Harry Popow
Soldaten für den Frieden (Teil achtzehn)
Leseprobe aus „Ausbruch aus der Stille…“ von Harry Popow
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Hier nun die achtzehnzehnte Leseprobe aus meinem neuen Buch »Ausbruch Aus Der Stille – Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten«, das im Februar dieses Jahres auf den Markt gekommen ist. Bitte benutzt auch die Kommentarfunktion für Eure Kritiken und Einschätzungen.
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„Götter-Ohren“ an Soldaten-Herzen
Im Juli 1964 schreibt Henry: Nicht zum ersten Mal haben wir den Eindruck, dass man Menschlichkeit im Umgang besonders in den oberen Etagen antrifft. Jüngstens waren beispielsweise Mitarbeiter des Zentralkomitees der SED in unserem Regiment im Einsatz. Was mich besonders freut: Nach einer Übung sind die Genossen vom ZK nicht allein zufrieden damit, dass die Soldaten gut geschossen haben, nein, sie wollen herausfinden, wie die jungen Leute denken und was deren Herz sagt. Und sie beraten sich mit uns Offizieren, wie man die Rechte der Soldaten noch besser sichern muss, wie man im Gespräch zu ihrem Inneren findet. Das ZK kritisiert u.a. jene Vorgesetzten, die die Nöte und Sorgen der Soldaten zu wenig kennen und dann manche Fehlentscheidungen treffen. Unter Feuer werden vor allem die mancherorts anzutreffende Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit gegenüber den Unterstellten genommen, (siehe z. B. Willkür bei den Festlegungen zum Urlaub und Ausgang und zur Freizeitgestaltung ). Nur ein Beispiel: Warum lässt man die Sonnabend-Ausgänger erst um 17 Uhr raus? Außerdem: Oft wissen die Soldaten nicht, wer am Wochenende Wache stehen muss, demzufolge sind auch Urlaub und Ausgang unklar. Oder: Waffenreinigen eine Stunde, am nächsten Tag zwei Stunden, ohne sie benutzt zu haben! Da greift sich doch jeder an den Kopf. Sinnlosigkeiten lassen Gleichgültigkeit aufkommen und ersticken jeden guten Willen. Aber: Wie leicht fällt es den Genossen von „oben“, zu bemängeln, sie ziehen ja wieder ab, und der Druck auf die Regimentsangehörigen, all die Termine, die Forderungen der höheren Stäbe – sie bleiben und halten sich zäh wie Teer in der Truppe. Man kann sich jedoch auf diese Genossen mit den mitfühlenden Herzen beziehen, das gibt ein wenig Halt.
Gleichgesinnte – das ist oft nur der Schein. Die Geister scheiden sich, wenn es um kulturelle und Erziehungsfragen geht. Kurt, der Parteisekretär in der Einheit, hält Henry auf der Kasernenstraße an. „Ganz schön, so ein Schallplattenabend für die Soldaten, aber das bringt uns noch keinen Kandidaten. Persönliche Gespräche, die sind das wichtigste …“ Zustimmend nickt Henry. Aber sein Gegenüber fügt eine sehr merkwürdige Bemerkung hinzu: Politische Arbeit sei auch, wenn man die Soldaten aufmerksam macht auf ihren schlechten Haarschnitt, ihre schmutzige Waffe usw. Henry ist wie erschlagen, er entgegnet scharf: „Wie soll ich mit jemanden ins Gespräch kommen, den ich zuvor sozusagen zusammenscheiße?“ Eine seltsame Ansicht eines Parteisekretärs. Im übrigen drängt er den FDJ-Sekretär wiederholt dazu, in die Kneipe zu gehen, denn dort komme man mit den Soldaten erst richtig ins Gespräch. „Da mag schon was dran sein“, denkt Henry, aber sein Fall ist das nun einmal nicht.
Schriftliche Eintragung vom Oktober: Das Tagebuch vom Lehniner Schießplatz ist in den Ausgaben 9 und 10 der „Armeerundschau“ veröffentlich worden. Insgesamt sind es 26 Tage, die ich da „abgelichtet“ habe. Meine erste richtige journalistische Arbeit, ein Dokument. Aber es gab etwas Ärger. Unser Politstellvertreter des Regiments, rief mich zu sich. „Wie können sie den Oberleutnant Zimmermann derart kritisieren, meinen besten Kompaniechef?“ Er wendet sich leicht ab und ich glaube, ein leichtes Lächeln bei ihm zu bemerken. Ich war und bin auch nicht schlecht als FDJ-Sekretär, und mit mir will es der Polit sicherlich auch nicht verderben. Das Gedruckte im Tagebuch ist ja nun einmal nicht wegzuwischen, und vor allem, es stimmt. Was hatte ich geschrieben? Unter dem 3. Juni 1964 steht folgende Notiz: „Abends, vor dem Schlafengehen, wird im Zelt der Kompaniechefs das Thema Lasertechnik und Fernmeldewesen diskutiert. Aber die Nacht bis fünf Uhr früh ist kurz und so igelt sich bald ein jeder ein. Ich tippe noch einmal beim Genossen Zimmermann an: ‚Sag mal, kannst du dir ein Bild davon machen, welche Bücher deine Soldaten lesen?‘ – ‚Ich will dir was sagen‘, entgegnet er, ‚die Schriftsteller sind zum großen Teil alles Schönfärber. Ich habe bisher nur drei belletristische Bücher gelesen.‘ – ‚Also bist du ein Mensch, der nur von Begriffen und von der Logik zehrt?‘ Er bejaht. Mich packt der Eifer, und ich erzähle ihm, dass auch die Kunst eine Waffe sei. Zu meiner Verwunderung lässt er mich reden und reden. Da stelle ich fest, er ist eingeschlafen.“ Soweit die Tagebucheintragung. Zimmermann kenne ich übrigens schon sehr lange, d.h. im Gespräch mit ihm erfuhr ich, dass wir beide 1943 im gleichen Dorf Stemmnitz im damaligen Ostpreußen (jetzt Polen) zur Schule gingen. Wahrscheinlich haben wir auch zusammen gespielt, denn es gab ja nur diese eine erste Klasse mit dem Klassenlehrer Pommerening, wie ich anfangs geschrieben habe.
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Zum Inhalt
Ausgangssituation ist Schweden und in Erinnerung das Haus in Berlin Schöneberg, in dem die Ziebells 1945 noch wohnen. Der Leser erfährt zunächst, wer die Eltern waren (seine Mutter stammt aus Moskau), berichtet kurz vom Evakuierungsort 1943/44 in Pommern, von der Rückkehr in das noch unter Bombenhagel liegende Berlin (Schöneberg), von den Eindrücken nach Kriegsende und vom Einleben in der neuen Gesellschaft, dabei auch von einer Begegnung der Jungen Pioniere mit Wilhelm Pieck.
Die Lehrzeit wird skizziert mit der Arbeit im Zwickauer Steinkohlenrevier, mit Tätigkeiten in der Geologischen Kommission der DDR und mit dem Besuch der Offiziersschule der KVP/NVA in Erfurt und in Plauen, wo er seine spätere Frau kennenlernte.
Wie lebt ein junger Offizier in der Einöde im Nordosten der DDR, welche Gedanken und Gefühle bewegen ihn? Darum geht es in den nächsten Aufzeichnungen seiner Impressionen. Seine Träume führen ihn mitunter weg vom Kasernenalltag und so nimmt er die Gelegenheit wahr, für fünf Monate im Walz- und Stahlwerk Eisenhüttenstadt als einfacher Arbeiter tätig zu sein.
Durch Versetzungen gelangt er nach Potsdam. Dabei kommen Querelen des Alltags als Ausbilder und später als Politoffizier nicht zu kurz. Ein Glücksfall für ihn, als er nach Neubrandenburg in einen höheren Stab als Redakteur berufen wird. Er beginnt ein Fernstudium als Diplomjournalist an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Inzwischen ist er längst glücklich verheiratet. Die Höhen und Tiefen eines Militärjournalisten – die zwingen ihn, vieles neu zu überdenken. Vor allem als einstiger Ausbilder gelingt es ihm, die Probleme der Soldaten immer besser zu verstehen und sie bildhaft zu schildern.
Die spätere Arbeit als Abteilungsleiter in der Wochenzeitung „Volksarmee“ macht ihm nicht nur Spaß, er nimmt auch Stellung gegen Ungereimtheiten, was ihm nach der Entlassung aus dem aktiven Armeedienst und der Tätigkeit als Journalist im Fernsehen der DDR nicht nur böse Blicke einbringt. So fährt er im September 1989 seiner Tochter nach Ungarn hinterher, um herauszukriegen, weshalb sie mit ihrem Partner abgehauen ist; er gibt ihr dabei das Versprechen, sie in keiner Weise als Tochter zu verurteilen. Nach seiner Rückkehr wird er mit einer Parteistrafe gerügt, die Wochen später angesichts der vermeintlichen Verstöße und Fehler durch die Politik nicht mehr relevant scheinen und wieder gestrichen wird. Auf Unverständnis stößt er auch bei seinen Mitarbeitern, als er nach der Teilnahme an der Dokumentarfilmwoche1988/89 in Leipzig angeblich nicht die erwarteten Schlussfolgerungen zieht.
Nach der Wende: Versuche, arbeitsmäßig Fuß zu fassen, u.a in Gran Canaria und in einer Steuerfirma. Die Suche nach Alternativen, günstiger zu wohnen, sowie die Sehnsucht nach Ruhe führt das Ehepaar nach Schweden.
Episoden aus dem Dorfleben und von vielen Begegnungen, so z.B. bei der Geburtstagsfeier einer siebzigjährigen Schwedin, machen den Alltag und die feierlichen Momente in der „Stille“ nacherlebbar. Keine der in der DDR erlebten Widersprüche und politischen Unterlassungssünden wirft den überzeugten Humanisten aus der Bahn, wogegen die Kapitaldiktatur mit ihren hörigen Medien, politische Manipulationen und Lügen im angeblich so demokratischen Deutschland ihn aufbringen – er bleibt ein Suchender, auch nach der Rückkehr im Jahre 2005 nach Deutschland. Als Rentner, Blogger, Rezensent undund Autor!
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Harry Popow: AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten. © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, Erscheinungsdatum 18.02.2019, ISBN: 9783748512981, Seiten: 500, Preis: 26,99 Euro.
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Über den Autor: Geboren 1936 in Berlin Tegel, erlebte Harry Popow (alias Henry) in seinem Buch „Ausbruch aus der Stille“) noch die letzten Kriegsjahre und Tage. Ab 1953 war er Berglehrling im Zwickauer Steinkohlenrevier. Eigentlich wollte er Geologe werden, und so begann Harry Popow ab September 1954 eine Arbeit als Kollektor in der Außenstelle der Staatlichen Geologischen Kommission der DDR in Schwerin. Unter dem Versprechen, Militärgeologie studieren zu können, warb man ihn für eine Offizierslaufbahn in der KVP/NVA. Doch mit Geologie hatte das alles nur bedingt zu tun… In den bewaffneten Kräften diente er zunächst als Ausbilder und danach 22 Jahre als Reporter und Redakteur in der Wochenzeitung „Volksarmee“. Den Titel Diplomjournalist erwarb der junge Offizier im fünfjährigen Fernstudium an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Nach Beendigung der fast 32-jährigen Dienstzeit arbeitete er bis Ende 1991 als Journalist und Berater im Fernsehen der DDR. Von 1996 bis 2005 lebte der Autor mit seiner Frau in Schweden. Beide kehrten 2005 nach Deutschland zurück. Sie sind seit 1961 sehr glücklich verheiratet und haben drei Kinder, zwei Enkel und zwei Enkelinnen.
Frühere Artikel von Harry Popow
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