Pressemitteilung des Anwältlichen Notdienstes Hamburg vom 14. Juli

Hamburg im Zustand polizeilicher Belagerung
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Hamburger Justiz und Polizei haben in der Gefangenensammelstelle (GeSa) in Hamburg-Harburg systematisch die Rechte von in Gewahrsam Genommenen und Rechtsanwälten verletzt

Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein fordert umfassende Untersuchung der Grundrechtsverletzungen in der Gefangenensammelstelle und Konsequenzen bei Polizei, Justiz und politisch Verantwortlichen

Während der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg hat der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) das Legal Team und den Anwaltlichen Notdienst (AND) unterstützt, mit dem in Gewahrsam genommenen Personen anwaltlicher Beistand zur Verfügung gestellt wurde.

Die Gefangenensammelstelle an der Schlachthofstraße. Foto: André Zand-Vakili

Konkret bedeutete dies, dass mehr als 100 Anwältinnen und Anwälte in 24-Stunden-Schichten in der Gefangenensammelstelle (GeSa) in Hamburg-Harburg präsent waren. Insgesamt wurden mehr als 250 Personen betreut. »Wir sind bei dem Versuch, von der Polizei in Gewahrsam genommene Personen rechtlichen Beistand zu leisten, blockiert, beschimpft und physisch attackiert worden«, kritisiert Rechtsanwalt Lino Peters vom AND. »Dass hier rechtsstaatliche Prinzipien über vier Tage willkürlich außer Kraft gesetzt werden konnten, muss personelle und politische Konsequenzen bei den Verantwortlichen nach sich ziehen«, so Rechtsanwältin Daniela Hödl.

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Die nachfolgenden Vorfälle zeigen einige der Rechtsverstöße exemplarisch auf:

In der Nacht vom 6. auf den 7. Juli wurde jeglicher Kontakt zu den in Gewahrsam genommenen Personen durch die Polizeibeamten vereitelt. Die Anwälte, die zu ihren Mandanten wollten, wurden immer wieder unter fadenscheinigen Gründen abgewiesen (›Mandant will keinen Anwalt‹; ›Mandant möchte einen Anwalt, aber nicht die Zelle verlassen‹ etc.). Dieser nicht hinnehmbare Zustand hat sich erst im Laufe des 7. Juli geändert.

Viele unserer Mandanten wurden (vor und) nach dem Anwaltsgespräch von den Beamten unter vollständiger Entkleidung durchsucht. Begründet wurde dies mit der Behauptung, dass durch die Anwälte verbotene Gegenstände an die Mandanten übergeben worden sein könnten. Dies ist nicht nur eine erniedrigende Schikane gegenüber den Mandantinnen und Mandanten, sondern auch ein diffamierender Generalverdacht gegen die gesamte Anwaltschaft und vermittelt den Eindruck, dass die Inanspruchnahme anwaltlichen Beistands gemaßregelt werden sollte.

Gegen 1:30 Uhr morgens am Samstag (8. Juli) legte ein Rechtsanwalt des anwaltlichen Notdienstes Widerspruch bei einem der am Gesprächscontainer eingesetzten Polizeibeamten ein, der sowohl mit Ausweis wie auch durch die Aufschrift ›RA Kontakt‹ ausgewiesen war. Er widersprach sowohl seiner Durchsuchung als auch der seines Mandanten unter vollständiger Entkleidung vor und nach dem Anwaltsgespräch. Daraufhin wurde das Anwaltsgespräch zwischen Mandant und Anwalt durch die Beamten beendet, der Anwalt wurde erst angebrüllt und dann mithilfe von körperlicher Gewalt von den Beamten aus dem Gesprächscontainer und dem Gelände der GeSa entfernt. Die persönlichen Gegenstände des Anwalts – Handy, Aufzeichnungen etc. – verblieben in der GeSa.

In einem weiteren Fall wurde am 9. Juli gegen 3:00 Uhr morgens ein Anwalt, der seinen Mandanten bei der Vorführung vor einer Haftrichterin in der GeSa vertreten wollte und von seinem Mandanten darum ausdrücklich gebeten worden war, zunächst durch die Richterin und den Staatsanwalt angeschrieen, er solle den Gerichtssaal verlassen und dann mit körperlicher Gewalt aus dem Saal gedrängt. Der betroffene Anwalt hat mittlerweile Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt.

Eine der 50 2,23 qm großen Einzelzellen

Eine verletzte junge Frau, die am Freitag (7. Juli) um 12 Uhr mittags mit Verdacht auf Nasenbeinbruch in die GeSa eingeliefert wurde, erhielt 15 Stunden lang keine Nahrung. Ihre Verletzung wurde nicht geröntgt. Sie wurde erst 40 Stunden nach ihrer Festnahme einem Richter vorgeführt, der sie mangels Tatverdacht um 23 Uhr desselben Tages aus dem Polizeigewahrsam entließ. Das Gesetz schreibt eine unverzügliche Anhörung vor dem Richter vor.

Mehrere Mandantinnen berichteten, dass ihnen keine Hygieneartikel zur Verfügung gestellt wurden, obwohl sie diese benötigten. Bei einer jungen Frau wurde die Verweigerung mit dem Kommentar begleitet »Demonstrantinnen bekommen nicht ihre Tage«. In einem weiteren Fall berichtete eine junge Frau, sie habe sich vor den Augen der Beamtinnen einen Tampon einführen müssen.

Auch bei anderen, zum Teil schwer verletzt in Gewahrsam genommenen Personen wurde das Recht auf unverzügliche, angemessene medizinische Behandlung außer Kraft gesetzt. Dies galt auch für u.a. an Epilepsie erkrankte Personen, die trotz Verweises auf ihre Erkrankungen keinen Zugang zu dringend benötigten Medikamenten erhielten. Hier wurden durch die Verantwortlichen lebensbedrohliche Folgen bewusst in Kauf genommen.

Dass die in Gewahrsam genommenen Personen nur nach langen Wartezeiten und oft auch nur auf Druck seitens der Anwälte Nahrung bekommen haben (teilweise nur eine Scheibe Knäckebrot und ein Stück Schmelzkäse), stellt eine weitere unzumutbare Form der Misshandlung dar.

Der RAV und die betroffenen Anwältinnen und Anwälte werden rechtliche Schritte gegen die für die Misshandlungen und Schikanen verantwortlichen Beamten einleiten und fordern eine unabhängige Untersuchung der Grundrechtsverletzungen in der Gefangenensammelstelle.

Für Rückfragen zu den Beispielfällen und für weitere Stellungnahmen steht Ihnen die Presseabteilung des Anwaltlichen Notdienstes vom RAV unter 0174/466 96 31 und unter presse@anwaltlicher-notdienst-rav.org zur Verfügung.

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Pressegruppe des Anwaltlichen Notdienst beim RAV e.V.
Hamburg, den 14.07.2017

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Anhang der Redaktion: Blick in die 3 Millionen Euro teure Gefangenensammelstelle in Hamburg-Harburg
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