F.-B. Habel

Unverschämte Gängelung

Der deutsche Nachwuchsfilm hat es im Fördersystem schwer,
zeigte eine Diskussion im BFFV

F.-B. Habel

„Das System ist krank!!!“ stellte Jutta Brückner, Regisseurin, Filmprofessorin und aktives Mitglied der Akademie der Künste fest. Sie war kurz vor Pfingsten der Einladung des Berliner Film- und Fernsehverbandes (BFFV) ins Karl-Liebknecht-Haus gefolgt, wo über die Situation deutscher Nachwuchsfilmemacher debattiert wurde. Der von Filmleuten der DDR 1990 gegründete Verband, dem Mitglieder fast aller Filmgewerke angehören, von denen einige, darunter Kameramann Peter Badel, Schnittmeisterin Monika Schindler und Fernsehjournalist Axel Kaspar an der Debatte teilnahmen, hat sich seit Bestehen immer wieder Themen wie dem Kinderfilm oder eben der Situation von Jungfilmern angenommen.

Der BFFV-Vorsitzende, Regisseur Torsten Lüders, zitierte eingangs Doris Dörrie, die in einem Interview die Situation skizziert hatte: „Entmutigung, und zwar gar nicht so sehr mit dem ersten Film – das ist großartig, da gibt es hier das Festival, da gibt es auch Förderung, da gibt es jede Menge eigentlich –, aber der zweite und dritte Film, das ist so der Knackpunkt, und da verschwinden viele tolle Filmemacher, die einen wirklich interessanten, tollen Film gemacht haben. Warum?“

Akademie der Künste in Berlin. Bild: YouTube

Die Leiterin der Perspektive-Sektion der Berlinale, Linda Söffker, sah das Dilemma ähnlich. „Die jeweils ersten Filme entstehen im Schutzraum der Hochschulen. Hier kann die Technik der Ausbildungsstätten billig genutzt werden.“ Danach wird es teurer.

Zwei Filmemacher, deren erste Filme Aufsehen erregten, berichteten von ihren Erfahrungen. Der Regisseur Dirk Lütter, dessen Spielfilmdebüt „Die Ausbildung“ 2012 auf der Berlinale ausgezeichnet wurde, verdingt sich seither zum Broterwerb als Kameramann, weil sein neuer Stoff von den Gremien nicht gefördert wurde. Leopold Grün, der 2007 mit seiner Dean-Reed-Biografie „DER ROTE ELVIS“ viel Aufmerksamkeit erregte und für den Dokumentarfilm „Am Ende der Milchstraße“ 2014 immerhin den Bayerischen Filmpreis erhielt, macht derzeit keine Filme mehr und ist als Geschäftsführer zum Branchenverband AG Verleih gewechselt, der das mangelhafte Zusammenspiel von Filmförderung, Produktion, Fernsehen und letztlich Verleih ebenfalls beklagt.

Florian Kunerts Film „Fortschritt im Tal der Ahnungslosen“ über das Verhältnis ehemaliger DDR-Bürger zu syrischen Flüchtlingen wurde auf der diesjährigen Berlinale und auch in der jW kontrovers diskutiert – bietet also eine gute Vorlage für Filmgespräche bei den bevorstehenden Wendejubiläen. Doch Kunerts Verhandlungen mit Verleihern blieben stecken, so dass er überlegt, ihn selbst zu verleihen. Damit wäre er nicht der einzige.

Verleihverträge sind besonders für Filme im Projektstadium ganz große Glückssache. Darauf wies der Geschäftsführer des BFFV, der „Golzow“-Produzent Klaus Schmutzer, hin und beklagte: „Regionale Förderer spielen sich auf und setzen vor die Förderung den Verleihvertrag und einen Fernsehpartner.“ Auch andere Teilnehmer der Debatte bemängelten den oft „unverschämten“ Einfluss von TV-Redaktionen, was für die individuelle Filmästhetik verheerende Gängelung bedeute.

Am Schluss konstatierte Jutta Brückner, sie habe in den letzten 35 Jahren oft in ähnlichen Runden mit den gleichen Problemen gesessen, und doch sei es wichtig, sich mit dem Themenfeld gedanklich auseinanderzusetzen, um das System zu entstauben und dafür um Bündnispartner zu werben.

(Der Artikel erschien zuerst am 13. Juni 2019 in der Tageszeitung »Junge Welt«. Veröffenlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors)
Bilder, Videos und Bildunterschriften wurden von der Redaktion AmericanRebel hinzugefügt.

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