Heinz Ahlreip – 8. Mai 2022
Zum Ende des Zweiten Weltkrieges vor 77 Jahren
Ich schreibe diese Zeilen am 7. Mai 2022. In der Sowjetunion war es nach 1945 üblich, am 9. Mai mit einer Truppenparade auf dem Roten Platz an den Sieg über den Hitler-Faschismus zu erinnern und diesen zu feiern. Ich widme diesen Text den Politkommissaren der Roten Armee und den Genossen Stalin, der an der Spitze der Bezwinger des Faschismus stand.
Dem Faschismus, diese Krake, die ihre Fangarme bis Nordafrika und bis in den Nahen Osten ausgestreckte und mit U-Booten vor New York operierte, war es im Osten nicht gelungen, die Millionenmetropolen Leningrad, Moskau und vor allem Stalingrad zu knacken. Das war kriegspsychologisch wichtig. In der Metropole Stalingrad, in die die deutschen Truppen eingedrungen waren, sah es zunächst düster aus und Hitler verkündete über den deutschen Rundfunk bereits die Einnahme der Stadt, die so gut wie gelungen sei: ‚Wissen Sie, wir sind ja bescheiden. Eigentlich haben wir die Stadt ja schon, und da fragt man mich natürlich, warum schließen sie denn nicht den Ring um Stalingrad? Weil ich kein zweites Verdun machen will, sondern mit ganz kleinen Stoßtrupps vorgehen werde‘.
Stalingrad bedeutete die Wende im Zweiten Weltkrieg, was sehr Mao Tse tung früh erkannte, der über diese Schlacht einen Artikel für seine Roten Truppen geschrieben hatte. Ohne diese Wende würde es keinen 8. Mai geben, den als Feiertag auch in der imperialistischen BRD mit ihrem zunehmenden faschistischen Gehalt zu fordern, fruchtlos bleiben dürfte. Ohne diese Wende lag eine Siegesfeier der deutschen Faschisten über den Weltkommunismus im Kreml als Krönung der „weltbürgerlichen Verschwörung des Kapitals“ (so die Formulierung von Marx im ‚Bürgerkrieg in Frankreich‘) im Bereich des Möglichen. Dass nur Napoleon, nicht Hitler im Kreml auftauchte, dazu hat der im Dienste Stalins stehende, in Tokio operierende deutsche Spion Dr. Richard Sorge maßgeblich beigetragen, der verschlüsselt nach Moskau funken ließ, dass die japanische Armee definitiv keine Landung auf sowjetrussischem Territorium vorhabe. Die Truppen der russischen Fernostarmee konnten nun gegen die deutsche Wehrmacht geworfen werden, die auf 30 km an Moskau herangekommen war. Diese Seite wird oft unterbelichtet, wenn man den zweiten Weltkrieg verfehlt als einen nur eurozentristischen angeht, wozu man aus seinem eigenen Mittelpunkt heraus leicht verleitet werden kann.
Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung für die ganze Menschheit, so ausgedrückt ist es aber nicht ganz richtig. Richtig überlegt war er ein Tag der Befreiung für die ganze arbeitende Menschheit und ein rabenschwarzer Tag für die kapitalistischen Schmarotzertiere, um einen Ausdruck von Friedrich Engels aus seiner Schrift ‚Über den Ursprung der Familie, des Staates und des Privateigentums‘ zu verwenden und um mich vor einer vorschnellen Zensur zu schützen, die sonst den Ausdruck streichen würde, um nicht anzuecken. Es gibt linke Redaktionen, die mögen diese volksnahe Ausdruckskraft nicht.
Der zweite Weltkrieg ist nicht vom Himmel gefallen, auch nicht aus einem Ungeist entstanden, wie der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und bayrische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm am 8. Mai 2020 zum Besten gab. „Ist es schon schwierig einen Weltkrieg aus einem Geist herzuleiten, so ist es noch weit schwieriger aus einem Ungeist“.
.
Der zweite Weltkrieg hatte eindeutig ökonomische Ursachen
Es war der Bankier Hermann Josef Abs, ab 1955 seines Zeichens Kardinal-Großmeister Nicola Kardinal Canali zum Ritter des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem, der noch vor 1939 der deutschen Wirtschaftselite auf einem Papier mit dem Titel ‚Saldo Clearing‘ vorrechnete, das man durch die Ausbeutung des Sowjetterritoriums und der Sowjetbevölkerung, in dieser Reihenfolge, mehr als nur die Schuldenverluste des ersten Weltkrieges kompensieren könne. Aber die ökonomische Ursachenaufschließung würde uns zu weit führen, ich bin auch nicht der geeignete Mann dafür, aber ich möchte den Kampf zwischen dem faschistischen Deutschland und der sozialistischen Sowjetunion als einen Kampf zwischen Kapital und Arbeit doch in einen größeren historischen Rahmen stellen. Der Marxismus legt Wert darauf, „die Wissenschaft aus der kritischen Erkenntnis der geschichtlichen Bewegung zu schöpfen“.1
Der Hitler-Faschismus war ja doppelt reaktionär, primär gegen die ganze historische sozialistische Weltbewegung aus der Oktoberspringquelle 1917, aber er war auch noch reaktionär gegen 1789, das Jahr der Gleichstellung der Juden in Frankreich. Und schon in dieser bürgerlichen Revolution taucht der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit auf und findet seinen Höhepunkt in der Gleichheitsverschwörung des Agrarkommunisten Gracchus Babeuf. In der bürgerlichen Revolution 1848 steht das Pariser Proletariat im Juni mit der Waffe in der Hand auf und wird blutig-bestialisch niedergeschlagen, Marx schreibt, dass erst die Juni-Insurrektion die Trikolore durch Eintauchen in Arbeiterblut in eine rote Fahne verwandelt habe. Aber 48 war nur ein Vorgeplänkel. „Diese sogenannten Revolutionen von 1848 waren nur kümmerliche Episoden – kleine Brüche und Risse in der harten Kruste der europäischen Gesellschaft. Sie offenbarten jedoch einen Abgrund. Sie enthüllten unter der scheinbar festen Oberfläche Ozeane flüssiger Masse, die nur der Expansion bedarf, um Kontinente aus festem Gestein in Stücke zerbersten zu lassen. Lärmend und verworren verkündeten sie die Emanzipation des Proletariats, d. h. das Geheimnis des 19. Jahrhunderts und der Revolution dieses Jahrhunderts“.2 Und Marx sollte Recht behalten. 23 Jahre später offenbarte die Pariser Kommune, welche Ozeane aus flüssiger Masse den Untergrund Europas durchpeitschten. Es bildete sich 1871 eine Pariser Diktatur des Proletariats heraus. Das war natürlich ein rotes Tuch für die Klassen, die 1789 an die Macht gekommen waren, die Kommune wurde regelrecht niedergemetzelt, eine Schlächterei, die ohne Zweifel präfaschistische Züge trug. Wir müssen zurückgehen zu den Zeiten des Sulla und der beiden römischen Triumvirate. „Dieselbe massenweise Schlächterei bei kaltem Blut; dieselbe Missachtung, beim Morden, von Alter und Geschlecht, dasselbe System, Gefangene zu martern, dieselben Ächtungen, aber diesmal gegen eine ganze Klasse, dieselbe Jagd nach den versteckten Führern … Nur der eine Unterschied ist da, dass die Römer noch keine Mitrailleusen hatten, um die Geächteten schockweise abzutun …“.3 Fürwahr, die Niederschlagung der Kommune enthielt schon eine bestialisch-faschistische Grausamkeit, die bis dahin in der neueren Geschichte ihresgleichen sucht. Wie der Krautjunker Bismarck immer von der Zerstörung der großen Städte träumte und 1871 als preußischer Kriegslenker zufrieden pfeifenrauchend auf das qualmende, erheblich zertrümmerte Paris schaute, so wollte auch Hitler Moskau dem Erdboden gleichmachen und anstatt der Stadt einen großen Teich anlegen.
Aber der Imperialismus, die Epoche des Finanzkapitals, der sich ab 1900 in Europa einhaust, mit seiner politischen Reaktion auf der ganzen Linie, der Zurückdrängung der demokratisch-republikanischen Bourgeoisie, später teilweise selbst Opfer faschistischer Terrorapparate, sollte selbst den weißen Pariser Terror verblassen lassen. Aus der Jagd nach den versteckten Führern wurde der nur mündlich weitergegebene Kommissarbefehl. Politkommissare wurden nicht als Soldaten anerkannt, sondern mussten noch auf dem Gefechtsfeld, wie es hieß, erledigt werden.
Die faschistische Fratze des Imperialismus kam im 20. Jahrhundert natürlich nirgends reiner zum Ausdruck als im Russlandfeldzug der deutschen Wehrmacht. Hitler, der Sulla des 20. Jahrhunderts, hatte vor versammelter Generalität diesen Krieg, den er einen besonderen ideologischen nannte, von allen juristischen Tabus und Skrupel entkoppelt. Der Russe war ein Untermensch. Wir haben es mit der höchsten Stufe krimineller Energie zu tun, mit einer Völkermordkriminalität, obschon zugleich bemerkt werden muss, dass der für kapitalistische Verhältnisse typische millionenfache Ankauf der Ware Arbeitskraft keinen kriminellen Akt darstellt, sondern, wie Engels im Anti-Dühring bemerkt, ein Glück für den Käufer, kein Unrecht gegenüber dem Verkäufer darstellt. Der Entfesselung der ungeheuren kriminellen Energie, die in der Bourgeoisie steckt, erfolgt primär nicht auf der ökonomischen Ebene, sondern auf der politischen, sie ist eben eine gegen die Politkommissare gerichtete.
Was waren die Folgen des antikommunistischen Hasses der bürgerlichen Schmarotzertiere gegen die produktiven, klassenbewussten, von Lenin und Stalin aufgeklärten Arbeiterinnen und Bäuerinnen, Arbeiter und Bauern und der werktätigen Intelligenz? Nun, die Sowjetunion hatte von allen Kriegsparteien die bittersten Lasten zu tragen: 1991 gab Gorbatschow die Zahl der durch den Faschismus umgekommenen Menschen mit 25 Millionen an, der britische Historiker Overy bestätigte in seiner Studie ‚Russian’s War 1941 – 45‘ – ein merkwürdiger Titel, der Krieg wurde doch aufgezwungen – diese Zahlen. Die Rote Armee hatte 6,2 Millionen Gefallene zu beklagen, mehr als 15 Millionen Verwundete, 4,4 Millionen Gefangene oder Vermisste und drei bis vier Millionen Ausfälle wegen Krankheit oder Erfrierungen. Das bedeutet, dass von den 34,5 Millionen mobilisierten Männern und Frauen 84 Prozent getötet, verwundet oder gefangen genommen wurden. Hinzu kamen rund 17 Millionen zivile Opfer.4
Auf den zweiten Weltkrieg arbeiteten die Imperialisten aller Länder zu. Er setzte deren auf Raub ausgehende Politik fort. Der Überfall der Wehrmacht wurde in der ‚Deutschen Wochenschau‘ mit einer handfesten Würfelverdrehung, mit einer Massentäuschung dargestellt. Es wurden markante Gesichter von SS-Elitesoldaten mit Helm und Gewehrläufe mit Mündungsende über der rechten Schulter gezeigt und danach zerlumpte, barfüßige Jammergestalten im Outlook von Pennern. Eine schneidige Stimme war in den Kinos zu hören: ‚Die besten Soldaten der Welt – jetzt fuhr die Kamera die aufgereihten Elitesoldaten ab – sind zum Schutze der Zivilisation gegen die Barbarei angetreten. Die ersten Gefangenen‘. Jetzt schwenkte die Kamera, zeigt die Gruppe abgerissener Kriegsgefangener. ‚Hätte der Führer nicht in letzter Sekunde zugeschlagen, wären diese Horden aus den Steppen Innerasiens, die Verbündeten der Londoner Lords und Plutokraten, brennend und mordend über Europa hergefallen. Das wäre das Ende der Zivilisation gewesen‘. So wurde das bisher größte Verbrechen von Ausbeuterklassen in der Geschichte der Menschheit unter die Volksmassen getragen.
Wer nach den Ereignissen in Paris vor 149 Jahren und den Hyperbarbarismus von 1939–1945 noch der Illusion nachhängt, die kapitalistische Raubbestie lasse sich durch linke Mehrheiten im Parlament dressieren und die Beißerchen ziehen lassen, der gehört ganz einfach mit dem Lasso eingefangen und nach Australien unter die Kängurus ausgesetzt. Stalin warnte uns im Gegensatz zu Chruschtschow, dass der kapitalistische Wolf nicht schläft, die Geschichte hat gezeigt, dass er am 8. Mai 1945 in der westlichen Hälfte Europas mit seinen industriellen Hochburgen nur scheintot war. Es ist primär die Aufgabe der Arbeiterklasse, der Schmarotzerbestie den Kopf abzutrennen. Andere Klassen sind dazu nicht in der Lage.
Ich habe den roten Faden skizziert, der sich von Babeuf bis Stalin historisch abzeichnete als Eskalation des essenziellen Antagonismus der bürgerlichen Gesellschaft, des Hauptkrieges zwischen Lohnarbeit und Kapital, dieses mehr oder minder versteckten Bürgerkrieges, wie es im Manifest heißt. Damit schwimme ich gegen den Strom der Massenflut von Publikationen zum 77. Jahrestag des Endes des zweiten Weltkrieges bürgerlichen Zuschnitts. Deren Aufgabe ist es, gerade das bestimmende Wechselverhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht aufkommen zu lassen. Sie sind deshalb als Sekundärliteratur abzutun.
.
1 Karl Marx: Über P.-J. Proudhon, Brief an J. B. Schweitzer, in: Marx Engels, Ausgewählte Werke, Band III, Dietz Verlag Berlin, 1972, Seite 29.
2 Karl Marx: Rede auf der Jahresfeier des ‚People’s Paper‘ am 14. April 1856 in London, in: Marx Engels, Ausgewählte Werke, Band II, Dietz Verlag Berlin, 1975, Seite 453.
3 Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich, in: Marx Engels, Ausgewählte Werke, Progress Verlag Moskau, 1975, Seite 317.
4 Vergleiche »google«: verluste sowjetunion 2. Weltkrieg zeit online.
.
Erstveröffentlichung am 8. Mai 2022 auf »RoterMorgen« Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
.
.
Lest dazu bitte auch:
.