F.-B. Habel
Bip bei der DEFA
„Man lernt sehen, indem man ihm zusieht“, schrieb Rudi Strahl, als der Franzose Marcel Marceau in den sechziger Jahren mehrfach in der DDR gastierte. Mit der stummen Kunst der Pantomime, die in jeder Sprache zu verstehen ist, galt er als „ein Botschafter der Völkerverständigung“. Das war der weltweit gefeierte Künstler schon zu Beginn der fünfziger Jahre, wenn auch damals noch als Geheimtipp.
Anlässlich seiner Gastspiele 1951/52 bannte ein Kollektiv der DEFA, zu dem in erster Linie Regisseur Wolfgang Schleif und Kameramann E. W. Fiedler zählten, Marceaus Studien und zwei Inszenierungen aufs Zelluloid – sogar in Farbe! Leider schieden sich in einer Zeit, als man den angeblichen Formalismus debattierte, auch an der Pantomime die sozialistischen Geister. Die Filme kamen verzögert und eher versteckt in die Kinos, nachdem Regisseur Schleif die DDR schon verlassen hatte.
Der rührige DVD-Vertrieb absolutMEDIEN legt jetzt endlich in Zusammenarbeit mit der DEFA-Stiftung die weitgehend vergessenen Filme der Öffentlichkeit vor und ergänzt die drei Mittelmetrage-Filme durch Sujets aus der Wochenschau Der Augenzeuge. Wie es heißt, war eine akribische Sucharbeit nötig, um die Filme zu finden. Dabei gab es eben diese Zusammenstellung der Filme (nicht ganz so umfangreich) in den achtziger Jahren in der DDR schon. Als „Marcel-Marceau-Programm“ wurde sie vom Staatlichen Filmarchiv verliehen.
Mit der von Marceau bereits 1947 erfundenen Figur des tragikomischen Clowns Bip im Ringelhemd und mit zerbeultem Hut samt Blume zeigte der Pantomime bei der DEFA Stilübungen – etwa das Hinauf- und Herabsteigen auf einer imaginären Treppe, Radrennen ohne Räder oder einen 1500-Meter-Läufer. Prachtstück dieser frühen Filme ist eine -Inszenierung der Compagnie Marcel Marceau von Gogols „Der Mantel“ als Mimodrama. Schleif und Fiedler verkniffen sich hier nicht alle formalen Spielereien, besonders eindrucksvoll im Schattenspiel, das aber nicht überstrapaziert wird. Wie es heißt, waren die „Freunde“, die sowjetischen Berater der DEFA, mit der Umsetzung des russischen Klassikers ohne Worte nicht zufrieden.
Marceau selbst fand die filmische Auflösung äußerst gelungen, während er den Film „Der Sonntagsmaler“ als schwach betrachtete. Der wurde, weil man bei der DEFA (wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht) glaubte, eine stumme Handlung verstieße gegen die Sehgewohnheiten, mit heiteren Versen um einen Amateurmaler, der sich in eine Feldschönheit verliebt, unterlegt. Die Verse schrieb der Kabarettist und jahrzehntelange Weltbühnen-Autor Karl Schnog. Der erstklassige Sprecher war (anders als auf dem Cover angegeben) der frischgebackene Nationalpreisträger Werner Peters. Doch die Geschichte bediente Ressentiments. Der junge Maler wollte mit verschobener Perspektive formal Neues ausprobieren, was das einfache Volk nicht begriff und korrigierte. „Willst du ein wahrer Künstler werden, bleib mit den Beinen auf der Erden“, resümierte Schnog den Ausbruchsversuch.
Diese Zusammenstellung, die – mit Bundesmitteln digital restauriert – in bester Bildqualität vorliegt, ist ein amüsantes Beispiel für die Kunst der Pantomime, gespiegelt im Film der fünfziger Jahre, und ein Dokument der frühen Schaffensphase eines der größten Künstler des 20. Jahrhunderts.
Marcel Marceau – Die Kunst der Pantomime, Regie Wolfgang Schleif, DDR 1951-69, absolutMEDIEN, Sonderpreis 9,90 Euro.
Dieser Artikel erschien vor ein paar Tagen in Das Blättchen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Bilder, Videos und Bildunterschriften wurden von der Redaktion AmericanRebel hinzugefügt.
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