Yusuf Karataş
Die Kurden im Jahr 1 nach dem Unabhängigkeitsreferendum
Seit dem Unabhängigkeitsreferendum in der Kurdischen Autonomen Region Irak ist ein Jahr vergangen. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der Region bietet dieser Jahrestag Anlass für ein Zwischenfazit.
Nachdem der Krieg in Syrien den Touch eines Konfessionskonflikts gewonnen hatte, wurde radikalen islamistischen Organisationen wie dem IS oder der Nusra eine entscheidende Rolle zuteil. Diese konnten auch im Irak ihren Einfluss vergrößern. Im Kampf gegen sie hatten sich in Syrien wie im Irak die Kurden so stark hervorgetan, dass die USA und Russland sie bei der Lagerbildung nicht mehr ignorieren konnten. Im Zuge dieser Entwicklungen konnten die Kurden im nordsyrischen Rojava ihre autonomen Kantone aufbauen und im Irak umstrittene Städte wie z.B. Kirkuk praktisch unter ihren Einfluss bringen.
Auch wenn das Thema „Einheit“ in dieser Zeit stets auf der politischen Agenda stand, konnte dies nicht verhindern, dass die Barzani-Führung im Nordirak Embargos gegen die Kurden in Rojava verhängte und dass es zu Spannungen zwischen den unterschiedlichen kurdischen Parteien kam.
Das Unabhängigkeitsreferendum wurde zuletzt 2017 nach der Rückeroberung Mossuls aus den Händen des IS auf die Agenda gesetzt. Das erste Dilemma, das das Referendum zum Misserfolg führte, lag in der Art und Weise, wie das Referendum verkündet wurde. Denn Barzani hatte es just zu einem Zeitpunkt ins Spiel gebracht, als seine Präsidentschaft fraglich wurde und Korruptionsvorwürfe gegen ihn zu Massenprotesten führten. Darüber hinaus wurde der Referendum-Beschluss zu einer Zeit verkündet, in der der Goran-Führer als Parlamentspräsident abgesetzt und das Parlament aufgelöst wurde. So war der Beschluss zwar von weiten Teilen der Bevölkerung begrüßt, allerdings nicht von allen kurdischen Parteien gemeinsam gefasst worden. Vielmehr war er für die Barzani-Führung Teil des politischen Machtkampfes.
Das für den 25. September 2017 verkündete Referendum führte jedoch für Barzani und seine KDP nicht zu den erwarteten Resultaten. Die USA als seine wichtigsten Unterstützer forderten eine Verschiebung des Referendums um zwei Jahre, weil sie befürchteten, dass es den Einfluss von Russland und des Iran auf die irakische Zentralregierung verstärken und das Ende für die von ihnen errichtete Ordnung bedeuten würde. Das Erstere würde zu einem starken Zulauf der sunnitischen Iraker zum IS zur Folge haben und somit gegen die US-Interessen verstoßen.
Vor dem Hintergrund des eigenen „Kurden-Problems“ zeigten die Türkei und der Iran die schärfste Reaktion gegen das Referendum. Dass Israel aus eigenem Kalkül seine Unterstützung für das Referendum aussprach, spielte dessen Gegnern in die Hände. Diese Unterstützung diente als Begründung für neue Angriffe gegen Kurden.
Schließlich wurde das Referendum mit einer Wahlbeteiligung von 72 Prozent durchgeführt, wobei die Zustimmung zur Unabhängigkeit bei 92 Prozent lag. So sehr die Entwicklungen vor dem Referendum die Stellung der Kurden in der Region gestärkt hatten, so stark schadeten ihnen die Entwicklungen danach. Die USA, die die Stellung des Ministerpräsidenten Ibadi stärken wollten, ließen ihn und von Iran unterstützten Milizen bei ihrer Militärintervention in der Autonomieregion gewähren. Kirkuk und andere kurdische Städte wurden besetzt. Die Vermarktung des Erdöls aus Kirkuk, das 40 Prozent des irakischen Erdöls ausmacht, fiel in die Hände des Iran und der Anteil der Kurden an dem Öl-Einkommen wurde reduziert.
Seitdem steigen die Spannungen zwischen der KDP Barzanis und der YNK unter der Führung von Talabani, die der KDP „Verrat“ und eine „verantwortungslose Gefährdung der kurdischen Interessen“ vorwirft. Vor dem Hintergrund der Streitigkeiten darüber, wer der nächste Staatspräsident im Irak werden soll, haben sie Fahrt aufgenommen. Bekanntlich stellen im Irak die Schiiten den Minister-, die sunnitischen Araber den Parlaments- und die Kurden den Staatspräsidenten. Die beiden letzten Staatschefs waren von der YNK nominiert worden.
Inzwischen haben die Kurden nicht nur in der Kurdischen Autonomieregion Irak ihre erkämpften Errungenschaften verloren, sondern auch in Syrien sind sie gefährdet, nachdem Afrin gefallen ist. Man kann also resümieren:
Es wurde erneut deutlich, dass es den imperialistischen Kräften und den regionalen reaktionären Kräften, die noch vor Kurzem die Kurden im Kampf gegen den IS in den Himmel lobte, nicht um die Unterstützung des Freiheitskampfes, sondern um die eigenen Interessen geht. Das kurdische Volk stellt die eigentlichen Verlierer dar. Und die kurdische Bewegung in Syrien, die einen anderen Weg als die Kurden im Irak geht, muss ihre Lehren aus dieser Erfahrung ziehen. Denn es wurde deutlich, dass die erkämpften Errungenschaften nicht von dieser oder jener imperialistischen Kraft, sondern durch den Kampf des organisierten Volkes verteidigt werden.
.
Erstveröffentlichung in „NeuesLeben/YeniHayat“ vor ein paar Tagen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
Bild und Bildunterschrift hinzugefügt von der Redaktion AmericanRebel
.
Für den Inhalt dieses Artikels ist der Autor bzw. die Autorin verantwortlich.
Dabei muss es sich nicht grundsätzlich um die Meinung der Redaktion handeln.
.
Auch linker Journalismus ist nicht kostenlos
und auch kleine Spenden können helfen Großes zu veröffentlichen!