Andrej Konstantin Hunko
Wählerbetrug und Militarisierung
Ursula von der Leyen wird EU-Kommissionspräsidentin, Annegret Kramp-Karrenbauer wird zur deutschen Kriegsministerin und IWF-Direktorin Christine Lagarde wird voraussichtlich neue Chefin der Europäischen Zentralbank – drei Entscheidungen, die für Militarisierung und Demokratiefeindlichkeit in Europa stehen. Andrej Hunko Zur Postenrochade nach der EU-Wahl.
Nun wird Ursula von der Leyen die mächtige EU-Kommission leiten. Als Kompromisskandidatin der Regierungen der Mitgliedsländer wurde die deutsche Verteidigungsministerin aus dem Hut gezaubert, als sich diese nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen konnten. Der Unmut in Teilen des Europäischen Parlaments über diese Entscheidung ließ sich schließlich am Ergebnis der Abstimmung ablesen. Mit nur neun Stimmen über der 50-Prozent-Marke von 374 Abgeordneten wurde sie schließlich bestätigt und musste sich für das knappe Ergebnis auch auf Stimmen der rechtskonservativen PiS aus Polen oder der Fidesz des ungarischen Rechtsaußen Viktor Orbán stützen. Gleichwohl hat dich das EU-Parlament damit ein Stück weit selbst entmachtet.
Dies ist dreifach fatal. Zunächst einmal ist es ein krasser Betrug an den Wählerinnen und Wählern. Was wurde dem Wahlvolk nicht alles erzählt: Mit den vermeintlichen Spitzenkandidatensystem würde das mächtige Amt der Kommissionpräsidentschaft vom europäischen Demos bestimmt. Nun rächt sich, dass diese vermeintliche Demokratisierung nie in den EU-Verträgen verankert, sondern immer vom guten Willen der Staats- und Regierungschefs, dem Europäischen Rat, abhängig war. Es lohnt sich eben doch, die von erheblichen Demokratiedefiziten geprägten EU-Verträge einmal zu lesen.
Ein zweiter undemokratischer Aspekt wird ebenfalls geflissentlich übergangen: An der Wahl des Parlamentspräsidenten und der Kommissionspräsidentin durften drei gewählte und offiziell bestätigte Abgeordnete nicht teilnehmen. Obwohl sie über zwei Millionen Stimmen repräsentieren, haben die spanischen Behörden es bislang erfolgreich verhindert, dass die katalanischen Abgeordneten Carles Puigdemont, Antonio Comín und Oriol Junqueras ihr Mandat antreten. Bereits vor der Wahl hatte der spanische Wahlrat versucht, ihre Kandidatur zu verhindern, war damit aber gescheitert. Doch während das Europäische Parlament und die Regierungen der EU in der Regel darin glänzen, mit erhobenem Zeigefinger anderen Ländern Verstöße gegen demokratische Regeln und Grundrechte vorzuwerfen, herrscht in diesem Fall weitgehend Schweigen im Walde. Ein handfester Skandal.
Nicht nur die demokratisch zweifelhaften Verfahren zur Bestimmung der neuen Kommissionspräsidentin stellen ein ernsthaftes Problem dar. Auch die zu erwartende inhaltliche Ausrichtung ist, drittens, gelinde gesagt besorgniserregend und wird hoffentlich auf breiten Widerstand stoßen. Denn Ursula von der Leyen steht wie wenige andere geradezu sinnbildlich für den (falschen) Umgang mit den multiplen Krisen der EU. Sei es die Finanz- und Wirtschaftskrise oder die Eurokrise, der Brexit oder der Streit um die Aufnahme und Verteilung von Geflüchteten, Migrantinnen und Migranten: immer wird als vermeintliche Lösung für diese oder als Ablenkung von diesen Problemen der Aufbau einer Supermacht EU vorgebracht, die durch Militarisierung und Aufrüstung „unsere“ vermeintlichen Interessen in der Welt durchsetzen soll. Frau von der Leyen gehörte innerhalb der Bundesregierung zu den Scharfmachern gegen Russland. Unter ihrer Ägide erlebte Deutschland die massivste Aufrüstung des Militäretats mindestens seit Ende des Kalten Krieges. Es ist kein Zufall, dass die auf stärkere Konfrontation mit Russland und Aufrüstung drängenden osteuropäischen Länder, wie etwa Polen, mit der Personalie von der Leyen auf einen eigenen Kandidaten verzichteten. Mit der deutschen Verteidigungsministerin als EU-Kommissionspräsidentin im Duett mit Frankreich, ist eine beschleunigte Militarisierung der EU zu befürchten – eine hochgefährliche Entwicklung.
Angesichts dieser Aussichten muten der Beraterskandal in von der Leyens Verteidigungsministerium, das teure Desaster um die Gorch Fock und die Plagiatsaffäre um die Doktorarbeit der Ministerin geradezu als nebensächlich an. Sie wird damit aller Voraussicht nach in „guter“ Gesellschaft sein. Der designierte EU-Außenamtschef, der Spanier Josep Borrell, hatte „vergessen“, Nebeneinkünfte in Höhe von 300.000 Euro pro Jahr anzugeben und deshalb seinen Posten als Präsident des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz aufgeben müssen. Auch die voraussichtliche neue Chefin der Europäischen Zentralbank, die bisherige IWF-Direktorin Christine Lagarde, hat ihren eigenen Skandal an den Schuhen. Als Ministerin in Frankreich war sie des fahrlässigen Umgangs mit öffentlichen Geldern schuldig gesprochen worden, die den Staat 400 Millionen Euro kostete – ohne bestraft zu werden, versteht sich. Es bleibt zu hoffen, dass der Bundestag genügend Selbstachtung hat, Frau von der Leyen auch als Kommissionspräsidentin vor den gerade eingerichteten Untersuchungsausschuss zu den Beraterverträgen zu zitieren.
Die verheerende Personalrochade wird mit der Benennung von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Kriegsministerin abgerundet. Die Vereidigung soll am 24. Juli in Verbindung mit einer Regierungserklärung unter dem Titel „In Verantwortung für die Zukunft Deutschlands. Für eine starke Bundeswehr in einer Welt im Wandel“ stattfinden. Deutlicher kann man Großmachtsambitionen und Aufrüstungspläne wohl kaum ausdrücken. Es besteht Anwesenheitspflicht für die Abgeordneten. Einziger Lichtblick: Über 73,3 Prozentr der Menschen in Deutschland halten laut einer Civey-Umfrage Frau Kramp-Karrenbauer für eine schlechte oder sehr schlechte Besetzung, nur 13,2 Prozent begrüßen den Schritt. Darauf lässt sich aufbauen.
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Erstveröffentlichung in „Die Freiheitsliebe“ vor wenigen Tagen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers und des Autors. Bilder und Bildunterschriften wurden von der Redaktion American Rebel hinzugefügt.
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Über den Autor: Andrej Hunko ist Sprecher für Europapolitik der Partei DIE LINKE im Bundestag.
Für den Inhalt dieses Artikels ist der Autor bzw. die Autorin verantwortlich.
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