Warum war die russische Oktoberrevolution 1917 erfolgreich?

Völkerfreundschaft, Stepan M. Karpow (1890–1929), Sowjetunion, 1923/24 © Staatliches Museum für Zeitgenössische Geschichte, Moskau Staatliches Museum für Zeitgenössische Geschichte, Moskau | Quelle: Archiv RoterMorgen

Redaktion – 16. Dezember 2025

Blättert man im Manifest der Kommunistischen Partei, so findet man unter den Ländern mit der Perspektive einer proletarischen Revolution Russland nicht. Das soziale revolutionäre Potenzial wurde von den deutschen Klassikern der Theorie der Arbeitsorganisation durch die Produktionsmittel in den drei industriell fortgeschrittensten Ländern verortet: England, Frankreich und Deutschland. Keines dieser Länder hat bis heute eine genuine proletarische Revolution hervorgebracht. Hinzu kommt das Fehlurteil der Klassiker im Manifest, dass Deutschland 1848 am Vorabend einer radikalen demokratischen Revolution stand.

Die proletarische Revolutionsbilanz des 19. Jahrhunderts fiel äußerst mager aus. Mit den 72 Tagen der Pariser Kommune im Gepäck strebte die internationale Arbeiterbewegung auf das 20. Jahrhundert zu. Hier musste es aufgrund der völlig veränderten objektiven Entwicklungen der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse zu einer von Lenin durchgeführten Revolution in der marxistischen Theorie kommen: Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung der Länder war zum politischen Lebensnerv der Völker geworden.

Hieß es im Manifest noch: „Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse. Die Herrschaft des Proletariats wird sie noch mehr verschwinden machen. Vereinigte Aktion, wenigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen seiner Befreiung“,1 so schrieb Lenin 68 Jahre später, 1916, in Das Militärprogramm der proletarischen Revolution: „Die Entwicklung des Kapitalismus geht höchst ungleichmäßig in den verschiedenen Ländern vor sich. Das kann nicht anders sein bei der Warenproduktion. Daraus die unvermeidliche Schlussfolgerung: Der Sozialismus kann nicht gleichzeitig in allen Ländern siegen. Er wird zuerst in einem oder einigen Ländern siegen, andere werden für eine gewisse Zeit bürgerlich oder vorbürgerlich bleiben“.2

Alles Dialektische steht auf dem Kopf. Der Ort steht auf dem Kopf: Es ist nicht Mitteleuropa. Die Zeit steht auf dem Kopf: Es ist nicht das 19. Jahrhundert. Die Bedingungen stehen auf dem Kopf: Der klassische Konkurrenzkapitalismus gehört endgültig der Vergangenheit an; der monopolistische Kapitalismus des Finanzkapitals hat sich mit seinem Kapitalexport gegen den klassischen Warenexport durchgesetzt. Die Dialektik steht auf dem Kopf, was den gesunden Menschenverstand irre werden lässt. Doch die Dialektik steht dialektisch auf dem Kopf – so stimmt am Ende alles wieder: Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung hatte zum Ersten Weltkrieg geführt. In dessen Kontext erwiesen sich einzig Russland, bis dahin das Bollwerk der europäischen Konterrevolution, und die Kaderpartei Lenins, deren Machtergreifungsabsicht von allen Koryphäen der sogenannten Gesellschaftswissenschaften ins Lächerliche gezogen wurde – unter anderem auch von Plechanow –, als revolutionär. Russland, ein kleinbürgerliches und technisch zurückgebliebenes Agrarland, und die Bolschewiki als die einzige Partei unter allen kommunistischen Parteien der Welt blieben dem Sozialismus, dem Internationalismus und dem Bündnis mit den armen Bauern treu. Alle anderen Parteien der II. Internationale waren zum Klassenfeind übergelaufen.

Wie erklärt sich dieses „Wunder“?

Bereits 1901 arbeiteten in Russland in Großbetrieben mit 500 Arbeitern und mehr 46,7 % aller Arbeiter. 1910 waren es schon 54 %. Mit dieser über 50 % liegenden Zusammenballung war das russische Proletariat das konzentrierteste der Welt. Zum Vergleich: In den USA arbeiteten 1910 nur 33 % der Arbeiter in Großbetrieben.3 Diese Tatsachen waren nicht nur wegen der proletarischen Schlagkraft von erheblichem Gewicht.

Hinzu kommt, dass in Russland noch 1916/17 unfähige Gestalten wie Rasputin, der am 30. Dezember 1916 ermordet wurde, und Zar Nikolaus regierten. Die russische Bourgeoisie, abhängig vom ausländischen Kapital, konnte keine lange Tradition politischer Erfahrung vorweisen.

Die Oktoberrevolution war bereits die dritte Revolution des 20. Jahrhunderts. Schon 1905 bildeten sich Sowjets heraus, die nach Lenin als Keimformen des Absterbens jedes Staates galten. Während 1905 nur Arbeitersowjets, vor allem in Petersburg und Moskau, entstanden, kamen 1917 auch Soldaten- und Bauernsowjets hinzu.

Das Revolutionsjahr 1917 zeigte vor den Volksmassen das Versagen der kleinbürgerlichen Klassen in revolutionären Situationen. Obwohl die Sozialrevolutionäre und die Menschewiki nach der Februarrevolution 1917 die Mehrheit in den Sowjets innehatten, verzichteten sie freiwillig auf die Macht und übergaben sie der Bourgeoisie. Das waren ohnmächtige Parteien, die den bürgerlichen Glauben verinnerlicht hatten, dass das Zusammenleben der Menschen nur staatlich-polizeilich gestaltet und geregelt werden könne. Nicht durch die Februarrevolution, sondern erst durch die Oktoberrevolution wurde das durchbrochen und verwirklicht, was Marx im 18. Brumaire als die „unbestimmte Ungeheuerlichkeit“ des von einer proletarischen Revolution zu Erwartenden bezeichnete.

Die bürgerliche Regierung betrog die Volksmassen nach Strich und Faden: Statt des versprochenen Bodens bekamen die Bauern auf Kerenskis Geheiß Eisen und Blut; statt Frieden erhielten die Soldaten die Kerenski-Offensive, die sie in den Tod trieb. Statt Arbeit wurden die Arbeiter massenweise ausgesperrt, ein Mittel, zu dem nicht einmal der Zar gegriffen hatte.

Die Bolschewiki nutzten die Spaltung des Imperialismus zwischen den Mittelmächten (Deutschland und Österreich-Ungarn) und der Entente (England, Frankreich und Russland) aus. Nach dem Frieden von Brest-Litowsk im März 1918 zwischen dem bolschewistischen Russland und dem kaiserlichen Deutschland folgte die militärische Niederlage Deutschlands. Dies verschaffte der Entente zwar mehr militärische Zerstörungsgewalt gegenüber dem russischen Bolschewismus, doch die deutsche Niederlage führte gleichzeitig zum Sturz des Kaiserreichs. Das war ein Fortschritt für die Völker Mitteleuropas und eine Hilfe für die junge russische Revolution. Als am 11. November 1918 Matthias Erzberger die Kapitulationsurkunde im Wald von Compiègne unterzeichnete, dankte Wilhelm II. noch am selben Tag ab.4

  1. Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 479
  2. Lenin: Das Militärprogramm der proletarischen Revolution, Werke, Band 23, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 74
  3. Vergleiche: Geschichte der KPdSU (B), Der Weg zur Partei Nr. 9, Arbeitsgruppe Der Weg zur Partei, Hamburg, 2024, Seite 186
  4. a.O., Seite 288

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