Fiete Jensen
Die Lehren des Hamburger Aufstandes
In diesen Tagen jährt sich zum 95. Mal der Jahrestag des Hamburger Aufstandes. Am 23. Oktober 1923 brach in den Morgenstunden in einigen Hamburger Vororten der revolutionäre Sturm gegen die Bourgeoisie los. Ab 5 Uhr stürmten Kommunisten und revolutionäre Arbeiter 26 Polizeiwachen. Die Kampftrupps waren fast alle unbewaffnet. 17 Besatzungen werden überrumpelt und entwaffnet. Die Polizeibeamten waren überrascht und ergaben sich, zu meist, kampflos. Die Arbeiter bewaffneten sich, sperrten die Polizisten in die Arrestzellen und besetzten die Wachen und die umliegenden Straßen. Die Bevölkerung errichtet Barrikaden – so fand der Hamburger Aufstand seinen Anfang.
„Jubiläen sind für die Kommunisten und den klassenbewussten Teil des Proletariats nicht leere Gedenktage, sondern Richtlinien für den Klassenkampf, Leitfäden für die Aktion.“ sagte Ernst Thälmann, der spätere Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands, 1925.
Ernst Thälmann, der wenige Tage später nach dem Hamburger Aufstand, am 30. Oktober 1925, zum Vorsitzenden der KPD gewählt wurde, war selbst Teilnehmer und Organisator des Aufstandes. Zum Ablauf und der Bedeutung des Aufstandes verfasste er mehrere Aufsätze, hielt Reden und leitete Gedenkveranstaltungen im Jahr 1925. Aus dieser Zeit und aus dem Jahr 1927 stammen die nachfolgenden aufschlussreichen Texte von Thälmann.
Den Aufsatz »Die Lehren des Hamburger Aufstandes« verfasste Thälmann 1925. Er erschien auf der Titelseite der »Die Rote Fahne«, dem Zentralorgan der KPD.
Der zweite Aufsatz von Ernst Thälmann stammt von der Titelseite der Hamburger Volkszeitung, Ausgabe vom Sonnabend 22. Oktober 1927. Die Hamburger Volkszeitung war das Organ der KPD für den Bezirk Wasserkante. Interessant macht diesen Aufsatz schon allein die Tatsache, dass er nicht in dem 1955 im Dietz Verlag erschienenen »Reden und Aufsätze – Zur Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung, Band 1« (Juni 1919 bis November 1928), zu finden ist.
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Thälmann: Die Lehren des Hamburger Aufstandes
Heute vor zwei Jahren, am 23. Oktober 1923, stieg Hamburg auf die Barrikaden. Getrieben vom Elend der Inflationszeit, gedrängt von der unerhörten Not der werktätigen Massen, getragen vom Geiste des Bolschewismus griff der beste, revolutionärste Teil der Hamburger Arbeiterschaft zum Gewehr und nahm den Kampf gegen die kapitalistischen Unterdrücker auf.
In der Frühe, Punkt 5 Uhr wurden bald in allen Hamburger Außenbezirken die Polizeiwachen von revolutionären Kampftrupps überfallen und die Polizeibeamten sämtlich entwaffnet. Alle Vorräte an Waffen und Munition aus den sechsundzwanzig überrumpelten Polizeiwachen nahmen die revolutionären Kampftrupps mit sich. Als das Polizeipräsidium seine Überfallkommandos und die von außerhalb bereits herangeholten Verstärkungen entsandte, waren die Kampfbezirke in bewaffnete Festungen verwandelt. Hunderte von Arbeitern und Arbeiterfrauen bauten in den Straßen Barrikaden. Unsterblich bleibt der Ruhm des roten Barmbeck. Die Polizeitruppen marschierten in ganzen Kompanien und Bataillonen an, aber sie mußten immer wieder unverrichteter Sache umkehren, da ihre Verluste bei jedem Sturmangriff größer wurden. Die Barmbecker Arbeiter hatten Bäume gefällt, das Straßenpflaster aufgerissen, aus Baumstämmen, Steinen und Sand die Straßenzugänge verbarrikadiert. Hinter dieser Schutzwehr kämpften sie wie Tiger.
Die ersten Kampftrupps waren beim Handstreich auf die Polizeiwachen unbewaffnet. Sie holten sich die Gewehre und die Munition erst von der Polizei. 300 Mann standen im Schnell- und Trommelfeuer von 6000 Söldnern der Polizei, der Reichswehr und der Marine. Sie standen drei Tage und drei Nächte. Sie griffen an, sie fielen, sie wichen zurück, aber sie ergaben sich nicht. Sie retteten die Ehre der Kommunistischen Partei Deutschlands. Sie waren die Preisfechter der deutschen Arbeiterklasse.
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Was waren die Ursachen des Hamburger Kampfes?
War es nur die Agitation der Kommunisten, waren es die Beschlüsse illegaler Geheimorgane, wie die bürgerlichen Gerichte behaupten? Nein! Die Ursachen liegen tiefer. Der Aufstand entsprang weder dem blinden Zufall noch dem freien Willen von ein paar Verschwörern. Der Hamburger Aufstand entsprang der revolutionären Situation vom Herbst 1923.
Der Herbst 1923 brachte die tiefste, ganz Deutschland umfassende, alle Schichten und Klassen der Bevölkerung ergreifende Krise der Bourgeoisie. Der Ententeimperialismus hatte seine Zerstörungsarbeit vollendet. Der zehn Monate lange Ruhrkrieg war für die deutsche Bourgeoisie verloren. Die Markwährung, die beim Regierungsantritt des Reichskanzlers Cuno auf 8000 stand, stieg auf 4,5 und 6 Billionen. Die Arbeiter konnten für ihre Löhne nichts mehr kaufen. Sogar „die treuesten Diener des Staates“, die Beamten, begannen zu rebellieren. Die Mittelschichten waren ruiniert. Das Gespenst des Hungers schritt durch Deutschland. Machtlos standen die Regierungen der Bourgeoisie dem Zerfall gegenüber. (…)
Bereits im Frühjahr 1923 begannen riesenhafte Streikbewegungen im Ruhrgebiet und in Oberschlesien. Neue Wellen des Klassenkampfes rollten in ganz Deutschland heran. Die Arbeiter kämpften noch nicht um die Macht, sondern nur um die dringendsten Tagesforderungen, um die Beseitigung der brennendsten Not. Der Kampf vollzog sich noch vorwiegend in „friedlichen“ Formen. Während die rechten Sozialdemokraten, die Sollmann und Severing, bereits im Bunde mit den Reichswehrgeneralen und den Polizeipräsidenten zur blutigen Niederschlagung des Proletariats rüsteten, setzten die „linken“ Sozialdemokraten alles daran, die Arbeiterschaft wehrlos zu machen, sie am Machtkampf zu hindern, sie mit Phrasen abzuspeisen, sie auf die „friedlichen“, parlamentarischen Kampfformen der Vorkriegszeit zurückzudrängen. Aber die Logik von fünf Revolutionsjahren war stärker als die Schurkerei der rechten und die Feigheit der linken sozialdemokratischen Führer.
Diesem Augenblick näherten wir uns im Oktober 1923 mit unheimlicher Schnelligkeit. Eine unmittelbar revolutionäre Situation war vorhanden. Alle Bedingungen für den Sieg der Arbeiterklasse waren da, außer einer einzigen: dem Bestehen einer klaren, eisern zusammengeschlossenen, unauflöslich mit den breitesten Massen verbundenen kommunistischen Partei, die entschlossen und fähig war, den spontanen Kampf der Arbeitermassen zu organisieren, ihn zu leiten.
Die unsere Partei versagte in der entscheidenden Stunde. Der Eintritt führender Kommunisten gemeinsam mit den linken Sozialdemokraten in die sächsische Regierung war nur dann richtig, wenn dieser Schritt einem einzigen Ziel diente: der Organisierung der Revolution, der Bewegung der Massen, der Aufnahme des Kampfes in ganz Deutschland. Gerade dieses Ziel verlor die damalige Leitung unserer Partei aus den Augen. Unsere Führer benutzten ihre Stellung in der sächsischen Regierung nicht zur Entfesselung, sondern zur Vermeidung des Kampfes. Koalitionspolitik war es nicht, daß sie in die sächsische Regierung eintraten, sondern daß sie sich in dieser Regierung übertölpeln und führen ließen, anstatt die Arbeitermassen in den Kampf gegen die Reichsregierung zu führen. Sie vergaßen, daß die Bewegung „in eine höhere Kampfform“ übergehen mußte. Sie beschränkten sie auf den „engen Rahmen“, ja sie versuchten sogar, den engen Rahmen der wirtschaftlichen und politischen Teilkämpfe noch „enger“ zu spannen. Sie gaben den Auftrag, bestehende Streikbewegungen abzubrechen, da „der entscheidende Kampf bevorstehe“. Unsere Partei als Ganzes war noch viel zu unreif, um diese Fehler der Führung zu verhindern. So scheiterte im Herbst 1923 die Revolution am Fehlen einer ihrer wichtigsten Voraussetzungen: dem Bestehen einer bolschewistischen Partei.
HAMBURG bestätigte in größtem Maßstabe die Leninsche Lehre, „daß die Bewegung mit elementarer, unwiderstehlicher Gewalt diesen engen Rahmen durchbricht und eine höhere Kampfform, den Aufstand, gebiert“. Der Hamburger Aufstand bildete, wie es in den Thesen der Januar-Exekutive von 1924 heißt, den „Gegenpol zu Sachsen“.
Diejenigen, die in der Geschichte unserer ganzen Partei bis Frankfurt nur Unfähigkeit, Verrat und Opportunismus erblicken, vergessen die gewaltige Lehre des Hamburger Kampfes. Sie vergessen, daß die tiefen Mitgliedermassen unserer Partei keineswegs in passiver Ohnmacht dahindämmerten, sondern daß sie zur Einsetzung ihres Lebens für die Erkämpfung der Macht entschlossen waren. Und die Hamburger Arbeiter können mit größerem Recht als alle anderen sagen: Es waren nicht nur die Hamburger, sondern auch die Berliner, die sächsischen und alle anderen kommunistischen Arbeiter in Deutschland, die zum Kampfe bereit waren.
Die Wasserkante hatte die gleiche Entwicklung durchgemacht wie das ganze übrige Deutschland. Eine Welle von Streiks und Lohnkämpfen jagte durch das ganze Küstengebiet. Am 20. Oktober fanden in Hamburg mächtige Arbeitslosendemonstrationen statt. In verschiedenen Stadtteilen kam es zur Plünderung von Lebensmittelgeschäften und zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei. Die Bannmeile wurde seit Jahren zum erstenmal mit Gewalt durchbrochen….
Hamburg wurde geschlagen. Die Barrikadenkämpfer wurden niedergeworfen. Zwar wurden nur wenige getötet, der beste Teil wurde gefangen, verfolgt und zersprengt. Noch heute sitzen sie in den Zuchthäusern und Festungen. Sie gaben durch ihre heldenmütige Verteidigung in den Hamburger Hochverratsprozessen ein Musterbeispiel dafür, wie Kommunisten vor den bürgerlichen Klassengerichten auftreten sollen.
Die proletarische Revolution hat mehr als eine blutige Niederlage ertragen. Sie ist niemals daran verblutet. Sie ist stärker, stolzer, entschlossener weitergeschritten. Die Pariser Kommune wurde niedergetreten. Die russische Revolution von 1905 endete an den Galgen des Zaren, in den Kerkern, in Sibirien. Und sie erwachte trotzdem aufs neue! Auch Hamburg ist nicht tot, sondern Hamburg ist unbesieglich. Neue Aufstände des Proletariats, neue Siege der Konterrevolution sind dem deutschen Oktober gefolgt. In Polen, in Estland, in Bulgarien standen die Arbeiter auf und wurden geschlagen. Und dennoch werden sie siegen!
Die Aufstände des Proletariats sind Etappen auf dem Siegeszuge der Revolution nicht nur durch ihre unmittelbaren positiven Resultate, sondern vor allem infolge der großen Lehren, die sie der ganzen Arbeiterklasse einhämmern.
Die größte und wertvollste Lehre des Hamburger Aufstandes ist die großartige Erfüllung der Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution. Die Kommunisten waren nicht in Worten, sondern in der Tat der Vortrupp, die Führung, der Wegweiser der Arbeiterklasse. Sie gaben der Bewegung ein klar umrissenes Ziel, ein genau formuliertes Programm: die Diktatur des Proletariats. In dieser Beziehung steht der Hamburger Kampf auf einer weit höheren Stufe als alle früheren Bewegungen. Die Märzaktion von 1921 z.B. hält keinen Vergleich mit dem Hamburger Aufstand aus. Nur weil die Partei die Führung des Kampfes fest in den Händen hatte, wurde von den Hamburger Revolutionären zum ersten Male in Westeuropa die Marx-Engelssche Lehre begriffen und verwirklicht, daß „der Aufstand eine Kunst und daß die größte Hauptregel dieser Kunst die mit verwegener Kühnheit und größter Entschlossenheit geführte Offensive ist.
Bilder hinzugefügt durch die Redaktion AmericanRebel
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Vorwärts im Geiste des Oktober 1923!
Seht nach Sowjetrussland!
Am 23. Oktober 1923 stand der revolutionäre Vortrupp der Hamburger Arbeiterschaft auf den Barrikaden. In heldenmütigem Kampf, getragen vom Geiste des Bolschewismus, durchdrungen vom Willen zum siegreichen Kampf gegen die kapitalistischen Unterdrücker, hielt er einer ungeheuren militärischen Übermacht stand. Polizeitruppen und Militär marschierten in den Straßen Hamburgs auf. Ihr Ansturm aber zerschellte an den von den revolutionären Arbeitern heldenmütig verteidigten Barrikaden. Es war nicht die militärische Übermacht, es war nicht der sozialdemokratische Verrat, der die Hamburger Oktoberkämpfe auf die Knie zwang, aus eigenem Entschluss, aus der Erkenntnis, dass der revolutionäre Kampf gegen die Unterdrücker nur um Reichsmaßstabe hätte erfolgreich zu Ende geführt werden können, wurde der Kampf, ohne große Opfer auf seinem Höhepunkte a b g e b r o c h e n.
„Besiegt“, aber nicht geschlagen, räumten die Oktoberkämpfer die Barrikaden. So gaben die Hamburger revolutionären Arbeiter dem Proletariat Deutschlands ein Musterbeispiel für den revolutionären Heldenmut und die militärische Strategie des bewaffneten Aufstandes. Die Hamburger Oktoberkämpfe, isoliert von der proletarischen Bewegung im Reiche und die sächsischen Erfahrungen sind und bleiben Marksteine in der Entwicklung der Kommunistischen Partei Deutschlands. Die Ereignisse des Jahres 1923, Hamburg einerseits und Thüringen andererseits, sind nicht nur geschichtliche Erinnerungen, sondern auch unvergessliche Lehren für die Gesamtpartei.
Trotzdem wirkte die allgemeine schwere Niederlage und die sich aus ihr ergebende Depression in der Arbeiterschaft weiter. Der Bourgeoisie gelang es infolge der nicht genügenden Widerstandskraft der Arbeiterklasse, jene kapitalistischen Rationalisierungspläne erfolgreich in Angriff zunehmen und durchzuführen.
Mit der wirtschaftlichen Offensive des Unternehmertums marschierte unaufhaltsam die Reaktion vorwärts. Innerhalb der faschistischen Verbände erfolgte eine Umgruppierung und eine politische Neuorientierung der Kräfte in der kapitalistischen Republik. Nun nutzte die Bourgeoisie die ihr durch die Oktoberniederlage gegebene „Atempause“ zur rücksichtslosen Verstärkung ihrer politischen und wirtschaftlichen Machtpositionen aus. Die Kommunistische Partei machte in dieser Zeit eine schwere Niederlage durch. Ihre mangelhafte Fähigkeit, in der Zeit der Depression an die Arbeiterschaft heranzukommen, sie zu mobilisieren und zu aktivisieren, führte zu einer I s o l i e r u n g von der Arbeiterschaft!
Die rückläufige revolutionäre Bewegung verstärkte das Schwächegefühl selbst in Teilen der Partei, führte zu sektiererischen Abirrungen und zum Unglauben an die Kraft des Proletariats bei einem Teil der Führung.
Nur unter schwerem, innerem Kampf und mit aktiver Unterstützung der Kommunistischen Internationale gelang es der Partei, das Steuer herumzureißen auf eine Politik der Massengewinnung und der Massenführung und mit dem Geist des Sektierertums zu brechen.
So gelang es, das verloren gegangene Vertrauen der Arbeiterschaft durch geduldige, mühselige Tagesarbeit in engster Verbindung mit verstärkter Propaganda für unsere Endlosungen wieder zu erobern und damit die Klassenbasis der Partei wieder zu verbreitern und zu festigen.
Die von Millionen von von Werktätigen getragene „Bewegung für die Enteignung der Fürsten“ unter der Führung der KPD war nicht nur der erste große Schritt der Partei zur konkreten Durchführung der Einheitsfronttaktik, sie war auch das erste Anzeichen für die wieder aufsteigende Kraft des Proletariats. Aber noch sehr gering war die Widerstandskraft der Arbeiterschaft gegen die wirtschaftliche Offensive der Kapitalisten. Schwer lastete auf den Arbeitern die Krise der kapitalistischen Wirtschaft. Der Hamburger Hafenarbeiterstreik von 1926 ist noch eine vereinzelte Erscheinung. Inzwischen aber hat der Radikalisierungsprozess in der Arbeiterschaft in Deutschland und in vielen anderen kapitalistischen Ländern große Fortschritte gemacht. Der trotz des Verbots der kommunistischen Demonstration durchgeführte Gegenaufmarsch gegen den Bismarck-Rummel in Hamburg am 31. März diesen Jahres, das Spießrutenlaufen der Faschisten durch die Arbeiterviertel am 8. Mai in Berlin, die Massenbeteiligung am Roten Pfingsttreffen in Berlin, zeigen die wachsende Kampfstimmung der deutschen Arbeiterschaft. Dass auch in der Zeit der relativen Stabilisierung Kämpfe der Arbeiterschaft bis zum bewaffneten Aufstand führen können, dafür sind die Wiener Kämpfe des Juli diesen Jahres ein schlagender Beweis. Die ungeheure Empörung der Arbeiter der ganzen Welt gegen die Ermordung von Saccos und Vanzettis, die in vielen Ländern zu einer Massenmobilisierung gegen die Klassenjustiz im eigenen Lande, gegen die Reaktion, gegen die Kriegsvorbereitungen der Imperialisten führte, steigerte sich in Frankreich zu bewaffneten Kämpfen bis zur Errichtung von Barrikaden in den Straßen von Paris.
Am zweiten Jahrestag des Oktoberaufstandes schrieb ich in einem Artikel, in dem die Lehren des Hamburger Aufstandes behandelt wurden, dass die „Machtergreifung des Proletariats kein einmaliger Akt“ ist und dann weiter: „Die Machtergreifung besteht nicht nur in militärischen Kämpfen gegen die Truppen der Bourgeoisie, sondern sie muss durch Jahre lange, ausdauernde Arbeit der Kommunistischen Partei und des ganzen Proletariats vorbereitet werden. Die kommenden Sieger über die Bourgeoisie müssen durch unzählige Teilkämpfe erzogen, vorbereitet und organisiert werden. Dieses ist unsere Haiptaufgabe in der jetzigen Periode.“
Auch heute noch ist sie es, noch steht vor der Partei eine ungeheure Aufgabe. Ungebrochen ist im Wesentlichen noch die Macht der Sozialdemokratischen Partei in den Gewerkschaften und ihr Einfluss auf einen großen Teil der Arbeiterschaft. Trotz der Arbeitsgemeinschaftspolitik der SPD, ihres schein-oppositionellen „Kampfes gegen den reaktionären Bürgerblock, trotz ihrer Koalitionspolitik mit den äußersten Feinden der deutschen Arbeiterschaft, der schwarz-weiß-roten Deutschen Volkspartei im Hamburger Senat, hat diese Partei bei den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft ihre Stimmen (zwar fast ausschließlich aus bürgerlichen Kreisen) bedeutend steigern können.
Wir müssen unseren Kampf gegen die SPD, die beste Stütze der Bourgeoisie gegen die proletarische Revolution verstärken. Aber Verstärkung dieses Kampfes heißt nichts Anderes als die richtigen Methoden zur Losreißung der sozialdemokratischen Arbeiter von der Partei des Sozialimperialismus finden und durchführen.
Sind die Hamburger Kämpfe einer heldenmütigen Minderheit eine unvergessliche Lehre auf dem Leidensweg der deutschen Arbeiterschaft für ihre Befreiung vom Joche des Kapitals, so ist die siegreiche proletarische Revolution in Russland ein Triumph für die Arbeiter in der ganzen Welt, ein mächtiger Ansporn, die Anstrengungen zu verstärken und das Beispiel der russischen Brüder nachzuahmen.
Ungeheures hat das russische Proletariat nach der Machteroberung geleistet. Nicht der Sturz der Bourgeoisie war die größte Anstrengung, sondern die Verteidigung der proletarischen Revolution gegen eine Welt von Feinden, gegen die von den Imperialisten der ganzen Welt unterstützte Konterrevolution. Ihre Armeen wurden geschlagen und vernichtet. Die Arbeiter gaben ihr Letztes her, sie bluteten nicht nur an den Fronten, sie erduldetden willig Elend, Hunger und Seuchen.
Weniger als 6 Jahre dauerte der Wiederasufbau des zerstörten Landes. Trotz der wirtschaftlichen Einkreisung durch die kapitalistischen Länder ist es in dieser kurzen Zeit gelungen, fast überall die Periode des Wiederaufbaus abzuschließen. Schon ist die neue Periode des Aufbaues der Wirtschaft auf höherer Stufe und der Erweiterung des Produktionsapparates eingeleitet. Es ist ein Triumph des siegreichen Aufbaues des Sozialismus in der Sowjetunion, dass auf der Jubiläumstagung des Zentral-Exekutivkomitees der allmähliche Übergang zum Sieben-Stundentag proklamiert werden konnte.
Im Gegensatz zur Entwicklung in Russland vollzog sich in Deutschland der Wiederaufbau der kapitalistischen Wirtschaft im Zeichen des Zurückdrängens der revolutionären Arbeiterschaft. Es war ein Aufbau auf den Schultern des Proletariats. Ein Aufbau, dessen Nutznießer nur die Kapitalisten sind.
Sieben-Stundentag in Sowjetrussland, neun- bis zehnstündige und oft noch längere Arbeitszeit in Deutschland.
In der Sowjetunion verbessert sich die Lebenshaltung der Arbeiterschaft in dauernd aufsteigender Linie – in Deutschland hält die Lohnsteigerung längst nicht Schritt mit der Teuerung infolge Zölle, Steuern, Miet- und Kartellwuchers.
Die Arbeiterschaft ist die herrschende Klasse in der Sowjetunion. In der Hindenburg-Republik sind alle Machtorgane in den Händen der Kapitalisten gegen die Arbeiter.
In der Sowjetunion sind die Gewerkschaften selbst Teilhaber der politischen Macht – in Deutschland wird das Streikrecht vernichtet.
In Sowjetrussland sind Rote Armee, Polizei, Justiz, Instrumente in den Händen der Arbeiterklasse und armen Bauernschaft gegen die Feinde der Revolution – in Deutschland stehen Reichswehr und Polizei unter der Führung monarchistischer Offiziere gegen die Arbeiterschaft, wütet eine brutale Klassenjustiz zur Niederhaltung des Proletariats.
In der Sowjetunion ist die Macht der Kultur feindlichen Kirche gebrochen – in Deutschland wird die Schule den Pfaffen ausgeliefert.
Die Kapitalisten der ganzen Welt wissen, dass diese Entwicklung des sozialistischen Aufbaues eine Bedrohung ihrer Macht darstellt, deshalb treffen sie Vorbereitungen zu einem Kriege gegen die Sowjetunion. Die sozialistische Revolution, das proletarische Vaterland soll niedergeschlagen werden, damit das Ausbeuterregime leben kann. Wir müssen dieser kapitalistischen Kriegsfront, in die sich der neu-deutsche Imperialismus immer eindeutiger einreiht, die revolutionäre Front aller Ausgebeuteten entgegenstellen.
Wir wissen, dass wir in der Sowjetunion das Vaterland der Proletarier der ganzen Welt zu verteidigen haben. Aber die Formierung der revolutionären Kampfesfront gegen den Imperialismus, gegen den Bürgerblock ist nur möglich, wenn wir in unermüdlicher, hartnäckiger Tagesarbeit uns als Führer der Arbeiterschaft in allen Tagesfragen – und Kämpfen bewähren.
Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir als die einzige revolutionäre Arbeiterpartei das Vertrauen auch d e r Arbeiter gewinnen, die heute noch im Lager des Feindes der Revolution stehen.
Führen wir diese Arbeit durch, dann werden wir die Kraft der deutschen Kapitalisten und ihrer Lakaien brechen, dann wird bei einem revolutionären Aufstieg die Partei ihrer historischen Aufgabe, Sturz des Kapitalismus und der Errichtung der Diktatur des Proletariats – besser als im Oktober 1923, im Geiste der heldenhaften Hamburger Oktoberkämpfer – gerecht werden.
Ernst Thälmann
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