Im zweiten Akt des Putsches tagte der Senat ohne die MAS-Abgeordneten, die in der Parlamentskammer die Mehrheit stellen. Diese „boykottierten“ jedoch nicht die Sitzung, wie uns quer durch die meisten Medien vermittelt wird, sondern nahmen aus Sorge um ihre Sicherheit nicht teil. Sie wurden ausgesperrt. Ohne notwendiges Quorum und ohne wie von der Verfassung vorgeschrieben die Rücktrittsersuchen von Präsident und Vizepräsident anzunehmen, erklärte sich dann die Vizepräsidentin des Senats selbst zur Interimspräsidentin Boliviens. Die evangelikale Rechtsaußen-Politikerin Jeanine Añez, die in der Vergangenheit durch rassistische Aussagen gegenüber der indigenen Mehrheit aufgefallen war, ist damit De-facto-Präsidentin Boliviens.
Seitdem tobt in Bolivien der rechte Mob. Der neue Präsidialamtsminister rief als erstes zur „Jagd“ auf seinen Vorgänger auf, der ein „Tier“ sei. Proteste der indigenen Mehrheit gegen den Putsch wird mit Gewalt begegnet und die Wiphala, die Fahne der indigenen Nationen der Anden, medienwirksam verbrannt. Die nun erneut an die Macht strebende weiße Elite bemüht sich nach den ersten Exzessen nur zögerlich, ihren Rassismus zu verstecken. So sind alle von der Putsch-Präsidentin eingesetzten Minister weiß, obwohl die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung indigene Wurzeln hat.
Und die Bundesregierung? Ohne ein kritisches Wort „begrüßt“ sie die Ankündigung der „Interimspräsidentin von Bolivien“, innerhalb von drei Monaten freie und faire Wahlen anzusetzen. Ob diese tatsächlich stattfinden werden oder Añez versucht, sich mit Hilfe des Militärs an der Macht zu halten, bleibt abzuwarten.
Wenig überraschend standen auch die Grünen ohne Zögern Gewehr bei Fuß und begrüßten den rechten Putsch als „historischen Moment“. Omid Nouripour, Der außenpolitische Sprecher ihrer Fraktion im Bundestag bescheinigte dem Militär kurz nach dem erzwungenen Rücktritt Morales‘, „die richtige Entscheidung getroffen“ zu haben. Dass aber auch bis weit in die Linke hinein während eines laufenden Putsches darüber diskutiert wird, ob die gestürzte Regierung nicht doch selbst Schuld ist, ist einfach nur beschämend.
Hier zeigt sich, wie sehr die Regime-Change-Strategien wirken. Immer wird im Vorfeld derartiger Umstürze der Boden bereitet, indem reale Fehltritte der Regierungen mit Übertreibungen und schlichten Lügen vermengt werden. Dadurch werden bis weit in progressive Teile der Bevölkerung hinein Zweifel und Unsicherheit gesät, die dann im Falle der Konfrontation zu einer Entsolidarisierung führen.
Selbstverständlich gibt es reichlich Dinge, die man an der Politik von Evo Morales kritisieren kann. Diese im konkreten Fall eines Putsches aber in den Vordergrund zu stellen, zeugt im besten Fall von politischer Naivität. Aufgabe der Linken ist in einer solchen Situation, den Putsch klar zu benennen und zu verurteilen und die medial verbreiteten Narrative kritisch zu hinterfragen. Denn wie im Krieg gilt auch in diesen Momenten: Die Wahrheit ist das erste Opfer.