Roter Morgen – 22. August 2022
Rassistische Hansa Rostock Fans provozieren und feiern ab – Niemand schreitet ein!
Am gestrigen Sonntag gab es eine erneute rassistische Provokation beim sonntäglichen Zweitligaspiel zwischen St. Pauli und Hansa Rostock. Rostock-Fans hissten ein Banner, auf dem das Wort “Lichtenhagen” sowie eine Sonnenblume zu sehen waren. Dies soll auf das Pogrom in Rostock Lichtenhagen, vor fast auf dem Tag genau 30 Jahren, anspielen, bei dem Faschisten das Sonnenblumenhaus, ein Asylbewerberheim, angriffen und in Brand steckten.
Es ist nicht das erste Mal, dass Hansa Rostock und Fans durch rechte Aussagen auffällt. Und es wird auch nicht das letzte Mal bleiben, wenn die Behörden und die Vereine nicht einschreiten.
Auf dem großen Banner steht “Lichtenhagen” in Frakuturschrift – dazwischen die bekannte Sonnenblume. Damit waren die Häuser bemalt, die am 22.8.1992 von Neonazis und einem faschistisch aufgestachelten Mob angegriffen wurden.
Was geschah am 22. August 1992 in Rostock-Lichtenhagen?
Viele unser Leser spielten zu der Zeit noch in der Krippe oder gingen in den Kindergarten und haben dieses Datum noch nicht verinnerlicht. Deswegen geben wir nachfolgend eine Artikel des Genossen Anton Dent wieder den er vor fünf Jahren in zwei Teilen auf »perspektiveonlie« veröffentlicht hat.
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Am 22. August jährte sich zum 25. Mal der Jahrestag des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen. Was passierte vor 25 Jahren in Rostock? Wer waren die Täter? Und wie sieht die Situation heute in Deutschland aus? Ein Kommentar von Anton Dent
An diesem Samstag im Jahr 1992 versammelte sich eine große Menschenmenge vor der “Zentralen Anlaufstelle für AsylbewerberInnen” (ZASt) im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen. Aus dieser Ansammlung heraus ereigneten sich die ersten Angriffe auf das, wegen seiner Fassadenbemalung, so benannte “Sonnenblumenhaus”: Steine wurden in die Fensterscheiben der Wohnungen ehemaliger vietnamesischer GastarbeiterInnen geworfen, die im selben Gebäude ein Wohnheim hatten. Ein erster Ansturm von 500 Leuten auf das Haus konnte zunächst von den BewohnerInnen zurückgeschlagen werden. Den Angreifern wurde dabei von mittlerweile bis zu 2000 zuschauenden BürgerInnen tatkräftig zugejubelt.
Die Polizei begnügte sich mit 35 Beamten, die den Ausschreitungen tatenlos zusahen. Erst Stunden später bequemten sich die Polizisten, dem Treiben vorerst ein Ende zu setzen. Am Sonntag wiederholten sich die Situation erneut. Diesmal schauten jedoch 400 Polizisten dabei zu, wie etwa 100 Angreifer das Gebäude stürmten und bis in den 6. Stock vordrangen. Wieder versammelten sich hunderte BürgerInnen und feierten die Angriffe vor dem Gebäude. Vor den Augen der Polizei wurden Molotow-Cocktails gebastelt. Am zweiten Tag des Pogroms mobilisierten AntifaschistInnen zum Widerstand nach Rostock, um sich den RassistInnen in den Weg zu stellen. Jetzt erst fing die Polizei an zu handeln, und zwar gegen die angereisten Unterstützer: 60 AntifaschistInnen wurden bei einer Kundgebung festgenommen. Am Montag wurde als Reaktion auf die Pogrome die ZASt geräumt. Lediglich 150 vietnamesische BewohnerInnen befanden sich noch im Gebäude. Trotzdem blieb der Lynchmob auch noch an diesem Tag vor dem Haus. hier geht es weiter »
Um 21:00 Uhr rückte die Polizei plötzlich ab und ließ die AnwohnerInnen ungeschützt. Unter dem Jubel von 3000 BürgerInnen griffen 800 weitere das Gebäude mit Brandsätzen an. Das Haus begann zu brennen, während die Polizei für 2 Stunden nicht zu erreichen war und die Feuerwehr von der jubelnden Menschenmenge beim Löschen aktiv und gewalttätig gehindert wird. Erst um 23:00 Uhr konnte die Feuerwehr beginnen, die HausbewohnerInnen zu retten und den Brand zu bekämpfen. Am Dienstag dann forderte der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern polizeiliche Unterstützung aus anderen Bundesländern an. An diesem Tag konnten weitere Angriff auf das nun leere Haus verhindert werden.
Sie sind als der größte Pogrom auf deutschem Boden nach 1945 in die Geschichte eingegangen: die rassistischen Angriffe auf das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen. Vor 29 Jahren, warf ein wütender rassistischer Mob Steine und Molotowcocktails gegen das damalige Wohnheim der vietnamesischen Vertragsarbeiter. | Bild Carl Vetter
Die Täter im Anzug
Die erste Tätergruppe finden wir in den Reihen von Presse, Polizei und Politik. Mit der sogenannten Asyldebatte zu Beginn der 90er startete die CDU und CSU in Zusammenarbeit mit konservativen Medien wie der Springerpresse eine Kampagne zur Verschärfung der deutschen Asylgesetzgebung. Man zeichnete das Bild von einer unheilvollen Masse an Flüchtlingen, die nach Deutschland strömten, warf allen Flüchtlingen konsequent den Missbrauch des Asyls vor und verbreitete rassistische Vorurteile.
In Rostock-Lichtenhagen wurde die Situation für die Flüchtlinge in der ZASt bewusst eskaliert. Der Gebäudekomplex wurde überfüllt und an einer Umverteilung der Flüchtlinge arbeitete man gar nicht bis mangelhaft. Stattdessen ließ mit man zahlreiche Flüchtlinge auf den Wiesen vor der ZASt kampieren, ohne sie jedoch mit Lebensmitteln oder Hygiene-Infrastruktur zu versorgen. So wurden die rassistischen Bilder, die man vorher medial verbreitete, erst durch das Handeln der Politik real geschaffen: nämlich die “Überflutung” durch Flüchtlinge als Zeichen für das Erreichen der Aufnahmekapazitäten, die Mülltonnen durchsuchenden und in Vorgärten urinierenden AusländerInnen. Den Beschwerden der AnwohnerInnen über diese Situation begegnete man nun nicht etwa mit einem Entschärfen der Situation etwa durch das Bereitstellen von Dixi-Toiletten, sondern ignorierte sie schlicht – oder verwendete sie gar in seinem Sinne in der Debatte gegen das Asylrecht. Schon ein Jahr zuvor wurde vor der explosiven Stimmung vor Ort gewarnt, denn immer häufiger kam es zu rassistischen Angriffen auf Flüchtlinge.
Wenige Tage vor dem 22. August dann mobilisierten faktisch die größten Regionalzeitungen, die “Ostseezeitung” und die “Norddeutschen Neusten Nachrichten”, zu den Pogromen, indem sie die Ankündigung einer “Interessengemeinschaft Lichtenhagen” kommentarlos zitierten, die in einem Schreiben damit drohten, am folgenden Wochenende das Problem selbst in die Hand zu nehmen und zwar auf “ihre Weise”. Sogar die genaue Zeit gab man noch bekannt: “In der Nacht vom Samstag auf Sonntag räumen wir in Lichtenhagen auf”.
Auch Polizei und Politik schwiegen zu den direkten Androhungen der RassistInnen, wohingegen man eine Woche später auf allen Kanälen die AnwohnerInnen dazu aufforderte, einer antifaschistischen Demonstration in Rostock fernzubleiben. Plötzlich waren nun auch tausende Polizisten in der Stadt, die gewaltsam gegen die antifaschistische Demonstration vorgingen. Das oben beschriebene Verhalten der Polizei während der gewaltsamen Massenausschreitungen sagt dann auch schon alles Weitere über die politische Billigung der Ereignisse. Noch am dritten Tag der Verwüstungen äußerte sich Bundesinnenminister Rudolf Seiters auf einer Pressekonferenz: „Wir müssen handeln gegen den Missbrauch des Asylrechts, der dazu geführt hat, dass wir einen unkontrollierten Zustrom in unser Land bekommen haben, ich hoffe, dass die letzten Beschlüsse der SPD, sich an einer Grundgesetzänderung zu beteiligen, endlich den Weg frei machen.“ – Das Pogrom hatte Wirkung gezeigt: Es führte noch im selben Jahr zur Grundgesetzänderung, die das Asylrecht in Deutschland massiv begrenzte.
Folgen der rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992: Hunderte rassistische Gewalttäter hatten zuvor, von Bewohnern des Stadtteils angefeuert, das Sonnenblumenhaus, ein Wohnheim, in dem sich über 100 Menschen befanden, mit Molotowcocktails in Brand gesteckt. | Bild: Der Morgen
Die Täter in Springerstiefeln
Die Pogrome von Lichtenhagen waren keineswegs nur die Entladung des „rassistischen Volkszorns“, provoziert durch BILD und CDU, sondern die Aktion organisierter Faschisten. Schon zuvor stieg die Gewalt gegen MigrantInnen und Flüchtlinge durch Neonazis in ganz Deutschland. NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands), DVU (Deutsche Volksunion) und Republikaner sahen die Gunst der Stunde und beteiligten sich lebhaft an der Hetze gegen Asylsuchende. Schon im Vorfeld des Pogroms machten Neonazis in Lichtenhagen mobil gegen die Flüchtlinge und stachelten vor allem Jugendliche auf. Am Samstag dann, soll die Stadt voll gewesen sein mit Autos, aus zahlreichen norddeutschen Städten: Faschisten aus Hamburg, Berlin, Leipzig, Lübeck und weiteren Orten waren angereist. Ab Sonntag wurde offen mobilisiert und es kamen immer mehr organisierte Neonazis von weiter weg hinzu. Viele Mitglieder der FAP (Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei) und der GdNF (Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front) waren bei den Angriffen auf das “Sonnenblumenhaus” dabei. Die Aktionen waren organisiert und koordiniert, unter anderem mit Funkgeräten aus einem Auto heraus, welches Christian Worch gehörte.
Die Täter in Jeans und T-Shirt
…und die Masse schaute zu und appöaudierte. Schämt Euch Bürger von Lichtenhagen!
Die dritte Tätergruppe sind die Bürgerinnen und Bürger Lichtenhagens, die zu Tausenden den Angriffen auf die ZASt beiwohnten, sie bejubelten, anstachelten, mitmachten, rassistische Parolen skandierten und Feuerwehrkräfte behinderten. Es wäre zu einfach, die Schuld allein bei der Hetze der etablierten Politik und der Militanz der Faschisten zu suchen. Erklärt und kritisiert werden muss auch, wie 3000 AnwohnerInnen „volksfestartig“ dazu “abgehen”, wenn versucht wird Menschen umzubringen. Rostock war geradezu dafür geschaffen, der Schauplatz für eine erfolgreiche faschistische Massenmobilisierung zu sein. Der Faschismus als “Ideologie der Antimoderne” musste besonders dort auf Gehör stoßen, wo die Menschen die Enttäuschungen der zwei großen Politikprogramme der Moderne erlebten: Zuerst die Lage und die Niederlage des nicht-real existierenden Sozialismus in der DDR und im nahtlosen Übergang die Enttäuschung von den freiheitlichen Versprechungen des Liberalismus mit seiner Chancengleichheit, die für die Menschen im Osten aber Arbeitslosigkeit, Kahlschlagpolitik, hohe Mieten und Armut bedeutete. Mecklenburg-Vorpommern war damals das Land mit der größten Arbeitslosenquote und gehört auch heute noch zu den Schlusslichtern. Die “Treuhand”, die angeblich die Wirtschaft der ehemaligen DDR transformieren sollte, wurde vor allem durch die massenhaften Schließungen von Betrieben berühmt. Das soziale Netz des alten Staates wurde zerschlagen, Jugendzentren und Kultureinrichtungen wurden geschlossen, freie Zeitungs- und Radioprojekte abgeschafft. In Rostock herrschte also ein idealer Nährboden für die faschistische Ideologie, die im Gegensatz zur Moderne gar nicht den Anspruch hat, die Welt zu erkennen und sie planvoll und vernünftig zu gestalten. Sie bietet dafür ein Selbstwertgefühl durch die vermeintliche Überlegenheit der eigenen Nation und Rasse, in kollektivem Erleben und männlicher Gewalt.
Und 25 Jahre später?
Rechte Gewalt ist auch 25 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen hoch aktuell. Im ersten Halbjahr 2017 gab es offiziell 153 Delikte gegen Asylunterkünfte und 787 Delikte gegen Flüchtlinge außerhalb ihrer Unterkünfte. Auch geht in diesem Jahr der NSU-Prozess ohne wirkliche Aufklärung über Ausmaß und Mittäterschaft deutscher Behörden zu Ende und zeigt damit, dass es immer noch einen starken Mangel an Bereitschaft zum Kampf gegen rechte Gewalt seitens des Staates gibt. Stattdessen setzte man nach G20 linke und rechte Gewalt gleich und möchte lieber den Kampf gegen den Extremismus aufnehmen.
Bei den diesjährigen Bundestagswahlen hat die AFD als extrem nationalistische und rassistische Partei hohe Chancen in den Bundestag einzuziehen. Die faschistische Bewegung baut sich seit einigen Jahren verstärkt unter dem ideologischen Dach der sogenannten “Neuen Rechten” wieder auf, zu dem neben der AfD auch Organisationen wie die „Identitäre Bewegung“ zu zählen sind. Welches Gewaltpotential sich hier verbirgt, hat sich vor wenigen Wochen in den USA gezeigt, wo unter dem Motto: “Unite the Right” neue und alte Rechte aufmarschiert sind und Jagd auf Linke und Nichtweiße gemacht haben. Die Springerstiefel-Nazis sind jedoch auch heute nicht verschwunden und konnten noch vor kurzem ein Rechtsrock-Festival mit 6000 Besuchern organisieren, bei dem vor den Augen der Polizei Hitlergrüße gezeigt wurden.
Die Jahre 2015 und 2016 haben mit rassistischen Massenaufmärschen wie “Pegida” und zahlreichen “Nein zum Heim”-Initiativen gezeigt, dass nach wie vor ein hohes Potential vorhanden ist für die Mobilisierungskraft faschistischer Ideologie in Deutschland. Dieses Potential lernen faschistische Gruppen immer besser zu aktivieren und auch der deutsche Staat weiß über die Vorteile einer rassistischen Einstellung von Teilen seiner Bevölkerung … Rostock-Lichtenhagen sollte ein Mahnmal dafür sein, dass im Kampf gegen die faschistische Gewalt nicht auf den Staat und seine Polizei zu vertrauen ist.
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Erstveröffentlichung am 23. und 24. August 2017 auf »PERSPEKTIVE>>«. Wir danken den Genossinnen und Genossen von »Perspektive« für ihre gute Arbeit und der Genehmigung der Weiterveröffentlichung. Bilder und Bilduntertexte wurden zum Teil von der Redaktion »RoterMorgen« hinzugefügt.
Erneut Veröffentlichung am 22. August 2022 auf »RoterMorgen« Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
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