmerksam gemacht, dass sich hier „Überreste des Alten im Neuen“ 35. erhalten. Das Alte bleibt also und wird nicht einfach nur abstrakt negiert. Daraus folgt aber, dass zwischen diesen Antagonisten ein Kampf um den Weg zwischen Revolution und Restauration immer noch existiert, und es ganz offensichtlich nicht ausgemacht ist, wer gewinnt, selbst wenn nur Überreste des Alten sich erhalten. Blicken wir auf bürgerliche Revolutionen, so müssen wir feststellen, dass auch diese sich nicht gradlinig durchgesetzt haben, sondern ebenfalls etliche Rückschritte in Kauf nehmen mussten. Bis die Bourgeoisie sich dann durchsetzte, ihren Zenit erreichte und anfing, vollends zu einer verfaulten Klasse zu reifen. Heute kann deshalb auch immer noch ihr fortschrittliches Gedankengut gegen sie gekehrt werden: Kants Werk „Zum Ewigen Frieden“, Hegels Feststellung, die bürgerliche Gesellschaft könne nicht die Armut des Pöbels steuern, halten ihr einen Spiegel vor, in dem sie erkennen könnte, wie alt sie geworden ist. In der Natur und der Gesellschaft sind die Grenzen bedingt und beweglich. Wann endet eine Revolution? Anlässlich der Subbotniks hat Lenin die Alternative aufgezeigt: Jeder für sich und Gott für uns alle. ODER: Alle für einen, einer für alle. 36. Der Kampf ist noch nicht entschieden. Überhaupt haben die Subbotniks bewiesen, welch revolutionäres Potenzial in den arbeitenden Menschen steckt. War Lenin beim Abfassen von „Staat und Revolution“ noch skeptisch, ob „Menschen sofort (kursiv von Heinz Ahlreip) nach dem Sturz des Kapitalismus lernen werden, ohne alle Rechtsnormen für die Allgemeinheit zu arbeiten“ 37., so bewiesen wenigstens die peripheren Subbotniks das Gegenteil. Deshalb sprach Lenin vom Heldentum der Arbeiter. Zu behaupten, die sich überraschend einmütig einstellenden Subbotniks seien ein einmaliger Akt in der Weltgeschichte gewesen, ist offensichtlich töricht. Sie sind eine notwendige Zwischenstufe, bis die Arbeit das erste Lebensbedürfnis des Menschen, also ihm nicht mehr fremde Arbeit geworden ist. Alle geistigen Produkte der Menschen erweisen sich heute als illusionär, sobald sie die Arbeit als entfremdete außen vorlassen. Durch den Zusammenbruch der aus dem Krater der Oktoberrevolution hervor geschleuderten Gesellschaftssysteme ist Europa heute von entfremdeter Arbeit heimgesucht und wieder die alte Hölle geworden, aber mit mehr Last, der einst perspektivische Sprung der Menschheit nach vorn aus den Jahrhunderten der bürgerlichen, mehr noch der marxistischen Aufklärung hat selbst einen Sprung bekommen. In der politischen Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus ist nur die Arbeiterklasse in der Lage, den Widerstand der Bourgeoisie, die Restauration zu brechen. Durch das Scheitern des sowjetrussischen Modells Lenin‘ scher Prägung werden viele Fragen aufgeworfen: Zunächst: Wie konnte es geschehen? Und um die Beantwortung dieser Frage bezogen auf die DDR bemühe ich mich im Weiteren. Wenn die um die fortschrittliche Arbeiterklasse zentrierten gesellschaftliche Kräfte die große Mehrheit des Volkes ausmachen, wie konnte dieser „ungeheure“ Umschlag von Quantität in schlechte Qualität überhaupt erfolgen? Man darf diesen Umschlag ganz offensichtlich nicht nur als einen mit nur positiven Resultaten deuten und ganz offensichtlich kann man den Zusammenbruch politischer Systeme auch nicht nur am Fehlverhalten von Politikern an ihren Spitzen festmachen, was nur allzu beliebt, weil allzu einfach ist. Kommunisten hätten den Staat DDR nicht im Interesse der Freiheit gebrauchen müssen, nach der Theorie war die Niederhaltung der Feinde der arbeitenden Menschen sein/ihr Hauptzweck. Und diese Hauptarbeit, die Unterdrückung der Schmarotzer durch die ungeheure Mehrheit des Volkes, war nach den Worten Lenins eine „verhältnismäßig … leichte Sache“. Warum ist eine verhältnismäßig leichte Sache nicht geglückt? Zur Beantwortung dieser die Thematik keinesfalls erschöpfenden Fragen ist es deshalb Zeit, vom ‚Großen Bruder‘ zur ‚kleinen Schwester DDR‘ überzugehen, die von ihm nicht nur geprägt und nicht nur von ihm erzogen worden, sondern auch immer auf dessen immense Rohstoffe angewiesen war, und ich bitte von daher den Leser um Verständnis, dass es galt, sich erst über ihn die Klarheit zu verschaffen, wie er den Marxismus verdarb, ehe das Kernthema angegangen werden kann.

Die Herausbildung beider deutschen Staaten nach 1945 ergab sich aus dem Endverlauf des Zweiten Weltkrieges. Gegen Hitlerdeutschland kämpfte eine Koalition heterogener Mächte, eine Assoziation sozialistischer Republiken (UdSSR) zum Beispiel zusammen mit England, einer konstitutionellen Monarchie. So kam es zu keinem einheitlichen Verwaltungssystem im besiegten Deutschland, sondern je nach Einflusssphären, die durch die Armeen erkämpft worden waren, ergab sich ein pro-sozialistisches System im Osten und ein kapitalistisches im Westen. Die beiden Küken Lenins waren nun an der Elbe zusammengerückt, im Westen wird es vorübergehend zu dem Wohlstand kommen, den der Sozialismus braucht; im Osten blieb es bei einer Parteidiktatur ohne Rätedemokratie, am Ende mit Wahlmanipulierungen, ohne dass die materiellen Bedürfnisse des Volkes dem Sozialismus adäquat befriedigt werden konnten. Während in Westdeutschland reaktionäre Politiker und alte Nazi-Eliten an dem Wiederaufbau eines kapitalistischen Systems mit seinen Terrorapparaten mitwirkten, begriff sich die sozialistische Elite in der DDR als in einer Übergangsgesellschaft lebend, die nach ihrer marxistisch-leninistischen Weltanschauung in einem weltrevolutionären Kontext stand: im Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus. Hauptsächlich auf Betreiben des US-Imperialismus wurde Westdeutschland zu einem Bollwerk gegen den Kommunismus gestaltet, man hatte das ja bereits zwölf Jahre geübt und der Übergang war nahtlos, stellvertretend für viele sei hier Hitlers Ostaufklärer Gehlen genannt. Der Schwur von Buchenwald, der den Vorsatz enthielt, den Nazismus mit seinen Wurzeln auszurotten, wurde millionenfach nicht zur Kenntnis genommen oder millionenfach bewusst gebrochen. Der erste deutsche Volkskongress, der Anfang Dezember 1947 in Ost-Berlin stattfand, erließ einen Aufruf zur Überwindung der Spaltung. In der Lesart der SED zu Lebzeiten Stalins war es nicht hinnehmbar, „dass sich ein Teil Deutschlands weiter in den Händen derer befinde, die gestern die ‚Inspiratoren des Hitlerregimes‘ gewesen seien“. 38. Im Klima eines sich wieder heranschleichenden Faschismus wurde Stalins Vorschlag, von dem er wohl wusste, dass er zum Scheitern verurteilt war, in der sogenannten Stalin Note von 1952, ein einheitliches neutrales Deutschland mit freien Wahlen auf demokratischer Grundlage mit einer souveränen Miliz zu bilden, von den westlichen Eliten hintertrieben, deren politisches Hauptaugenmerk nach Hitlers Scheitern weiterhin auf die Auslöschung der Oktoberrevolution gerichtet war. Denn deren Aufbruchstimmung hatte trotz der Millionen Kriegstoten im ersten Weltkrieg keine kontinentale Dimension erreicht. Idee und Praxis bissen sich wieder einmal wie so oft in der Geschichte. Erwarteten die Anhänger Lenins nach dem ersten Weltkrieg den Sieg des Sozialismus in fast ganz Europa, so hatte Anfang der 40er Jahre der deutsche Nationalsozialismus fast ganz Europa unter Kontrolle, — bis Stalingrad. Das Scheitern des Unternehmens „Barbarossa“ hatte zur Folge, dass nur fünf Jahre später der Imperialismus in eine Art Defensive geraten war: Über ein Drittel der gesamten Menschheit lebte nach der Proklamation der chinesischen Volksrepublik am 1. Oktober 1949 durch Mao nun unter sozialistischen Vorzeichen. Im globalen Geltungsbereich des Sozialismus wurden 37 Prozent der Weltkohle gefördert, 25 Prozent des Stahls produziert und zirka 33 Prozent der Baumwolle erzeugt. Der Anteil an der Weltindustrieproduktion betrug etwa ein Drittel, das waren kräftige Zahlen und eine solide Grundlage – sollte man meinen. Die Nichtbezwingung Nordkoreas durch die USA zwischen 1950 und 1953 tat ein Übriges hinzu wie später ihr Desaster in Vietnam. 1952 bezeichnete Stalin die Kapitalisten als Elemente, die durch den „Marshallplan“, den Krieg in Korea, durch das Rüstungsfieber und die Militarisierung der Industrie wie Ertrinkende nach dem Strohhalm greifen. Und doch verlief die Weltgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf eine andere Art widersprüchlich bizarr wie die erste, in der der Weltkommunismus 28 Jahre in einem Land hocken blieb. Der Gedanke einer Kettenrevolution, in der ein bürgerlicher Militärapparat nach dem anderen zerschlagen wird, fruchtete, wie gesagt, nicht, stattdessen erwuchs der Sozialismus am Ende der ersten Jahrhunderthälfte aus einer Kette massiver Landschlachten, die die Rote Armee anders als die zaristische Armee im ersten Weltkrieg für sich entschieden hatte. Die Planwirtschaft als eine Art Vorform der Kriegswirtschaft hatte ab 1928 die ökonomische Grundlage für die Bezwingung der Wehrmacht geschaffen. Das Land erholte sich rasch und schon 1947 wurde in der Sowjetunion das Kartensystem für Brot aufgehoben. Schon zu Lebzeiten Stalins waren revisionistische Tendenzen in den ökonomischen Debatten aufgetaucht, die im Tauwetter zu Alternativen mit wissenschaftlichem Anspruch aufblühten. Der Transformationsprozess vom im Werden begriffenen Sozialismus zum spezifischen Sowjetkapitalismus vollzog sich allmählich. In Ermangelung eines besseren Wortes ist von einer Wirtschaftsreform zu sprechen. Ende der achtziger Jahre trat dann die endgültige Auflösung, das Erschlaffen der aus dem zweiten Weltkrieg geborenen sozialistischen Strukturen ein, die nicht mehr lebensfähig waren. 1952 war auf der anderen Seite das kapitalistische System nach dem durch den zweiten Weltkrieg verursachten Zerfall des kapitalistischen Weltmarktes und starker antikapitalistischer Stimmung im Volk (siehe Ahlener Grundsatzprogramm der CDU vom 3. Februar 1947) noch viel zu wackelig, um sein Schicksal durch Volkswahlen bestimmen zu lassen, die Stalin auf einem Stück Papier konzipiert hatte. Die Protagonisten des kapitalistischen Systems handelten nach ihrem Selbstverständnis richtig, es an die US-amerikanische Bajonette zu heften, der bald die westdeutsche Lakaien-Armee folgte. Die Marxisten in Deutschland hatten viel zu wenig betont, dass der rechtsrheinische Separatist und Katholik Adenauer an der Herrschaft des Todes an der Berliner Mauer und an der Zonengrenze nicht ganz unschuldig war. „Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb“ – so lautete der Leitspruch der Separatisten. Für Wolfgang Harich war die Zurückweisung der Stalin-Note die „Ursünde der deutschen Bourgeoisie“. Hatten die anderen Marxisten in Deutschland vergessen, dass Marx in seiner Analyse der Pariser Kommune Thiers als den Mörder des Bischofs Darboy hinstellte? 39. Nach Stalins Tod im März 1953 vertrat noch der Geheimdienstchef Berija eine Stalins Idee fortsetzende nationale Position für Deutschland, was Äußerungen Chruschtschows und Ulbrichts bestätigten. Der Tod Stalins sollte den Berijas nach sich ziehen. Berija wollte keine Spaltung, wurde aber auf Grund innerer Machtkämpfe mit revisionistischer Weichenstellung am 23. Dezember 1953 in Moskau nach einem Prozess, der am 14. Dezember 1953 nach halbjährigen Ermittlungen begann, erschossen. Staatsanwalt Rudenko, der schon die sowjetische Klage gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg vertreten hatte, warf ihm u.a. vor, er habe in seiner Deutschlandpolitik die DDR der BRD abtreten wollen: die Juni-Unruhen soll er mit Hilfe des Sicherheitsministers Zaisser und des Chefradakteurs des Parteiorgans „Neues Deutschland“ Herrnstadt benutzt haben, Ulbricht zu stürzen. Die Stalin-Note war keine Bagatelle im Fluss der Zeit, als die sie vielleicht von heute aus erscheinen mag. Ihre Ablehnung hatte nicht nur die Spaltung Deutschlands zur Folge, sondern die Europas, so dass es nach dem zweiten Weltkrieg keinen Frieden gab. Wieder einmal fiel der Würfel auf Konterrevolution, wie schon so oft in der deutschen Geschichte. Wie oft hatte das reaktionäre Preußen von Berlin aus seine Finger bei der Teilung Polens im Spiel, nun war Preußen durch das Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 nicht mehr und Deutschland durch die politische Federführung Adenauers selbst eine gespaltene Nation. Schon am 26. Mai 1952 paraphierten die Außenminister der USA, Frankreichs, Englands und Westdeutschlands in Bonn den Deutschlandvertrag und einen Tag später in Paris den EVG-Vertrag, als die Diskussion um die Frieden für Europa bringende Note noch im vollen Gange war. Die Friedenssehnsüchte der europäischen Völker wurden mit Füßen getreten. Die Spaltung Deutschlands war im Kern schon gegeben, als Grotewohl sieben Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und drei Jahre nach Gründung der DDR auf der zweiten SED-Parteikonferenz am 9. Juli 1952 den Übergang aus der antifaschistisch-demokratischen Grundordnung zu einem Aufbruch verkündete: zum Aufbau des Sozialismus in der DDR. (Dieser war in der Sowjetunion auf dem XV. Parteitag im Dezember 1927 beschlossen worden). Grotewohl sprach in seiner Rede auf der Konferenz von der Vernichtung Deutschlands durch Adenauer, und er hatte Recht. Die BRD ist bis zum heutigen Tag ein Vasallen-Regime vor allem der USA. Im kalten Krieg einigten sich spd-revisionistische und bürgerliche Volksfeinde darauf, den Körper des deutschen Volkes zweizuteilen. Der SDS der 68er zum Beispiel forderte die Aufnahme normaler (!?) Völkerrechtsbeziehungen, die eine zwischen genuinen Bürgerkriegsparteien gewesen wäre. Im Programm der am 1. Januar 1919 gegründeten KPD hieß es noch: Schaffung einer einheitlichen deutschen sozialistischen Republik, was konsequent an das Kommunistische Manifest anknüpfte. Fünfzehn Tage später wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit Unterstützung des rechten Flügels der SPD ermordet. Diese Partei bestätigte die Worte, die Rosa Luxemburg für die deutschen Sozialdemokraten auf einem Parteitag gefunden hatte: die infamsten und größten Halunken, die in der Welt je gelebt haben. 40. Einer dieser Halunken war ohne Zweifel Egon Bahr, der, angelehnt an die Osteuropapolitik Kennedys, die Völker vom Weg zum Kommunismus durch das Konzept ‚Wandel durch Annäherung‘ ablenken wollte. Wandel zum System der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen war gemeint. Das war nicht originell, die Annäherung war schon da und die Sozialdemokraten, diese eifrigsten Antikommunisten, versuchten nur den größten Vorteil für ihre kapitalistische Klasse aus der politischen Realität herauszuholen. Bereits 1963 legte Bahr den Inhalt der neuen Ostpolitik in seiner Tutzinger Rede dar: Die amerikanische Strategie des Friedens läßt sich auch durch die Formel definieren, dass die kommunistische Herrschaft nicht beseitigt, sondern verändert werden soll.

Ein großer Nachteil der DDR bestand darin, dass sie, verkürzt formuliert, durch die Rote Armee gegründet wurde; sie ergab sich nicht aus einer großen Volksrevolution, schon gar nicht aus einer unter Führung der Arbeiterklasse, auch nicht aus einer Selbstbefreiung von KZ-Häftlingen und einer damit verbundenen Niederringung des Hitlerfaschismus. Wir müssen das Neue aufbauen, ohne dass das Alte von uns niedergerissen worden sei, hatte Brecht in den Anfangsjahren der DDR notiert, das haben, indem sie den Faschismus besiegten, die Sowjetrussen für uns getan. Bei diesem Thema müssen wir stets die verkorkste revolutionäre Tradition in Deutschland im Auge behalten, Marx sprach in seiner Polemik gegen Karl Heinzen vom verkrüppelten Entwicklungsgang der deutschen Bourgeoisie, Ludwig Börne vom „Ghetto Europas“. Reformation und Preußentum hatten das deutsche Volk jahrhundertelang durchschauert; noch der religiöse Hegel spricht in seiner Philosophie der Geschichte von ihr als „die alles verklärende Sonne“ 41., und das schüttelt man nicht in ein paar Jahrzehnten ab. Man schüttelt nicht in ein paar Jahrzehnten das spezifisch christlich-germanische Pech Deutschlands ab, sich in ökonomischer, damit politischer, damit kultureller Hinsicht so sehr verspätet zu haben. Den marxistischen und fortschrittlichen Kräften in der DDR gelang das Abschütteln nicht: Luther und der alte Fritz wurden gegen Ende der DDR wichtige Figuren für die SED-Ideologen, wichtiger als Thomas Müntzer und Josef Stalin. Die ‚Revolution durch die SED‘ hatte keine tiefen Wurzeln im Volk, vieles galt als administrativ. Die sowjetische Militär-Administration war der Acker, auf dem die roten Blumen der Revolution gedeihen sollten; es gibt wohl bessere Äcker. (Die CSSR bildete sich zum Beispiel ohne militärische Außeneinwirkung ab 1948 heraus, was den Aufmarsch sowjetischer Panzer 1968 als besonders bedrückend empfinden ließ). Zur Militärparade zum Jahrestag der DDR am 7. Oktober kamen Menschen aus Ostberlin freiwillig, aber es wurden eben auch Teilnehmer zu politischen Feierlichkeiten abgeordnet, die diese dann eher erduldeten. Zur Militärparade zum Ehrentag der bürgerlichen französischen Revolution am 14. Juli kommen keine Abordnungen, denn sie war eine aus dem Volk geborene Revolution. Indes sollte der Bourgeois darüber nicht jubeln, schon die Teilnahme der Fremdenlegion bei der Militärparade am Jahrestag der französischen Revolution zeigt, wes Geistes Kind er eigentlich ist, was heute aus ihm geworden ist. Schon die erste US-amerikanische bürgerliche Verfassung, welche die Menschenrechte anerkannte, war ja mit dem unauslöschlichen Makel der bestehenden Sklaverei der Farbigen behaftet. Und dann zeige man mir eine bürgerliche Revolution, die ohne Rückschläge ausgekommen ist. Der Zusammenbruch des Sowjetsystems ist ein Rückschlag für die kommunistische Weltbewegung, keine definitive Niederlage. Schon Albert Einstein, der im Juni 1923 die Vereinigung „Freunde des neuen Russlands“ bei ihrer Gründung unterstützte und als ihr Mitglied in den Vorstand gewählt wurde, sah in der Aufbautätigkeit der russischen Kommunisten ein Experiment von gewaltigem Ausmaß. Er sah richtig, das das Experiment in einem armseligen Laboratorium ausgeführt wurde. „Sollte es daher mit einem Mißerfolg enden, so würde das für mich als Naturforscher noch nicht die Unmöglichkeit eines Erfolges des gleichen Versuchs in einem reicher ausgestatteten Laboratorium beweisen“. 42. Der springende Punkt dieses Experiments war die Vergesellschaftung des Privateigentums an Produktionsmitteln und mit diesem Argument konnte das Politbüro alle linke interne und internationale linke Kritik und den Bürokratismusvorwurf totschlagen, und es machte davon auch reichlich Gebrauch. Mal sah man den bürokratischen Krebs nur im Körper der Staatspartei, mal aus der fixen zurechtgelegten Idealopposition von Bürokratismus und Markt im Körper des Gesamtsystems. Hinzu kam ein weiteres Argument: die Abschaffung des Erbrechts. Kinder von Kadern mussten sich auch hocharbeiten. Kinder von Akademikern erhielten Universitätsplätze berechnet nach dem Anteil der Akademiker an der Gesamtbevölkerung. Den klassischen Geldsack gab es in der Tat nicht mehr und linke Kritik deutete dafür den sowjetischen Staat als Kollektivkapitalisten. Ganz exemplarisch dazu Enver Hoxha in seinem Rechenschaftsbericht des ZK der Partei der Arbeit Albaniens vor dem VI. Parteitag im November 1971: „Der heutige sowjetische Staat, als Kollektivkapitalist, verwaltet die Produktionsmittel im Auftrag und im Interesse der neuen Bourgeoisie. Das gemeinsame sozialistische Eigentum wurde zum staatskapitalistischen Eigentum eines neuen Typs“. 43. Ein neuer Typ – deshalb kann man bei der Analyse des Entwicklungsweges der Sowjetunion nicht allein auf die Klassiker zurückgehen, die diesen Typ noch nicht kennen konnten. Es bedarf also bei der Anwendung der materialistischen Dialektik auf diese Entwicklung neuer Kategorien und einer neuen Begrifflichkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam neben dem „Hauptargument“, die Produktionsmittel seien vergesellschaftet und das Erbrecht sei abgeschafft, das politmilitärische „Argument“ hinzu, jede Schwächung des real existierenden Sozialismus durch Kritik und Experiment stärke die NATO und Militärgerichte machten von diesem „Argument“ auch reichlich Gebrauch. Heute regiert in Moskau eine mafiaähnliche Abart von „Fremdenlegionären“ und Ex-KGBlern, deren Klassenbasis die Parvenus-Bourgeoisie der Perestroika ist und die den deutschen Ex-Kanzler Schröder, der die „Enttabuisierung des Militärischen“ verkündet hatte, wie einen alten Kumpel in ihre Arme schließt. Auch hier ist die Sprache Putins verräterisch: Russland will als „führende Weltmacht“ anerkannt werden. 2014 hatte Obama ja Russland als eine Regionalmacht bezeichnet. Man spricht heute bereits wieder von einem neuen kalten Krieg zwischen Russland und dem Westen. Dem sollte man sich nicht anschließen, die Konvergenz der Ausbeutungsstrukturen und der Misshandlung der Völker sind doch deutlich zu vermerken. Immer wieder sucht die Clique um Putin die Zusammenarbeit mit der Nato, der EG und den USA. In der in der Silvesternacht 2015/2016 in Kraft getretenen neuen Sicherheitsstrategie Russlands heißt es, es gebe viele Berührungspunkte mit dem Westen. Allerdings, Berührungspunkte, die ich schon genannt habe. Diese mafiaähnlichen Strukturen haben sich seit dem Chruschtschow‘ schen Revisionismus herausgebildet, der Banditentum hinter der Maske des Leninismus betrieb. Es ist so gekommen, wie Stalin es in seiner Kritik an den Genossen A.W. Sanina und W.G. Wensher im September 1952 vorausgesagt hat: „Letzten Endes würden wir der Willkür ‚ökonomischer‘ Abenteurer ausgeliefert sein, die bereit sind, die Gesetze der ökonomischen Entwicklung ‚umzustoßen‘ und neue Gesetze zu ’schaffen‘, ohne die objektiven Gesetzmäßigkeiten zu begreifen und zu berücksichtigen“. 44. Im Grunde waren beide deutsche Staaten künstlich, und die BRD ist es noch heute: Die Bundeswehr hat bis heute ihr Kardinalproblem darin, keine vom Volk geliebte Armee zu sein und hat sich durch die Aussetzung der Wehrpflicht fast ganz von ihm verabschiedet. Das Ideal ist natürlich eine aus einer breiten Volksrevolution heraus geborene Armee, die Bundeswehr aber wurde dem „Westvolk“ künstlich und gewaltsam vor der Gründung der NVA übergestülpt, was nicht gut gehen kann. „Ohne mich“ riefen die jungen Menschen damals. Kann denn eine Zusammenkunft von nazigedienten Offizieren im Kloster Himmerod etwas anderes zur Welt bringen als eine klösterliche Zwergmissgeburt?

Anton Ackermann, der ab 1933 die Untergrundorganisation der KPD in Berlin geleitet hatte, veröffentlichte im Februar 1946 in der „Einheit“ einen Aufsatz mit dem Titel: „Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus?“, in der er einen pazifistischen Kurs zum Aufbau des Sozialismus unabhängig von der Sowjetunion vorschlug, mit dem er sich aber nicht durchsetzen konnte. Diese Abhängigkeit von der UdSSR war Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil die UdSSR nach dem Krieg wichtige Güter, vor allem Werkzeugmaschinen und Werkzeugautomaten, Lokomotiven und Waggons, als Reparationen abtransportierte, was nach den Verwüstungen der Wehrmacht in Russland verständlich war; der sowjetische Vizepremierminister Nikolai Wossnessenski gab Ende 1945 die Kriegsschäden für die Sowjetunion mit 700 Milliarden Rubel (128 Milliarden Dollar) an, während kein einziger uniformierter Wehrmachtssoldat im zweiten Weltkrieg seine Kampfstiefel auf englisches oder US-amerikanisches Territorium gesetzt hatte. Diese von der UdSSR geforderten und erst 1953 eingestellten Reparationsleistungen waren bereits so gravierend, dass die DDR im Vergleich zur BRD wirtschaftlich immer im Rückstand blieb und aus einer Mangelwirtschaft heraus eine immense Wirtschaftsspionage gegen Westdeutschland ankurbeln musste. Mit den Reparationen war auch die Verkehrsinfrastruktur erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden, auch die zweiten Gleise der Eisenbahn waren demontiert, so dass nach der Wiedervereinigung die Strecken Berlin – Hamburg und Berlin – Hannover zunächst nur einseitig zu befahren waren. Die Stadt Dresden gilt zu Recht als Symbol anglo-amerikanischer Barbarei, aber die Kunstsschätze Dresdens sind von den Kommunisten gleich kistenweise abtransportiert worden. Die Höhe der Reparationen belief sich auf umgerechnet zirka 14 Milliarden Dollar. 45. Wie im 19. Jahrhundert der Russlandfeldzug Napoleons die europäischen Völker nachhaltiger erschütterte als jeder spätere Krieg und jede Revolution bis zur Jahrhundertwende – die ‚Grande Armee‘ war zu über fünfzig Prozent aus Truppenkontingenten vieler europäischer Staaten zusammengesetzt und in der Schlacht von Borodino fielen am 7. September 1812 allein hunderttausend Soldaten an einem Tag – so überschattete im 20. Jahrhundert der zweite Weltkrieg weltgeschichtlich alles, selbst die Freundschaft zwischen den russischen und deutschen Kommunisten, die Rote Armee „reparierte“ ohne Rücksicht auf Verluste, oft auch ohne Rücksicht auf die KPD, die aus der ‚Gruppe Ulbricht‘ hervorgegangen war. Die Einsprüche der deutschen Kommunisten blieben zaghaft und verbale Zusagen sowjetischer Offiziere für Milderungen wurden oft nicht eingehalten. In Jena ging bei der Demontage der Zeiss-Schottwerke die Angst um, bald keine Fieberthermometer mehr produzieren zu können. Man fühlt sich an die Zeit nach dem 30jährigen Krieg erinnert. Es ist schon schlimm genug, dass der Sozialismus im Gefolge eines Krieges aufgebaut werden soll, weil eine zerstörte Wirtschaft die Produktion von Konsumgütern immer hinten anstellen muss und so die Versprechungen des Sozialismus nicht erfüllt werden können; im Einflussbereich der Roten Armee kamen ungeheure Reparationen hinzu. Auf der anderen Seite, die das wichtige Ruhrgebiet behalten hatte, hätte Neil Armstrong ohne V1 seinen Fuß nicht als erster Mensch auf den Mond setzen können. Ein Sonderfall bildete der Uranbergbau in Wismut, an ihm waren die Sowjets bis zum Ende der DDR über eine Aktiengesellschaft beteiligt. 46. Im historischen Vorfeld der DDR fand etwas statt, was nach dem Kommunistischen Manifest ein Widersinn war, denn in ihm hatten Marx und Engels geschrieben, dass es gilt, unmittelbar nach der Revolution „die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren“. 47. Kein geistig gesunder Mensch verfällt dem Gedanken, dass es sinnvoll sei, den Kommunismus zu verzögern, ihn ohne Wachstum zu lassen ist noch etwas anderes 48., dass er 1917 seinen Aufbruch in einem rückständigen Agrarland nahm, war die denkbar schlechteste Variante unter den vom Klassenkampf entworfenen Dispositionen. Dagegen schien es auf den ersten Blick für die maßgebenden deutschen Kommunisten in Ostberlin ein Vorteil gegenüber der halb-asiatischen Oktoberrevolution zu sein, keine Kulturrevolution der Alphabetisierung inszenieren zu müssen. Aber es hatte einen Faschismus gegeben, den man schon ultrapervers nennen konnte, und es musste eine Kulturrevolution anderer Art stattfinden, wobei in Deutschland gefragt werden muss, ob in diesem Land gegen faschistische Dummheit überhaupt ein kulturrevolutionäres Kraut wächst? Sowohl die Leninisten nach dem roten Oktober als auch die der Gruppe Ulbricht nach dem Zusammenbruch des Faschismus fanden ein Proletariat vor, das man als deklassiert bezeichnen konnte. Hinzu kam die Flüchtlingswelle aus dem Osten, die bestimmt kein marxistisch-leninistisches Gedankengut nach Deutschland einschleppte, sondern reaktionäres, kamen sie doch aus dem rückständigsten Gebieten des ehemaligen deutschen Reiches. Auch die aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft innerlich zerrütteten Heimkehrenden waren kaum als Propagandisten für den Kommunismus zu gewinnen. Die deutschen Kommunisten waren dann auch mehr an den deutschen Absolventen aus den Antifa-Schulen in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern interessiert, die sich allerdings meistens den Marxismus-Leninismus auch nur angelesen hatten. Es bleibt für den geschichtlichen Gesamtverlauf der DDR entscheidend die politische und militärische Abhängigkeit von Moskau, der Segen bestand darin, dass die „Gruppe sowjetischer Streitkräfte“, zu der auch die 120. 000 Matrosen starke baltische Rotbannerflotte in der Ostsee gehörte, in der DDR deren Sicherheit vor einem Angriff aus dem Westen und Übernahme durch ihn überhaupt erst garantierte. Die Grundversorgung der ostdeutschen Bevölkerung unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Hitlerfaschismus kann im Vergleich mit der westalliierten Hilfe als vorbildlich bezeichnet werden, auch war es nach dem Befehl Nummer 95 der ‚Sowjetischen Militäradministration in Deutschland‘ – kurz: SMAD – untersagt, örtliche deutsche Arbeitskräfte ohne Bezahlung in Anspruch zu nehmen. Generaloberst Bersani sorgte für die rasche Eröffnung der Berliner Theater, soweit es keine Stromausfälle gab. Zur sozialistischen Mitarbeit bereite bürgerliche Intellektuelle erhielten Fresspakete. Es ist im Zeichen der anfänglichen kommunistischen ‚Toleranzpolitik‘ gegenüber bürgerlich-demokratischen Kulturtraditionen bezeichnend, dass auf den Bühnen der SBZ das am meisten gespielte Stück „Nathan der Weise“ von Lessing war, von 1945 bis 1949 wurde es auf den acht wichtigsten Großstadtbühnen insgesamt 446 gespielt. 49. Vor KPD-Funktionären in Brandenburg sagte es Ulbricht im Juni 1945 klar und deutlich: „Nicht mit Marx und Engels anfangen“! Brecht, der erst am 22. Oktober 1948 nach Ostberlin übersiedelte, sah das anders, er schwamm gegen diesen Kurs der Hinwendung zur bürgerlichen Klassik: Wer den Bürger entnazifizieren wollte, müsse ihn entbürgerlichen. Im Januar 1949 war die Premiere von „Mutter Courage“ zu verzeichnen.

Mit der Zunahme des kalten Krieges begann die Isolierung der Sowjetsoldaten von der deutschen Bevölkerung durch strengste Kasernierung, die letzten harrten aus bis 1994. In diesem Jahr verließen die letzten russischen Soldaten – für immer? – deutschen Boden. Die Abhängigkeit von der UdSSR brachte nach der Übernahme des sowjetischen Industrialisierungsmodells die Einbindung der ostdeutschen Wirtschaft in das internationale System des RGW mit sich mit der Eigenart des innerdeutschen Handels, eine Eigenart, die kein anderes RGW-Land aufweisen konnte. Diese einzigartige Grenze mit ihrer Sprachgleichheit galt sowohl für eine Spionagetätigkeit als auch für die Kultur. Kein Land des realen Sozialismus war gefährdeter als die DDR, konterrevolutionäres Gedankengut, und aus der BRD kam extremes, brauchte erst gar nicht übersetzt zu werden. Mit dem Zerfall der Leitnation gingen auch die Satellitenkinder zugrunde, aber zu diesen äußeren Ursachen des Untergangs gesellten sich interne, aber bedingt innere, denn da die politischen Führungen in den Satellitenstaaten immer alles kopierten, was die Moskauer Zentrale initiierte, lernte man von der Sowjetunion zwar in einem bestimmten Sinn siegen, und da die Führungen nur allzu leicht dazu neigten, den real existierenden Sozialismus für unumkehrbar zu halten, wurden sie überrascht, dass die Verkopplung mit der Sowjetunion nicht nur einseitig auf die Siegesstraße führte, sondern am Ende in den Abgrund der Niederlage. So geht dann auch der Kollaps der DDR Hand in Hand mit dem Zusammenbruch des revisionistisch entarteten UdSSR. Für historische Materialisten, für die sich die Wahrheit stets in den historischen Fakten manifestierte, für die die Oktoberrevolution ungeheure Produktivkräfte frei gesetzt hatte, war allein die Tatsache der Rückentwicklung des Sozialismus in den Kapitalismus ein so schwerer Einschlag in ihr Weltbild der Unumkehrbarkeit historischer Stufenabfolge, dass einige nur im Selbstmord den Ausweg sahen aus der offensichtlichen Tatsache, dass die Geschichtspessimisten durch die Geschichte selbst Recht bekommen hatten und die Gewinnsucht über die Solidarität den Sieg davontrug. Man kann das gut nachvollziehen, Deutschland ist heute entsolidarisiert, damit pluralisiert, ungemütlicher als während des kalten Krieges und jeder ist nur ein Wolf unter Wölfen in einem Grau in Grau. Östlich von Helmstedt schlägt heute wieder je ein Kapitalist im eiskalten Wasser egoistischer Berechnung viele tot. Fixiert ist das kapitalistische Leistungsprinzip und manipuliert sind die Konsumbedürfnisse, die Stelle des politischen Propagandisten hat der Werbepsychologe eingenommen. Dessen Dressur, die Heranzüchtung künstlicher Bedürfnisse, tötet das Artikulieren wahrer Bedürfnisse, die bis zum Kommunismus im arbeitenden Menschen schlummern sollten. Ginge es nach den herrschenden Profitjägern, so muss dem deutschen Volk die Hoffnung auf eine gemeinsame bessere Zukunft ausgetrieben werden und nur das private Pseudoglück des einzelnen Konsumenten im ‚Hier und Jetzt‘ im Mittelpunkt stehen. Das ist die spezifische Zerstörung des deutschen Volkes, die Reduzierung der Menschen zu punktuell Lebenden, die tagtäglich vor sich geht. Östlich von Helmstedt gibt es heute eine Justiz, die den Profitjägern zuarbeitet, so dass sich die Asozialen unter dem Auge des Gesetzes in Sicherheit fühlen können – die Konsequenz ist die Vernichtung des deutschen Volkes. Östlich von Helmstedt ist heute wieder der Bürgerkrieg der Kapitalisten gegen das deutsche Volk in vollem Gange. Der Zusammenbruch der DDR, der in den Geschichtsbüchern nüchtern festgehalten ist, war auch ein Zusammenbruch von Geschichtsbildern mit dramatischem, gelegentlich tragischem Ausgang. So nahm sich die stellvertretende Vorsitzende des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes Johanna Töpfer im Januar 1990 das Leben, im April der langjährige DDR-Bauminister Wolfgang Junker. Im November 1989 der erste Sekretär der Kreisleitung Köthen Herbert Heber, der in seinem Abschiedsbrief geschrieben hatte: „Mensch wollte ich immer sein und Kommunist! Jetzt geht das nicht mehr!“ Genosse Heber hatte Recht, im Kapitalismus hat Humanismus keinen Platz. Marx schien widerlegt, der Kapitalismus erschien jetzt nicht mehr als historisch vorübergehend, sondern als konstante Endstufe der Geschichte, der US-amerikanische Politologe Francis Fukuyama verkündete daraufhin das „Ende der Geschichte“.

In ihren letzten Lebensjahren sträubte sich die DDR- Führung gegen den Einfluss der dekadenten Gorbatschowideen (Zurückweisung des Sputnik-Magazins), deren reaktionärer Charakter für fast jeden Ochs und jeden Esel erkennbar waren, konnte sich aber gegen ihren Sog letztendlich nicht mehr wehren. Aus Gorbi-Gorbi-Rufen wurde: „Wir sind das Volk“. Der SED-Chefideologe Kurt Hager teilte im April 1987 in einem Interview mit dem DDR-Korrespondenten der Hamburger Illustrierten ’stern‘, das vom SED-Zentralorgan nachgedruckt wurde, mit, dass er nicht daran denke, seine Wohnung neu zu tapezieren, nur weil sein Nachbar dies tue. Hager hatte einen guten Grund: für die DDR ging es um ihre Existenz, während die politische Klasse in der UdSSR noch der Illusion anhing, am Ruder einer nicht versenkbaren Supermacht zu stehen. Der sanftlebende protestantische DDR-Pfaffe bereitete im kirchlichen Untergrund die kleinbürgerliche Volksverhetzung, den nach seiner Auffassung endgültigen Triumph Martin Luthers über Thomas Müntzer vor. „Man soll sie totschlagen wie tolle Hunde“, geiferte Luther gegen die aufrührerischen Bauern. Dann stand es aber einem Mann, der an der Spitze einer Arbeiter- und Bauernrepublik figurierte, schlecht an, bereits im Juni 1980 den Vorsitz des staatlichen (!) Martin-Luther-Komittees zu übernehmen für den 500. Geburtstag des Reformators im Jahre 1983, als ob er es gar nicht hatte abwarten können. Man schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, wenn man nachliest, was Marx über Luther geschrieben hatte, um nur einen Punkt zu nennen: Luther habe alle Deutschen in Mönche verwandelt und damit das konterrevolutionäre Element in Deutschland fest verankert. Die SED war Müntzer in den Rücken gefallen. Mit dem Empfang Erich Honeckers in Privataudienz bei Papst Johannes Paul II. am 24. April 1985 war die SED sogar Martin Luther in den Rücken gefallen. Für einen Kommunisten ist das eine Flegelei, für die es Ohrfeigen hätte setzen müssen. Ja der CDU-Chef der DDR, der „Mustermönch“ Gerald Götting, verstieg sich sogar zu dem Ausspruch, dass das biblische Arbeitsethos mit den Prinzipien sozialistischer Arbeitsmoral aufs engste verwandt sei. Luther sah in der Arbeit primär Dienst am nächsten, der Kommunist sieht in der Arbeit primär die Vernichtung des Klassenfeindes. 1845 hatte Heinrich Heine über den schlesischen Weberaufstand gedichtet: „Im düstern Auge keine Träne, Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne: Deutschland, wir weben dein Leichentuch …“. Es war alles verdreht worden: Die christliche Bibel diente dem faulen Pfaffenpack doch historisch dazu, vom Zehnten zu schmarotzen. Warum dürfen wir „de Pfaffe net totschlage“, sang zum Beispiel der Hegauer Haufe; man sieht, wie rückständig nicht nur die DDR-CDU war. Das Lied des Hegauer Haufens wird eines Tages den christlichen Fettbonzen noch stark in den Ohren dröhnen. Wollen doch nicht hinter das Niveau des Frühaufklärers Meslier zurückfallen, der schon am Anfang des 18. Jahrhunderts hoffte, „… daß alle Großen und Vornehmen der Erde mit den Gedärmen der Pfaffen aufgehängt und erdrosselt würden.“ 50. Der Kampf gegen die Religion ist heute aber stets ein vom Klassenkampf des Proletariats abzuleitender und ihm unterzuordnender. Darin besteht ja gerade der Fortschritt der marxistischen Religionskritik gegenüber dem radikalen bürgerlichen Atheismus. Deshalb durfte aber keinesfalls die revolutionäre Wachsamkeit nachlassen; die Pfaffen der DDR wühlten auf hinterhältige Weise und entwickelten zusammen mit Grünen, Sozialdemokraten, „Menschenrechtshumanisten“, Menschen, deren Beruf ‚Menschenrechtler‘ ist, entwurzelten Schriftstellern u.s.w. recht bizarre konterrevolutionäre Physiognomien. Bahro nahm für eine neue kommunistische Partei das Muster der Reformation in Anspruch und bezeichnete Jesus Christus als einen Verbündeten. Indem er seiner Kulturrevolution das Ziel der „größtmöglichen Emanzipation der größtmöglichen Menschenzahl“ 51. (in einer Gesellschaft als Assoziation von Kommunen mit Gruppensex) steckte, war er in die utilitaristische Ethik Benthams geraten. Jürgen Harrer hat in seinen Anmerkungen zu Bahros ‚Alternative‘ den Finger auf die wohl größte Wunde des Buches gelegt: „Ökonomische Gesetzmäßigkeiten und objektive Zusammenhänge werden … in extremster Weise subjektiviert, personalisiert und durch die individuellen Interessen weniger politischer Funktionsträger ersetzt“. 52. Die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ lobte in ihrer Ausgabe vom 11. Januar 1977 das Buch von Bahro, es sei eine bedeutende Leistung eines marxistischen Denkers. Es ist weder eine bedeutende Leistung, noch erweist sich Bahro durch das Buch als ein marxistischer Denker, mit August Bebel gesprochen: Wenn Deine Feinde dich loben, kannst Du sicher sein, einen Fehler gemacht zu haben.

Christa Wolf und Stephan Hermlin weigerten sich, ihre Unterschrift unter den Gründungsaufruf des ‚Neuen Forums‘ zu setzen, weil das Wort „Sozialismus“ darin gar nicht mehr vorkam. Vielleicht hatte Meslier doch Recht, dass man zu Beginn der DDR die Bonzen mit den Gedärmen der Pfaffen hätte erdrosseln sollen. So weit ging die SED nicht, was auch nicht im Kontext des Leninismus gestanden hätte, aber es gab totale Sachbeschädigungen: 58 Kirchen, darunter die Potsdamer Garnisonskirche, wurden gesprengt und bezeichnend ist Ulbrichts richtige Handlung in Dresden: Bei der Vorstellung eines Stadtplans brach er das Modell der Sophienkirche mit eigener Hand heraus und fand auch die richtigen Worte: Eine sozialistische Stadt brauche keine gotischen Kirchen. Im Punkte der Zerstörung von mittelalterlichen Bauwerken hat es sich im Nachhinein gezeigt, dass die SED noch viel zu milde war, Kirchengebäude wurden Hochburgen der Konterrevolution. Der DDR-Pfaffe bediente sich der von Walter Ulbricht zu Recht gegeißelten asozial-destruktiven angloamerikanischen Popmusik, um sich an Jugendliche heranzumachen. Genannt sei nur die Kampagne ‚Jugend 86‘ und der Pfaffe Walter Schilling. Eppelmann zelebrierte Blues-Messen und die Sängerin Wegner und der Sänger Krawczik spielten der deutschen Konterrevolution zum Gefallen. 1988 schlugen Pfaffen und Pfaffenverhetzte in Wittenberg zwanzig Thesen vor, die sie ‚Thesen zur gesellschaftlichen Erneuerung‘ nannten. Die Erneuerung bestand in der Beseitigung des Sozialismus, denn über den Verzicht der Kommunisten auf das ideologische Wahrheitsmonopol wurden diese aufgefordert, auf ihr politisches Machtmonopol zu verzichten. Und so kam es dann auch: Am ersten Dezember 1989 änderte die Volkskammer die Verfassung und strich den Passus über die führende Rolle der SED. In der Sowjetunion erfolgte dieser Schritt am 7. Februar 1990. Aufgestanden waren Kreaturen, die Marx und Engels schon im Kommunistischen Manifest witterten, und zwar Kreaturen aus dem konservativen Bourgeoissozialismus: „Ökonomisten, Philanthropen, Humanitäre, Verbesserer der Lage der arbeitenden Klassen, Wohltätigkeitsorganisierer, Abschaffer der Tierquälerei, Mäßigkeitsvereinsstifter, Winkelreformer der buntscheckigsten Art“. 53. Und diese Kreaturen friedlicher Feierabendrevolutionäre waren ein Bündnis mit dem feudalen und pfäffischen Sozialismus eingegangen. Der Paffe Eppelmann ging in dem „Berliner Appell – Frieden schaffen ohne Waffen“ Hand in Hand mit dem Philosophen Havemann. Der Appell verhinderte nicht, dass Eppelmann Armeeminister im Kabinett Lothar de Maizières wurde. Wer aber soll heute die Völker führen, wenn nicht diejenigen, „welche zum theoretischen Verständnis der ganzen geschichtlichen Bewegung sich hinaufgearbeitet haben“. 54.? Viele Menschen in der DDR waren in die Demokratiefalle getappt. Es gibt Demokratie und Demokratie. Eine, die einst fortschrittlich gegenüber dem Feudalismus war, und eine, die heute fortschrittlich gegen den Kapitalismus ist. Viele liefen den Rattenfängern der alten Demokratie nach, die die Versklavung des Lohnarbeiters gerade unter der Verkündung individueller Freiheiten für ihn abschloss. Die bürgerliche Demokratie kann mit dem sozialen Inhalt der Arbeiterbewegung, dass jeder nach seinen Bedürfnissen wird leben können, nicht zur Kongruenz gebracht werden, von dieser Perspektive aus ist die bürgerliche Demokratie immer defizitär, formal, verkrüppelt und zeigt uns das hinter ihr gebrochene negative Menschenbild auf, das im pessimistischen Menschenbild Kants (der Mensch ist aus krummen Holz geschnitzt) vorgeformt war. Es liegt den Kommunisten ganz fern, heute mit Häme und Schadenfreude zu verfolgen, wie im Osten Deutschlands die Humanitären die soziale Wohlfahrt des Volkes organisieren, so dass die Armutsrate mit jedem Jahr steigt, sie rufen nicht nur die Arbeiterklasse nicht nur in Ostdeutschland dazu auf, durch eine gewaltsame Revolution den ‚Humanitären‘ die Maske vom Gesicht zu reißen. Der rote Maulwurf ist bereits wieder tätig, wenn auch noch bescheiden. Stefan Kolev vom Hamburger Weltwirtschaftsinstitut legt im Internet interessantes Zahlenmaterial vor. Plädierten 1990 noch achtzig Prozent in Ostdeutschland für die Soziale Marktwirtschaft, so sind es 2010 nur noch zwanzig. 55. Der Markt mit dem irreführenden Adjektiv hat bereits abgewirtschaftet, denn der siegreiche Kampf um die Verkürzung des Arbeitstages ist allemal wichtiger als das Abfassen von bürgerlichen Verfassungen, die Freiraum für die produktiven Klassen nur versprechen, den die Verkürzung des Arbeitstages tatsächlich ermöglicht. Die letzte Lebensphase der DDR gibt uns eine Menge Material an die Hand, wie die Konterrevolution im Zeitalter des Spätkapitalismus vorgeht. Aus diesen Erfahrungen können wir nur den Schluss ziehen, zu lernen, zu lernen und nochmals zu lernen und die Bedeutung einer notwendigen Selbstkritik richtig zu betonen. Insbesondere scheint mir an dem Wechselverhältnis zwischen Basis und Überbau, ohne an dieser Stelle die Auffassungen der Klassiker zu diesem und seiner idealistischen Verzerrung durch Mao tse tung zu rekapitulieren, einiges nicht richtig beachtet worden zu sein, letzterer kann eventuell ein größeres relatives Eigengewicht erlangen, als bisher verkürzt angenommen. Renate Damus hat in ihrer Studie: „Entscheidungsstrukturen und Funktionsprobleme in der DDR-Wirtschaft“ festgestellt, dass man sich in der DDR scheute, Konflikte in gut altdeutscher Tradition zu benennen. Ralf Possekel schreibt zum Beispiel über die Zunft der DDR-Historiker: „Habituell sind DDR-Historiker eher auf Ausgleich und Harmonisierung denn auf das Herausstellen von Differenzen sozialisiert. Sie neigen dazu, Widersprüche ihres eigenen Stoffes in die eigenen Arbeiten hineinzuverlegen und über Relativierungen, Einschränkungen oder Differenzierungen abzuarbeiten, statt sie bewußt zuzuspitzen und in der Fachwissenschaft oder gar Öffentlichkeit polemisch auszutragen“. 56. Verfolgt man die Entwicklung des historischen und dialektischen Materialismus in der DDR, so kann man eine Wendung um 180 Grad feststellen: die Dialektik wurde förmlich entmannt: Galt bis zirka 1960 noch die Leninsche Auffassung, dass die Einheit der Gegensätze relativ, ihr Kampf aber absolut sei, so pervertierte das: Der Kampf wurde der Einheit untertan gemacht. 57. Das war auf dem Gebiet der dialektischen Prozesswissenschaft das Entscheidende. Damit hatte sich die SED in ein umgekehrtes Verhältnis zur geschichtlichen Entwicklung gesetzt. Es kam wieder ein utopischer Zug in die kommunistische Bewegung, denn schon die utopischen Kommunisten unternahmen in der Geschichte der Arbeiterbewegung den Versuch, den Klassenkampf wieder abzustumpfen und die Gegensätze zu vermitteln. Je realer der Sozialismus wurde, desto utopischer wurde er. Die Widerspruchskultur, die von einer antagonistischen Ausfechtung der Gegensätze lebt, war in der DDR lange vor dem Mauerfall eingegangen. Diese Entwicklung massierte sich eigentümlicherweise ab dem Zeitpunkt, an dem die SED-Ideologen behaupteten, die sozialistische Gesellschaft entwickle sich nun auf ihrer eigenen Grundlage, auf der der ungeteilten Herrschaft der Produktionsverhältnisse, was ab 1960 einsetzen sollte. Was war nun der Anspruch der SED? „ … das materielle und kulturelle Lebensniveau des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Steigerung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität weiter zu erhöhen“. 58. Die bürgerliche Klasse galt als politisch ausgeschaltet und die Eigentumsfrage war sozialistisch gelöst worden. Das innere Feindbild schien zu erblassen und naiverweise nahm man das als real existierende Gegebenheit an. „Die Perspektive des Kampfes (‚gegen‘ etwas, ‚um‘ etwas) wich einer Perspektive, die zunehmend von den Erfordernissen der Organisation des gesellschaftlichen Lebensprozesses, insbesondere im Bereich der Produktion, und damit von den subjektiven Entwicklungsmöglichkeiten der Arbeiterklasse und der anderen werktätigen Klassen und Schichten geprägt war und ist“. 59. Die Namen Bucharin und Bogdanow waren in diesem Zusammenhang niemals gefallen, und doch war es ihre „Politik“, die hier verzapft wurde. Vergessen war die Kritik Stalins an der Bucharinschen „gesellschaftlichen Organisationstechnik“ und an der Bogdanowschen „Allgemeinen Organisationswissenschaft“. 60. Peter Brokmeier bescheinigte 1978 dem ab 1960 eigenständigen System SED-DDR eine Ausdehnung, ein quantitatives und qualitatives Wachstum, eine Tendenz „mithin zur permanenten Selbstverwirklichung“. 61. Dass Brokmeier hier einseitig einem Fortschrittsoptimismus der bürgerlichen Aufklärung, der perfektibilité nachhing, ist offensichtlich, der dialektische Fortschrittsbegriff denkt in der Nachfolge Hegels und Fouriers sein Gegenteil mit, das sich im Falle der DDR auch als das historisch stärkere erwiesen hat. Dem heute vergessenen, 1999 in Berlin verstorbenen Leiter der Abteilung Staats- und Rechtsfragen beim ZK der SED und Mitglied des Staatsrates der DDR Klaus Sorgenicht blieb es vorbehalten, das Dilemma, das sich aus einem konterdialektischen Denken ergab, auf den Punkt gebracht zu haben: „Die SED wird auch in Zukunft, beim Vorwärtsschreiten zum Kommunismus, an dem bewährten Prinzip festhalten, alle Grundfragen mit den befreundeten Parteien im Demokratischen Block zu beraten und abzustimmen“. 62. Hier ist der Gedanke ganz fern, dass beim Vorwärtsschreiten zum Kommunismus der Demokratische Block eine konterrevolutionäre Organisation werden muss, denn primär geht es auf dem Weg zum Kommunismus bereits um die Aufhebung des Unterschieds zwischen dem Stadt- und dem Landarbeiter. Sorgenicht hatte in der DDR den Karl-Marx-Orden erhalten. Die einseitige Auslegung der Dialektik führte dann auch zu haarsträubenden Fehlbeurteilungen von Knotenpunkten der Sozialismus-Kommunismus-Entwicklung: Die Bedeutung des Staates und die Bedeutung der Politikwissenschaft nähmen zu. Das Gegenteil ist der Fall, Lenin zog aus seiner Analyse der Pariser Commune den Schluss, dass die Funktionen des proletarischen Halbstaates abnehmen wird, wohlgemerkt: Lenin spricht vom proletarischen Staat als von einem Halb staat (kursiv von H.A.) und die Bedeutung der Politik muss gegen Null gehen, bzw. kommunistische Politik besteht darin, sie aufzuheben. Brokmeier sah die Bedeutung der Politikwissenschaft in der DDR im Steigen begriffen und beendet seinen Aufsatz: „Grundbegriffe einer politischen Theorie der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ mit einem Satz, der den Revisionismus in geballter Ladung enthält: „Die Entwicklung einer Politikwissenschaft sui generis in den sozialistischen Ländern ist zugleich ein Ausdruck für den erreichten Stand der ‚Ausdehnung‘ und Entwicklung der politischen Organisation im entwickelten Sozialismus“. 63. So, so: „sui generis“ … „im entwickelten Sozialismus“!! Ziehen wir einmal eine Frühschrift von Marx aus dem Jahr 1844 zu Rate: „Die Revolution überhaupt – der Umsturz der bestehenden Gewalt und die Auflösung der alten Verhältnisse – ist ein politischer Akt. Ohne Revolution kann sich aber der Sozialismus nicht ausführen. Er bedarf dieses politischen Aktes, soweit er der Zerstörung und der Auflösung bedarf. Wo aber seine organisierende Tätigkeit beginnt, wo sein Selbstzweck, seine Seele hervortritt, da schleudert der Sozialismus die politische Hülle weg“. 64. Welchen Dienst hat die Politik dem Menschengeschlecht erwiesen?, fragte bereits Fourier, um festzustellen, dass das Volk sich in seiner Not von der Politik verlassen sieht. 65. Haben die Revisionisten nicht eine ganz schwarze Seele?

Eine schwarze Seele hat auch die Religion. Heute ist die Wurzel der Religion die Herrschaft des Kapitals, unter der die Produzenten den Produktionsprozess nicht beherrschen. Die Spaltung des Arbeitsprodukts in nützliches Ding und Wertding, also als Ware, macht die gesellschaftlichen Beziehungen nebelhaft und undurchsichtig. „Der religiöse Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des praktischen Werkeltagslebens den Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur darstellen. Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d.h. des materiellen Produktionsprozesses, streift nur ihren mystischen Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen unter deren bewußter planmäßiger Kontrolle steht.“ 66. Die Gewichtigkeit der Religion im Sozialismus ist relativ auch und gerade zum Grad der Überwindung der Warenproduktion. Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Im Gesamtwerk von Karl Marx gibt es keine Passage, in der die Verflechtung von Ökonomie, hier die spezifische Analyse der Ware, und Religion affiner ist als im Kapital-Kapitel über den Fetischcharakter der Ware. Schon die ersten beiden Sätze: „Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken“. 67. kündigt das an. Die der Warenproduktion entsprechende Religionsform sieht Marx im Luthertum, das analog der in der Ware in ihrem Tausch steckenden abstrakten Arbeit einen ‚Kult des abstrakten Menschen‘ huldigt. Und in der Tat, der katholische Pfaffe spielte anders als in Polen in der Opposition gegen die DDR eine unbedeutende Rolle. Die Katholiken in der DDR erfreuten sich an der Entwicklung in Polen. Es war der protestantische Pfaffe, der somit ausdrückt, dass der Aufschwung der Warenproduktion durch die NÖSPL 1963, wovon weiter unten, eine ideologische Parallelbewegung förderte und der belegt, dass es falsch ist, dem Marxismus eine einseitige ökonomische Sichtweise der Dinge zu unterstellen. Im Gegenteil, im Mittelalter waren für Marx die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander durchsichtiger als in der bürgerlichen, warenproduzierenden Gesellschaft. Aber sowohl im Feudalismus als auch im Kapitalismus wussten und wissen die Menschen nicht, was sie tun. Die Konjunktion ihrer Konjunktion mit der Entwicklung der Warenwirtschaft war den Pfaffen so unbekannt wie Erich Honecker. Als dieser sich an die Spitze der Lutherbewegung in der DDR setzte, am 25. April 1985 den Papst besuchte, wusste er nicht, was er tat, er hatte überhaupt kein sozialistisches Ehrgefühl und vor allem kein Bewusstsein über die Dialektik von Revolution und Konterrevolution. Ich muss als Generalsekretär einer politischen Partei, die sich auf Marx, Engels und Lenin beruft, alles unterlassen, was auch nur im geringsten eine Förderung mittelalterlichen Bewusstseins bedeutet. Politische Taktik hin, politische Raffinesse her: Es gibt in der Dialektik von Revolution und Konterrevolution ein bestimmtes ‚Koordinatensystem‘, das dem Kitzel eines augenblicklichen politischen Erfolgs Einhalt gebieten sollte. Ohnehin bemerkte man bei Honecker immer die verkrampfte Anstrengung, als Staatsmann anerkannt und in die Geschichtsbücher einzugehen. Alle großen Gestalten der Weltgeschichte haben der verhängnisvollen Lockung des Augenblicks widerstanden. Mit ihm hatte die Partei und das Land ein ‚feines Früchtchen‘ als leninistischen Berufsrevolutionär an der Spitze. Sowenig der Marxismus die Existenz von Religionsformen aus einer Priestertrugstheorie, die die bürgerliche Aufklärung und Friedrich „der Große“ vertrat, erklärt, sowenig kann man den Zusammenbruch der DDR aus einer Pfaffenverschwörung herleiten. Die Pfaffen trugen freilich ihren Teil dazu bei. Die Gewinner des zweiten Weltkrieges waren ja nicht nur die Sowjetunion und imperiale Mächte, sondern auch die Pfaffen. Nach dem Krieg wurde in der Westzone als Reaktion auf ihn eine widerliche mittelalterliche Orgie zelebriert. In der DDR ging das nicht so ohne weiteres und deshalb diese Anstrengung der Pfaffen, an dieser endlich teilzunehmen. Unter Adenauer stand die BRD einem klerikal-faschistischem Terrorstaat näher als einer demokratischen Republik, die die Losung „Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit“ auf ihre Fahne zu schreiben hätte. Das Fruchtwasser der BRD war nach Adenauers eigener Aussage braun-schmutzig.

Der Zusammenbruch der DDR oder anderer Gesellschaftssysteme ist nur aus dem Primat der Ökonomie zu erklären und nur mit Methoden und Kriterien, die der Marxismus entwickelt hat. Die Ideen der Perestroika hatten in der Ökonomie nicht gegriffen und statt eines versprochenen Aufschwungs gab es einen Rückgang der Konsumgüterproduktion, statt eines größeren Warenangebots standen die Bürger vor leeren Regalen und wenn es Waren gab, so waren diese im Preis im Vergleich zur Breshnjewzeit sogar gestiegen. Eine Folge davon war ein großer Bergarbeiterstreik Mitte 1989. In einer Schrift von Marx, die primär ein politisches Parteiprogramm kritisiert, das der deutschen Sozialdemokratie vom Vereinigungsparteitag 1875 in Gotha, findet der Leser genauere Angaben zu Knotenpunkten eines gesellschaftlichen Prozesses, dessen Kerninhalt vom Übergang des Kapitalismus zum Sozialismus gebildet wird. Beide Politbüros, sowohl das in der UdSSR als auch das in der DDR, waren nicht in der Lage, die Warenwirtschaft (inklusive den Schwarzhandel) in den Griff zu bekommen und wie die UdSSR sich von zwei Seiten bedroht fühlte (Japan, China und die NATO), so hatte die SBZ / DDR vier Schläge am Ende nicht verkraftet, die von beiden Seiten kamen; aus dem Osten die Reparationen und die Perestroika, aus dem Westen die Ideologie der kulturellen Barbarei, ein Anti-Kommunismus der gröbsten und der feinsten Art, und den Milliardenkredit, der Strauß zu Verhandlungen mit seinem Flugzeug nach Ostberlin fliegen ließ. Anders als der Menschewismus in Russland hatte der deutsche Sozialdemokratismus ja einen ganzen extrem antikommunistischen Staat hinter sich. Die DDR war sowenig wie die BRD zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Existenz autonom und souverän. Gedanken über einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus mussten sich (etwa bei Harich) zwangsläufig einstellen. Natürlich waren die Entwicklungen der UdSSR und der DDR, der KPdSU und der SED nie völlig identisch, eine Art eigener Weg der DDR gab es schon: Zum Beispiel wurden in ihr wie in Polen die bürgerlichen Parteien nicht liquidiert, sondern in einer ‚Nationalen Front‘ zusammengefasst. Auch gab es in der Sowjetunion keine aparte Bauernpartei wie die ‚Demokratische Bauernpartei Deutschlands‘ (DBD). Es gab zwar auch Schauprozesse, aber in milder Form. Die DDR und die BRD hatten nun einmal wechselseitig aufeinander Rücksicht zu nehmen.

Es kann zumindest die Frage aufgeworfen werden, ob die Perestroika auf lange Sicht nicht mehr Schaden über die Völker Osteuropas, über das deutsche Volk, ja über die Völker der Welt gebracht habe als die Wehrmacht Hitlers? Seit 1990 haben die USA insgesamt 19 Kriege und bewaffnete Interventionen durchgeführt. Was Hitlers Kriegsmaschine nicht schaffte, die Zerschlagung der Kommune, Gorbatschow und seine Gefolgsleute haben es vermocht, den Kommunismus in Russland (endgültig?) auszulöschen. Für Marx und Engels gab es keine Alternative zum Plan als das Kriterium eines sozialistischen Wirtschaftsmodells, und von daher musste eine Politik des allmählichen Zurückdrängens der Warenproduktion bei Erweiterung des Wirkungsbereichs des reinen Produktenaustauschs verfolgt werden. Im „Manifest der Kommunistischen Partei“ sprachen er und Engels von „despotischen Eingriffen“ in die kapitalistische Wirtschaftsstruktur. Alexis de Tocqueville sprach in seiner Rede vor der Pariser Nationalversammlung am 12. September 1848 von der „brutalen Art“ der Sozialisten, wobei er unterschlug, dass auch die kapitalistische Leitung der Produktion der Form nach despotisch ist, denn diese ist beileibe nicht ein gesellschaftlicher Arbeitsprozess zur Herstellung eines Produkts allein, sondern ist auch immer ein Verwertungsprozess des Kapitals. Die der Warenproduktion immanente abstrakte Arbeit hat etwas Überindividuelles an sich, eine Kälte von Objektivität, in der die Individuen nicht ihre konkrete Individualität als Identität mit sich selbst entwickeln können. Und das Gleiche gilt für eine demokratische Planwirtschaft, die solange nur auf dem Papier steht, solange den unmittelbaren Produzenten die Mitwirkung am Plan versagt bleibt, denn nur diese ist identitätsstiftend. Ohne diese Stiftung ist aber weder eine Meisterung natürlicher noch gesellschaftlicher Prozesse möglich. Eine Planwirtschaft ohne Mitwirkung der Produzenten läßt diese nicht in sich einkehren; der Produzent ist im Augenblick der Arbeitsaufnahme aus sich ausgewandert. Kollektivität lebt durch die souveräne Identität ihrer Mitglieder mit sich selbst; hätte Lenin den Russen keine Disziplin beigebracht, so hätte der Alkoholmissbrauch in der Sowjetunion noch viel schlimmere Folgen angenommen. Vielleicht ist ein übermäßiger Alkoholkonsum mit Deliriumstendenz, das zwanghafte Abwerfen einer unerträglichen Last, der Versuch, seine alte verkorkste Identität durch eine neue einzutauschen, die sich natürlich durch diesen Konsum am allerwenigsten einstellen wird? Ob der Alkoholiker Jelzin, Chruschtschow, Ulbricht, Honecker, Gorbatschow – die Namen dieser Ausgebooteten sind ganz beliebig, wären sie es nicht gewesen, so wären andere im Sog des Untergangs des roten Imperiums notwendig gescheitert. Honecker hatte nach seiner Absetzung am 18. Oktober 1989 im Politbüro gesagt: „Mit meiner Absetzung löst ihr kein Problem. Heute bin ich es, morgen seid ihr es“. 68. Die Perestroika, von Gorbatschow als zweite russische Revolution, als eine neue Politik für Europa und die Welt hochgejubelt, hat sich ja im Großen und Ganzen als eine große und ganze Illusion erwiesen. Solange es den Kommunismus noch nicht weltweit gibt, kann der Sozialismus kein oder nicht nur ein menschliches Antlitz tragen. Chruschtschow teilte auf dem XX. Parteitag humanistischen Brei aus, an dem auch die DDR erstickte. Diejenigen Konterrevolutionäre, die sich um die Rehabilitierung Bucharins bemühten, gaben ihn immer als einen Vertreter eines „Sozialismus mit humanen Angesicht“ aus. Die geschichtliche Praxis hat jedoch gerade gezeigt, dass die Restauration des Kapitalismus mit dem Namen Bucharin aufs engste verbunden ist und Stalin ihm gegenüber völlig im revolutionären Recht war. Gerade in seiner Rede zum siebzigsten Jahrestag der Oktoberrevolution wertete Gorbatschow diesen Todesengel der sowjetischen Revolution auf und machte den Namen Bucharin zum Werkzeug seiner Politik, die dann auch ganz folgerichtig die Restauration des Kapitalismus und verdientermaßen seinen eigenen Sturz zur Folge hatte. Zwei Monate nach Gorbatschows Aufwertung Bucharins erschienen in der Tagespresse drei umfangreiche Artikel, in denen dieser Feind Stalins, der mit Stalin die im Artikel sechs der Verfassung verankerten Einparteienherrschaft allerdings nie in Frage gestellt hatte, durchaus in einem positiven Licht gezeichnet wurde. Am 5. Januar 1988 gab eine Solomencev-Kommission dem Institut für Marxismus-Leninismus den Auftrag, ein Gutachten zur politischen Einschätzung des „Antisowjetischen Blocks der Rechten und Trotzkisten“ zu erstellen, in dem herauskam, dass zentrale Ideen Bucharins durchaus aktuell seien und heute als „Rüstzeug“ für eine erfolgreiche sozialistische Politik dienen könnten. Das Gutachten unterstreicht die Nähe Bucharins zur Perestroika. An dem ganzen Gutachten war nur das richtig: Der Bucharinismus war eine der Waffen, mit denen in Osteuropa der Sozialismus endgültig enthauptet wurde. Die Rehabilitierung Bucharins und der Volksfeinde aus den Moskauer Prozessen war politisch wertlos, was den Machterhalt Gorbatschows und die Existenz der UdSSR betrifft, und auch ökonomisch konnte man mit seinen Ideen die ökonomische Krise nicht meistern. Die Begeisterung für Bucharin glich einem Strohfeuer und er wurde schnell wieder nur eine historische Person. Die DDR gehört endgültig der Vergangenheit an und mit ihr ging die famose Idee der SED-Ideologen von der Existenz zweier deutscher Staaten zugrunde. Warum hatte die SED ihr Zentralorgan nicht ‚Neues Deutschland der DDR‘ genannt? Die nationale Einheit wird nicht auf Dauer zum Vorteil der Kapitalisten ausschlagen. Nichts ist ewig – lautet die Botschaft der Dialektik.

[…]“

»Der Zusammenbruch der DDR. Der vorläufige Sieg des Maximalprofits über die materiellen und kulturellen Bedürfnisse des deutschen Volkes«. Autor Heinz Ahlreip, 2016, 215 Seiten (eBook) 9783668149595ISBN  – (Buch) 9783668149601
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