Harry Popow
Soldaten für den Frieden (Teil dreiundzwanzig)
Leseprobe aus „Ausbruch aus der Stille…“ von Harry Popow
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Hier nun die dreiundzwanzigste Leseprobe aus meinem neuen Buch »Ausbruch Aus Der Stille – Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten«, das im Februar dieses Jahres auf den Markt gekommen ist. Bitte benutzt auch die Kommentarfunktion für Eure Kritiken und Einschätzungen.
Der Reporter in Moskau
Ende September 78. Im Ministerium für Verteidigung wurde es jetzt bestätigt: Henry fliegt nach Moskau. Auslandsdienstreise zur befreundeten Zeitung „Krasnaja Swesda“. Abflug am 2. Oktober von Schönefeld um 08.15 Uhr mit der IF 600, Ankunft in Moskau um 12.40 Uhr. Rückflug am 5. Oktober um 14.00 Uhr mit der IF 605, Ankunft in Berlin um 14.25 Uhr. Also bereitet er sich vor. Malt sich das reichlich zu recherchierende Material aus, eine Vielfalt von Themen. „Bringe soviel Artikel mit wie du kannst“, gab Oberst J. ihm mit auf den Weg. Henry ist allerdings auch für schnelle Änderungen der Lage dort in Moskau gewappnet, andere dienstreisende Reporter hatten ihm manchen Tipp gegeben. Dann Moskau, die Geburtsstadt seiner Mutter. Die breiten Straßen, der starke Autoverkehr, die Gastfreundlichkeit seiner Betreuer. Man besuchte die Offiziershochschule der Landstreitkräfte, die Kunpemirowkaer Panzerdivision und – natürlich – das Lenin-Mausoleum. Aber aus den sehr gründlichen Interviews wurde nichts. Mit einem Kompaniechef wollte Henry z. B. über Erfahrungen beim Gefechtsschießen sprechen. Doch viele Ohren- und Augenzeugen während des Gesprächs verunsicherten den sowjetischen Offizier offenbar. Henry konnte nur wenige Fakten notieren. Manches blieb auch recht unkonkret. Es war zum Haare ausreißen.
In Berlin musste er sich später aus eigener Anschauung ein Bild machen von den „Erfahrungen“ des sowjetischen Kompaniechefs, also flunkern was das Zeug hält. Privat wollte der Reporter in der Nähe des Alten Arbat auf Bitte seiner Mutter ihr ehemaliges Haus, in dem sie mit ihren Eltern gelebt hatte, ansehen. Sein Begleiter führte ihn zwar hin, aber wohl war diesem offensichtlich nicht zumute. Sollte Henry nicht, durfte er nicht? Machte der private Wunsch ihn verdächtig? Aber warum? Auch besuchte Henry mit seinen Begleitern auf die Schnelle Stanislaw, seinen sowjetischen Journalistenfreund aus Neubrandenburger und Potsdamer Zeiten. Er überreichte aber nur ein Geschenk, hielt sich nicht unnötig auf, er spürte, wie verlegen sowohl Stanislaw, als auch Henrys Betreuer waren. War ihnen privater Kontakt hier in der SU nicht erlaubt? Manches ist recht rätselhaft. Wer weiß, was deren Vorschriften diktieren? In einem Brief an seine Mutter beschreibt Henry Tage danach seine Eindrücke: „Moskau ist imposant. Viele interessante Bauten. Manches mutet an, als wäre es für die Jahrhunderte erbaut. Im krassen Gegensatz dazu die noch teilweise bewohnten alten Holzhäuser. Wie man mir sagte, wird Altes hier und da erhalten bleiben. So auch der alte Arbat. Die Kirche z. B., die ich fotografiert habe, trägt zur Zeit ein Baugerüst. Gaststätten, wie Du ja weißt, gibt es nur in den Hotels. Für die Jugend ist nichts da – tote Hose. Nur drei Diskotheken – für eine Achtmillionenstadt. Vor der Revolution hat es mehr Gaststätten, auch kleinere, gegeben. Danach wurde vieles liquidiert, so meine Begleiter. An diesen Zustand hat man sich wohl gewöhnt. Dafür herrscht ein feucht-fröhliches Treiben z. B. im Hotel Moskwa, in dem ich untergebracht war. Morgens aus dem Lautsprecher russische Lieder, ich fühle, die DDR, das mehr westliche Europa, ist so weit weg …“
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Zum Inhalt
Ausgangssituation ist Schweden und in Erinnerung das Haus in Berlin Schöneberg, in dem die Ziebells 1945 noch wohnen. Der Leser erfährt zunächst, wer die Eltern waren (seine Mutter stammt aus Moskau), berichtet kurz vom Evakuierungsort 1943/44 in Pommern, von der Rückkehr in das noch unter Bombenhagel liegende Berlin (Schöneberg), von den Eindrücken nach Kriegsende und vom Einleben in der neuen Gesellschaft, dabei auch von einer Begegnung der Jungen Pioniere mit Wilhelm Pieck.
Die Lehrzeit wird skizziert mit der Arbeit im Zwickauer Steinkohlenrevier, mit Tätigkeiten in der Geologischen Kommission der DDR und mit dem Besuch der Offiziersschule der KVP/NVA in Erfurt und in Plauen, wo er seine spätere Frau kennenlernte.
Wie lebt ein junger Offizier in der Einöde im Nordosten der DDR, welche Gedanken und Gefühle bewegen ihn? Darum geht es in den nächsten Aufzeichnungen seiner Impressionen. Seine Träume führen ihn mitunter weg vom Kasernenalltag und so nimmt er die Gelegenheit wahr, für fünf Monate im Walz- und Stahlwerk Eisenhüttenstadt als einfacher Arbeiter tätig zu sein.
Durch Versetzungen gelangt er nach Potsdam. Dabei kommen Querelen des Alltags als Ausbilder und später als Politoffizier nicht zu kurz. Ein Glücksfall für ihn, als er nach Neubrandenburg in einen höheren Stab als Redakteur berufen wird. Er beginnt ein Fernstudium als Diplomjournalist an der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Inzwischen ist er längst glücklich verheiratet. Die Höhen und Tiefen eines Militärjournalisten – die zwingen ihn, vieles neu zu überdenken. Vor allem als einstiger Ausbilder gelingt es ihm, die Probleme der Soldaten immer besser zu verstehen und sie bildhaft zu schildern.
Die spätere Arbeit als Abteilungsleiter in der Wochenzeitung „Volksarmee“ macht ihm nicht nur Spaß, er nimmt auch Stellung gegen Ungereimtheiten, was ihm nach der Entlassung aus dem aktiven Armeedienst und der Tätigkeit als Journalist im Fernsehen der DDR nicht nur böse Blicke einbringt. So fährt er im September 1989 seiner Tochter nach Ungarn hinterher, um herauszukriegen, weshalb sie mit ihrem Partner abgehauen ist; er gibt ihr dabei das Versprechen, sie in keiner Weise als Tochter zu verurteilen. Nach seiner Rückkehr wird er mit einer Parteistrafe gerügt, die Wochen später angesichts der vermeintlichen Verstöße und Fehler durch die Politik nicht mehr relevant scheinen und wieder gestrichen wird. Auf Unverständnis stößt er auch bei seinen Mitarbeitern, als er nach der Teilnahme an der Dokumentarfilmwoche1988/89 in Leipzig angeblich nicht die erwarteten Schlussfolgerungen zieht.
Nach der Wende: Versuche, arbeitsmäßig Fuß zu fassen, u.a in Gran Canaria und in einer Steuerfirma. Die Suche nach Alternativen, günstiger zu wohnen, sowie die Sehnsucht nach Ruhe führt das Ehepaar nach Schweden.
Episoden aus dem Dorfleben und von vielen Begegnungen, so z.B. bei der Geburtstagsfeier einer siebzigjährigen Schwedin, machen den Alltag und die feierlichen Momente in der „Stille“ nacherlebbar. Keine der in der DDR erlebten Widersprüche und politischen Unterlassungssünden wirft den überzeugten Humanisten aus der Bahn, wogegen die Kapitaldiktatur mit ihren hörigen Medien, politische Manipulationen und Lügen im angeblich so demokratischen Deutschland ihn aufbringen – er bleibt ein Suchender, auch nach der Rückkehr im Jahre 2005 nach Deutschland. Als Rentner, Blogger, Rezensent undund Autor!
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Harry Popow: AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten. © Copyright by Harry Popow, Verlag: epubli, Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, Erscheinungsdatum 18.02.2019, ISBN: 9783748512981, Seiten: 500, Preis: 26,99 Euro.
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Über den Autor: Geboren 1936 in Berlin Tegel, erlebte Harry Popow (alias Henry) in seinem Buch „Ausbruch aus der Stille“) noch die letzten Kriegsjahre und Tage. Ab 1953 war er Berglehrling im Zwickauer Steinkohlenrevier. Eigentlich wollte er Geologe werden, und so begann Harry Popow ab September 1954 eine Arbeit als Kollektor in der Außenstelle der Staatlichen Geologischen Kommission der DDR in Schwerin. Unter dem Versprechen, Militärgeologie studieren zu können, warb man ihn für eine Offizierslaufbahn in der KVP/NVA. Doch mit Geologie hatte das alles nur bedingt zu tun… In den bewaffneten Kräften diente er zunächst als Ausbilder und danach 22 Jahre als Reporter und Redakteur in der Wochenzeitung „Volksarmee“. Den Titel Diplomjournalist erwarb der junge Offizier im fünfjährigen Fernstudium an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Nach Beendigung der fast 32-jährigen Dienstzeit arbeitete er bis Ende 1991 als Journalist und Berater im Fernsehen der DDR. Von 1996 bis 2005 lebte der Autor mit seiner Frau in Schweden. Beide kehrten 2005 nach Deutschland zurück. Sie sind seit 1961 sehr glücklich verheiratet und haben drei Kinder, zwei Enkel und zwei Enkelinnen.
Frühere Artikel von Harry Popow
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