Heinz Ahlreip – 21. Mai 2022
Der Kampf der Wörter gegen die Bilder
Die Geschichte der Klassenkämpfe hat erwiesen, dass Klassen, die auf Grund der durch die Entwicklung der Produktionsmittel bedingten Arbeitsorganisation historisch zur Umwälzung veralteter Produktionsverhältnisse verurteilt waren, gegenüber den machthabenden, die veralteten Produktionsmittel repräsentierenden Klassen vom Wissensstand und vom Bildungsniveau her defizitär waren.
Zur Vorbereitung bürgerlicher Revolutionen gründeten sich im 18. Jahrhundert sogenannte Lesegesellschaften, elitäre private Zirkel, die sich außerbehördlich regelmäßig trafen, um in Gemeinschaft Bücher aufklärerischen Charakters zu lesen, während die große Masse der leibeigenen Bauern dumpfer Unwissenheit überlassen blieb. Die bürgerliche Emanzipation war urban ausgerichtet, die Bauern waren nur als Fußvolk der Revolution vorgesehen. Im Emanzipationskampf der Arbeiterklasse bildeten sich im 19. Jahrhundert in den Fabrikstädten außerbehördlich sogenannte Bildungsvereine, die nach Feierabend auch an einer Bildung von armen Kleinbauern und an der des Landproletariats als Verbündete interessiert waren. Folgte die bürgerliche Aufklärung dem Leitspruch Kants: ‘Sapere aude‘ – Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen, hatte die proletarische einen kollektiven Ansatz und ging konform mit dem Charakter der Wissenschaft als einer Kollektivarbeitsform. Wo die bürgerliche Aufklärung Einzelpersonen sieht, da sieht die Proletarische Klassen. Die bürgerliche Aufklärung sah sich illusionär dem Humanismus und dem Kindeswohl verpflichtet und das zu einer Zeit, in der schulpflichtige Kinder beiderlei Geschlechts in den Fabriken großer Städte durch Überanstrengung am Arbeitsplatz zusammenbrachen und auf dem Dorfe der Pfaffe den Kindern aus der Bibel in einem Kuhstall vorlas, als die Kühe draußen weideten. Die Formen haben sich heute gemäß den wechselnden Anforderungen des Kapitals geändert, der antihumanistisch ausgerichtete Inhalt bürgerlicher Schulbildung ist geblieben: Die Bildung ist für die enorme Mehrzahl die Heranbildung zur Maschine (Vergleiche Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960, 477). Die bürgerliche Schulbildung ist von ihrer Substanz her kinderfeindlich, damit auch volksfeindlich. Diese Schule kann und hat keine Persönlichkeiten hervorbringen bzw. hervorzubringen, sondern Lohnempfänger. Rousseau erkannte schon 1762 diesen Grundzug: Ein französischer Lehrer erziehe seinen Schüler so, dass er in seinem Leben nur einmal glänze, in der Prüfung, um dann nie wieder etwas zu sein. Die geistige Verflachung der Zeit lässt sich vielleicht am einprägsamsten durch die negative Entwicklung der sogenannten Volkshochschulen in Bezug auf den Bildungsurlaub aufzeigen. Würden deren Betreiber ernster Wissenschaftlichkeit verpflichtet und dem Namen ihrer Institutionen gerecht werden, so bestünde der Lehrstoff ausschließlich aus dem Marxismus-Leninismus in seiner militanten Ausprägung. So haben wir aber unter dem Kapitalismus nicht gewettet. Seit ungefähr 25 bis 30 Jahren werden wir Zeuge eines schleichenden Prozesses, die letzten Reste, sagen wir 68er sozialkritischer und 68er kulturphilosophischer Thematiken, wurden regelrecht ausgemerzt, heute werden Fremdsprachen, besonders Englisch, und Computerkurse, also auf den Klassenfeind zugeschnittene Waren mit technokratischem Grundgehalt feilgehalten. Und das in einer Zeit, in der von allen Ecken und Enden der Welt immer mehr kulturphilosophische Hilferufe zu vernehmen sind. Von einem Bildungsurlaub kann nicht mehr die Rede sein, denn der Tenor des Bildungsurlaubgesetzes geht gerade dahin, dass zur Arbeitswelt alternative Themenstellungen zu konzipieren seien im Sinne von: Raus aus dem Trott. Hier liegt eine Verletzung der Menschenrechte der arbeitenden Klassen vor. Was wäre alternativer zur kapitalistischen Arbeitswelt als ein einwöchiges Studium des Marxismus-Leninismus in seiner militanten Ausprägung? Seit 1900 haben sich auch England und die USA militarisiert, die letzten Bastionen angelsächsischer Freiheit. In ihnen waren im 19. Jahrhundert friedliche Revolutionen noch möglich.
Die Kinder des Proletariats sind von vornherein in einem Schulsystem benachteiligt, das vom Klassenfeind und gemäß seinen spezifischen Interessen ausgerichtet ist. Nachhilfe kostet Geld und der Druck, es in der bürgerlichen Gesellschaft einmal zu etwas zu bringen – dieses etwas ist allzu köstlich – aus dem proletarischen Milieu auszubrechen, geht auf die gesundheitliche Substanz. Leistungsduck kann in den Suizid treiben, zumal wenn man einer elterlichen Erwartungshaltung nicht entsprechen konnte. Der Übergang zum Gymnasium ist bei gleicher Lesekompetenz und bei gleichen kognitiven Fähigkeiten für ein Kind aus einer Arbeiterfamilie 2,5mal unwahrscheinlicher als für ein Kind eines höheren Angestellten oder höheren Beamten. Kinder aus Familien mit maximal 100 Büchern erreichen eine Lesekompetenz von 516 Punkten, Kinder mit mehr als 100 Büchern 558 Punkte (Vergleiche Heike Schmoll, Zu wenig Unterrichtszeit zum Lesen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom17. Mai 2023,2). Besonders hart ist das Schulsystem in Südkorea, ausgesagt durch die höchste schulisch bedingte Suizidrate in ganz Südostasien. Mit der bürgerlichen Klasse geht es ungefähr ab 1900 naturgesetzlich bergab, was zu einer politischen Reaktion auf der ganzen Linie geführt hat. Die Reaktion hatte noch nie ein Interesse an der Weiterbildung der sogenannten Unteren. Sie sollen im Käfig sich ständig wiederholender Arbeitsabläufe ausharren, keine neuen Welten zu sehen bekommen, um keine neuen Gedanken zu entwickeln. Zum ersten großen Zuchtmeister feudaler Engstirnigkeit wurde nach der französischen Revolution von 1789 der Brite Edmund Burke mit seiner Kastentheorie, aus der sein Hass gegen die Jakobiner resultierte. Ein relatives Glück gäbe es für den Menschen nur in der vollen Akzeptanz des vom Gutsherrn zugewiesenen Platzes, durch die totale Identifizierung mit dem einmal Zugewiesenen. Es ist das Seufzen über die nachlassende Verhaftung in die Immobilität der vorindustriellen Zeit. Der ewige Kreislauf der Jahreszeiten als reziproker Doppelreflex einer in monotonen Kreisläufen sich abspielenden Agrarproduktion.
Bürgerliche Massenmedien kamen dieser Tage, Mitte Mai 2023, nicht umhin, auf den desolaten Zustand hinzuweisen, dass in den bürgerlichen Schulen immer weniger gelesen wird, dass 25,4 % der Viertklässler in der Grundschule immer schlechter lesen, und zwar so schlecht, dass sie die Texte nicht verstehen und damit schon im Alter von 10 Jahren unweigerlich zu Menschen 2. Klasse abgestempelt sind. Sie sind bereits abgehängt, werden auf weiterführenden Schulen nicht mehr mitkommen können und sind verdammt, ein Leben nach den Grundsätzen von Burke zu führen. Da haben wir ein Probierstück bürgerlicher Humanität. Die durchschnittliche Lesefähigkeit deutscher Viertklässler hat sich in den Jahren von 2016 bis 2021 noch einmal besonders deutlich verschlechtert. Die Zahl der Schüler, die ein Leben als Menschen 1. Klasse führen werden, weil sie ausgezeichnet lesen können, hat sich dagegen auf 8 % verringert. Pro Woche werden in den Grundschulen im Unterricht 141 Minuten gelesen, weniger als 2 ½ Stunden, in der EU sind es 194 Minuten. Nun mache sich die Bundesregierung laut der Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger Gedanken über ein Startchancen-Programm mit spezieller Förderung für sozial benachteiligte Schüler – eine Art Nachhilfe. Programme ähnlicher Art hat es schon früher gegeben und trotzdem gingen die Zahlen weiter in den Keller. Man muss eben radikal sein und an die Wurzel des Übels gehen, es ist eine Systemfrage. Die Eigner der Produktionsmittel eignen sich natürlich auch das Beste an. Bürgerliche Regierungen lösen Krisen durch Erschaffung neuer (Vergleiche Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Band 4, Dietz Verlag Berlin, 1960,468). Wie wahr: Eventuell 1 Milliarde € pro Jahr für die Startchancen, 100 Milliarden € Sondervermögen für die Bundeswehr, wobei Noske-Pistorius noch zusätzlich 10 Milliarden € pro Jahr fürs Militär fordert. 1 Milliarde € für die Kinder der armen Klassen, 10 Milliarden fürs Militär – das nenne ich sozialdemokratisch gedacht! Die Bourgeoise will alle Probleme mit Geld lösen. Es ist deshalb in einer in produktiven und unproduktiven Klassen gespaltenen Gesellschaft aufschlussreich, was Marx und Engels im Manifest über die polytechnische Erziehung der Kinder verfasst haben, gerade deshalb, weil in der polytechnischen Erziehung theoretische Arbeit und praktische ineinander verwoben sind und reziprok gelernt wird. In bürgerlichen Gesellschaften werden Bildungsghettos eingerichtet, es kann nur eingleisig gelernt werden, da die geistige Entwicklung von produktiver und kreativer Entfaltung getrennt wird. Zwar gibt es Lineale, ausgestopfte Tiere und Reagenzgläser in Schulen, aber kein Handwerkszeug und auch keine Erziehung durch Handwerksmeister, keine echt produktive Arbeit, alles trockene Scholastik. So manches Mauerblümchen würde aufblühen. Aber das alles setzt Volksbewaffnung, Konzentration der Banken in eine Nationalbank und Vergesellschaftung wenigstens der großen Produktionsanlagen voraus, Anlagen, die groß genug sind, ganze Schulklassen für einige Wochen im Jahr aufzunehmen.
Also Marx und Engels 1847 über die polytechnische Beziehung, besonders aufschlussreich sind die letzten drei Punkte der Forderungen der Kommunisten, die sich auf insgesamt zehn belaufen. Punkt 8: Gleicher Arbeitszwang für alle. Das ist die passende Forderung zum Schlussgedanken des Manifestes: Proletarier aller Länder vereinigt Euch! Das eine ergibt sich aus dem anderen. Punkt 9: Allmähliche Beseitigung des Gegensatzes von Stadt und Land. Stadtkinder polytechnisch in der Landwirtschaft ausbilden, Landkinder über Kreuz in städtischen Fabriken. Punkt 10 ist vollständig zu zitieren: “Öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder. Beseitigung der Kinderarbeit in der heutigen Form. Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Produktion usw.“ (a.a.O.,482). Also nur gegen die Ausbeutung von kindlicher Arbeitskraft sprechen sich Marx und Engels aus, in einer zukünftigen Form wird die Kindererziehung eng mit der Produktion verbunden sein. Hier wird der großen arbeitenden Mehrheit unter den einzelnen Völkern ein Weg aufgezeigt. Was die BRD bildungspolitisch verzapft, kann keinen Erfolg zeitigen. Tatsachen sind Tatsachen. “Trotz zahlloser Förderprogramme haben sich die Leseleistungen in den vergangenen zwanzig Jahren noch einmal verschlechtert, auch die Gruppe der besten Leser hat sich verkleinert“. (Heike Schmoll, Leseunfähig, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Mai 2023,1). Heike Schmoll ist keine linke Journalistin, sie arbeitet bei der FAZ und bestätigt hier, dass unter den Bedingungen einer kapitalistischen Warenproduktion das Gegenteil des Vorgenommenen herauskommt. Dahin ist es gekommen, dass in den Schulen Nordmazedoniens die Lesefähigkeit zwischen 2016 und 2021 um 1 % gestiegen – Plus ist Plus – in der BRD aber im gleichen Zeitraum um 15 % gesunken ist. Ein Leseland wie die DDR ist die BRD nie gewesen und kann das Niveau trotz aller Förderprogrammen auf Eurobasis auch heute nicht erreichen. Mit Geld kann man auf kulturellem Gebiet nichts erreichen, Begabung, Inspiration, Phantasie, Gedankenblitze müssen in einem Klima der Dekadenz verkümmern. Die Weichen zum kulturellen Abstieg, letztendlich zur Barbarei, wurden kurz nach dem zweiten Weltkrieg gestellt. Die Bundesregierung unter Konrad Adenauer als ein Millionärsausschuss einer Handvoll superreicher deutscher Staatsbürger küsste die Stars und Stripes Fahne, kroch der imperialistischen Administration von Washington hinten rein mit fatalen Folgen, denn die USA waren schon damals ein leseschwaches Land und die Großstädte der BRD verwandelten sich in Klein-Chicagos, im deutschen Fernsehen liefen US-Serien und die Allgemeinbildung an amerikanischen Universitäten war teilweise berüchtigt katastrophal. All dies schlug sich negativ auf die deutsche Kultur der Klassik aus, und so ist es dann gekommen: Statt das Land von Goethe und Schiller zu sein, befindet sich Deutschland heute auf dem Pöbelniveau eines Charles Bukowskis. Das Bordell, der Suff und die Gosse als Primärquellen dekadent-imperialistischer Kultur.
Wir werden heute Zeitzeugen, wie die Bourgeoise auf Grund technischer Progression unter dem Stachel des Profits die Bildmobilität enorm gesteigert hat. Die Folge ist, dass der klassische Zeitungsleser aus der Straßenbahn verschwunden ist. Heute wird mit beiden Händen an einem kleinen flachen Ding herumgefummelt. Der Bourgeoisie steht der Profit vorne an, es wurde nicht bedacht, dass die Völker nach und nach ihrem Schriftgut entfremdet werden. Wir werden also Zeugen einer zunehmenden Entwertung der Schrift und einer zunehmenden Aufwertung Axel Springers, dem Cäsar der Bilderwelt. Man musss jetzt abwägen, da die Outdoorinternetbenutzung nicht von vornherein nur negativ zu bewerten ist. Und zwar gemäß dem Gesetz der Korrelation des Wachstums, Fingerflinkheit und Gehirnausbildung gehen besonders bei jungen Menschen Hand in Hand, das ist unbedingt eine positive Seite mobiler, für Menschen tragbarer Bildtechnologie. Das durch Bilder bewirkte Assoziationsvermögen mag größer sein als beim Lesen. Aber man vergleiche doch mal: Die Thesen von Marx über Feuerbach kann man von einer Straßenbahnhaltestelle bis zur nächsten lesen, in der gleichen Zeit surft ein anderer per Smartphone im Internet herum. Man braucht doch nur die Frage aufzuwerfen. Aber das ist heute die tragische Tendenz. In den Thesen findet man Anhaltspunkte zur Lösung des imperialistischen Krisenkonglomerats, das dazu von Tag zu Tag dicker und verworrener wird. Es lesen aber nicht neun von zehn Menschen die klassischen Thesen, sondern von zehn Menschen, wenn es hochkommt einer. Den Revolutionärinnen und Revolutionären läuft die Zeit davon, auf der anderen Seite vermehren sich die Zeichen eines globalen Finalkollapses. Obwohl eine künstliche, per technischer Mechanismen herbeigeführte Assoziationsvielfalt vorliegt findet indirekt ein Angriff auf die Dialektik, das Denken der Welt in ihren Zusammenhängen statt. Bild an Bild gereiht, dem mangelt es an Tiefe, aus der allein die Negativität von Prozesshaftigkeit sowohl kreativ als auch destruktiv emporsteigt. In der rein mechanistischen Kybernetik zum Beispiel findet keine Arbeit der Negativität statt, wird Ursache nicht zur Wirkung. Die Welt wird aus den Komponenten Null und Eins zusammengedacht, steril komponiert, das Digitale ist aber lediglich Arithmetisches, es enthält lediglich Keimformen der Algebra der Dialektik. Es ist ein Vorteil für Marxistinnen und Marxisten, die “ihr“ dialektisches Denken – hier gibt es kein individuelles Denken – ständig vertiefen, dass, um ein Beispiel aus dem Militärwesen anzuführen, in Sandhurst und in Westpoint nicht wissenschaftlich gedacht wird und auch nicht gedacht werden kann. Das Komplement dazu ist dann religiöse Inbrunst. Bisher hat noch jeder US-Präsident bei seiner Vereidigung die Hand auf die Bibel gelegt. Hat Biden uns, den europäischen Befreiungskämpfern nichts anderes anzubieten als mittelalterliche Kreaturen in Uniform?
Marcuse sprach vom eindimensionalen Menschen. Es versteht sich von selbst, dass man heute gegen den konterrevolutionären Bildersturm, gegen den wort- und kommunikationsfeindlichen Zeitgeist angehen muss. Der US-amerikanische Publizist Vance Packard hat bereits 1957 in seinem Buch ‘The Hidden Persuaders‘ (‘Die geheimen Verführer‘), das Buch erschien auf Deutsch 1958 im Düsseldorfer Econ Verlag, die Machenschaften der US-Werbung aufgedeckt, u.a. mit dem Ergebnis, dass die US-Werbung durch eine psychologisch ausgeklügelte Bilderwelt empfänglicher für den Ankauf überflüssiger Waren macht. Die Werbung greife nach dem Unterbewussten in Jedermann, so auch der Untertitel des Buches. Packard geißelte die US-Wirtschaft als eine in den sinnlosen Konsumismus führende Ökonomie, die eine Mentalität des Verschwendens von Rohstoffen und Gütern voraussetzte. Industrielle fragten sich, wie können wir weiterhin verkaufen, wenn die Konsumenten schon alles haben, was die brauchen. Packard sagt weiterhin aus, dass die Anwendung der Massenpsychologie auf Werbefeldzüge zur Grundlage einer Multimillionen-Dollar-Industrie geworden sei. In seinem Bestseller „Die geheimen Verführer“ steht der Verbraucher plötzlich nicht mehr als ein freies Wesen da, sondern als Marionette einer großen Manipulationsmaschinerie aus Werbung und Industrie. Das ist eine traurige Sache.
Ich muss hier aber auf eine noch traurigere Sache zu sprechen kommen. Es gibt in Deutschland eine Partei, die wünscht, als revolutionäre begriffen zu werden, aber eine konterrevolutionäre Politik betreibt, mögen die Redakteure nun Vance Packard gelesen haben oder nicht – eher nicht. Durch ihr Organ ‘Rote Fahne‘ tut sie kund, dass sie nicht gegen den Strom konterrevolutionärer Machenschaften schwimmt, sondern vermittels der Ver-Bildung der Umwelt den wissenschaftlichen Sozialismus auf Sparflamme heruntersabotiert. Selten werden Bezüge zu den Klassikern hergestellt. Der Minigenosse Dickhut scheint wichtiger zu sein als Genosse Lenin. Der wissenschaftliche Sozialismus liegt halbtot begraben unter einer Flut bunter Bilder. Wertvoller Textplatz wird vergeudet durch quantitativ überdimensionale Bebilderung. Anstatt die Fotografen zum Teufel des Klassenfeindes zu jagen, um bei diesem Verdunklungsschindluder zu treiben, versumpft die ‘Rote Fahne‘ der MLPD immer mehr im Orkus bürgerlicher Illustrierten. Einige Artikel sind gut, aber die offizielle Linie läuft zeitgemäß auf Destruktion von marxistisch-leninistischen Schriftgutes hinaus, auf das, was die Kapitalsten wollen. Der Revolutionär ist verloren, ist kein Mann der Zukunft, wenn er eins sein möchte mit dem Bilder und Poster druckenden, verdummenden Zeitgeist. Nicht das Urteil der Gegenwart zählt, das ist ja gerade das Verhängnisvolle, ist der Tod des Revolutionärs, sondern das der Nachwelt. Die Nachwelt ist im Horizont der Revolution gewichtiger als die Gegenwart. Das Urteil bürgerlicher Richterinnen und Richter hat gleichgültig zu sein. Ein Wisch. Im Namen des Volkes muss richtig heißen im Namen des Kapitals. Die Justiz war zu Zeiten Georg Büchners die “Hure der Fürsten“, so sein Ausdruck im 1834 verfassten ‘Hessischen Landbote‘, heute ist sie die Hure der Kapitalisten, sie ist also auch immer eine Sklavin der Gegenwart. Sie schneidet das Tuch der Menschheit entzwei, sie hat viel auf dem Kerbholz. Justiz ist immer Klassenjustiz, auch und besonders zu Beginn des Sozialismus. Jede bewusste Klassenkämpferin, jeder bewusste Klassenkämpfer weiß doch instantan, dass dem so ist und dass sich der wissenschaftliche Sozialismus und bunte Bilderchen beißen. Und auch ohne Bewusstsein – neben den drei Bänden des Kapitals gibt es auch noch so etwas wie einen Klasseninstinkt, der zu dem gleichen Ergebnis kommt.
Unter dem Banner des Marxismus-Leninismus verwandelt die MLPD die schwarz-weißen Gärten der sozialistischen Theorie in trostlose Bilderwüsten mit einer geringen Anzahl von Textoasen. Lenin sagte im ‘Linken Radikalismus‘, dass sich der Bolschewismus den Marxismus wahrhaft in Leiden errungen habe (Vergleiche Lenin, Der ‘linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus, in: Lenin, Ausgewählte Werke, Progress Verlag Moskau, 1975,68). Nicht durch Bilderbetrachtung bekommt man den Pfiff der Mehrwerttheorie mit, sondern durch hartes und mitunter qualvolles Arbeiten an Klassikertexten. Bereits Hegel dämmert es zu Beginn der technisch-industriellen Revolution, dass die Arbeit eine Kategorie von universeller Bedeutung ist Die Aneignung der marxistischen Theorie ist immer noch, um es mit seinen Worten zum Studium der Philosophie zu sagen, eine Arbeit der Geduld, eine Arbeit des Ernstes, eine Arbeit des Schmerzens und eine Arbeit der Negativität. Nichts da mit Party und ein Straßenfest nach dem anderen. Der wissenschaftliche Sozialismus ist immer noch eine Angelegenheit des menschlichen Gehirns und der menschlichen Faust und ist nicht eine Angelegenheit des Kitzels von Sehnerven kleinbürgerlicher und kleingeistiger Ästheten, die bei der Publizierung von Kinder- und Tralalabüchern besser aufgehoben wären. Am besten für Kinder, die noch nicht lesen können. Für Marx war die revolutionäre Dialektik nie jene Kinderklapper, zu der sie Plechanow, Kautsky und andere gemacht haben (Vergleiche Lenin, Staat und Revolution, Werke, Band 25, Dietz Verlag Berlin, 1960,435).
Der polnische Kommunist Hanecki berichtet in seinen Memoiren über Felix Dzierzynski, der 13 Jahre in polnischen Gefängnissen einsaß, dass dieser Genosse bis zu 20 Stunden am Tage arbeitete, Nachtruhe gönnte er sich kaum, dass es vorkam, dass man ihn zum Essen zwingen musste (Vergleiche Felix Dzierzynski, Biographie, Dietz Verlag Berlin, 1981,69). Dzierzynski hat nicht gehungert und seine Gesundheit aufs Spiel gesetzt, damit heute herumlümmelnde MLPD-Redakteure Haufen von Fotos auf dem “Arbeits“tisch hin- und herschieben, um die herauszufischen, die le dernier cri sind für die nächste Ausgabe der ‘Rote Fahne‘. Stalins Privatbibliothek umfasste 25 000 Bücher, kann Dickhut da mithalten? Es ist Zeit, wieder Kragengröße zu studieren. Genosse Stalin hatte gar keine Zeit, sich mit Bildern, Fotos und Schnick-Schnack zu befassen. Die Klassiker standen auf seinem Arbeitstisch, was bei den Redakteuren der MLPD-RF nicht der Fall zu sein scheint, eine Broschüre von Dickhut und eine von Engel tun es auch. Während ich dies schreibe, so weiß ich, dass die MLPD innerlich bereits zu zersetzt ist, als dass diese Partei noch Willensstärke genug zur Abkehr vom Possenspiel der Revolution aufbringen könnte, zur Rückkehr von Engel zu Engels.
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