Frank Burkhard
Jenau so seh’ ick aus!
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Harry Kupfer, Zwerenz, Kohlhaase und ein Akt für Peter Hacks: Werke der Bildhauerin Christiane Rößler im Rathaus Berlin-Mitte zu sehen.
Das Rathaus Berlin-Mitte ist nicht ganz dicht. Weil es vor einigen Tagen auch innen regnete, wurde die Ausstellung »Begegnungen 2009–2019« mit Bronzeporträts von Christiane Rößler kurzfristig innerhalb des Hauses von der Berolina-Galerie ins Foyer des nach Robert Havemann benannten Saals der BVV verlegt. Vor knapp vier Jahren stellte die Bildhauerin einige ihrer Arbeiten in der jW-Ladengalerie vor. Dort überzeugte sich Jurist Hermann Klenner, ehemaliger Honorarprofessor der Berliner Humboldt-Universität, von der Qualität der Arbeiten Rößlers und saß ihr dann gern Modell. Er blieb durchaus nicht der einzige. 22 Bronzeköpfe wurden am Freitag nachmittag im Rathaus feierlich enthüllt, und viele der Porträtierten waren gekommen. Nicht etwa, um das Ergebnis der Sitzungen kennenzulernen, das hatten sie schon »abgenommen«, sondern um die Werke im feierlichen Rahmen gebührend zu würdigen. Fotos der Plastiken und der Porträtierten sind Teil der Ausstellung. Der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), sollte die Begrüßungsrede halten, war aber verhindert. Oder scheute er Pressefotos mit so vielen Nationalpreisträgern der DDR?
Rößler, die in der Nachbarschaft des Rathauses aufgewachsen ist, und ihr kleiner Sohn Heinrich Krauter am Klavier boten zur Vernissage eine kleine Performance, einfühlsam unterstützt von der Dichterin Gisela Steineckert und der Schauspielerin Renate Richter. Diese las unter starkem Beifall die deutsche Übersetzung eines Gedichts des porträtierten syrischen Emigranten Jemal Ell Alli (aus Damaskus hat es ihn ins Sauerland verschlagen) sowie Volker Brauns Gedicht »Das Eigentum« über den Wechsel von einem ins andere Deutschland mit dem hellsichtigen Satz »Krieg den Hütten, Friede den Palästen«.
Zu den eindrucksvollsten Büsten gehören die des Schriftstellers Gerhard Zwerenz, kurz vor seinem Tod entstanden, und die des Komponisten Siegfried Matthus, der leider nicht gekommen war. Dafür war Moritz Mebel dabei, in jungen Jahren Kämpfer in der Roten Armee und nach dem Medizinstudium einer der international führenden Ärzte aus der DDR.
Schriftsteller und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, der viele Defa-Filme und bis in jüngste Zeit erfolgreiche Szenarien schrieb, erzählte jW, dass er für seinen Kopf mehrmals nach dem Sport Modell gesessen habe, wodurch sein vielleicht etwas zu angestrengter Blick zu erklären wäre. Er hielt das Porträt des Choreographen Tom Schilling für besonders gelungen. Schilling wiederum lobte die Feinheiten, mit der Rößler ihre Gesichter ausstattete, die ihnen individuellen Ausdruck und Tiefe verleihe.
Die ungarische Tänzerin und Choreographin Emöke Pöstenyi sah das zwar ebenso, war aber leicht enttäuscht, dass ihre Altersspuren unübersehbar waren. Dabei machen gerade die Zeugnisse des gelebten Lebens die Köpfe der porträtierten Künstler und Wissenschaftler so aufregend, etwa den von Opernregisseur Harry Kupfer, der ebenfalls zugegen war.
Als Rößler vor rund 15 Jahren mit der Anfertigung von Bronzeplastiken großer Künstler begann, kam ihr im Falle von Peter Hacks der Tod zuvor. In Erinnerung an ihn hat sie eine Skulptur geschaffen, in deren Zentrum ein lebensgroßer, jugendlicher weiblicher Akt steht. Eine Berliner Ausstellungsbesucherin im Rentenalter erklärte ihren Gefährtinnen: »Jenau so seh’ ick aus! Schade, det ick dit nich’ würklich war!«
So gibt es in dieser Ausstellung für jedermann Entdeckungen zu machen.
»Christiane Rößler, Begegnungen 2009 – 2019: 22 plastische Portraits und eine Figur«,
noch bis 24.10.2020, Montag bis Freitag, 9 bis 18 Uhr, Rathaus Berlin-Mitte, Karl-Marx-Allee 31
Dieser Artikel erschien vor ein paar Tagen in Junge Welt. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Bilder, Videos und Bildunterschriften wurden von der Redaktion AmericanRebel hinzugefügt.
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