Die Aussage auf der gleichzeitigen antifaschistischen Kundgebung vor dem Cannstatter Kursaal trifft drastisch zu:
Ordner vom „Nationalen Widerstand“ – Foto: AABS
„Wer sich ernsthaft gegen die aktuellen Probleme zur Wehr setzten will, kann und darf das niemals gemeinsam mit Rechten machen! An den Wir für das Grundgesetz-Demos nehmen organisierte Rechte aller Schattierungen teil. AfD und Co. sind innenpolitische Hardliner, sie stehen seit jeher für eine Law-and-order-Politik – und nicht etwa für Freiheitsrechte. Es liegt an uns, solidarische Antworten auf die Krise zu finden und gemeinsam dafür zu sorgen, dass es nicht die Schwächsten sind, die die Krisenlasten tragen müssen. Unser Solidaritätsbegriff hat nichts mit den Durchhalteparolen aus dem Kanzleramt gemein. Mit Freiheit meinen wir nicht die Freiheit der Wirtschaft, Profite auf unsere Kosten zu machen, sondern uns dagegen zur Wehr zu setzen.Wir zeigen klare Kante gegen die simplen Antworten und Versprechungen von rechts.“
Michael Ballweg als Organisator: Nach Rechts offene Tore, gegen freie Medien: Zensur!
Michael Ballweg lässt Leute wie Jebsen und andere Hetzer frei agieren. Bei ihm sprach einer der Gründer von Widerstand 2020: Ralf Ludwig kritisiert laut Redaktionsnetzwerk Deutschland die „Systemparteien”, eine berüchtigte rechtsradikale Floskel!
Die Bundschuhfahne, das Zeichen des Bauernaufstandes von 1525, wird mißbraucht. Foto: Arbeit-Zukunft
Besonders pikant: Seine Parole, angeblich die ersten 20 Artikel des Grundgesetzes zu verteidigen, hält Ballweg selbst in mindestens einem wichtigen Punkt nicht ein. Die Pressefreiheit will er massiv einschränken.
Er ließ an den Zugängen zum Wasen einen Zettel an alle verteilen. Unter dem Titel „Auf den Punkt gebracht – Unser Manifest“ behauptet dieses Handout, die Veranstalter bestünden auf den ersten 20 Artikeln der Verfassung, insbesondere demnach auf der Aufhebung der Einschränkungen durch die Corona-Verordnung von:
- „Artikel 1: Menschenwürde – Menschenrechte – Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte
- Artikel 2: Persönliche Freiheitsrechte
- Artikel 4: Glaubens- und Gewissensfreiheit
- Artikel 5: Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft
- Artikel 7: Schulwesen
- Artikel 8: Versammlungsfreiheit
- Artikel 11: Freizügigkeit
- Artikel 12: Berufsfreiheit
- Artikel 13: Unverletzlichkeit der Wohnung“
Bei Artikel 5 fehlt in Ballwegs Zusammenfassung („Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft“, siehe oben im Zitat), absichtsvoll, die Pressefreiheit, die ausdrücklich hier geregelt ist.
Das ist kein Zufall. Denn Ballwegs Organisationsstab und er selbst machen beachtliche Anstrengungen, um Journalistinnen und Journalisten unter Kontrolle zu bekommen. Das geht natürlich auf so einer Massenversammlung nicht ohne weiteres. Dass indes die freie Ausübung der Presse- und Medienfreiheit bei rechten Demos kein theoretisches Problem ist, zeigen die gewaltsamen und oft von der Polizei geduldeten Angriffe – inzwischen auch mit schwer Verletzten – auf Medien- und Pressevertreter in diesem Umfeld.
Wer mit Michael Ballweg als Presse- oder Medienvertreter sprechen will, muss eine Unterwerfungserklärung unter Ballwegs Bedingungen unterschreiben und dabei persönliche Daten einschließlich genauer Adresse und Telefonnummer preisgeben. Dort heißt es dann:
„Ich … [voller Name]… bin mir bewusst, dass ich als Journalist eine hohe Verantwortung habe, da ich die veröffentlichte Meinung „herstelle“ und somit die Basis für den gesellschaftlichen Diskurs und politische Entscheidungen bin. Ich verpflichte mich hiermit – wahrheitsgemäß, unparteiisch und vollständig zu berichten und – die Grundrechte gemäß Grundgesetz Artikel 5 zu wahren, insbesondere „Eine Zensur findet nicht statt.“
Das ist ein offener Angriff auf die Meinungsfreiheit wie auch auf die Pressefreiheit! Diese Ausarbeitung zerreißt schlaglichtartig den Nimbus von Ballwegs „naiver“ Unparteilichkeit. Er gibt eine fadenscheinige, ideologische Begründung für die aggressiven Praktiken der Rechten und Faschisten gegen Presse und Medien.
Erstens: Wenn man bedenkt, dass der Medienmensch das dem Herrn Ballweg unterschreiben soll, um überhaupt mit ihm reden zu können: Es ist krass unwahr, dass „ich die veröffentlichte Meinung „herstelle“ und somit die Basis für den gesellschaftlichen Diskurs und politische Entscheidungen bin“. Auch Frau Merkel, Herr Ballweg, städtische und staatliche Behörden, Pressesprecherinnen und -sprecher, die Bosse von kapitalistischen Unternehmen, christliche Pastorinnen und Pastoren, Bischöfe und Kardinäle etc. etc. sind hier in vollem Umfang involviert. Journalismus leistet nur einen Teilbeitrag der öffentlichen Meinung! Ballweg aber versucht Journalismus allein verantwortlich zu machen, wo zahllose andere, auch er selbst, mitwirken. Aber er erwartet, dass man diese tendenziöse Fehldarstellung per Unterschrift anerkennt; anerkennt, dass man bei „Nichterfüllung“ zum Abschuss freigegeben ist, wo die Ballweg-Leute unzufrieden sind.
Zweitens: Die versuchte Festlegung der Betroffenen per Unterschrift auf den Satz aus dem Grundgesetzartikel. 5 „Eine Zensur findet nicht statt“ ist ein krasser Übergriff auf die Pressefreiheit!
Niemand macht uns weiß, das Ballweg das unabsichtlich so macht, hat er doch offensichtlich versierte Juristen an seiner Seite, z. B. den „Widerstand-2020“-Mitgründer und Leipziger Rechtsanwalt Ralf Ludwig, der in Karlsruhe durchsetzte, dass auch unter „Corona“ Demos erlaubt sind.
Artikel 1(3) Grundgesetz sagt es ganz klar: „Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung…“. Und zu den nachfolgenden Grundrechten gehört auch der Artikel 5. In Artikel 1(3) steht, wen der Satz Eine Zensur findet nicht statt bindet: die Staatsorgane, Journalisten also ausdrücklich nicht. Dieser Grundsatz untersagt staatlichen Organen die Zensur, betrifft Presse und Medien nicht. Auch historisch ist das bedeutsam, waren doch in allen bürgerlichen Revolutionen die Forderung nach „Pressfreiheit“ und Abschaffung der staatlichen Zensur entscheidend!
Und das versucht Ballweg zu ändern. Was Ballweg, Ludwig, Jebsen und viele andere ebenfalls anstreben: Der Journalist, der sich darauf einlassen würde, geht eben gerade seiner Meinungsfreiheit verlustig. Sie wollen ihn verpflichten, kritiklos zu verbreiten, was diese Typen verbreitet sehen wollen (…verpflichte mich … wahrheitsgemäß, unparteiisch und vollständig zu berichten… Siehe oben)
Dass versierte Journalisten darüber lachen, ist ein andrer Schuh. Ballwegs Unterschriftsformular aber ist, wo viele einen Mangel an politischen Aussagen Ballwegs beklagen, ein politisches Dokument, das die Denke Ballwegs und seiner Mitstreiter/innen offenlegt. Dies gilt umso mehr, als sowohl Ballweg als auch Ludwig öffentlich darüber schwadronieren, Neuwahlen noch in 2020 anzustreben und in den Bundestag einziehen zu wollen. Ludwig stellt laut Medienberichten mit Widerstand 2020 einen Parteiansatz zur Verfügung.
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Gegen Kapitalismus und Kapital oder gegen Bill Gates?
Die Berufung auf das Grundgesetz ist eine demagogische Lüge der Ballweg-Leute. Aber sie soll nicht nur verunsicherte und wütende Menschen leimen und in die Richtung der Rechtsradikalen und Nazis lenken. Zugleich ist diese Bewegung mit ihrer extensiven Propagierung des Grundgesetzes staatstragend und damit ausdrücklich nicht gegen Kapitalismus und Kapital gerichtet.
Hier soll das Grundgesetz nicht unkritisch verteidigt werden. Aber wenn heimtückische Angriffe von Rechts gegen die demokratischen Rechte gefahren werden, werden wir diese genauso verteidigen wie gegen Angriffe des Staates. Das Grundgesetz ist die Verfassung einer großen kapitalistischen und imperialistischen Macht, schützt Belange und Interessen gerade des Kapitals, national wie international. Die Abschaffung des Kapitalismus ist unser Ziel.
Genau das ist der Punkt im Gespräch mit den Menschen, mit denen wir in Cannstatt diskutierten. Nichts brachte die Gesprächspartnerinnen und -partner deutlicher zum Nachdenken als der Hinweis, dass das ganz konkrete Kapital alles kaputt-sparen lässt, dass Ola Källenius einen Kilometer weiter beim Daimler tausende Kolleginnen und Kollegen raus schmeißen will, dass in den Fleischfabriken in Coesfeld und Recklinghausen, auf der ebenfalls nahen S-21-Baustelle sich Arbeiter unter unsäglichen, kriminellen Arbeits- und Wohnbedingungen kapitalistischer Unternehmen anstecken mussten.
Es ist entscheidend, ganz im Sinne Lenins („Was Tun?“) Enthüllungsarbeit zu leisten darüber,
* dass das Virus mit guten Erfolgsaussichten zu bekämpfen sei, wenn man ungehindert das Nötige tun kann;
* dass die Mechanismen des ungebremsten Kapitalismus aber genau dieses verhindern.
Dass das Wüten des Kapitals von vielen Menschen als Problem erkannt wird, darauf weisen die widerwärtigen rassistisch-mythischen, selbstbezogenen und egoistischen Ideologien und die derben Verschwörungstheorien und Erzählungen hin, die genau diese Erkenntnisse verhindern sollen: Das Kapital ist schlimmer als das Virus.
Stattdessen lenken die Jebsens etc. den Fokus auf eine angebliche Weltverschwörung von Bill und Melinda Gates.
Wir verwahren uns nicht gegen die Kritik an einem Großkapitalisten-Paar, das seinen irrwitzigen Reichtum durch die klassischen kapitalistischen Geschäftspraktiken der Ausbeutung, Markt- und Finanzspekulation an sich gerissen hat. Wir verwahren uns aber dagegen, dass das gesellschaftliche System des Kapitalismus dabei verschont wird. Praktische Folge ist, dass Banken und Großkonzerne, dass das Monopolkapital als Gesamtsystem von den Lautsprecher/innen und Michael Ballweg ausgeblendet werden. Wir brauchen keine Popanze Bill und Melinda Gates! Ola Källenius (Daimler), Richard Lutz (Deutsch Bahn), Volkmar Denner (Bosch), Herbert Diess (VW), Oliver Zipse (BMW), die gewissenlosen Bosse der Schlacht- und Fleischfabriken (nicht nur in Coesfeld, auch in Chicago!) und all die anderen Charaktermasken des Kapitalismus – sie reichen.
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Klassenkampf auf die Tagesordnung!
Der Klassenkampf ist in jedem Land, in jeder Stadt, an jeder Ecke, in jedem Betrieb und jeder Fabrik auf der Tagesordnung. Wer bremst den Multimilliardär Elon Musk (Tesla), der gerade den US-Bundesstaat Kalifornien erpresst, sofort und auf der Stelle als richtig erkannte Corona-Betriebsbeschränkungen bei Tesla zu unterlassen, damit er Profit machen kann, sonst würde er die Produktion und seine Zentrale nach Nevada verlagern. In Brandenburg steht die Kapitalgesellschaft des Mister Musk bereits vor der Tür. Man kann den zukünftigen Tesla-Kolleginnen und -Kollegen nur raten, sich gut zu organisieren und zu wehren!
Der Kapitalismus ist das Problem, nicht das Virus! Die stets als alternativlos hingestellten Mechanismen des Kapitals verhindern Vorsorge, Prävention, Bewältigung einer gewiss nicht harmlosen Virus-Pandemie.
Es scheint kein besseres Mittel gegen die Ballwegs, Jebsens zu geben, als diese offensive Agitation gegen die Zumutungen des Kapitals.
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Erstveröffentlichung heute oder vor wenigen Tagen in Arbeit Zukunft online. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
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Dabei muss es sich nicht grundsätzlich um die Meinung der Redaktion handeln.
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