F.-B. Habel

Wenn ich heule, war es Kunst!

Buchbesprechung: Du mit deiner frechen Schnauze –
Renate Holland-Moritz in Anekdoten und Briefen

F.-B. Habel

An die verdienstvolle Reihe der „Lesebücher für unsere Zeit“, die Weltbühnen-Autor Walther Victor 1949 im Volksverlag Weimar begründete, und in der er illustre Autoren wie Goethe, Heine, Tucholsky, Kleist, Brecht und Weinert einer nachgewachsenen Generation nahebrachte, fühlte ich mich erinnert, als ich jetzt den postum erschienenen Band einer DDR-Autorin in die Hände bekam.

Er könnte gut heißen: „Renate Holland-Moritz – Ein Lesebuch für unsere Zeit“. Aber weil das für eine Satirikerin viel zu trocken klingt, haben ihm Herausgeber und Verlag den Titel „Du mit Deiner frechen Schnauze“ gegeben. Das klingt boulevardesk, und bei einer Autorin, die sich freimütig dazu bekannte, eine „Klatschtante“ zu sein, ist es auch nicht verfehlt. Aber das Buch ist viel mehr: eine Sonde in eine Zeit, die man auch durch heitere Aussagen verstehen lernt, ein Lesebuch für die Jugend im besten Sinne, und gleichermaßen eine Erinnerung für die Zeitgenossen der Autorin, die wir hier modisch RHM nennen und die 2015 mit 80 Jahren als langjährigste Filmkritikerin der Welt die Schreibmaschine in die Ecke stellte.

Renate Holland-Moritz, Filmkritikerin und Autorin (1935–2017). Bild YouTube screnshot

Wie kam es zu diesem Band? RHM war schon lange durch Krankheiten gebeutelt. Die monatlichen aktuellen Filmkritiken, die Rubrik „Kino-Eule“ im Satire-Magazin Eulenspiegel, schrieb sie – was niemand ahnte – oft unter Qualen. An jeder Formulierung feilte sie lange. Als sie dann aufhörte, fühlte sie nur kurze Zeit eine angenehme Entlastung. Kurz nach ihrem 82. Geburtstag rief sie mich Anfang April an und erklärte: „Eigentlich dachte ich, ich hätte alles schon erzählt, aber jede Woche fallen mir Anekdoten ein, die ich nicht aufgeschrieben habe und die noch erzählt werden müssen. Wer, wenn nicht ich!“ Sie hatte schon Einiges gesammelt, war sich aber unsicher in den konkreten Fakten, denn genau sollte es schon sein! Da war zum Beispiel die Geschichte ihrer kollegialen Freundschaft mit dem späteren „Schwarzwaldklinik“- und „Traumschiff“-Erfinder Wolfgang Rademann, der ein Hungerkünstler war, als sie beide in den Fünfzigern bei der BZ am Abend arbeiteten, und der sie nach der Wende ganz leicht „einkassieren“ wollte. Sie hat es nicht mehr geschafft, das aufzuschreiben, denn bald kam sie ins Krankenhaus, das sie als unheilbar verließ, und ging am 14. Juni 2017 von uns.

hier geht es weiter »

Natürlich befasst sich das „Lesebuch“ auch mit Filmen, denn obwohl RHM als eine der im deutschsprachigen Raum raren Satirikerinnen Erfolg hatte – einige ihrer humorvollen Geschichten wurden auch auf Leinwand und Bildschirm lebendig – war sie vor allem als „Kino-Eule“ legendär. Nach ihren Kritiken richteten sich die Zuschauer, die sich allerdings in zwei Parteien spalteten. Die einen sahen sich die Filme an, denen RHM Anerkennung zollte, und die anderen die, die sie verriss. Auch die Filmemacher, von denen die meisten in der kleinen DDR RHM schon persönlich begegnet oder gar mit ihr befreundet waren, unterteilten sich in die, die schon bei ihrer Namensnennung rot sahen und jene, die ihr ein eigenes Urteil zugestanden. Die Herausgeber Mathias Biskupek und Reinhold Andert, die die Autorin gut gekannt hatten, haben sowohl Beispiele für ihre Kritiken herausgesucht als auch das Echo der Kritisierten. Da gibt es Texte, die sich schon in RHMs Buch „Die tote Else lebt“ finden, wie die Geschichte vom schönen Amerikaner Dean Reed oder der Thälmann-Büste und ihrem Hüter Raimund Schelcher. Glücklicherweise hatten Biskupek & Andert Zugang zu vielen Briefen von und an RHM. Aufschlussreich etwa der Brief des Kameramanns und Regisseurs Werner Bergmann, der ihr nach dem Verriss seines Films „Nachtspiele“ die Freundschaft ausdrücklich nicht kündigte.

Man erfährt hier auch, dass RHM zu sich selbst eine gesunde Distanz entwickeln konnte. In einem Interview, das sie für die DEFA-Stiftung im Jahr vor ihrem Tode gab, und aus dem hier erstmals Ausschnitte wiedergegeben sind, erläutert sie selbstkritisch, dass ihre Rezension zum Anita-Ekberg-Film „Blumen für die Angeklagte“ der „Gipfel der unverschämten Blödheit“ gewesen sei. Hingegen gebe es Lieblingsfilme von ihr, die sie zu Tränen rühren: „Die sind manchmal in der Gefahr, kitschig zu wirken. Doch da habe ich eine sehr kühne Behauptung bei der Hand: Ich behaupte, meine Tränendrüsen sind resistent. Wenn ich heule, war es Kunst! Bei Kitsch heule ich nicht.

“
Wir finden hier Briefwechsel mit den Strittmatters, mit Erich Loest, Peter Ensikat, Fred Wander und natürlich engen Freundinnen wie Berta Waterstradt oder Franziska Troegner. Sie, auch Biskupek als Korrespondenzpartner, und viele andere finden sich im Personenregister. Und natürlich wird auch geklatscht, etwa darüber, wie unmöglich sich Winfried Glatzeder als RHMs Talkgast verhielt, oder wie der damalige SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping mit ihr und Pascal de Wroblewski gezwungen plauderte.

Sicherlich wäre noch viel mehr aus Leben und Werk der Renate Holland-Moritz zu finden, aber dieser kleine, mit seltenen Fotos versehene Band bringt viel zum Schmunzeln und Nachdenken, ein Bild der Nachkriegsjahrzehnte aus einer besonderen Perspektive. In der DDR konnte man durchaus lachen – aber mit Verstand!

Reinhold Andert, Matthias Biskupek (Herausgeber): Du mit deiner frechen Schnauze – Renate Holland-Moritz in Anekdoten und Briefen, Schriftenreihe der DEFA-Stiftung, Quintus-Verlag, Berlin 2019, 176 Seiten, 19,90 Euro.
.

Dieser Artikel erschien vor ein paar Tagen in Das Blättchen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Bilder, Videos und Bildunterschriften wurden von der Redaktion AmericanRebel hinzugefügt.
.
Weitere Artikel von F.-B. Habel
.

Für den Inhalt dieses Artikels ist der Autor bzw. die Autorin verantwortlich.
Dabei muss es sich nicht grundsätzlich um die Meinung der Redaktion handeln.

Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung –
Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
Auch linker Journalismus ist nicht kostenlos
und auch kleine Spenden können helfen Großes zu veröffentlichen!
zurück zur Startseite
hier geht es zur Facebook Diskussionsgruppe

Sag uns deine Meinung zum Artikel mit einem Kommentar/Leserbrief