F.-B. Habel
Die Nummer Zwei nach Juri Gagarin
oder Abendbrot aus der Gulaschkanone
Das Filmmuseum Potsdam präsentiert unser Sandmännchen zum 60.
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F.-B. Habel
Wer als Berliner/in oder aus dem Umland für sich und seine Familie noch ein weihnachtliches Ausflugsziel sucht, sei auf eine interessante Ausstellung hingewiesen, die für jung und alt gleichermaßen besuchenswert ist.
„Den Abendgruß vom Fernsehfunk schaut jeden Abend Alt und Jung!“ Die zweite Strophe des Sandmann-Liedes wurde nach 1991 nicht mehr gespielt, denn der Deutsche Fernsehfunk, dessen beliebtester Star das Sandmännchen war, war schnöde abgewickelt worden. Fast hätte es auch den Fernsehliebling getroffen, aber als der Plan ruchbar wurde, gab es einen Entrüstungssturm in der halben neuen Republik, bei dem sogar Westzuschauer mittaten.
Bild aus „Unser Sandmännchen“ wird 60 Jubiläumsmotiv, Bild: rbb Presse & Information, Quelle: YouTube sreentshot
Dass der erste Film, der die Rahmenhandlung für die seit 1958 ausgestrahlten Abendgrüße, ein Schnellschuss war, merkte ihm niemand an. In den oberen Etagen des Fernsehfunks wurden auch West-Zeitungen gelesen, und da fand man Ende Oktober 1959 die Ankündigung, dass am 1. Dezember im SFB ein Sandmann auf Sendung gehen sollte – gerade zur Sendezeit des DFF-Abendgrußes. Dem wollte Adlershof zuvorkommen. Der damals 30jährige Puppengestalter und Regisseur Gerhard Behrendt erhielt den Auftrag, schnellstens einen Sandmann und eine Rahmenhandlung als Puppentrickfilm zu entwickeln, und tatsächlich schaffte es sein kleines Kollektiv, den ersten Sandmann-Film am 22. November 1959, eine gute Woche vor dem SFB, auf den Sender zu bringen. Zwar wurde an der Puppe noch einmal etwas geändert, denn da er Müdigkeit symbolisieren sollte, trat er mit halb geschlossenen Lidern auf („Schlafzimmerblick“ nannte das die ältere Generation spöttisch), aber mit seinen Knopfaugen im zweiten Film war er fertig und es begann seine Erfolgsgeschichte. Puppenvater Behrendt erklärte die Wirkung auf alle Generationen so: „Seine Physiognomie hat etwas Kindliches und trägt zugleich das Merkmal der Weisheit und Würde des Alters.“
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Im Laufe der Jahrzehnte entstanden Hunderte von Filmen, die vor allem die kleinen Zuschauer begeisterten. Faszinierend war die Vielzahl von Verkehrsmitteln, die das Sandmännchen benutzte (obwohl es auch ganz gern mal zu Fuß ging). Da waren zum Beispiel Straßenbahn, Bus, Spreewaldkahn, Segelboot, Kutter, Schlitten oder Sattelschlepper. Als an den BER noch nicht zu denken war, landete der Sandmann auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld mit einer Sondermaschine der Interflug. Er flog im Hubschrauber über den Neptunbrunnen in Berlin ein, wie es überhaupt mehr als ein Dutzend Sujets aus Berlin gab, wo er beispielsweise die Weltfestspiele im Sonderbus erreichte. Auf die Leipziger Messe kam er in einem grünen Robur-Bus (weil der blaue des RBB noch nicht in Sicht war) und wurde vom Messemännchen begrüßt – auch eine Schöpfung von Gerhard Behrendt. Es gab Reisen im Eselskarren nach Bulgarien und mit dem fliegenden Teppich in den Irak. Er bereiste die Sowjetunion, Ungarn, Indien, Ägypten Kuba und den Nordpol. Sogar Westdeutschland besuchte er mindestens zwei Mal, um sich mit den Bremer Stadtmusikanten zu treffen.
Gut, Juri Gagarin musste er 1961 den Vortritt lassen – aber dann reiste auch der Sandmann ins All, und nicht nur einmal. Selbst auf einer Raumstation sorgte er für gesunden Schlaf.
Vieles davon kann man in der neuesten Ausstellung (der siebenten seit 1987) im Filmmuseum Potsdam nachvollziehen, wobei den Weltraumreisen ein ganzer Raum gewidmet ist. In einem weiteren Raum kann man ins Märchenland eintauchen, denn das Sandmännchen besuchte u.a. Frau Holle, Schneewittchen und die sieben Zwerge, Rotkäppchen, Burattino und viele weitere Märchenfiguren.
Kuratorin Ugla Gräf und Ausstatter Wilko Drews haben die Ausstellung „Mit dem Sandmann auf Zeitreise“ für die ganze Familie konzipiert. Für die Kleineren gibt es unten viel zu entdecken, auch Bildschirme, auf denen man die Filme sehen kann, die zu den Figuren in den Vitrinen gehören. Die Großen erfahren Wissenswertes zu den Hintergründen, etwa zur Geschichte der Sandmann-Figur seit E.T.A. Hoffmann und Hans Christian Andersen, oder zeitgeschichtliche Hintergründe aus 60 Jahren Sandmännchen. Denn die Identifikationsfigur unterstützte auch immer mal ganz subtil politische Kampagnen. Trotz aller Reisen zog es das Sandmännchen in die „Heimat DDR“, es half gelegentlich auch guten Freunden der NVA beim Brückenlegen oder fuhr im Schützenpanzerwagen. Das Abendbrot gab es dann aus der Gulaschkanone.
Im Filmmuseum kann man basteln, und eine Ecke fürs Körpertraining gehört auch dazu. Und wenn man davon müde ist, ist der Sandmann ja schon da!
Mit dem Sandmann auf Zeitreise, Filmmuseum Potsdam, bis 30. Dezember 2020 Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, mit vielen Workshops und Begleitprogrammen.
Der Artikel erschien leicht gekürzt am 22.11. in junge Welt. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Bilder, Videos und Bildunterschriften wurden von der Redaktion AmericanRebel hinzugefügt.
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