Fiete Jensen
Flüchtlingshelferin Ute Bock 75-jährig verstorben
„Ich habe einen Vogel, aber es gibt viele Leute, die meinen Vogel unterstützen“ –
„Wenn einer was braucht und ich hab’s, dann gib ich’s ihm.“
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Fiete Jensen
Nach kurzer schwerer Krankheit ist die bekannte österreichische Flüchtlingshelferin Ute Bock am Morgen des 19. Januars 2018 in Wien verstorben. Die ehemalige Erzieherin erhielt für ihr humanitäres Engagement mehr als 15 Auszeichnungen. Unter anderem das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich.
Ute Bock stand für ein „anderes“ Österreich: eines, das Schutzsuchenden entgegenkommt, das ohne Misstrauen wegen „Asylmissbrauchs“ und anderer angeblicher Risiken hilft: Ute Bock setzte sich bedingungslos für Flüchtlinge und Migranten aller Nationalitäten ein. Mit der Gründung des „Flüchtlingprojektes Ute Bock“ stellte sie ihre soziale Arbeit auf standfesten Füßen und wurde zum Vorbild für viele Menschen die nicht länger zuschauen, sondern aktiv und wirkungsvoll Österreichs Sozialpolitik beeinflussen wollten. Der Verein Ute Bock schrieb schon am Tag ihres Todes:
„Unsere Gründerin, Obfrau und Schirmherrin Ute Bock ist heute verstorben.
In tiefster Betroffenheit müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass uns Frau Bock verlassen hat. Nach kurzer schwerer Krankheit ist sie heute um 4:40 Uhr im Kreise ihrer Schützlinge im Ute Bock Haus verstorben. Bis zur letzten Sekunde drehte sich ihr ganzes Denken und Handeln um das Wohlergehen geflüchteter Menschen. Der Erfüllung ihres größten Wunsches, eines Tages überflüssig zu werden, sind wir gerade in Zeiten wie diesen ferner denn je. Tugenden wie Zivilcourage, Solidarität und Menschlichkeit hat uns Frau Bock Zeit ihres Lebens gelehrt. Ohne viele Worte hat sie einfach gehandelt, sich selbst hat sie dabei nie geschont.
Ute Bock, Foto: Regine Hendrich
„Ich habe einen Vogel, aber es gibt viele Leute, die meinen Vogel unterstützen“. Einer ihrer beständigsten Unterstützer war Heinz Fischer, der ihr 2012 das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich mit den Worten, verlieh: “Die Auszeichnung ist eine symbolische Geste, aber eine deutliche Geste, dass man ihre außergewöhnliche und unorthodoxe Arbeit schätzt und weiß, wie viel Idealismus, Kraft und innere Energie dazugehören“.
„Ute Bock opfert sich täglich auf, um Flüchtlingen ihr Leben in Österreich erträglicher zu machen“, sagte der Industrielle Dr. Hans Peter Haselsteiner, als er 2012 das ehemalige Gesellenheim in der Zohmanngasse 28 an Ute Bock übergibt, um es wieder zu einer Zufluchtsstätte für junge Asylwerber/innen zu machen.
Gleichgesinnte wie Alexander van der Bellen, Josef Hader und viele andere, haben sich vor Ute Bocks Selbstlosigkeit stets verneigt. Michael Chalupka, Direktor der Diakonie sagte einmal: „Sie sind nicht nur für tausende Frauen, Männer und Kinder zu einer Hoffnungsträgerin geworden, die auf der Flucht nach Österreich gekommen sind, sondern auch für uns alle, die uns immer wieder auch der Mut zu verlassen droht.”
Elfriede Jelinek wusste Frau Bocks unermüdlichen Einsatz für Flüchtlinge immer zu schätzen: „Sie sind ein Mensch, eine von den Gerechten (…)” und haben immer nur helfen wollen.” Dabei ging es Frau Bock stets ums Tun; Bewunderung wie Anfeindung beeinflussten ihr Handeln nicht. “Wenn einer was braucht und ich hab’s, dann gib ich’s ihm.”
Sie hat es sich nicht leichtgemacht. Und auch wir sollen es uns heute nicht leichtmachen.
Noch vor Kurzem hat Frau Bock gesagt: “Leider haben viele Menschen in Österreich noch nicht verstanden, dass Flüchtlinge in erster Linie Menschen sind. Menschen, die vor Hunger und Mord fliehen. Da kann man nicht einfach wegschauen und sagen, die sollen zurück, von wo sie her sind, so funktioniert das nicht!” Zum Glück gibt es in Österreich auch viele gute Menschen, die so denken wie Frau Bock und unsere Arbeit unterstützen. Menschen, die unser Projekt tagtäglich am Leben halten.
Jetzt, da sie nicht mehr bei uns ist, gilt es die Arbeit von Frau Bock fortzuführen. Jetzt erst recht sind wir alle gefordert!
Mag. Anna Steiger, Christl Weinberger, Univ. Prof. Dr. Michael Havel, Dr. Alfred Fogarassy, Dr. Joachim Schallaböck, Katja Teichert, Thomas Eminger, Ibrahim Ari, Ariane Baron, Barbara Schodl, Bella Chabkhanova, Emanuel Hinterbauer, Eveline Blaschka, Magdalena Hofinger, Michael Obayelu, Michaela Pochmann, Natia Karkadze, Olivia Lasser, Pierre Mare, Sanaa Ahmed, Sandra Eisschiel, Sanjin Sovic, Sherin Rowies, Stefanie Jethan, Stephan Gröger, Verena Doublier, Victoria Strobl und Yama Saberin.“
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Häme und Hass von FPÖ und anderen Rechten
Ute Bock war politisch höchst authentisch. Das führte zu Hassattacken Seitens der FPÖ sowie anderen Rechtspopulisten und rechts-faschistischen Gruppen. Besonders der Wiener FPÖ-Politiker und Landtagsabgeordneter Johann Baptist Björn Gudenus Versuchte Ute Bock auf vielfältigster Weise, immer wieder Steine in den Weg zu legen. Neben juristischen Vorstößen schreckte er auch nicht vor widerwärtigen Hetzkampagnen wie „Keinen Bock auf Bock“ zurück in der er Ute Bocks Vergangenheit mit dem Nationalsozialistischem Terrorsystem in Verbindung brachte.
Geboren wurde Ute Bock am 27. Juni 1942 in kleinbürgerlichen Verhältnissen in Linz. Ihrer Biografin Cornelia Krebs schilderte sie die Atmosphäre in ihrer Familie als wenig empathisch. Ihr Vater, der Sympathien für die Nationalsozialisten gehabt habe, sei seelisch ein „grausamer, selbstherrlicher Mensch“ gewesen.
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Erzieherin in Biedermannsdorf
Nach der Matura ließ sich Ute Bock bei der Stadt Wien zur Erzieherin ausbilden; ihr Vater riet ihr zu einem „abgesicherten Beruf“. Nach Ihrer Ausbildung wurde sie ins Heim für Sonderschüler im niederösterreichischen Biedermannsdorf geschickt. Die Buben dort, so erzählte sie, seien durch die „tristen Verhältnisse“, aus denen sie stammten, zu Sonderschülern gemacht worden. Dumm seien sie keineswegs gewesen.
1969 wechselte die damals 27-Jährige, die zeit ihres Lebens unverheiratet blieb, als „Heimmutter“ in das Gesellenheim der Stadt Wien in der Favoritner Zohmanngasse, in dasselbe Haus, in dem sie auch ihre letzten Lebensjahre verbringen sollte. Dass sie, den damals üblichen Erziehungsmethoden entsprechend, den Zohmanngassen-Zöglingen zuweilen Ohrfeigen verpasste, war in späteren Jahren für Polemik gegen ihr Eintreten für Flüchtlinge verwendet.
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Heimleiterin in der Zohmanngasse
Mit zunehmender Einwanderung nach Österreich in den 1990er-Jahren strandeten im Gesellenheim Zohmanngassen immer mehr unbegleitete ausländische Jugendliche. Zuerst Flüchtlinge aus dem NATO- Krieg gegen Jugoslawien, später auch aus Afrika.
Feierlichkeiten vor dem Ute-Bock-Haus im Dezember 2013, nachdem Ute Bock (vorne im Rollstuhl) einen Schlaganfall erlitten hat, Foto: Gilbert Novy
Letztere standen während ihres Asylverfahrens oft ohne jede staatliche Unterstützung da. Ute Bock, 1976 zur Heimleiterin aufgestiegen, versuchte, ihnen Deutschkurse und Jobs zu vermitteln – und musste erkennen, dass sie auf schier unüberwindliche Barrieren stieß.
Im Herbst 1999 stürmten Polizisten das Gesellenheim. Dreißig afrikanische Jugendliche wurden wegen des Verdachts auf Drogenhandel festgenommen Eine Razzia im Zuge der später viel kritisierten „Operation Spring„. Darüber, dass man auch gegen Bock ermittelte, wurde in den Tageszeitungen und Boulevardmedien breit berichtet – darüber, dass die Anklage gegen sie in der Folge fallen gelassen wurde, nur am Rande.
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„Operation Spring“ als Wendepunkt
Für die Sozialarbeiterin markierte diese Razzia einen Wendepunkt: Davor habe sie „gedacht, die Menschen seien grundsätzlich anständig. Danach war ich mir ganz und gar nicht mehr sicher“, sagte sie.
Dementsprechend an der Seite von Asylwerber/innen und Flüchtlingen stehend, startete Ute Bock denn auch ihr ehrenamtliches Engagement nach ihrer Pensionierung im Jahr 2000. 2002 gründete sie mit Michael Havel den „Verein Ute Bock – Wohn- und Integrationsprojekt„. Der Immobilienunternehmer Hans Jörg Ulreich stellte ihr Übergangswohnungen zur Verfügung, darunter, ab 2005, ihren ersten Vereinssitz in Wien-Leopoldstadt.
Dort initiierte sie ihren Post- und Meldeservice für obdachlose Asylwerber, die andernfalls keine Zustelladresse für Behördenschriftstücke hätten. Von ihnen und vielen anderen, die sie auch finanziell unterstützte, wurde sie respektvoll-zärtlich „Mama Bock“ genannt.
Ute Bock wie sie viele kannten, Foto: Felicitas Kruse
Die Marke „Frau Bock“
Für kritisch gesinnte Menschen, die „anderen“ Österreicherinnen und Österreicher, wurde sie wiederum zu einer zentralen Identifikationsfigur. Mit jeder Spendenaktion, jedem Film über ihr Wirken stieg ihre Popularität und es entwickelte sich die Marke „Frau Bock“.
Im realen Leben stieß sie auf beträchtlichen Gegenwind. 2008 stand ihr Verein vor dem finanziellen Aus. Es war der Industrielle Hans Peter Haselsteiner, der sie rettete – und über die Sozialstiftung Concordia 2011 das Gebäude des früheren Zohmanngassenheims für sie kaufte.
Damit ermöglichte er der betagten Sozialarbeiterin eine Art Heimkehr. In der Zohmanngasse machte Ute Bock weiter, solange es ging: „Da ich nicht annehme, dass sich die Asylpolitik in diesem Land so schnell ändern wird, werde ich diese Arbeit hier machen müssen, solange ich halbwegs gesund bin“, sagte sie 2010. Am 19. Januar 2018 ist sie im 76. Lebensjahr im Wiener Ute-Bock-Haus gestorben.
Ihr Einsatz machte sie sogar zum Doku-Filmstar, es wurde ihr eine Biografie gewidmet,
und sie erhielt zahlreiche Ehrungen von Renner-bis Kreisky-Preis.
Der österreichische Regisseur Houchang Allahyari hat 2010 der gebürtigen Linzerin
den Film „Die verrückte Welt der Ute Bock“ gewidmet
Lasst uns unsere Trauer in Stärke verwandeln und allzeit und in jedem Alter im Sinne von Ute Bock allen Flüchtlingen dieser Erde unsere Hände zur Freundschaft reichen.
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