Sabine Leidig
Vom Cyber Monday zum Black Friday: Amazon bedroht Demokratie und Klima
Last Minute-Angebote zu Weihnachten: Die Krake lockt mit neuen „Deals“ zum Fest …während in Berlin Aktivistinnen und Aktivisten gegen die geplante Nachbarschaft des Konzerns protestieren. Mitten im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg will Amazon einen neuen Büroturm mit 35 Stockwerken und über 3000 Software-Entwicklerinnen und Entwickler beziehen. Im Berlin, das von Immobilienspekulation, Mietenexplosion und Gentrifizierung gezeichnet ist, ruft diese „Verheißung“ Widerstand hervor.
Der Einzug des „WebTech-Urbanismus“ hat die Metropolregionen San Francisco, Oakland und Silicon Valley zur Unkenntlichkeit verändert. Dort befinden sich mittlerweile die teuersten Grundstücke der Welt und die enormen Mietpreissteigerungen reichen bis in die Peripherie. Auch in Berlin würde die lebendige Kiezkultur mit einer vielfältigen Einzelhandelsstruktur, alternativen Kulturräumen und langjährigen Anwohnerinnengruppen mehr denn je unter Druck geraten.
Ehemalige linksalternative und aktivistisch geprägte Nachbarschaften würden hyperkapitalistisch transformiert. „Amazon ist auch für sich gesehen kein Konzern, der nach Friedrichshain gehört. Amazon ist ein Konzern, der massenhaft neuwertige Waren vernichtet, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausbeutet, die nicht gerade im Entwicklungsbereich arbeiten und auf seine Milliardengewinne keinerlei Steuern zahlt: Amazon ist kein guter Nachbar.“ … erklärt die Initiative. [1]
Die Bedrohung durch Google, Facebock, Amazon & co geht weit darüber hinaus – und geht uns alle an. In seinem Buch „Digitaler Kapitalismus“ skizziert der Soziologe Philipp Staab den Kern einer profitgetriebenen Digitalisierung: Ihre Machthaber sind die Eigentümer der Internet‑Plattformen. Ihre horrenden Gewinne werden nicht länger auf einem Markt gemacht, sondern sie resultieren aus dem Eigentum am Markt. Amazon stellt nichts her, Amazon ist der Markt und kassiert Prozente: für die Logistik, und – immer mehr – für die Vermittlung der Produkte von zehntausenden von Unternehmen und der unterbezahlten Arbeit von hundertausenden von Crowd-Arbeiterinnen, die ganz offiziell „mechanische Türken“ genannt werden. Hier entsteht eine elektronische Variante der mittelalterlichen Markthoheit, bei der die Städte Gebühren kassierten für das Recht, zu verkaufen. Egal, was produziert wird: Stahl, Brötchen, Hotelbetten, Flugzeuge, Klimaanlagen, Schrauben oder Schokolade – der Turbo-Feudalismus liegt über der Arbeitsgesellschaft. Und verwoben mit ihm ist das Aneignungs-Netzwerk der Finanzwelt, in dem Billionen anlagesuchendes Kapital, die Immobilien, die Ländereien, die Rohstofflager und die Traumfabriken der Welt in Besitz nehmen.[2]
Die Clowd von Amazon verwaltet und verarbeitet die Daten von hunderttausenden von Unternehmen in 190 Ländern, darunter Netflix, Airbnb, General Electric, Vodafone, NASA und US Navy und mehr als 80 Prozent der Dax‑Unternehmen. Privateigentum sind zunehmend auch die Unterseekabel, durch die die Informationsströme der Weltwirtschaft, der Wissenschaft, der Politik schießen, tausende von Satelliten privater Telekommunikationskonzerne sichern die Versorgung mit Wasser und Wärme, mit Strom und Straßenverkehrsmeldungen. Wer redet hier noch von Souveränität?
„Business at the speed of thought“ – Verkaufen in Lichtgeschwindigkeit – das sah Bill Gates in den Neunziger Jahren als Ziel der digitalen Entwicklung. Seine Visionen eines vollautomatisierten Heims, die Welt von Siri und Alexa, und unendlichem Spaß dazu – es brauchte nur zwei Jahrzehnte und das Smartphone, um von einer bizarr anmutenden Fantasie zur umfassenden Wirklichkeit. Die Welt, so schrieb es George Orwell, wird immer sicherer für kleine dicke Männer – es kostet nur immer mehr Strom. Schon deshalb und weil weder Klima- noch Ressourcenschutz unter solchen Vorzeichen gelingen kann, ist der Kampf gegen die digitalen Feudalherren notwendig beim Ringen um Klimagerechtigkeit.
Es ist höchste Zeit, dass sich die gesellschaftliche Linke dieser Herausforderung zuwendet, analysiert, kritisiert und Alternativen erfindet. Zeit zu protestieren, zu politisieren und zu sozialisieren! Im besten Fall kann der Widerstand gegen Amazon in Berlin ein Katalysator dafür sein.[3]
[1] „Make Amazon pay“ veröffentlicht Hintergrundtexte, Informationen und Aktionen: https://makeamazonpay.org/
[2] Unter dem Titel „Saisonschluss“ beschreibt der Journalist und Autor Matthias Grefrath im Deutschlandradio Kultur diese und andere wesentliche ökonomische und kulturelle Entwicklungen. Sehr empfehlenswert! https://srv.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.3265.de.html?mdm:audio_id=793126
[3] Die Partei DIE LINKE hat mit der Digitalkonferenz einen wichtigen Anfang gemacht:
https://www.die-linke.de/themen/digitalisierung/dossier/
.
Erstveröffentlichung in „Die Freiheitsliebe“ vor wenigen Tagen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers und des Autors. Bilder und Bildunterschriften wurden von der Redaktion American Rebel hinzugefügt.
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