Nico Diener
Wenn Engel kochen
„Engel in den Straßen“ – Obdachlosenhilfe Hamburg
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Wenn Engel kochen, dann sieht es so aus wie in dieser winzigen Küche im 4. Stock eines Mietshauses in Hamburg-Hamm. Dort wohnt Susanne Fiebig, die dem aufmerksamen Leser/innen von American Rebel schon durch ihre Kurztexte wie »Während ich lebe«, »Ich möchte«, »Aus dem Alltag«, und »Mir ist kalt« bekannt ist.
Von Beruf ist Susi, wie sie alle nennen, dass was man eine „Küchenfrau“ nennt. In einer Grundschule versorgt die 38-Jährige jeden Tag 300 Kinder mit Mittagessen. Viele Kinder kennen nur den Geschmack von Fast Food, Mikrowellen-Essen und Geschmacksverstärker, erzählt sie. Aber mit viel Geduld und lieben Worten schafft sie es, dass irgendwann jedes Kind auch grüne Karotten, Blumenkohl, grüne Bohnen oder Currysoße probiert.
Alle vier Wochen, immer Sonntags, kocht Susi für Hamburger Obdachlose. Ina und ich von der Redaktion American Rebel durften bei der Lieferung und Verteilung, am Septembersonntag dabei sein.
Ein warmes Essen, zu mindestens einmal am Tag, ist für die meisten Menschen in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Für die obdachlosen Menschen, auf den Straßen von Hamburg, die täglich ihr Leben bewältigen müssen, ist es eine Seltenheit. Eine warme Mahlzeit wird hier zu einem kostbares Geschenk. Um dieses Geschenk möglichst oft geben zu können, unterstützte Susi die Gründung der Obdachlosenhilfe „Engel in den Straßen„. Sie selber kocht seit drei Jahren in ihrer Freizeit für die Ärmsten der Armen.
Angefangen hat Susi mit einem alten Bundeswehrtopf. Doch durch die Unterstützung ihres Arbeitgebers, einer Catering-Firma, und der Schule an der sie hauptberuflich kocht, konnte sie schon bald die Menge der Essen verdreifachen. Die „Engel“ schafften Hartschaum-Boxen, Gastronomiebehälter, Kellen, Teller und Kannen an. Dazu kamen Tische und Sitzmöglichkeiten, sowie die unübersehbaren „Warnwesten“, die zum Erkennungszeichen der Engel geworden sind.
Als wir am Sonntag gegen 11:00 Uhr bei Susi ankamen, standen schon Kisten, Flaschen und viele Taschen mit Kleidung auf dem Bürgersteig vor ihrer Tür. Zwei Mädchen aus der Nachbarschaft aus dem 4. Stock hatten alles aus dem Keller geschleppt und zum Einladen positioniert. Susi selber brutzelte noch die letzten Bratwürste und gab Anweisung. Ein zweites Auto mit einer Helferin kam noch hinzu und wir stopften ihren Kleinwagen mit den Taschen voller gespendeter Kleidungsstücke voll. So dass wir wenig später aufbrechen konnten.
Los ging es Quer durch die Stadt zum Millerntor-Stadion, also unmittelbar am Kiez von St. Pauli. Dort befindet sich das Einkaufszentrum „Rindermarkthalle“ mit einer riesigen Parkgarage. Die ersten „Engel“ waren schon angekommen und bauten ihre Stände mit Klamotten, Schuhe, Getränke, Rucksäcke, Hygieneartikel und Schlafsäcke auf. Wir parkten an einer Wand und im Nu waren viele Helfer da, die Tische und Bänke aufbauten, unser Auto mit entluden und in kürzester Zeit einen Tresen für all das leckere Essen aufbauten, das Susi gekocht hatte.
Schnell bildete sich am linken Ende des Tisches eine Schlange von Obdachlosen die geduldig auf den Beginn der Essensausgabe warteten. Ein älterer Mann mit einem langen Bart, einem faltigen Gesicht und dicken schweren Wanderstiefeln kam auf mich zu, reichte mir die Hand und sagte das er sich sehr freut das wir wieder da sind. Er immer auf den Sonntag wartet, an dem „Susis Restaurant“ geöffnet hat. Und das es gut ist das es uns gibt, weil sich sonst niemand um ihn kümmert.
Die Situation war neu für mich. Natürlich wusste ich von Obdachlosen und davon das es überall auf der Welt Menschen gibt die praktisch und in Eigeninitiative helfen. Doch dabei zu sein, zu sehen wie dankbar diese Menschen sind, die nur das bekommen was wir selber täglich haben und als Selbstverständlichkeit empfinden, dass ist schon etwas anderes. Aber es kam in mir auch der Zorn auf, zu sehen unter welcher Erniedrigung diese vielen Menschen an einem Sonntag an so einem Platz „pilgern“ an dem sie etwas menschliche Wärme bekommen, Gleichgesinnte treffen und mit Menschen sprechen können die sie so akzeptieren wie sie sind und ihnen Achtung entgegen bringen.
Wir sollten mit unserem Zorn auf diese Verhältnisse und deren Ursachen nicht sparen. Wenn Menschen für eine warme Mahlzeit in Kauf nehmen, diese in den Ausscheidungen von Vögeln zu sich zunehmen, läuft hier etwas absolut falsch. Schaut man das Bild „Essensausgabe“, da sieht man einen Mann, mit roter Weste und schwarzem Rucksack, der im stehen sein Essen zu sich nimmt. Im stehen ein paar Minuten Wärme spüren und den Hunger bekämpfen. Auf dem Bild „Taubenschiss“ sieht man dann die Stelle wo er stand – eine Ecke im Parkhaus des Konsumtempels „Rindermarkthalle“ überseht mit Traubenschiss.
Obdachlose gibt es in jeder größeren Stadt. Jeder dieser Menschen hat seine eigene Geschichte und die Stadtverwaltungen und der Staat haben anscheinend eigentlich kein Interesse daran, jeden einzelnen zu helfen. Diese Menschen sollen funktionieren so wie der Rest der Menschen. Darum zielt jegliche kommunale- und staatliche Hilfe nur darauf ab, diese Menschen vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Die Art „Hilfe“ soll diese Menschen nur von der Straße holen und nicht auf die Menschen selber, ihrer Biografie, eingehen. Die meisten der Obdachlosen haben längst mit der staatlichen Bevormundung und mit den Erniedrigungen und Demütigungen bei Jobcentern und Sozialämtern Schluss gemacht und haben sich für ein Leben auf der Straße entschieden. Viele von Ihnen sind mehrfach sanktioniert und erhalten keinen Cent vom Staat. Die „Engel in den Straßen“ und Susi wollen diese Menschen nicht verstecken, sondern helfen und zeigen das es sie gibt. Essen, Kleidung, Schlafsäcke, Hygieneartikel sind ein Teil dieser Hilfe. So wie das zuhören, wenn diese Menschen reden. Sie nicht weg stoßen, wenn sie einfach nur Teil dieser Gesellschaft sein möchten.
Er ist allerhöchste Zeit das wir zusammen mit den Obdachlosen, mit den Erwerbslosen und allen die nichts anderes besitzen als ihre Arbeitskraft, den Herrschenden und ihren Marionetten in den Parlamenten kräftig auf die Füße treten! Wenn für Rüstung und die finanzielle Rettung von Banken Milliarden Euro vorhanden sind, wird es doch wohl möglich sein die Obdachlosigkeit in diesem Deutschland ein für alle Mal ab zu schaffen.
»In Erwägung, dass wir hungrig bleiben wenn wir dulden, dass ihr uns bestehlt
wollen wir mal feststell’n, dass nur Fensterscheiben uns vom guten Brote trennen, das uns fehlt!«
(aus Resulution der Kommunarden, Brecht/Eisler 1935)
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»Man müsste nur die Wahrheit drucken – Man müsste aufhör’n, sich zu ducken«,
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