Volkskorrespondenz zum Wochenede
Heinz Ahlreip – 28. Mai 2022
AUGUST BEBEL: „Ich will der Todfeind dieser
bürgerlichen Gesellschaftsordnung bleiben!“
August Bebel erblickte am 22. Februar 1840 als Sohn des armen preußischen Unteroffiziers Johann Gottlieb Bebel und dessen Frau Wilhelmine Johanna in Köln das Licht der Welt. Er verlor seine Eltern früh, den Vater, als er vier, die Mutter als er dreizehn Jahre alt war. Seine Jugend war hart und stählte ihn, er war, wie Stalin es formulierte, im Kampf mit der Not aufgewachsen.1 Viele Intellektuelle übersehen die Bedeutung dieses wichtigen Punktes. Im Rheinland war die Bevölkerung republikanisch gesinnt, doch in der Volksschule bekannte sich der junge Bebel mit einem weiteren Klassenkameraden zur Monarchie und wurde daraufhin verprügelt, Ironie der Geschichte, der alte Bebel wurde im Volksmund gern Kaiser Bebel oder Arbeiterkaiser genannt.
Bebels politisches Wirken fiel hauptsächlich in die Periode der Herausbildung sozialistischer Massenparteien. In den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts machte sich der gelernte Drechsler von preußischen Kasernenhofvorurteilen frei und wurde zunächst Anhänger des Liberalismus „und kämpfte gegen den Sozialismus“2 Durch Broschüren Lassalles, aber insbesondere durch Wilhelm Liebknecht, der aus dem Londoner Exil zurückkam, wurde er Sozialist, und zwar ein zum lebenslangen Lernen bereiter Sozialist, auch in Gefängnissen.3 Zusammen mit Liebknecht trug er entscheidend dazu bei, dass die beiden Arbeiterparteien (Eisenacher und Lassalleaner) sich auf marxistischer Grundlage vereinten. Nach der Gründung des deutschen Reichstags wurde Bebel bereits mit 27 Jahren ins Parlament gewählt und gehörte diesem bis zu seinem Tod ohne Unterbrechung an. Zusammen mit Liebknecht enthielt er sich 1870 bei der Bewilligung der Kredite für den Deutsch Französischen Krieg der Stimme, was Marx und Engels rügten. Gab es 1870 lediglich zwei Stimmenthaltungen, so war es immerhin Liebknechts Sohn Karl, der am zweiten Dezember 1914 ganz im marxistischen Sinn gegen die Kriegskredite stimmte. Lenin ging 1914 von einer Stimmenthaltung der gesamten SPD aus und hielt Zeitungsmeldungen über die fast einhellige Zustimmung für Fälschungen der Geheimdienste. In der Verfolgungszeit unter dem Sozialistengesetz kämpfte er gegen opportunistische Strömungen, fiel allerdings auch für kurze Zeit auf den Systemphilosophen Professor Eugen Dühring herein, ja es ging sogar so weit, dass auf einem Parteitag ein Antrag eingebracht wurde, die Kritik von Friedrich Engels an Professor Dühring im Zentralorgan der Partei nicht mehr zuzulassen. Bebel selbst unterlief die Eselei, einen Brief von Friedrich Engels von 1875 anlässlich des Gothaer Programms mit einer wertvollen Aussage, Lenin spricht von der vielleicht bemerkenswertesten Betrachtung in den Werken von Marx und Engels über den Staat, 36 Jahre, von 1875 bis 1911, in der Schublade liegengelassen zu haben. Neben dem sehr wichtigen Hinweis von Engels, dass das Proletariat den Staat in der Revolution nicht im Interesse der Freiheit gebraucht, sondern zur Niederhaltung seiner Gegner, ist es vor allem die Ausführung, dass man das Wort „Staat“ fallenlassen und durch das Wort „Gemeinwesen“ ersetzen sollte, die also lange Zeit vor der Öffentlichkeit verschlossen blieben und erst im zweiten Teil der 1911 erschienenen Memoiren Bebels „Aus meinem Leben“ zugänglich wurden. Zwei wichtige Publikationen von Bebel waren in diesem Zeitraum zu verzeichnen: 1875 veröffentlichte er ein Werk: „Der deutsche Bauernkrieg mit Berücksichtigung der hauptsächlichsten sozialen Bewegungen des Mittelalters“ und 1879 seine Hauptschrift: „Die Frau und der Sozialismus“, deren immenser Einfluss auf das Bewusstsein proletarischer Massen nicht unterschätzt werden darf. Die Anregungen zu diesem Buch, das zuerst unter dem Tarntitel: „Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ erschien, holte sich Bebel durch das Studium der französischen sozialistischen Utopisten, insbesondere Fouriers. Das Werk über den Bauernkrieg verfasste Bebel während seiner Festungshaft im Landesgefängnis Zwickau, ohne dass ihm die Schrift von Friedrich Engels über diesen Krieg vorlag. Er sprach sich schon hier für ein Bündnis mit den Bauern aus, sie sollten sich „die Hände reichen und gemeinsam den schönsten und größten Befreiungskampf kämpfen, den die Welt je gesehen.“4 Die beiden Bauernkriegswerke von Engels und Bebel stießen der Obrigkeit auf und wurden während des Sozialistengesetzes von der „Königlichen Regierung zu Schleswig“ am zweiten November 1878 verboten. Nach dem Fall des Sozialistengesetzes 1890 wurde die Sozialdemokratische Partei zu einer wirklichen Massenpartei und in ihr war Bebel in seinem Element und wurde ihr allseitig anerkannter, „am meisten geliebte Führer.“5 Mitte der 90er Jahre hatte er unbedingt gegen Kautsky Recht in einer bündnispolitischen Frage, er sprach sich für ein Bündnis mit den kleinen und mittleren Bauern aus, konnte sich in diesem Punkt aber nicht durchsetzen. Unvergessen ist seine Rede auf dem Dresdner Parteitag 1903: „Ich will der Todfeind dieser bürgerlichen Gesellschaft und Staatsordnung bleiben, um sie in ihren Existenzbedingungen zu untergraben, und sie, wenn ich kann, beseitigen.“ Ein Satz, den sich alle sogenannten „Sozialdemokraten“ von Bernstein und Vollmar – gegen beide kämpfte Bebel noch 1903 auf dem Parteitag in Dresden6 – über Ebert, Scheidemann, Noske, Brandt, Schmidt, Schröder, der Kanzler der Bosse…u.s.w. hinter die Löffel hätten schreiben sollen, es ist eine tiefe Tragik für die deutsche Arbeiterbewegung, ja für das ganze deutsche Volk, dass der Kopf an diesen abscheulichen Verrätern drangeblieben ist, dass sie Bebel nicht als den nahmen, als den Lenin ihn bezeichnete: ein „Vorbild eines Arbeiterführers….eines Repräsentanten und Mitkämpfers der Lohnsklaven des Kapitals in ihrem Massenkampf für eine bessere Ordnung der menschlichen Gesellschaft.“7 (In der Schrift „Was tun?“ von 1905 äußerte Lenin den Wunsch, dass als Ergebnis seiner in ihr dargelegten Konzeption eines Parteiaufbaus viele russische Bebels aus der Arbeiterklasse emporsteigen mögen.8 „Sobald die Prinzipienfrage bei unserer praktischen Tätigkeit in den Hintergrund tritt…vielleicht geradezu verleugnet wird, verlässt die Partei den festen Boden, auf dem sie steht und wird eine Fahne, die sich dreht, wie der Wind weht. Der prinzipielle Maßstab muss allen unseren Forderungen auch in der Praxis angelegt werden, er muss der Prüfstein bilden, ob wir auf den richtigen Weg sind oder nicht.“9 Aber nach Bebels Tod wurde die SPD eine Partei ohne die Prinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus, die sich nach dem Wind zur Konterrevolution wehte. Bebel wird ja auch das abgewandelte Bibelwort zugeschrieben: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Die Arbeiterbeamten, die Arbeiterbürokraten, die Arbeiteraristokraten, die opportunistischen Gewerkschaftsbonzen, sie alle erweisen sich als widerwärtige Schmarotzer am Körper der werktätigen Menschen in Deutschland. Seinen letzten Kampf führte Bebel gegen den Revisionismus Bernsteins. „Man versuchte, die Partei der Arbeiterklasse zu einer kleinbürgerlichen Partei sozialer Reformen zu machen. Unter den Beamten der Arbeiterbewegung, unter den Intellektuellen fand die neue opportunistische Seuche zahlreiche Anhänger.“10 Heute allerdings ist die SPD eine kleinbürgerliche Partei. Die Dialektik der Geschichte ist so verlaufen, dass sie, um es mit den Worten von Bebel zu sagen, „gefährliches Unkraut unter dem Volksweizen ist, das ausgerottet werden muss.“11.
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