Heinz Ahlreip – 5. Dezember 2023
Am 7. November 1938 schoss der 17-jährige polnische Jude Herschel Grynszpan in Paris mit tödlichen Folgen auf den deutschen Diplomaten Ernst von Rath. Die Nazis deuteten diese Tat als „Angriff des Weltjudentums auf das Deutsche Reich“ und irrten sich, damit die folgenden Pogrome in der Reichskristallnacht rechtfertigen zu dürfen. Die Nazis waren eindimensional verhetzte Menschen, denen jegliche Gerechtigkeitssensibilität abhandengekommen war. Henry Kissinger war zu diesem Zeitpunkt bereits 15 Jahre alt und lebte bereits in New York. Er erfuhr aus der ‘New York Times‘ von den antisemitischen Vorfällen in seinem Heimatland und konnte noch nicht wissen, dass die Nazis 23 seiner Verwandten ermorden werden. Die Zeiten haben sich gewandelt, ab 1998 ist Kissinger Ehrenbürger seiner Geburtsstadt, in der er gedemütigt und aus der er quasi verstoßen wurde.
Geboren wurde er am 17. Mai 1923 im mittelfränkischen Fürth als Heinz Alfred Kissinger. Er bekam den Nazi-Terror unter dem Hitler- Regime unmittelbar mit. Sein Vater Louis musste 1934 als Jude sein Lehrerdasein an einer Handelsschule beenden, dem Junior wurde der Besuch des Staatlichen Gymnasiums verwehrt, er musste sich in die Israelitische Realschule einschreiben. Am 9. November 1938 flüchtete sein Vater mit der ganzen Familie über London nach New York. Alle lebten jetzt in ärmlichen Verhältnissen, als Angehörige eines auserwählten Volkes waren sie in ‘God’s Own Country‘ gestrandet. Da lag schon mal eine gute Bedingung für eine Assimilation vor. Tagsüber ging Henry schuften, abends belegte er politische Fächer auf der Abendschule. Aus ihm wurde etwas im bürgerlichen Sinn: Die britische Zeitung ‘Independent‘ wird ihn als ‘das größte Ego in der Geschichte der Diplomatie‘ denunzieren. Ähnlich wie Hitler sah er sich als der auserwählte Mann an, der dem Weltbolschewismus nun auch mit Atombomben Einhalt gebieten kann. Er handelte aus dem Bewusstsein heraus, in einer entscheidenden Phase der Weltgeschichte zu stehen.
1943 trat Henry Kissinger, nachdem er am 19. Juli gleichen Jahres eingebürgert worden war, der US-Armee bei und gelangte als deutscher Jude mit US-amerikanischen Pass wie viele deutsche Emigranten in die USA als muttersprachliches Mitglied einer Einheit für Spionageabwehr in sein Heimatland zurück, er geriet knapp 22jährig in die Ardennenkämpfe und entkam dreimal knapp dem Tod. Im April 1945 war er einer der Befreier des KZ Neuengamme Hamburg Außenlager Ahlem bei Hannover, in dem die Häftlinge Asphalt abbauen mussten. Und als 1994, fast 40 Jahre später, ein Asphalt-Mahnmal am Ort des Außenlagers der Öffentlichkeit übergeben wurde, da konnte man auch Henry Kissinger wieder in Ahlem sehen, um an der Einweihung teilzunehmen.
Nach dem Ende des Krieges, eine Zeit, in der er als Geheimdienstler mit der Aufgabe betreut war, Gestapoagenten aufzuspüren, kam er im Frühsommer 1947 in die USA zurück, er nahm ein Studium an der renommierten Harvard-Universität auf und schrieb seine Doktorarbeit über die Diplomatie Klemens Metternichs und die des zeitgleich agierenden britischen Außenministers Castlereagh. Er war, nachdem er es mit summa cum laude bis zum Professor für internationale Beziehungen dieser Elite-Universität gebracht hatte, bei seinem Thema angekommen, wie der Reaktionär Metternich stand auch Kissinger pragmatisch an der Spitze im Kampf gegen gesellschaftlichen Fortschritt, sei es im langwierigen Vietnamkrieg, den er als Adjutant des Quäkers Nixon, der ihn mein ‘Judenjunge‘ nannte, in der Phase einer bipolaren Welt nach 1945, die bis zum 26. Dezember 1991 (Zusammenbruch der Sowjetunion) hielt, im März 1969 nach dem neutralen Kambodscha hinein ausweitete, ohne den Kongress zu informieren, sei es seine Förderung des Schahs von Persien, sei es am 11. September 1973 als einer der maßgeblicher Strippenzieher beim Militärputsch unter dem Code-Namen ‘Silencio‘ gegen den semi-sozialistischen Präsidenten Allende. Der Krieg gegen das Volk Vietnams zog sich deshalb in die Länge, weil die imperialistischen Kriegsführer sich in der sogenannten Domino-Theorie fixiert hatten, fällt Vietnam in rote Hände, fallen andere Länder sukzessive.
Das politische Credo Kissingers, den man in Washington ‘den Deutschen‘ nannte, lautete: “Politik ist die Kunst des Abwägens von Wahrscheinlichkeiten; ihre Beherrschung liegt im Erfassen der Nuancen der Möglichkeiten“. Der Pragmatismus ging voran: “Ich glaube, es wurde mehr Leid durch Propheten verursacht als durch Staatsmänner“, sagte er 1973 im Jahr des rechten Putsches in Chile. Aber er, dem das Missionarische ganz fern lag, wurde im gleichen Jahr für den Friedensnobelpreis nominiert zusammen mit seinem diplomatischen Widersacher Le Duc Tho aus Vietnam. Kissinger nahm ihn an, Le Duc Tho lehnte ihn ab, weil noch kein wirklicher Friede in seinem Heimatland herrsche. Die Imperialisten haben die zweifelhafte Kunst verfeinert, ungleiche Verträge abzuschließen. Es versteht sich von selbst, dass Kissinger zu einem der umstrittensten Friedensnobelpreisträger wurde.
Ende der 50er-Jahre veröffentlichte Kissinger sein Buch „Kernwaffen und Außenpolitik“, in dem die Architektur seiner Sicherheitspolitik angelegt war. 1959 erschien es in deutscher Sprache auf 420 Seiten und wird heute im Antiquariatshandel mit 200 € angesetzt. Es enthielt zwei Grundgedanken: Erstens: Waffen und Erpressung gehören zur Außenpolitik selbstredend dazu, zweitens: Wenn Staaten einander vernichten können, darf es niemals zum Showdown ohne jeden Ausweg kommen. Das alles ist im Grunde lapidar, wie es ohnehin relativ leicht ist, über Politik zu schreiben, es ist sprachlich alles vorgestanzt, durch tausende Münder von Politschranzen gegangen. Der politische Journalist verknüpft puzzleartig im Grunde bloß geflügelte Worte. Mit seinem Käscher fängt er ein, was gerade in der Luft schwirrt. Zum Herausputzen seiner selbst kommt es mehr durch Beziehungen als durch sein eigenes Wissen. Sie haben einen faulen Zahn, Politik sei in der Tradition von Aristoteles eine anthropologische Konstante, eine zweite Haut des Menschen, die er nicht abstreifen kann. Das würde die Hinfälligkeit sowohl der bürgerlichen Aufklärung als auch der proletarisch, eben marxistisch-leninistischen bedeuten. Wenn man der Moderne einen Grundimpuls nachsagen sollte, so läge dieser die Überwindung von Politik überhaupt. Der Ansatz der Moderne liegt in der Intention zur Gründung einer neuen politikfreien Gesellschaft. Rousseau blieb 1762 auf halben Weg stehen, seine halb richtige Erkenntnis, dass alles Übel vom schlecht regierten Menschen stamme, lässt die Option offen, dass alles Gute vom gut regierten Menschen komme. 1802 formulierte Saint-Simon den Gedanken, dass ein zukünftiger Zustand möglich sei, in dem an die Stelle der politischen Herrschaft über Menschen die bloß sachliche Leitung von Produktionsprozessen und die bloße Verwaltung von Sachen treten könne, was eine neue Epoche der Weltgeschichte bedeuten würde. Es geht deshalb in der proletarischen Revolution nicht darum, die eine Staatsform durch eine andere zu ersetzen, sondern eben um die Gründung einer neuen Gesellschaft ohne das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Dazu schreibt Engels 1872, dass durch die industrielle Revolution die Produktionskraft der menschlichen Arbeit einen solchen Höhengrad erreicht hat, “dass die Möglichkeit gegeben ist – zum ersten mal, solange Menschen existieren – , bei verständiger Verteilung der Arbeit unter alle, nicht nur genug für die reichliche Konsumtion aller Gesellschaftsglieder und für einen ausgiebigen Reservefonds hervorzubringen, sondern auch jedem einzelnen hinreichend Muße zu lassen, damit dasjenige, was aus der geschichtlich überkommenen Bildung- Wissenschaft, Kunst, Umgangsformen usw. – wirklich wert ist, erhalten zu werden, nicht nur erhalten, sondern aus einem Monopol der herrschenden Klasse in ein Gemeingut der ganzen Gesellschaft verwandelt und weiter fortgebildet werde. Und hier liegt der entscheidende Punkt. Sobald die Produktionskraft der menschlichen Arbeit sich bis auf diesen Höhengrad entwickelt hat, verschwindet jeder Vorwand für den Bestand einer herrschenden Klasse. War doch der letzte Grund, womit der Klassenunterschied verteidigt wurde, stets: Es muß eine Klasse geben, die sich nicht mit der Produktion ihres täglichen Lebensunterhalts abzuplacken hat, damit sie Zeit behält, die geistige Arbeit der Gesellschaft zu besorgen. Diesem Gerede, das bisher seine große geschichtliche Berechtigung hatte, ist durch die industrielle Revolution der letzten hundert Jahre ein für alle Mal die Wurzel abgeschnitten. Das Bestehn einer herrschenden Klasse wird täglich mehr ein Hindernis für die Entwicklung der industriellen Produktivkraft und ebensosehr für die der Wissenschaft, der Kunst und namentlich der gebildeten Umgangsformen. Größere Knoten als unsere modernen Bourgeois hat es nie gegeben“ (Friedrich Engels, Zur Wohnungsfrage, Werke, Band 18, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 220f.). Und zu diesen Knoten gehört auch Kissinger, er hat es nicht einmal geschafft, seine jüdisch-religiöse Schlangenhaut abzustreifen. Der Satz Rousseaus muss richtig heißen, dass alles Übel von der Regierungs- und Geldgier herrührt. Der Wille zur Macht war bei Kissinger obsessiv. Schon von daher war konnte er nur ein Antikommunist sein. Wie Metternich gegen die Jakobiner Grille der Brüderlichkeit anging, so Kissinger gegen die kommunistische Schrulle der Égalité. Es ging ihm nicht ein, dass der Kommunismus keine Weltherrschaft intendiert, sondern eine Welt ohne Herrschaft, “dass die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung ist für die freie Entwicklung aller“ (Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 482) und dass der Kommunismus als vollendeter Humanismus absolut alternativlos ist. Vom Kurs auf den Kommunismus abweichen, heißt in den Sumpf der Menschenverachtung zu versinken. So gehörte Henry Kissinger der Welt von gestern an.
Im Kern war der Politiker Kissinger ein Kind des europäischen Rationalismus aus der Zeit der absoluten Monarchie; die geschichtslosen USA hielt er für zu jugendlich wild und psychisch noch zu emotional angelegt, nicht historisch gesättigt, zu wurzellos, um den erwachsenen Realitätssinn aufzubringen, der allein im Zeitalter globalatomarer Vernichtung angesagt war. Das stand hinter den Abkommen mit der UdSSR über Raketenbegrenzungskontrolle. Etliche US-Amerikaner, die Russland als das Reich des Bösen markierten, mochten ihn nicht, er war zwar ein Antikommunist, aber als Realist wenigstens auf dem europäischen Kontinent kein aggressiver Antikommunist. Er wünschte sich auf diesem Kontinent auf Grund des ungeheuerlich aufgestapeltes Vernichtungspotentials politische Kaltblütigkeit. Auf Lenin gehen die Worte zurück: “Wut ist in der Politik gewöhnlich überhaupt von größtem Übel“ (Lenin, Zur Frage der Nationalitäten oder der ‘Autonomisierung‘, in: Lenin, Due letzten Briefe und Artikel, Dietz Verlag Berlin, 1988, Seite 22). So viel hatte der Kurswechsel Chruschtschows 1956 erreicht, die US-Außenpolitik wünschte keinen Regimewechsel in Moskau mehr, sondern ein konstruktives atomares Verhältnis zur Sowjetunion. Am 1. Januar 1969 erschien im Seewald Verlag Helmut Schmidts Buch ‘Strategie des Gleichgewichts‘ und Buchautor Alexander Solschenizyn wurde von Ford bewusst nicht im Weißen Haus empfangen. Der kalte Krieg sollte auf einer bestimmten Temperatur kalt bleiben. Willy Brandt, den Herbert Wehner einst als lauwarm abkanzelte, wollte mehr Wärme in Europa und für Kissinger wurde er damit zu einem gefährlichen Trottel. Dem Russen Solschenizyn ließ Kissinger von Ford die kalte Schulter zeigen, um in seinen Augen den fragilen Weltfrieden nicht zu gefährden. “Wenn die Präferenz für Demokratie in den internationalen Beziehungen zum Hauptziel erklärt wird, führt das zu einem missionarischen Impuls. Der könnte einen erneuten militärischen Konflikt zur Folge haben.“ Die Demokratie Solschenizyns war natürlich eine verweste kapitalistische. Am 30. August 1963 wurde ein sogenanntes ‘Rotes Telefon‘ zwischen Moskau und Washington eingerichtet. Der Zeitgeist blies gegen den russischen Entspannungsgegner. Als Prophet und Moralist wurde er in den Siebzigerjahren zur Unperson für den linksliberalen Mainstream in den USA und in Europa. Er hauste als Einsiedler im US-Bundesstaat Vermont an der kanadischen Grenze.
Der US-Imperialismus, der bis heute das Trauma der Niederlage durch indochinesische Barfußsoldaten auf Fahrrädern unter dem Kommando des Generals Giap nicht überwunden hat, macht noch heute viel Krakeel um dem 11. September (2001), er hat aber einen viel perfideren 11. September an die Spitze Südamerikas herbeigeführt und zu verantworten. Es fällt natürlich auf, wenn Majid Sattar aus Washington in seinem politischen Nachruf am 1. Dezember 2023 diesen blutigen Putsch in der ‘Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ in seinem Beitrag auf Seite 10 ‘Vordenker im Spiel der Mächte‘ übergeht. Kissinger war während des Putsches bereits Sicherheitsberater und Außenminister in einer Person, womit er einzig dasteht, beides Ämter, womit er in Personalunion wiederum einzig dasteht, die noch nie ein Einwanderer erklommen hatte. Er war dies unter tricky dicky Nixon und Gerald Ford von 1969 bis 1977. Aber auch er wurde von den Schatten imperialistischer Politik eingeholt, denn beim Handeln der Individuen in der Weltgeschichte kommt noch etwas anderes heraus als sie so unmittelbar wissen und so auch wollen: Pol Pot und Chomeini.
Ein Ass war Kissinger auf dem Feld der Geheimdiplomatie. Wir müssen das neidlos anerkennen. Er ebnete als Republikaner dem Republikaner Nixon den Weg sowohl nach Peking als auch nach Moskau. Das waren die Hauptstädte zweier Großreiche, die ihn schon als Realschüler in Deutschland faszinierten. Vietnam, in dem ohnehin ein Stellvertreterkrieg am Mekong auch mit Napalm-Einsatz durch die USA stattfand, Chile, Iran, ja der ganze Kontinent Afrika – das lief für Kissinger unter Ferneres. Er dachte wie Metternich in den großen Zügen der Politik und die bewegten sich nun einmal zwischen Washington, Moskau und Peking.
China galt jahrhundertelang als Land der Stagnation. Englische Schiffe tauchten vor seinen Küsten auf aber kein chinesisches Schiff erreichte vor 1900 je den Ärmelkanal. Die Insulaner hatten sich mit einem Stück Holz auf das listige Element eingelassen, das mit seiner Stille in die Ferne einlädt, plötzlich emporschnellt, um alles zu verschlingen. Die Chinesen blieben landorientiert, kreisten in sich und wurden zum Musterland der Stagnation. Nicht erst die Oktoberrevolution, wie viele populärwissenschaftlich Verunreinigte vermuten, es war bereits die russische Revolution von 1905 und der Weltkapitalismus, die die Völker des Ostens aufgerüttelt haben (Vergleiche Lenin, Das Erwachen Asiens, Werke, Band 19, Dietz Verlag Berlin, 1960, Seite 69). Aus ihren Vibrationen heraus war es zu antiimperialistischen Kampfverbänden wie der Vietminh und des Vietcong gekommen. Der Boxeraufstand fiel 1900 mit dem Beginn der imperialistischen Ära zusammen. Das Wachstum der demokratischen Bewegung war nicht aufzuhalten. “Nach der russischen Bewegung des Jahres 1905 hat die demokratische Revolution ganz Asien erfasst: die Türkei, Persien, China. In Britisch-Indien gärt es immer mehr“, schrieb Lenin bereits im Mai 1913 in seinem Artikel ‘Das Erwachen Asiens‘.
In die Watergate-Affäre war Kissinger nicht verstrickt, aber er selbst ließ auch Mitarbeiter rechtswidrig telefonisch abhören. Das gibt selbst sein Schmeichler Sattar zu. Nixon beklagte sich bei seinem Bürochef Bob Haldeman, dass sein Sicherheitsberater jedes seiner Telefonate mitbekommen wolle. Als der Demokrat Jimmy Carter 1977 als 39. Präsident der USA sein Amt antrat, wurde es vordergründig ruhiger um den mittlerweile 54jährigen Politiker Kissinger, aber eben nur vordergründig. Er hatte zu viel von dem Gift getrunken, um noch von ihm ablassen zu können. Er baute mit seinen Beziehungen aus den Tagen der rastlosen Pendel- bzw. Shuttlediplomatie zwischen Damaskus, Kairo und Jerusalem nach dem Yom-Kippur-Krieg 1973, als sich sein Arbeitszimmer quasi im Flugzeug befand, eine eigene internationale Beratungsfirma auf. Der Büchernarr verfasste noch viele Bücher und war ein gesuchter Tippgeber. Auch nach seinem Ausscheiden aus der offiziellen Politik nahm er bis ins hohe Alter an Sitzungen im Weißen Haus teil, hatte er direkten Zugang zu den Präsidenten. Bush rief ihn nach dem 11. September 2001 zu sich. Schon von daher musste er in der Politik immer auf dem Laufenden sein.
Zu seinem 90. Geburtstag gab es noch einmal Wirbel in Deutschland. Als die Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn 2013 eine „Henry-Kissinger-Professur für internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung“ aus Stiftungsgelder erhielt, regte sich Widerstand aus der Bundeswehr, sie zahle das meiste und hätte diese Professur lieber an einer ihrer Hochschulen gesehen. Um Demokratie und Menschenrechte hatte sich der machiavellistische Politiker, dem es immer globalpolitisch lange vor Trump um ‘America first‘ ging, einen Dreck gekümmert und es ist sehr bezeichnend für den Geist der Truppe, dass sie ihrer braunen Traditionslinie treu bleibt und nach einer Professur lechzt, die den Namen eines putschenden Anti-Demokraten (11. September 1973 in Santiago de Chile) trägt, für den praktische Ziele stets höher standen als moralische Ideale. So lautet auch der Tenor in den Artikeln der großen europäischen Zeitungen anlässlich seines Todes.
Kissinger bekam auch auf Grund seines hohen Alters, die große Mehrzahl der Jahrhundertereignisse bewusst mit, den Ausbruch des zweiten Weltkrieges am 1. September 1939, da war er 16, das Ende dieses Krieges bereits als US-Soldat in Deutschland, Hiroshima und Nagasaki, das Aufbrechen des US-amerikanischen Nuklearwaffenmonopols unter Federführung Berijas 1949, den Koreakrieg von 1950 bis 1953, der mit einem Patt endete, den enormen Bedeutungszuwachs der Guerilla, der kleinen Soldaten im Vergleich zum 19. Jahrhundert, den Castro-Sozialismus ab dem 8. Januar 1959 vor der Haustür und das Scheitern kubanischer Reaktionäre im US-Exil beim Landungsversuch in der Schweinebucht 1961, im gleichen Jahr den Bau der Berliner Mauer am 13. August, ein Jahr später die Kuba-Krise im November, die Landung auf dem Mond am 21. Juli 1969, die so disparaten Kulturrevolutionen der jungen, unpolitischen systemverweigernden Hippies im Westen und der hochpolitischen jungen Roten Garden im Reich Maos, den Rückzug Israels von der Sinai-Halbinsel, den er beschleunigen half, den Zusammenbruch der Sowjetunion am 26. Dezember 1991 und den Aufstieg Chinas zum Konkurrenten der nach der Weltmachts strebenden USA. Noch im Juli 2023, er war bereits 100 Jahre alt, besuchte er Peking zu Gesprächen mit Politikern, auch mit Xi Jinping. Schon im Oktober war er gesundheitlich angeschlagen. Im Alter von 100 Jahren starb er laut Auskunft seiner Beratungsfirma am 29. November 2023 in seinem Haus in Kent in Connecticut. Die Todesursache ist bis heute 5. Dezember 2023 unbekannt.
Dieser Artikel fußt auf eine Vorlage von Heinz Ahlreip. Eine Weiterveröffentlichung des Textes ist gemäß einer Creative Commons 4.0 International Lizenz ausdrücklich erwünscht. (Unter gleichen Bedingungen: unkommerziell, Nennung der verlinkten Quelle (»Der Weg zur Partei«) mit Erscheinungsdatum).
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