Heinz Ahlreip – Der Weg zur Partei
Es ist ein großer Nachteil für die bürgerliche Ideologie, und damit zugleich ein großer Vorteil für die marxistische Wissenschaft, dass die Bourgeoisie ihr kernklassenmäßig Anderes, das Proletariat, nicht bis zur absoluten Negativität gegen sich selbst ausdenken kann: Arbeiter und Bauern können einen Staat nicht regieren, so sagen die Kapitalisten.
In der bürgerlichen Ideologie kommt falsch zum Ausdruck: Bourgeoisie und Proletariat entwickelten sich zwar parallel, aber dieses Auseinandersein sei unabschließbar, fortlaufend als ewige Existenz einer Klassengesellschaft und Herrschaftsexistenz der Bourgeoisie. Nur so, in fortlaufender Opposition deutet das bürgerliche Weltbild die moderne Geschichte. In der bürgerlichen Ideologie verhakt sich die Negation der Negation, die alles verflüssigt. Wohl aber geht das Proletariat umgekehrt vor: Das liegt in seiner Formel bzw. in der Forderung: Gleicher Arbeitszwang für alle. Es ist eine Forderung des gegenseitig sich Aufhebens von Proletariat und Bourgeoisie. So ist die Dialektik die Lehre von der Einheit der Gegensätze, die die Differenz von produktiven und unproduktiven Klassen voraussetzt. Diese Forderung geht essentiell über 1789 hinaus, die bürgerliche Revolution rückt nur das Sekundär-Politische in den Vordergrund, die proletarische die Arbeitswelt. Erst durch eine Verkürzung der Lohnarbeitszeit eröffnet sich ein größerer Freiraum für politische Betätigung. In der Forderung nach gleichem Arbeitszwang liegt, dass sowohl das Proletariat als auch die Bourgeoisie wechselseitig negiert werden, steckt im Kern der Kommunismus auf Grundlage der Negation der Negation, die Negation der unproduktiven Klassen als Negation der produktiven zugleich, wobei die Betonung auf Klassen liegt, die Sonne der produktiven Arbeit erlöscht nie. Es liegt ein reziprokes Negieren zweier Klassen gegeneinander vor, und das ganze Getöse der sweet democracy, die ganze, aus der Gesellschaft emporgehobene Gilde der Regierungsspezialisten zur Festigung ihrer Herrschaft durch den Staat bricht in sich zusammen und es wird keine Politik mehr geben, zum Beispiel auch kein Parlament.
Am 16. Juni 2023 ist der deutsche Bundestag zusammengekommen, um ein gespenstisches Stück aufzuführen. Steinmeier sprach in einer Gedenkstunde zum 17. Juni 1953 als von einem herausragenden Ereignis der deutschen Freiheitsgeschichte und reihte das Ereignis, das in den Dörfern schon ab dem 12. Juni begann, ein in die Märzrevolution von 1848 und in die Novemberrevolution von 1918. Er sprach davon, dass die SED-Herrschaft bis in den letzten Winkel des Alltags hineingereicht habe. Der Staatsminister beim Bundeskanzler und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland Carsten Schneider schrieb in der FAZ vom 17. Juni 2023, dass der 17. Juni als ein stiller Tag der Mahnung begangen werden sollte, der uns an den Wert der Demokratie erinnert. Welche Demokratie meint Schneider? Die für die Armen oder die für die Reichen? In der kapitalistischen Gesellschaft bleibt die Freiheit ungefähr die gleiche, die sie in den antiken Republiken war: Freiheit für die Sklavenhalter (Vergleiche Lenin, Staat und Revolution, Werke, Band 25, Dietz Verlag Berlin, 1960,474). Der 17. Juni ist also ein herausragendes Beispiel für eine pro-slavery-rebellion der unproduktiven Klassen gegen die deutschen Arbeiter und Bauern, letztere damals unter der Parole ‘Junkerland in Bauernhand‘ agierend. Bei der Gedenkstunde im deutschen Bundestag fehlten am 16. Juni 2023 32 von 39 Abgeordnete der Linksfraktion. Der 17. Juni 1953, bis zur sogenannten Wende ein Nationalfeiertag, heute immer noch nationaler Gedenktag, war ein Bürgerkriegsansatz der unproduktiven Klassen in Deutschland unter veralteten Parolen der französischen Revolution dem gleichen Arbeitszwang für alle entgegenzuwirken. Wie das im Einzelnen konkret aussah, das herauszufinden ist Aufgabe der Geschichtsforschung. Aber diese kommt zuerst, erst hinterher werden sich die historisch-dialektischen Gesetzmäßigkeiten eruieren lassen. Man darf nicht mit einer dialektischen Schablone an die Untersuchung historischer Ereignisse herantreten, der historische Prozess als dialektischer stellt sich im Laufe der Forschung und Darstellung ein.
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