Fiete Jensen

Der rechte Terror in Deutschland ist nicht über Nacht entstanden

Die sogenante Rechte Szene wächst und wird militanter
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Fiete Jensen

Rechter Terror in Deutschland ist nicht über Nacht entstanden. Ihn gibt es auch nicht erst seit den Morden des NSU. Den Rechten Terror existiert in der BRD seit ihrer Gründung. Geplante und durchgeführte Sprengstoffanschläge von Neonazis, Brandanschläge, Morde und andere Formen rechtsterroristischer Gewalt, oft auch mit Hilfe des Verfassungsschutzes, sind Teil der Geschichte der Bundesrepuplik. Da war z. B. der Sprengstoff-Anschlag von Nazis auf das Münchner Oktoberfest 1980, bei dem 13 Menschen getötet und 211 verletzt wurden. In den 1990er Jahren wandelten sich die rechtsextremen Aktivitäten hin zu Brandanschlägen auf Wohnungen von Menschen mit Migrationsbiographien und auf Flüchtlingsunterkünfte. Rechter Terror fand seinen Höhepunkt in den Brandanschlägen von Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen, sowie später in der Mordserie des NSU. Es zeigt sich aber noch eine weitere Tendenz: Die BRD-Justiz und staatliche Organe sind ganz offensichtlich auf dem rechten Auge blind!

Dazu schrieb Frank Jansen in der Onlineausgabe der in Berlin erscheinenden Zeitung DER TAGESSPIEGEL am 25. Janauar u. a.:

„Die Bundesrepublik ist seit ihrer Gründung mit rechtsextremen Personen und deren Umtrieben konfrontiert – doch selten war die Lage so komplex: Das Spektrum reicht heute weit über Neonazis und NPD hinaus. Es wird größer, es franst aus und es ist für Verfassungsschutz und Polizei immer schwerer zu fassen. Denn immer mehr Bürger radikalisieren sich, attackieren Flüchtlingsheime oder werden zu „Reichsbürgern“. Der Tagesspiegel erfuhr nun aus Sicherheitskreisen, wie sich die Lage 2016 verändert hat.

Welches Spektrum ist am gefährlichsten?

Sorgen bereitet den Behörden vor allem das Wachstum des Feldes der gewaltorientierten Rechtsextremisten. Der Anstieg um 300 Personen auf 12100 zeugt von einer sich festigenden Bereitschaft in verschiedenen Milieus, rechtsextreme und vor allem rassistische Wahnideen in Straftaten umzusetzen – mit der Faust oder auch mit der Brandflasche. Den Hang zur Militanz beobachten Nachrichtendienste und Polizei allerdings nicht nur bei den üblichen Verdächtigen wie Neonazis, den Restbeständen der Skinheads und etablierten rechten Cliquen. Das Bundeskriminalamt registriert bei den Angriffen auf Unterkünfte von Flüchtlinge zunehmend Täter, die zuvor nicht als Extremisten bekannt waren. Von „rund drei Viertel“ der ermittelten Verdächtigen sprach BKA-Chef Holger Münch im September 2016 im Interview des Tagesspiegels. Mit ihren rassistischen Attacken outen sich diese Leute als rechte Fanatiker, selbst wenn sie niemals NPD wählen würden. Aber sie tragen mit dazu bei, dass im rechtsextremen Spektrum in Deutschland mehr als jede zweite Person als gewaltorientiert zu gelten hat.

Wie viele Deutsche sind „rechts“?

Die Zahl der Rechtsextremisten sei im vergangenen Jahr um ungefähr 500 auf mehr als 23000 Personen gestiegen, sagen Sicherheitsexperten. Grundlage dafür sind die Kategorien des Verfassungsschutzes – registriert werden demnach nur Männer und Frauen, die eindeutig als Extremisten erkennbar sind. Das sind aber längst nicht alle Personen, die rassistische, islamfeindliche und weitere problematische „rechte“ Ansichten vertreten. Die AfD-Mitglieder, die kürzlich in Dresden bei der Rede von Björn Höcke gejubelt haben, werden vom Verfassungsschutz genauso wenig als Extremisten erfasst wie die allermeisten Pegida-Demonstranten – im Januar 2015 waren das mehr als 20000. Außerdem sind die unzähligen rassistischen Pöbler im Internet ein weiteres Indiz, dass das „rechte“ Potenzial in Deutschland erheblich größer ist, als die Zahl von 23000 Extremisten suggeriert – sie sind nur der harte Kern.

Wie sieht die Szene der Extremisten aus?

Der größte Block ist mit 8.500 Personen (2015: 8.200) das Milieu der vom Verfassungsschutz als „subkulturell geprägte Rechtsextremisten“ bezeichneten Leute. Sicherheitskreise nennen vor allem die Rechtsrockszene und die mit ihr verbundenen Skinheadgruppierungen wie die elitären „Hammerskins“ (etwa 140 Personen). Herausragendes Ereignis war ein konspirativ organisiertes Konzert im Oktober. Die mutmaßlich deutschen Veranstalter hatten bewusst vage „Süddeutschland“ angekündigt, die Teilnehmer wurden dann jedoch in den Schweizer Ort Unterwasser geschleust. Etwa 5.000 Rechtsextremisten, die meisten aus der Bundesrepublik, strömten zur Halle, in der unter anderem die deutsche Rechtsrockband „Stahlgewitter“ auftrat. Die Organisatoren hätten vermutlich mehr als 100.000 Euro eingenommen, sagen Experten.

2013 wollte die NPD bei ihrem Bundesparteitag unter sich sein. Inzwischen agieren rechte Politiker und Extremisten immer offener,       Foto: Rene Priebe/DPA

Zum Milieu der subkulturell geprägten Rechtsextremisten werden auch lose Zusammenschlüsse im Internet und viele Personen gezählt, die weder einer Partei noch einem bekannten Verein angehören.

Die rassistische Bewegung „Die Identitären“, etwa 300 Leute, ordnen Sicherheitskreise hingegen den „sonstigen“ rechtsextremen Organisationen zu. Im August begann das Bundesamt für Verfassungsschutz, die rechtsextreme Sponti- Gruppierung zu beobachten. Die Verfassungsschutzbehörden mehrerer Länder hatten die Identitären schon zuvor in den Blick genommen. Die Rassisten provozierten 2016 vor allem in Berlin: Ihre Aktivisten besetzten das Brandenburger Tor und schikanierten mehrmals die Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert.

Ein großer rechtsextremer Block ist auch das Spektrum der Neonazis. Experten sprechen hier von 5800 Personen, so viele wie schon 2015. Ein Teil der Neonazis bevorzugt „freie“ Zusammenschlüsse jenseits von Parteien und Vereinen, um einem Verbot vorzubeugen. Andere Neonazis hingegen treten braunen Parteien bei, weil die nur schwer zu verbieten sind.

Welche Rolle spielen Parteien?

Stärkste Kraft bleibt die NPD, aber auch 2016 war für sie kein gutes Jahr. Die Partei habe nur noch um die 5000 Mitglieder, sagen Experten. 2015 waren es 200 mehr. Die NPD behauptet allerdings, sie sei auf 5600 Mitglieder gewachsen. Kurz nachdem nun auch das zweite Verbotsverfahren in Karlsruhe gescheitert war, prophezeiten Funktionäre sogar einen weiteren Aufschwung. Sicherheitskreise winken jedoch ab. Mehrere Landesverbände der NPD seien kaum noch wahrnehmbar. Die Partei komme gegen die übermächtige Konkurrenz der AfD nicht an.

An der NPD nagen zudem die kleinen Neonaziparteien „Die Rechte“ und „Der III. Weg“. Beide wuchsen um je 50 Mitglieder: „Die Rechte“ hat jetzt etwa 700, „Der III. Weg“ ungefähr 350.

Bleibt noch die islamfeindliche Partei „Pro NRW“. Sie hatte 2015 fast die Hälfte ihrer damals 950 Mitglieder verloren, als der relativ starke Ortsverband „Pro Köln“ sich abspaltete. Seitdem dümpelt Pro NRW mit 500 Mitgliedern vor sich hin.

Wie sind die „Reichsbürger“ einzuordnen?

Deutschland schreckte auf, als im Oktober der „Reichsbürger“ Wolfgang P. im fränkischen Georgensmünd einen Polizisten erschoss. Im November begann das Bundesamt für Verfassungsschutz die Beobachtung der Szene, die mit kruden Parolen der Bundesrepublik die staatliche Legitimation abspricht. In einigen Ländern befassen sich Verfassungsschützer schon länger mit dem Milieu. Nun wird seine deutschlandweite Dimension sichtbar.

Der Szene seien mehrere tausend, womöglich sogar über 10 000 Personen zuzurechnen, vermuten Sicherheitskreise (die Zahl ist nicht Teil der Summe von 23000 Rechtsextremisten). Allein Bayern spreche von 1700 „Reichsbürgern“. Offen bleibt, inwieweit die Szene als rechtsextremistisch einzustufen ist. Die Verfassungsschützer scheinen sich darauf zu einigen, jene bekennenden „Reichsbürger“ als zumindest „extremistisch“ zu bezeichnen, die die demokratische Grundordnung der Republik ablehnen.

Mehr noch beunruhigt die Behörden, dass viele von ihnen wie Wolfgang P. bewaffnet sind. Schätzungsweise zehn Prozent hätten eine Waffenbesitzkarte, sagen Sicherheitskreise. Das liegt deutlich über dem Durchschnitt der Bevölkerung.“
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