Elizabeth Lea Vos
Die vergessenen Opfer
Es ist höchste Zeit, über die durch Dokumente von WikiLeaks belegten Verbrechen des US-Militärs in Afghanistan zu sprechen.
Die afghanischen Tagebücher lösten einen Aufschrei aus, als sie die Geheimhaltung ziviler Opferzahlen, die Existenz eines US-geführten Elite-Tötungskommandos sowie die verdeckte Rolle Pakistans in dem Konflikt enthüllten. Elizabeth Vos berichtet.
Dies ist der zweite Artikel in einer Reihe zu WikiLeaks, die auf die wichtigsten weltverändernden Veröffentlichungen der Plattform seit ihrer Gründung 2006 zurückblickt. Diese Reihe ist ein Versuch, der Mainstream-Berichterstattung etwas entgegen zu setzen, in der das Wirken von WikiLeaks ignoriert und stattdessen der Fokus auf die Persönlichkeit Julian Assanges gelegt wird. Es sind die WikiLeaks-Enthüllungen von Kriegsverbrechen und Korruption, die die Verfolgung Assanges durch die USA ausgelöst und schließlich zu seiner Verhaftung am 11. April dieses Jahr geführt haben.Drei Monate nach der Veröffentlichung des „Collateral Murder“-Videos publizierte WikiLeaks am 25. Juli 2010 ein Archiv mit geheimen US-Dokumenten über den Krieg in Afghanistan. Dieser enthüllte unter anderem die Geheimhaltung ziviler Opferzahlen, die Existenz eines US-geführten Elite-Tötungskommandos sowie die verdeckte Rolle Pakistans in dem Konflikt. Die Veröffentlichung der afghanischen Kriegstagebücher trug maßgeblich dazu bei, dass die US-Regierung auf einen Konfrontationskurs mit WikiLeaks-Gründer Julian Assange ging, der schließlich zu seiner Verhaftung im April dieses Jahres führte.Die Kriegstagebücher wurden von der damaligen Mitarbeiterin des Nachrichtendienstes der US-Armee Chelsea Manning weitergegeben, die durch ihre Top-Secret-Sicherheitsermächtigung legalen Zugriff auf die Protokolle hatte. Manning wandte sich erst an WikiLeaks, nachdem sie die Organisation sorgfältig überprüft hatte und nach dem erfolglosen Versuch, die Dokumente an die New York Times und die Washington Post weiterzugeben.
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Signifikante Aktivitäten
Eine der maßgeblichen Kontroversen um die Veröffentlichung der Tagebücher waren Vorwürfe, Einsatzdetails seien zum Kampfvorteil der Taliban öffentlich gemacht und die Leben von Informanten der US-Koalition durch die Bekanntgabe ihrer Namen gefährdet worden. Trotz der weit verbreiteten Annahme, WikiLeaks hätte sorglos nicht redigierte Dokumente veröffentlicht, wurden letztlich nur 75.000 von insgesamt mehr als 92.201 internen US-Militär-Dokumenten zum Afghanistan-Krieg zwischen 2004 und 2010 publiziert.WikiLeaks erklärte, sie hätten derart viele Dokumente zurückgehalten, da Manning darauf bestanden habe:„Wir haben die Herausgabe von etwa 15.000 Berichten aus der Gesamtheit des Archivs zurückgestellt, als Teil eines Prozesses der Schadensminimierung, der von unserer Quelle gefordert wurde.“Manning bestätigte 2013 in ihrer Aussage vor dem Militärgericht, dass die Dokumente nicht „sehr sensibel“ gewesen seien und nicht von laufenden Militäreinsätzen gehandelt hätten.
„Als Analystin betrachtete ich die SigActs (Signifikante Aktivitäten) als historische Daten. Eine solche Aktivität kann ein Angriff mit einer unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung sein, ein Gefecht mit Kleinfeuerwaffen mit einer feindlichen Kraft, oder jedes andere Ereignis, das eine bestimmte Einheit in Echtzeit dokumentiert und aufzeichnet.Aus meiner Perspektive sind in einem einzelnen SigAct oder einer Gruppe von SigActs enthaltene Informationen nicht sehr sensibel. Die in den meisten SigActs aufgezeichneten Ereignisse beinhalten entweder Angriffe durch Feinde oder Kausalitäten. Der Großteil dieser Informationen wird über das Public-Affairs-Büro an die Öffentlichkeit weitergegeben. […] SigActs zeigen, was an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit passiert. Sie werden unmittelbar nach dem Ereignis erstellt und unter Umständen in einem Zeitraum von Stunden aktualisiert, bis eine Endfassung im Computersystem des US-Militärs zum Austausch von taktischen Informationen (Combined Information Data Network Exchange; kurz CIDNE) hochgeladen wird.
Obwohl SigAct-Daten zum Zeitpunkt ihrer Erstellung sensibel sind, wird diese Sensibilität normalerweise innerhalb von 48 bis 72 Stunden aufgehoben, wenn das Ereignis entweder öffentlich bekannt gemacht wird oder sich die beteiligte Einheit nicht länger im Einsatzgebiet und somit außer Gefahr befindet.Meiner Auffassung nach werden SigAct-Berichte lediglich weiterhin als geheim eingestuft, weil sie als Teil des CIDNE-Systems verwaltet werden. […] Alles, was in CIDNE-Irak und CIDNE-Afghanistan gespeichert ist, einschließlich der SigAct-Berichte, wurde als Geheiminformation eingestuft.“
Von öffentlicher Relevanz
Manning bezeugte, die von ihr weitergegebenen Daten seien von sensiblen Informationen „gesäubert“ worden. In ihrer Aussage vor dem Militärgericht erklärte sie ihr Motiv für die Weitergabe der Dokumente ausführlicher. Sie sagte:„Ich glaube, durch den Zugang der allgemeinen Öffentlichkeit, besonders der amerikanischen Öffentlichkeit, zu den Informationen, die in den CIDNE-Irak- und CIDNE-Afghanistan-Systemen gespeichert sind, könnte eine innenpolitische Debatte über die Rolle des Militärs und über unsere Außenpolitik im Allgemeinen sowie im Irak und in Afghanistan ausgelöst werden.
Ebenso glaube ich, dass eine detaillierte Analyse der Daten über einen langen Zeitraum, durchgeführt von verschiedenen Teilen der Gesellschaft, die Gesellschaft dazu anregen könnte, die Notwendigkeit oder gar den Wunsch neu zu bewerten, sich auch nur an Einsätzen zur Terrorismus- und Aufstandsbekämpfung zu beteiligen, die die komplexen Dynamiken der Menschen außer Acht lassen, die jeden Tag in den betroffenen Gebieten leben.“WikiLeaks erklärte seine Gründe für die Veröffentlichung von Mannings Material wie folgt:„Die Berichte handeln im Allgemeinen nicht von streng geheimen Einsätzen oder von Einsätzen europäischer und anderer Streitkräfte der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF). Wenn jedoch ein gemeinsamer Einsatz mit regulären Einheiten der US-Armee erfolgte, werden Details von Verbündeten oft bekannt gemacht.Beispielsweise wird eine Reihe von blutigen Einsätzen der Task Force 373, eines geheimen Tötungskommandos aus US-Spezialkräften, in den Tagebüchern enthüllt – darunter ein Angriff, der zum Tod von sieben Kindern führte. Dieses Archiv zeigt die riesige Bandbreite der kleinen Tragödien, von denen kaum je in der Presse berichtet wird und die doch den überwältigenden Großteil der Tode und Verwundungen ausmachen.“
Dieser Artikel erschien vor Kurzem auch auf www.Rubicon. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers. Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „ The Revelations of WikiLeaks: No. 2 —The Leak That ‘Exposed the True Afghan War’“. Er wurde von Melina Cenicero aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.
Bild und Bildunterschrift teilweise oder ganz hinzugefügt von der Redaktion AmericanRebel.
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