Redaktion Roter Morgen – 15. Februar 2022
Die „Säuberung“ des DGB
Erinnerungen an die Praxis der Unvereinbarkeitsbeschlüsse
Gestern berichteten wir über den im Januar 1972 erlassenen Radikalenerlass der SPD/FDP Regierung und den damit verbundenen Berufsverboten. Nur fünf Monate später haute der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit seinen sog. Unvereinbarkeitsbeschluss (siehe unten) in die gleiche Kerbe.
Die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der Siebzigerjahre sind allerdings nichts Neues. Schon in der Adenauerzeit wurden 650 KPD-Mitglieder, hauptsächlich Funktionärinnen und Funktionäre, noch vor dem Parteiverbot 1956 auf Betreiben der SPD aus den Gewerkschaften ausgeschlossen. Ebenso war der Versuch, in den Siebzigern „linke“ Kommunisten aus den Gewerkschaften auszuschließen, immer auch ein Versuch, den parteipolitischen Einfluss der SPD zu erhalten und die Gewerkschaften hin zur (sozialdemokratischen) Richtungsgewerkschaft zu verändern.
Aber auch sie SPD selbst pflegt die Tradition der Unvereinbarkeit. Bereits 1925 beschloss sie die Unvereinbarkeit mit der Mitgliedschaft in linken Organisationen, zum Beispiel dem Internationalen Jugendbund (IJB) und der Roten Hilfe. 1948 erklärte die SPD eine gleichzeitige Mitgliedschaft in der VVN und 1961 im SDS für unvereinbar mit einer Mitgliedschaft in der SPD. 2010 hob der Parteivorstand der SPD den Unvereinbarkeitsbeschluss für Mitgliedschaft in der VVN auf.
Besonders eifrig war die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beim Aussortieren und Rausschmeißen von Kommunisten und welche die sie dafür hielten. Sie schloss sogar einen ganzen Landesverband aus.
Der damalige GEW-Bundesvorsitzende Erich Frister gab die Zahl der Ausgeschlossenen mit 300 an (3). Ausschlüsse gab es auch in anderen Gewerkschaften. Nach dem Schlussgutachten des 3. Internationalen Russell-Tribunals 1978 gab es in den Jahren 1971 bis 1976 Ausschlüsse auf der Grundlage der Unvereinbarkeitsbeschlüsse auch bei der IG Metall (187), der IG Chemie (41), der ÖTV (184) und der IG Druck (21) (4). 1989 hat die GEW den Verweis auf die Unvereinbarkeitsbeschlüsse des DGB aus ihrer Satzung gestrichen. Die IG Metall und die ÖTV-Nachfolgegewerkschaft ver.di haben in jüngerer Zeit Gewerkschaftstagsbeschlüsse gegen die Berufsverbote gefasst und die Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen gefordert. Der Unvereinbarkeitsbeschluss der IG Metall gegen die MLPD ist nach wie vor in Kraft.
Quelle: Rotbuch zu den Gewerkschaftsausschlüssen, j.reents-verlag (HRG)
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Der Genosse Hajo Dröll, ein Betroffener, schrieb dazu u. A.
Eine fast vergessene Schande – nicht nur der GEW!
„Im Programm des KBW ist festgelegt, daß das Endziel seines Kampfes die ‚klassenlose Gesellschaft ist, die nur über die Revolution erreicht werden kann‘. (…) Diese Zielsetzungen sind nach dem KPD-Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.8.1956 mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland unvereinbar.“
Mit diesen Worten begründete der Regierungspräsident in Darmstadt mit Schreiben vom 15.3.1976, warum „Herr Dröll auf keinen Fall geeignet für eine Übernahme in den pädagogischen Vorbereitungsdienst des Landes Hessen“ ist. Weil ich mich auch bei der Gesinnungsprüfung nicht von den Zielen des KBW distanzieren mochte und für diesen verschiedentlich bei Wahlen kandidiert hatte, bestehe „die Gewißheit“, dass ich nicht für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten werde.
Von Oktober 1975 bis September 1976 arbeitete ich als „freiberuflicher Dozent“ mit fünf Wochenstunden beim Berufsfortbildungswerk des DGB (bfw) im Fach Politik und wechselte danach mit 30 Stunden zu einem anderen Bildungsträger. Es begann gerade der Boom der Sprachkurse für Spätaussiedler. Zufällig war bei diesem neuen Bildungsträger nebenberuflich auch ein Kollege tätig, der beim bfw eine führende Position bekleidete. Der erzählte mir kurz nach meinem Wechsel brühwarm und aufgewühlt, dass der Verfassungsschutz bei der bfw-Leitung aufgekreuzt sei, um sie aufzufordern, ihren Dozenten Dröll und zwei weitere Kollegen wegen „kommunistischer Umtriebe“ zu feuern.
Bei der Abwehr von „Verfassungsfeinden“ ging es also nicht nur um den öffentlichen Dienst, auch die Gewerkschaften sollten wehrhaft gemacht werden. Allerdings ist es ein seltener Zufall, dass man das verborgene Treiben dieser finsteren Behörde einmal so hautnah mitkriegt. Bereits Mitte 1975 war ich Mitglied der ÖTV geworden, ohne in dieser Gewerkschaft je aktiv zu sein. Im März 1977 beantragte die Kreisverwaltung Frankfurt der ÖTV meinen Gewerkschaftsausschluss, weil ich bei den Kommunalwahlen für den KBW kandidiert hatte. Dem Schreiben beigefügt war ein Beschluss des DGB-Bundesvorstandes vom Oktober 1973, wonach „die Tätigkeit für oder die Unterstützung von linksextremen Parteien, Vereinigungen oder Gruppierungen unvereinbar mit einer Mitgliedschaft in einer DGB-Gewerkschaft ist“. Eine Begründung, warum man als „Linksextremer“ kein Gewerkschafter sein soll, gab es nicht. Um dem drohenden Gewerkschaftsausschluss zu entgehen, trat ich im Mai 1977 von der ÖTV in die GEW über. Trotzdem beschloss der ÖTV-Hauptvorstand im September 1977 meinen Rauswurf. Und auch der Hauptvorstand der GEW schmiss mich ein Jahr später wegen einer Kandidatur zu den Landtagswahlen raus. Meine Einwände wurden ignoriert. Nach meinem Austritt aus dem KBW 1978 nahm mich der Hauptvorstand der GEW 1981 wieder auf. Danach begann ich mich in der GEW zu engagieren, kämpfte gegen prekäre Beschäftigung und gegen ungeschützte Arbeit, in die mich das Berufsverbot gezwungen hat. Seit langen Jahren bin ich mit wechselnden Kolleginnen und Kollegen Vorsitzender des Landesangestelltenausschusses. Vom Jahr 2000 bis zu meinem Rentenantritt 2015 war ich im Landesverband Hessen hauptamtlicher Organisationssekretär für die Bereiche „Weiterbildung und Bildungsmarkt“.
Von wegen Einheitsgewerkschaft!
Mit meinem Berufsverbot bin ich all die Jahre „im Reinen“ gewesen. Zwar musste man damit wie mit einer Gefängnisstrafe umgehen und kein Arbeitgeber durfte davon wissen (abgesehen von der GEW in späteren Jahren), aber mir war schon lange klar, dass mein Engagement für radikale direkte Demokratie etwas anderes war als das geforderte „Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung“. In der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes geht zwar „alle Macht vom Volke aus“, aber wo geht sie hin? Ihre „besonderen Organe“ wie Militär, Verwaltungen oder Polizei sind dem direkten Volkswillen entzogen. Direkte Demokratie gibt es nach dem Grundgesetz nur bei der Neuordnung des Bundesgebietes. Nur für diesen Fall ist eine Volksabstimmung vorgesehen.
Nie „im Reinen“ war ich aber mit meinen Gewerkschaftsausschlüssen. Und sie empören mich noch immer. Die Einheitsgewerkschaft ist eine große Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung. Danach muss jeder und jede unabhängig von Weltanschauung und politischen Ansichten in die Gewerkschaft aufgenommen werden. Grundlage sind nur die sozialen und ökonomischen Interessen des Mitglieds. Dieses Gewerkschaftsmodell kann die größtmögliche Kampfkraft organisieren und setzt voraus, dass die Gewerkschaft zwar nicht politisch, aber parteipolitisch neutral ist. Unvereinbarkeitsbeschlüsse wegen Organisationszugehörigkeiten sind der vollständige Bruch dieser Prinzipien.
(…) Man wundert sich, dass die GEW-Oberen die Unvereinbarkeitsbeschlüsse vergessen hatten, bis sie ihnen 2012 um die Ohren flogen, als die Opfer von Berufsverboten bei einem Treffen in Göttingen nicht nur ihre Berufsverbote, sondern auch ihre Gewerkschaftsausschlüsse anprangerten.
Auseinandersetzungen in der GEW
Den Höhepunkt der zeitgenössischen Auseinandersetzung um die Unvereinbarkeitsbeschlüsse bildete, stets von außen von der Springer-Presse bis zum SPIEGEL befeuert, 1977 der Ausschluss des GEW-Landesverbands Berlin mit 13.000 Mitgliedern aus der GEW und dem DGB, weil er sich den Schandbeschlüssen nicht beugen wollte. Die Spaltung der Berliner GEW dauerte bis 1979, als der neu gegründete, dem Hauptvorstand treue GEW-Verband wieder mit dem ausgeschlossenen Landesverband fusionierte.
In Wiesbaden wurde im März 1974 der gesamte Arbeitskreis junger Lehrer und Erzieher (AjLE) vom Kreisvorstand mit der Begründung aufgelöst, „linksextremistische Gruppen“ wollten „unter dem Deckmantel gewerkschaftlicher Solidarität“ den GEW-Kreisverband „unterwandern“ (1). Der Vorstand beantragte, den gesamten AjLE-Vorstand rauszuwerfen. In Frankfurt wurde der stellvertretende Bezirksvorsitzende Klaus Knöss gegen heftigsten Widerstand ausgeschlossen. Gleiches versuchte man beim Offenbacher Kreisvorsitzenden Gerd Turk. Ihm wurde satzungswidriges Verhalten vorgeworfen, weil er die Unvereinbarkeitsbeschlüsse nicht aktiv mittrage. Gegen den Ausschluss von Manfred Köhler aus Frankfurt gab es 60 Resolutionen von Gremien der GEW und ein Go-In anlässlich einer Sitzung der Bundesschiedskommission (siehe Foto).
Die meisten Gewerkschaftsausschlüsse verliefen nach dem Muster „Erst Berufsverbot, dann Gewerkschaftsausschluss“. Es gab Fälle – etwa bei Gerd Turk -, wo sich die Entlassungsbestrebungen der Schulbehörde und die gewerkschaftlichen Ausschlussverfahren gegenseitig beförderten. Es gab aber noch einen besonderen Skandal im Skandal! Bei den Kollegen Knöss und Köhler erfolgten die Disziplinarmaßnahmen des Dienstherrn erst nach ihrem Ausschluss aus der GEW. Auch der breite öffentliche Widerstand konnte die Entlassung von Manfred Köhler nicht verhindern, bei Klaus Knöss und Gerd Turk war er dagegen erfolgreich. Der GEW-Ausschluss von Klaus Knöss blieb zunächst bestehen. Gegen Gerd Turk konnte sich der Hauptvorstand mit seinem Ausschlussantrag nicht durchsetzen, jedoch wurde gegen ihn ein sechsjähriges Funktionsverbot verhängt. (…)
Quelle: HLZ 1-2/2017: Berufsverbote
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Die Ansage an die Einzelgewerkschaften des DGB
Hier könnt ihr hier nachlesen wie der Unverweinbarkeitsbeschluss begründet wurde.
Die IGM spricht Klartext
Die Industriegewerkschaft Metal (IGM) spricht nicht wie der DGB von „extremistischen Parteien und Gruppierungen“, sondern Klartext:
Beschluss des Beirats der IGM vom 16. April 1973
„1. Die Zielsetzungen und Aktivitäten der unter den Bezeichnungen KPD, KPD/ML, KPD/AO, Arbeiter-Basis-Gruppen, Kom-
munistischer Bund, Kommunistischer Arbeiterbund und Kommunistische Arbeiterpresse tätigen linksextremisti-
schen Gruppen und der von ihnen getragenen sogenannten (Revolutionären) Gewerkschaftsopposition sind gewerk-
schaftsfeindlich.2. Die genannten Gruppierungen werden zu gegnerischen Organisationen erklärt. Die Zugehörigkeit zu diesen Organisationen ist unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der Industriegewerkschaft Metall.
3. Mitglieder der Industriegewerkschaft Metall, die sich an deren gewerkschaftsfeindlichen Aktivitäten beteiligen oder diese unterstützen, verstoßen gegen die Interessen unserer Gewerkschaft und müssen mit dem Ausschluß rechnen.“
Quelle: Rotbuch zu den Gewerkschaftsausschlüssen, j.reents-verlag (HRG), Hamburg 1978, S. 50
Die DKP-Revisionisten Seite an Seite mit der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung
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Ganz bewusst richteten sich die Gewerkschaftsausschlüsse ausschließlich gegen Mitglieder der linken, revolutionären Bewegung und ihren Parteien. Die DKP, die auch unter dem Radikalenerlass der SPD/FDP-Regierung litt, biederte sich den Gewerkschaften an und nutze deren Politik um gegen revolutionäre Parteien, die im Kampf gegen den modernen Revisionismus entstanden sind, zu hetzen.
Ein exemplarisches Beispiel dieser Anbiederung seht ihr links. Der Antragsteller war Mitglied der DKP.
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Warum flogen so viele Genossen des KBW aus den Gewerlschaften?
Die Kommunistische Partei Deutschlands Marxisten/Leninisten (KPD/ML) und die Revolutionäre Gewerkschaftsoposotin (RGO) waren in den Betrieben erheblich besser verankert und arbeiteten nach dem Prinzip „So legal wie möglich, so illegal wie nötig“. Ein vorrangiges Anliegen war es ihnen nicht aus der Gewerkschaft ausgeschlossen zu werden, weil dort, wo die meisten Werktätigen Deutschlands organisiert sind, die besten Möglichkeiten bestehen, mit ihnen zu kämpfen. Dieses allerdings nicht wie beim KBW nach der Devise: „Jeder wie er mag …„, sondern organisiert und gut vorbereitet durch die Arbeit der RGO. So konnte es vermieden werden das massenweise, wie beim KBW, die Genossen/innen aus der Gewerkschaft flogen. Und nur so konnten die Genossen die Kontakte zu den fortschrittlichen Kollegen/innen knüpfen, erweitern und pflegen.
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Literatur-Empfelung:
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Rotbuch zu den Gewerkschaftsausschlüssen,
mit Gutachten zum Russell-Tribunal Broschiert, J. Reents-Verlag, (1. Januar 1978)
Das Buch ist nur noch antquarisch zu erwerben und man muss ab und zu die Onlineantiquariate abfragen ob ein Exemplar vorhanden ist.
Z. Zt. (14. Febr, ’22) wird, unseres Wissens nach nur ein Exemplar bei »Bücher Outlet« angeboten.
.Wer hat eigene Erfahrungen mit einem.
.Gewerkschaftsausschluss,.
.dem Radikalenerlass und Berufsverbot gemacht?.
.Bitte berichten von Euren Erlebnissen.
.unten im Kommentarbereich!.
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Lest dazu auch:
– 50 Jahre Radikalenerlass – Weg mit Berufsverboten & Klassenjustiz!
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Erstveröffentlichung am 14. Februar 2022 auf »RoterMorgen«. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.
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Ja, was oben über den KBW steht, kann ich bestätigen. Ich war 1973/74 für ein Jahr dort Mitglied und wechselte dann zur Roten Garde und zur KPD/ML.
Die unerfahrenen Genossen/innen wurde regelrecht verheizt. Es wurde z. B. tagsüber unter Verwendung von Pkws mit Kennzeichen plakatiert und wie im Artikel beschrieben, in den Gewerkschaftsgremien Reden gehalten, in denen man sich zum revolutionären Kampf bekannte. Von Strategie und Taktik hatten die keine Ahnung.
Ich hatte Schwein und wurde als aktiver Jugendgewerkschafter und RGO-Mitglied nicht aus der Gewerkschaft entlassen. Der Grund dafür war das die RGO mich anleitete, wie ich mich verhalten muss, um möglichst viel zu erreichen. Im Artikel wird ja die Strategie „So legal wie möglich, so illegal wie nötig“ beschrieben. Diese daraus entstehende Umsicht hat es mir ermöglicht, viel Einfluss auf meine Gewerkschaftskollegen nehmen zu können.
Hinzu kommt das ich in der Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK) war, die neben der IG-Bausteine-Erden als die „fortschrittlichte“ Einzelgewerkschaft des DGB galt.
Wir sollten hier auch auf unsere englischen Arbeitsbrüder hinweisen, die sehr aktiv gegen blacklisting kämpfen und von ihrer Gewerkschaft unterstützt werden. Ganz anders wie hier der DGB. Sie freuen sich auch wenn wir mit ihnen solidarisch sind. Unter Maggie Thatcher fand eine regelrechte Hexenjagd gegen aktive Gewerkschafter statt und es wurde sogar die NUM zerschlagen mit Arthur Scargill im Stile eines Hitler. Nicht von ungefähr wurde sie Lady Hitler genannt.